Abendausgabe
Nr. 443 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 219
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel- Adreffe: Sozialbemotrat Berlin
10 Pfennig
Montag
19. September 1927
Berlag und Anzeigenabteilung. Befchäftszeit 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin Sm. 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Dönhoff 292-29%
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Der Reichspräsident redet von Einigkeit.- Eine Gegenstimme aus Tuntenhausen .
Die angekündigte Dentmals enthüllung auf dem Schlachtfeld von Tannenberg in Ostpreußen hat am Sonntag programmäßig stattgefunden. Reichspräsident Hindenburg war in der Uniform des faiserlichen Generalfeldmarschalls erschienen, neben ihm Reichskanzler Marg und die Minister Keudell und Geßler. Auch die völkischen Generale Ludendorff und Morgen durften teilnehmen. Die preußische Regierung ließ sich nur durch den Oberpräsidenten von Ostpreußen vertreten. Die Feier gestaltete sich zu einer gewaltigen und ausgeprägt nationalistischen Rundgebung. Der Borsigende des Denkmalsausschusses, General Kahns , begrüßte Hindenburg cffiziell indem er ihn nach dem unverdächtigen Wolff- Bericht- stets nur als Generalfeldmarschall anredete. Der Reichspräsident antwortete darauf mit Worten des fuhr dann, politisch werdend, mit erhobener
Gott leisteten. Wenn es in der Frage des Steuervereinheitlichungsgefeges zum Kampf tomme, folle die bayerische Bauernschaft sich nicht irre machen laffen: gut fatholisch, gut chriftlich, gut bayerisch, gut deutsch!"
Dr. Heim, der seit längerer Zeit wieder einmal in der Deffentlandwirtschaftlicher Interessen sagte er, dürfe man nicht vergessen, lichkeit erschien, behandelte das gleiche Thema. Bei der Vertrefung daß zum Reichstag leider auch große Arbeitermassen mitwählten. Vielleicht bekäme man nächstens in Bayern statt des Ministerpräsidenten einen preußischen Mandarinen mit einem langen 3opf. Das Vereinheitlichungsgesetz stehe im schroffen Widerspruch zur Reichs verfassung, aber gegen eine solche Verfassungsverlegung habe die bayerische Landesregierung noch mittel. in der Hand. Troßdem werde bei Durchführung des Gesetzes die Selbständigkeit der Länder nur noch auf dem Papier stehen. Wie könne die Reichsregierung überhaupt hoffen, bei einer solchen Politik die Unter: ftügung der Bayerischen Boltspartei zu erhalten? Es sei nicht mehr zu ertragen, daß bayerische Minister jedes Jahr in Berlin betteln müßten, daß Bayern , obwohl die Verfassung ihm die Existenz garanfiere, wie eine außereuropäische kolonie behandelt werde; das sei hundsföttisch, das sei Heuchelei! Es sei gerade so, als ob man zu einer Sau im Stalle sage:„ du darfst so dick werden, wie du willst, aber zu fressen kriegst du nichts!"
Zum Schluß mahnte ein Geistlicher zur vorsichtigen Be handlung der bayerischen Königsfrage. Die Aufgabe fönne es nicht sein, morgen schon eine Monarchie zu errichten. Leider bestehe nicht bei allen maßgebenden Führern des bayerischen Heimatund Königsbundes Verständnis hierfür.
Dankes Stimme fort: „ Das Tannenbergnationaldenkmal gilt in erster Linie dem Gedächtnis dereer, die für die Befreiung der Heimat gefallen sind. Ihr Andenken, aber auch die Ehre meiner noch lebenden Kameraden Derpflichten mich dazu, in dieser Stunde und an dieser Stätte feierlich zu ertlären: Die Anklage, daß Deutschland fchuld sei an diesem größten aller Kriege, weisen wir, weist das deutsche Bolt in allen feinen Schichten einmütig zurüd! Nicht Neid, Haß oder Eroberungsluft gaben uns die Waffen in die Hand. Der Krieg war uns vielmehr das äußerste, mit den schwersten Opfern des ganzen Volkes verbundene Mittel der Selbstbehaup tung einer Welt von Feinden gegenüber. Reinen Herzens find mir zur Berteidigung des Vaterlandes ausgezogen, und mit reinen Händen hat das deutsche Heer das Schwert geführt. Deutschland ift jederzeit bereit, dies vor unparteiischen Richtern nachzuweisen! In den zahllosen Gräbern, welche Zeichen deutschen Heldentums find, ruhen ohne Unterschied Männer aller Parteifärbungen. Sie waren damals einig in der Liebe und Treue zum gemeinsamen Baterland. Darum möge an diesem Grinne- in rungsmale stets innerer Haber zerschellen; es sei eine Giäite, an der sich alle bie hand reichen, welche die Liebe zum Baterlande beseelt und denen die deutsche Ehre über alles geht. Mit diesem Wunsche öffne ich die Pforte zum Tannenbergnationaldenkmal!"
