Sonntag 1$. September 1927
Äus üer Mlm-AVelt
Sellage des vorwärts
Kokotte als Jungmäöcheniöeal. Von Erna Büsing. Kein Mensch wird es heute mehr bestreiten, daß ein Film ein politischer Faktor von ungeheurer Bedeutung sein kann. Ebenso- wenig wird aber jemand behaupten wollen, daß der politische Film allein den Spielplan beherrschen kann oder darf. Den Spielplan beherrscht doch vor allen Dingen der reine Unterhaltungsfilm, der meistens gleichbedeutend mit dem sogenannten Durchschnittsfilm ist. Und mit ihm sich zu beschäftigen, ist schon der Mühe wert, zumal viele Menschen nur ihn zu sehen bekommen. Zlber gerade mit dem Unterhaltungsfilm ist es von jeher wirklich schlimm bestellt. Zur Zeit der Inflation, als sich in Deutschland das Ausgehen billiger stellte als das Zuhausebleiben, denn Licht und Heizung waren damals nahezu unerschwinglich« Kostbarkeiten ge- worden, waren die Lichtspieltheater dichtgedrängt gefüllt. Anstatt jedoch den Besuchern etwas Wertvolles zu bieten, ließ man durchweg amerikanische Ausschußware abrollen. Geringschätzig wurde an maß» gebender Stelle gesagt:„Was wollen die Besucher? Der Film ist nun mal eben eine technisch« Angelegenheit.� Im günstigsten Falle erklärte man ihn für eine„optische Angelegenheit", und zwar tat man dos regelmäßig, wenn dem Film ein unmögliches Manuskript zugrunde lag, er selbst vollgepfropft war mit Boxkampf, Pferde- rennen und Revueszenen. Man sagte leichthin:„Ach, der schlechte Amerikaner ist der Wegbereiter für den guten deutschen Film." Diese Ansicht war aber eine falsche Spekulation, man hat es nämlich fertig- gebracht, sich das Publikum aus den Lichtspieltheatern rouszugraulen. Run es jedoch soweit ist, sagt man achselzuckend:„Die kleinen Mädchen sind das einzige Filmpubliknm", und man ist prompt bei der Backfijchproduktion angelangt. Die Manuskripte wimmeln von Leutnants und Prinzen und Grafen und deren Geliebten. Di« letzteren spielen überhaupt die denkbar bedeutsamste Rolle, und die Allgewaltigen der Deutschen Filmindustrie propagieren nachgerade die Kokotte als Jungmädchenideal. Das Grafenliebchen ist der Lichtblick im grauen Alltagsleben nicht nur der höheren Tochter, sondern auch des kleinen Mädchens, das sich selbst sehr arbeitsam durchs Leben schlägt und womöglich noch Mutter und Geschwister unter» stützt. Und komnit im Fllni nicht gerade ein Liebchen vor, so ist man immerhin im Durchschnittsfilm doch möglichst auskleidsam. Selbst bei Heimatfilmen genießt man den weiblichen Filmstar in der Badewanne, und wenn das Vaterland von unglücklichen Film- Prinzessinnen Liebesentsogung oerlangt, dann zieht sich die Prin- zessin dabxi aus. Ra hgerade haben wir deine Filmschauspielerinnen mehr, sondern nur noch photographierte weibliche Schönheiten. Die Kameraleute könnten talsächlich auf ihre Art und Weise in der Heu- tigcn Zeit der Rekorde einander den Rang ablaufen, da hätte bei- spielsweisc der eine den IVO. Filmstar im Paradebett und der andere den 15st. Filmstar in der Badewanne photographicrt. Und trotzdem angeblich der Kitsch so gefallen soll, sommert man allgemein über ein schlechtes Geschäft. Darum überstürzen sich die Vorschläge zur G-'sundung des Films. Der eine meint, der Film- architekr sei überflüssig, man müsse die Natur als Werkstatt und Atelier benutzen, der andere möchte die teuersten Filmkräfte von Amerika zurückengagieren, und einem dritten sind die Statisten ein Dorn im Auge. Doch führen alle diese Streitereien nicht aus dem Wirrwarr, weil man für den Durchschnittsfilm immer nur das Klischee beleben will und nicht den Mut zu neuen Wegen hat. Man schisse nur endlich einmal im Filmmanuskript die unerträgliche Scnti- »Mentalität als Ballast aus und betrachte die Allüren der Lebewelt nicht mehr für allem maßgeblich. Vielleicht wächst dann der Film in seine Gegenwartsausgabe hinein und findet sein Publikum.