Im Anschluß an diese Hindenburg - Rede fand dann noch ein Feldgottesdienst" statt, wobei ein evangelischer und ein katholischer Geistlicher der jüdische Feldgeistliche mar vorher abbestellt worden- Kriegsreden hielten. Zur Einweihung des Dent mals wurde dann ein Gebet gesprochen, das mit folgenden
Gätzen schloß:
Segne unser deutsches Bolt. Um der gefallenen Brüder willen schenke uns Einigkeit und Friede und Freiheit. Schühe und schirme unsere Heimat und unser deutsches Baterland. Wir
halten treu zu dem Alten, wenn es sich als gut erweist. Wir alle stehen treu zu ihm bis in den Tod. Jeht bricht die Not das Eisen, einst bricht das Eisen die Not. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.
Das alles im Beisein des Reichspräsidenten und des Reichstanzlers, der die Richtlinien der Politit der Regierung zu bestimmen hat!
Die Reichsregierung deckt Hindenburg . An zuständiger Stelle wird erklärt, daß die„ konftitutionelle Gefinnung" des Reichspräsidenten selbstverständlich über jeden Zweifel
erhaben sei und an den Aeußerungen des Reichspräsidenten alle in Frage tommenden Instanzen beteiligt gewesen seien.
Das Echo der Hindenburg - Rede. Widerspruch in Paris.-Pétain redet in Verdun .
Paris , 19. September. ( Eigenbericht.)
Die Rede, die der Reichspräsident v. Hindenburg gestern Tannenberg gehalten hat, findet in der hiesigen Bresse scharfen widerhall. Die Bresse sieht in der Wiederaufrollung der Kriegsschulbfrage eine Herausforderung der öffentlichen Meinung der Alliierten und besonders Frankreichs . Die Blätter weisen darauf hin, daß aller Voraussicht nach Stresemann die Rede gekannt habe und sie desto mehr Beachtung verdiene.
"
Betit Barisien" schreibt, daß die reaktionären Kreise in Deutsch Petit Parisien" schreibt, daß die reaktionären Kreise in Deutsch land seit längerer Zeit Stresemann auffordern, offiziell die Anschuldigungen über die deutsche Kriegsschuldfrage zurückzuweisen. Da Stresemann es nicht für opportun gehalten habe, selbst diese manifestation in Berlin oder Genf zu machen, habe er es in Tannenberg durch den Reichspräsidenten Hindenburg machen laffen, um Deutschland von der Anschuldigung des Artikels 231 des Ber: jailler Friedensvertrages reinzuwaschen. Das Blatt glaubt nicht, daß solche Manifestationen zu der Auswirkung der Locarnopolitik beitragen werden.
Auch der„ Deuvre" verurteilt die Rede Hindenburgs scharf. Hindenburg , schreibt das Blatt, hat es für nötig gehalten, von neuem von der Kriegsschuldfrage zu sprechen und die Schuld auf die anderen Nationen zu schieben.
"
Der sozialistische Populaire" weift darauf hin, daß während Hindenburg in Tannenberg sprach, Marschall Pétain in Berdun eine ähnliche Rede über den Defensivokrieg in
Frankreich geführt habe. Das Blatt weist darauf hin, daß es in Frankreich wie in Deutschland andere Dinge zu sagen und zu
tun gäbe als diese politisch- militärische Manifestation. Das Spiel von Berdun und Tannenberg tönne nicht ohne Gefahr in beiden Ländern weiter geführt werden. Es wäre beffer, den Bölkerbund zu fördern.
Die Tagung in Genf . Deutschland beantragt Abrüftungskonferenz.