Die Ziime öec Woche. ,öett und Sofa.' (Emelkapalast.) Sie sind andere geworden, die Menschen unterm Sowjetstern, sie haben nicht nur neu« Gesetze, sie haben auch neue Begriffe, namentlich in dem Bereiche der Moral. Und in das Rußland von heute führt dieser neue Russcnfilm. In einem elenden Kellerloch Hausen der Bauführer Nikolai und seine Frau Vera. Der Raum ist Küche. Schlafzimmer. Wohnraum. Eigentlich leben die beiden Menschen ganz zufrieden in ihm. Da bringt der Mann eines Tages feinen früheren Kriegskameraden mit, den«r auf der Straße ge» troffen hat. Fedor, der Druckereiarbeiter, fand wohl Arbeit, abe» kein Unterkommen in Moskau . Folglich bleibt«r bei dem jungen Ehepaar, er schläft auf dem Sofa und ein Wandschirm sorgt für eine neue Einteilung des Raumes. Eines Tages muß der Mann beruflich verreisen. Fedor geht mit Vera ins Kino, Nikolai tat das nie, Fedor macht mit Vera für billiges Geld einen Rundflug über Moskau , Fedor bringt«inen Radioapparat mit. Das sind alles nur Kleinigkeiten, aber besteht das Leben dieser Frau nicht aus lauter Kleinigkeiten? Schließlich nimmt Fedor die Stelle des Gatten ein. Als d«r heimkehrt, wird ihm frei und offen die Wahrheit gesagt. Er rast davon, schläft im Baubureau auf dem Schreibtisch. Als Nikolai sein« Sachen holen will, regnet es in Strömen. Da
erwacht in Vera die frauliche Fürsorglichkeit, Nikolai kann bleiben, er sthläft fortan aus dem Sofa. Weiterhin leben die drei Menschen im Kellerloch, jedoch erkämpft sich Nikolai langsam wieder sein« alten Rechte. Da fühlt sich Vera Mutter. Wer ist der Vater des Kindes? Keiner von den Dreien weiß es. Die Männer sind sich einig, das Kind darf nicht zur Welt kommen. In Sowjetrußland ist der Frau das Recht auf ihren Körper zuerkannt, sie selbst hat zu entscheiden, ob sie Mutter werden will oder nicht. Vera ist bereits in der Klinik, da erwacht übermächtig in ihr die Sehnsucht nach der Mutterschaft. Sie verläßt die beiden Männer, sie verläßt Moskau , sie wird arbeiten für ihr Kind und sich. Alexander Room führte die Regie mit ungeheurem Mut zur Schilderung von Tatsachen. Er ist derb, ja, nahezu brutal, jedoch fern von jeder Lüsternheit. Sein Werk ist von tiefem Ernst erfüllt, man verspürt deutlich das Ringen mit großen Problemen. Die Schauspieler dürfen bei ihm echte Menschen sein. Doch oersteht er sich auch auf das Gesicht der Stadt, man erlebt Moskau , diese Stadt, die reizt, in deren Bann der großstadtsüchtige Mensch gezogen wird. Nikolai Batalofs ist der Bauführer, ganz körperliche Kraft und herzliche Aufrichtigkeit Waldemar F o g e l ist der Freund, ein sein charakterisierender Darsteller und Ludmilla Seme- nowa erweist sich in der Rolle der Vera als. Schauspielerin aller- größten Formats. Der Regisseur und diese drei Darsteller haben wirklich eine Tat vollbracht, denn sie schufen ein Zeitdokument von unauslöschlichem Wert._— e. b. Plüsch und plümowfki. (Tauentzienpalast.) Film nach dem Roman von Norbert Jacques . Inhalt: die sensationelle Spießbürgerromantik des Mädchenhandels. Plümowski führt ein Doppelleben: in der Großstadt als Junggeselle und Mädchenhändler Plümowski, in der Vorortoilla als strenger Eamilienvater und ehrsamer Kaufmann Schröder. Plüsch ist sein elfershelser, der von ihm ausgenutzt wird, und der� sich endlich dadurch rächt, daß er die einzige Tochter Plümowski-Schröders an das„Etablissement" Plümowskis in Rio de Janeiro verschachert. Aber alle Schuld rächt sich im Film: Plüsch muß sterben, Plümowski wahnsinnig werden, und die Teilhaberin an seinem Menschenhandel sich sogar eigenhändig entleiben. Ein holdselig lächelndes Liebes- paar geht natürlich aus dem Graus hervor: die durchaus unschuldig gebliebene und auch keineswegs erblich belastete Tochter Plümowski- Schröders und ein.ebensalls überaus unschuldiger Jüngling. So schön, moralisch und ergreiscpd ist dieser Film. Ernst Deutsch und Albert Steinrück , retten, was noch zu retten ist. Steinrück meistert die schwierige Doppelrolle des Plümowski. Deutsch macht aus dem Plüsch glaubhaft einen lang- sam ins Verbrechen abgleitenden, selbst ewig vom Leben betrogenen
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Betrüger. V iv i a n Gibson als Teilhoberin an den Geschäften Plümowskis und Kurt Lenon als Typ eines argentinischen Raffke verdienen Erwähnung. Vor diesem Film wurde eine Landschaftsaufnahme„D a s heutige Korsika" gezeigt— interessant durch den Stoff, aber beinahe ungenießbar durch schauderhaft kolorierte Bilder. Tes.
,öie selige Exzellenz.' (Ufapalast am Zoo.) Für dieses Lustspiel zeichnet«ine Schriftsteller-Doppelfirma P r e s b e r und Stein und jür den Film eine Regisseur-Doppel- firma E. A. Licho und Wilhelm Thiede verantwortlich. Ein gutes Filmlustspiel zu schaffen ist eine der schwierigsten Ausgaben. <lnd nachgerade erhebt man es zur Methode, bewährte Bühnenlust- spiele zu verfilmen. Sie sind meistens nichts für Filmfeinschmecker, lösen aber, da sie für gewöhnlich Situationskomik und etwas Witz enthalten, nicht allzu großes Mißbehagen aus. Man hielt sich auch diesmal wieder nach Möglichkeit genau ans Bühnenlustspiel und schilderte die allgemeine Angst bei der bevorstehenden Vervsscnt- lichung der Memoiren der seligen Exzellenz recht eindrucksstark. Nun finden all' die mit schlechtem Kswiüen belasteten Spießer den Weg zu der Baronin v. Windegg, die sie bislang weidlich verleumdeten. Ja, die Angsthasen scheuen sogar vor einem Einbruch nicht zurück und die Feuerwehr kommt dazwischen, was filmisch immer wirkungs- voll ist. Die Memoiren aber sind ungelesen vernichtet.— Für die Schauspieler fand sich gute Arbeit. Olga Tschechows war als Baronin v. Windegg eine schöne, rassige Frau, deren elegante Er- scheinung allein schon zu dauerndem Konfliktstoff mit dem Spieß- bürgertlim führen mußte. Willy F ritsch war als Fürst Ernst Albrecht in gewohnter Art fesch. Ebenso gut aber trugen die übrigen Darsteller Lydia Potechina , Truns van Alten, Ernst Gronau , Hans Junkermann , E. a. Licho, Max Hansen und Julius Falken st«in ihr red! he- Teil dazu bei, dem Film eine freundliche Ausnahme zu sichern.— s.