München , 19. September. ( Eigenbericht.) Die Jahresversammlung des bayerischen Bauernder Genf , 19. September. eins in Tuntenhausen , aus der schon oft die Stichwörter für Im Abrüftungsausschuß wurde heute vormittag der polnische die klerikale Politik in Bayern gegeben worden sind, spiegelte dieses Antrag zur Diffamierung des Angriffstrieges nach furzer Aussprache Jahr die tritische Situation der Bayerischen Bolts auf Borschlag des Grafen Bernstorff sowie der Vertreter Frankreichs , partei wider, die einem schweren Wahlkampf mit dem vordringen Italiens , Finnlands und anderer Staaten durch Attlamation ein ben Bauernbund entgegengeht und gleichzeitig das Zentrum durch stimmig und unverändert angenommen. Im weiteren Verlauf einen Drud zum Entgegenkommen in den Finanzfragen zu veran= lafsen sucht. Der Generalsekretär des Vereins gab zu, daß der hielt Graf Bernstorff eine längere Rede, in der er den von Baul Radikalismus in der Bauernschaft immer stärker um sich greife und Boncour am lebten Freitag eingebrachten Entschließungsentwurf bedaß der Bauernbund der Bayerischen Volkspartei das Baffer ab- handelte und die genaue Trennung zwischen den technischen Borgrabe, nicht zuletzt deshalb, weil die Bayerische Boltspartei bereitungsarbeiten für die Abrüftungstonferenz und der als eine vorwiegende Beamtenpartei von der Bauern Prüfung der Sicherheitsfrage verlangte. Schließlich brachte fchaft angesehen werde. Der Redner fand es deshalb für gut, fich Graf Bernstorff eine Entschließung ein, in der unter Berufung auf selbst in rechtsradikalen Sprüchen zu ergehen; ohne sich darum zu eine Entschließung der vorjährigen Völkerbundsversammlung in bezug fümmern, daß in der Reichsregierung und zumal im Ernährungsauf Einberufung einer Abrüftungstonferenz ge ministerium zurzeit die Deutschnationalen jizen, erflärte er, die Bauernschaft müffe ihre Stimme erschallen lassen, bis in Berlin die fordert wird, daß der vorbereitende Abrüftungsausschuß die technischen Klubjeffel mit famt den roten Gewerkschaftssekretären umfielen. Arbeiten derart beschleunigt, daß die Abrüftungstonferenz noch por der nächstjährigen Böllerbundsversammlung einberufen werden tann.
Der Reichstagsabgeordnete Dr. Horlacher forderte das 3usammengehen in einer Weltanschauungspartei und verlangte in einer heftigen Bolemit gegen die fanatischen republitanischen Berirrungen Dr. Births den Ausschluß von Leuten, die nicht mehr in die katholischen Reihen gehörten. Man könne von den bayerischen Ratholiken nicht erwarten, daß sie einen Staat sicherten, der von dem Juden Kurt Eisner geschaffen worden sei, wenn sie auch diesem Staat pflichtgemäß dienten. Zur Wirtschafts- und Sozialpolitik er flärte Horlacher, im chriftlichen Sinne gäbe es gar fein Proletariat. Es sei die Aufgabe der deutschen Landwirtschaft, die heute bestehenden Handelsverträge- wie den mit der Schweiz - umzustoßen und dann höhere 3ölle zu fördern. In einer furzen Ansprache feuerte der bayerische Ministerpräfident Held seine Zuhörer an, tatholische Politit aus dem Glauben zu treiben gegenüber Mächten, die Widerstand gegen Religion und
Eine politische Aktion des Reichspräsidenten . Entsprechend den Ankündigungen der deutschnationalen
Bresse hat der Reichspräsident v. Hindenburg bei der gestrigen Tannenbergfeier in Ostpreußen eine Erklärung über die Unschuld Deutschlands am Ausbruch des Weltkrieges ab= gegeben. Die Erklärung hat in der Pariser Presse scharfe Entgegnungen hervorgerufen.
Der Reichskanzler Marg soll die Erklärung gefannt weilende Außenminister Stresemann um seinen Rat und mit ihr einverstanden gewesen sein. Ob der in Genf gefragt wurde, steht nicht fest. Nach den Aeußerungen der deutschnationalen Presse scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein; nach ihnen müßte man eher annehmen, die Lannenbergrede des Reichspräsidenten habe den 3wed verfolgt, die Haltung des Außenministers in Genf zu forrigieren. Wäre diese Annahme richtig, dann läge hier einer jener Fälle des Gegeneinanderregierens vor, das im Kaiserreich üblich war und dort zu den bekannten Erfolgen geführt hat.
In der Vergangenheit sind wiederholt von deutschen Regierungen Erklärungen abgegeben worden, in denen das sogenannte„ Kriegsschuldbekenntnis" des Artikels 231 des Friedenvertrags als erpreßt feierlich wiederrufen wurde. Den Deutschnationalen genügte das jedoch nicht, sie verlangten eine Aktion, durch die auch die Entente zu einem Widerruf des Artikels 231 genötigt werden sollte. Dieser Widerruf sollte dann die Revision des ganzen Friedensvertrags, seiner territorialen wie seiner finanziellen Bestim= mungen zur Folge haben.
Dieser Plan war, wenn er ernst gemeint war, das Muster einer pazifistischen Utopie". Er geht von der Annahme aus, daß es möglich sei, durch eine Korrektur moralischer Urteile die Weltgeschichte zu torrigieren. Noch in der legten Sonntagsnummer der Deutschen Zeitung" fezt ein Profeffor Hennig auseinander, daß die Dawes- Gesetze fallen, die Rhein - und Saarbefeßung aufgegeben, die verlorenen Oftgebiete und Kolonien Deutschland zurückgegeben werden müßten, wenn es gelinge, die Rechtsbasis" des Artikels 231 zu erschüttern.
Eine solche Beweisführung macht sich im Munde von Leuten, die sich sonst als Machtpolititer herausspielen, einen besonders merkwürdigen Eindruck. Sie ist aber natürich auch nicht ernst gemeint, sondern dient hauptsächlich agitatorischen Zweden.
die Regierung, eine Aktion nach dieser Richtung zu unterBor etwa zwei Jahren zwangen die Deutschnationalen die Regierung, eine Aktion nach dieser Richtung zu unternehmen. Sie wollten, daß eine Erklärung, die den Gegnern Form abgegeben werden. Im Auswärtigen Amt begriff den Widerruf des Artikels 231 notifiziere, in feierlichster man aber, daß dabei nichts anderes herauskommen würde als ein ganz überflüffiger Bank um vergangene Dinge, man man aber, daß dabei nichts anderes herauskommen würde treter beiläufige mündliche Erklärungen abgeben zu lassen. beschränkte sich also darauf, durch die diplomatischen VerDie andere Seite reagierte entweder überhaupt nicht darauf, oder sie antwortete, wie die belgische Regierung, mit einem Hinweis auf die Rede Bethmanns vom 4. August 1914, in der Deutschlands Schuld Belgien gegenüber offen zugegeben war.
Solche Erfahrungen fonnten faum zu einer Wieder holung ermutigen. Die Regierung hat denn auch später froß der vier deutschnationalen Minister, die wir jetzt haben von weiteren Schritten in der gleichen Richtung abgesehen. Nun aber kommt die Erklärung des Reichspräsidenten , des früheren faiserlichen Generalfeldmarschalls, abgegeben im Kreise der Ludendorff, Madensen usw., im Rahmen einer Feier zum Ruhm der alten kaiserlichen Generalität. Daß dieser Rahmen für eine solche Erklärung be= sonders glücklich gewählt war, wird man nicht behaupten tönnen. Aber ganz abgesehen davon welchen Zweck hatte es, den Reichspräsidenten in eine Aktion hineinzutreiben, der, wie jedermann weiß, ein Mißerfolg von vornherein sicher ist?
-
abgegeben, daß Deutschland mit reinem Herzen und reinen Der Reichspräsident hat in seiner Rede die Versicherung Händen in den Krieg gezogen sei, und er hat die Bereitwilligkeit erklärt, dies vor unparteiischen Richtern nachzuweisen". Unparteiische Richter können aber nicht Herzen und Hände untersuchen, sondern höchstens geschichtliche Tatsachen. Eine solche Untersuchung über ein Spezialthema, die Franktireurfrage, war zwischen der deutschen und der belgischen Regierung in Aussicht genommen, die belgische Regierung trat jedoch von diesem Borhaben wieder zurück, und die deutsche gab sich damit zufrieden. Es ist daher nicht anzunehmen, daß dem feierlichen Appell des deutschen Reichsoberhaupts an das Ausland irgendein praktischer Erfolg beschieden sein wird.
Abgesehen davon ist die Behauptung, irgendein Heer Der Völkerbundsrat verhandelte heute vormittag wieder über zwar stehender Bestandteil aller militärischen Festreden, aber habe im Kriege„ das Schwert mit reinen Händen geführt", den rumänisch ungarischen Streitfall. mit den Tatsachen des Krieges nicht vereinbar. Denn der Krieg führt nicht nur zu einer unbeschreiblichen Berdreckung des äußeren Menschen, sondern auch zu einer entsetzlichen Berrohung der Gemüter. Kein Heer wird imſtande sein, den Nachweis zu führen, daß ihm bei all seinen Handlungen chriftliche Nächstenliebe und edle Ritterlichkeit Leitfterne gewesen seien.
Moraczewski, der polnische Minister für öffentliche Arbeiten, der Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei ist und bei Eintritt in die gegenwärtige Regierung feine Parteifunktionen aufgegeben hat, wird in den nächsten Tagen von der obersten Barteiinstanz vor die Alternative gestellt werden, entweder aus der Partei oder aus der Regierung auszutreten. Dieser Entschluß der PPS. ift auf die scharfe Resolution der polnischen Gewerkschaften gegen die Regierung zurückzuführen.