'„viedftah!.' (ZNarmorhaus.) Die Handlung dieses Films ist von größter Unwahrscheinlichkeit. Eine Mutler stiehlt, damit ihr Kind sie als„schöne Mutti" im Abend- klcid bewundern soll. So hat ihr Töchterchen sie vor einem Jahr gesehen. Dann führt die Eifersucht des Mannes zur Trennung der Ehe. Erst jetzt bekommt die Mutter die Erlaubnis, die Kleine wiederzusehen. Um wieder„schöne Mutti" zu sein, will sie unbedingt ein Abendkleid habxn. Natürlich wird die Frau nicht als Diebin der Polizei zugeführt, sondern sie gerät an einen edlen Menschen- freund. Das Kind ist zwar tot, aber für die glückliche Zukunft der Mutter ist gesorgt.— In Amerika mag man vor Rührung über diesen Film schluchzen. Uns bereitet er keine seelischen Erschütte- rungen. Dagegen hat sicher jeder Kinofreund seine Freude an diesen technisch hochstehenden Ausnahmen, die zum Vollendetsten gehören, was wir überhaupt im Film bisher zü sehen bekamen. Und K o r i n n e G r i f f i t h als tränenseligc Mutter gibt so viel echte Menschlichkeit, die die Rolle irgend zuläßt. Hobart Bos- worlh, John Bowers und Paul E l l i s zeigen sich als kultivierte Filmdarsteller.__ S— z. »klemftaötsünSzr." (Primuspalast.) Unter diesem stark irreführenden Titel erlebte Hans Kihns bekanntes Lustspiel„Meiseken" seine Berfilntung. Er hat, obwohl dem Film alle störenden Merkmale eines übernommenen Bühnenstücks anhaften, immerhin echte Filmszenen. Unter ihnen sind vornehmlich die Rummelplatzerlebnisse zu nennen. Bruno Röhn, gestützt auf sehr gute Darsteller, führte lustig die Regie. Als Selma sah man Asta Nielsen . Diese große Filmschauspielerin ist immer interessant und sehenswert, schon allein-ob ihrer jelbstän» digen Rollenauffassung bei einer unbedingt filmischen Einstellung. Hans Adalbert von Schlettow war ei» fescher Wilhelm Borstelmann. Hans W a ß m a n n als Körchow schuf die Type eines arbeitsunlustigen, geldliebenden Gastwirts, Ferd. v. Alten war der hinterlistige Assessor, dem man recht von Herzen den Reinfall gönnt, Maria P a u d l e r mimte eine sehr kessc Hedwig und Her- mann P i ch a s Meiseken konnte man lich bester nicht wünschen. e. b.
,Der voxer-könig.' (Mozarlsaal.) Gleich nach dem Kriege, als in Deutschland eine nahezu lern- wütige Boxgemeinde bestand, wäre dieser Film eine Sensation ge- wesen. Heute aber, wo wir die verschiedensten Sportsilme und die bedeutendsten Original-Boxkämpse durch die Zeitlupe in allen Phasen festgehalten gesehen haben, büßten die um einen Boxkampf gedrehten Spielsilme ihre Wichtigkeit ein. Darum hat das Publikum kaum großes Interesse für diesen Helden, der eigentlich wider seinen Willen zum Boxer heranwächst, von seinem Gegner ins Gefängnis gebracht wird und schließlich seinen heimtückischen Feind besiegt und ein süßes Mädel kriegt. Der Regisseur Malcolm St. Clair brdchte als Typenschilderung in die Umgebung der Boxer eine be- trächtliche Sammlung bedenklich stupider Gesichter. Als Film- Höhepunkt bringt er einen technisch fabelhaft gut gemachten Box- kämpf. Alle Freunde einer solennen Prügelei kommen mithin voll aus ihre Kosten.— s.