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Abendausgabe

Nr. 447 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 221

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Vorwärts

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Mittwoch

21. September 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Werdendes Recht.

Der Strafrechtsentwurf im Reichstagsausschuß.

Der zur Beratung des Strafgeseßentwurfs eingefeßte und direkt Vertreter der Rechtsausschüsse beider Parlamente zu 32. Ausschuß des Reichstags trat heute zu seiner ersten Beratung fammenarbeiten zu lassen. Dagegen fönne auch die Entente nichts zusammen. Der Borsigende Geheimrat Kahl eröffnete die Sigung einwenden, da der Vertrag von Versailles lediglich einen Zusammen­mit einer feierlichen Ansprache: 3um Werte, das wir ernst bereiten, schluß beider Länder untersage. Nur Parlamentsausschüsse, die in geziemt sich wohl ein ernſtes Wort. Er lehne aber ab, diesen Bers ihrer Zusammensetzung der Zusammensetzung der Parlamente ent­fortzusehen, wenn gute Reden sie begleiten, dann fließt die Ar sprechen, garantieren eine fruchtbringende Zusammen­beit munter fort." arbeit und einen Erfolg der gemeinsamen Arbeit. Die sozialdemo­fratischen Bertreter beantragten einen Unterausschuß zur ge­meinsamen Beratung mit dem Rechtsausschuß des Nationalrats ein zusetzen.

Er warne von vornherein vor zu langen Reden, sonst werde das ganze Wert gestört. Regierung und Ausschuß müß ten zusammenarbeiten, zwischen ihnen dürfe fein Trennungsstrich gezogen werden. Die großen Grundprinzipien des Strafrechts, Ge­rechtigkeit und Zweckmäßigkeit, sollten möglichst schnell gefeggebe­rische Gestalt annehmen. Gewiß werde es auch zu ernst en Dif

ferenzen kommen, das tönne man nach Verhandlungen des Parlaments und der Juristentongreffe über den Strafgesegentwurf ohne weiteres annehmen. Man solle aber immer sachlich disku­tieren und auch nicht lediglich nach Parteiaufträgen handeln, die in Deutschland mehr als in anderen parlamentarisch regierten Ländern auf dem Abgeordneten lasten. Man solle viel mehr in erster Linie seinem Gewissen folgen. Das deutsche Volt - erwarte die Lösung des Srafgesetzproblems. Nach Desterreich hin­über, wo man jetzt ebenfalls die Rechtsangleichung zu beraten be­gonnen habe, müsse ein Echo aus diesem Ausschuß des Reichstags hinaus erschallen: Der Bille und die Entschlossenheit, das große

gemeinsame Werk zustande zu bringen.

Staatssekretär Joel entschuldigt die Abwesenheit des Reichs­justizministers Dr. Hergt durch seine Teilnahme an den Berhand lungen des österreichischen Parlaments über das Strafgesetz. Genosse Dr. Rosenfeld unterstützte den Wunsch des Vorsitzenden, daß ein Echo aus diesen Verhandlungen nach Desterreich hinüber schalle. In der Tat jei die Rechtsangleichung in hohem Maße erfreu­lich und sie werde auch von den Sozialdemokraten Deutschlands und Desterreichs aufs wärmste unterstützt. Gerade gestern habe der Ber= treter der sozialdemokratischen Fraktion im öfter reichischen Nationalrat ein

geordnetes Zusammenwirken der beiden Volksvertretungen oder wenigstens derjenigen Körperschaften, welchen die Borbereitung in den beiden Parlamenten obliege, gefordert. Diesem Verlangen müsse Rechnung getragen werden. Es genüge nicht, daß eine frei gebildete deutschösterreichische Arbeitsgemeinschaft sich mit der Rechts­angleichung beschäftige, es sei notwendig, jeden Umweg zu vermeiden

Die preußischen Schulanträge. Einigkeit in der Regierung.

Heute morgen haben wir gemeldet, daß die preußische Regierung einstimmig eine ganze Reihe von Ab änderungsanträgen zum Schulgesetzentwurf des Herrn v. Keudell beschlossen hat. Man wird die Veröffentlichung dieser Anträge mit einiger Spannung erwarten. Einstweilen darf festgestellt werden, daß die Hoffnung der Deutschnatio­nalen, auf dem Wege über das Schulgesetz die Preußen toalition zertrümmern zu fönnen, nicht in Erfüllung gegangen ist. Daß zwischen den Koalitionsparteien des preußischen Landtags, Zentrum, Demokraten und Sozial­Demokraten gerade in Weltanschauungsfragen Meinungs­verschiedenheiten bestehen, versteht sich von selbst. Um so bemerkenswerter ist es, daß man über diese Meinungsver schiedenheiten hinweg zu einem einheitlichen politisch- prat. tischen Verhalten gekommen ist. Ob das in Preußen ge­fundene Kompromiß einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem Keudellschen Entwurf darstellt, wird man erst beurteilen fönnen, wenn der Wortlaut vorliegt.

Dringen die Vorschläge Preußens im Reichsrat durch, so steht die Reichsregierung vor der Entscheidung, ob sie den Reichsratsbeschlüffen beitreten oder eine Doppelvorlage ein­bringen will. uf alle Fälle stehen interessante Auseinander segungen bevor. Die Handlungsfreiheit der Fraktionen des Reichstags wird durch das preußische Kompromiß nicht berührt.

Hindenburg und Zentrum. Kritik an Mary.

Der Tannenbergfeier und der Ansprache Hindenburgs wohnte der Reichskanzler bei. Er nahm das Wort nicht, sondern ließ den Reichspräsidenten die Unschuld des faiser­lichen Deutschland am Weltkriege behaupten. Das war eine Drüdebergerei der politisch verantwortlichen Reichsleitung. Sie wird dem Reichskanzler in den eigenen Parteifreisen verdacht. Das Frankfurter Zentrumsorgan, die" Rhein­Mainische Boltszeitung" feßt sich in einem Artikel mit der Tannenbergfeier auseinander, die sie schärfster Kritif unterzieht, um sich dann gegen Schluß der Zulassung der Rede Hindenburgs durch Reichskanzler Marg zuzuwenden. Es heißt da u. a.:

Ganz abgesehen aber Don den außenpolitischen Schwierigkeiten und Verstimmungen, die die Tannenbergfeier jetzt unnötigerweise nach sich zieht, ist es eigentlich eine unwürdige Sache, Daß man den Reichspräsidenten in Ostpreußen jagen läßt, was die

Vorsitzender Kahl bittet, diesen Antrag zurückzustellen, bis Minister vergt über die augenblicklich in Wien schwebenden Berhand­lungen Bericht erstattet habe. Der Ausschuß beschließt demgemäß. Genosse Dittmann schließt sich einem Antrag an, der die 3u lassung von Pressevertretern fordert. Man könne nur wünschen, manu daß die

Ausschußberatungen des Ausschusses ein Echo im Bolte finden. Das Strafgesetz soll doch für das deutsche Bolt geschaffen werden, deshalb hätten wir das größte Interesse, daß das deutsche Volk aufs Genaueste informiert werde. Vorsitzender Kahl meint, der Antrag habe prinzipielle Bedeutung und müsse mit dem Reichstagspräsidenten und eventuell im Geschäftsordnungsausschuß besprochen werden. Der Antrag wird daher zunächst zurückgestellt.

geſetzes die Beratung des Strafvollzugsgesetzes zu verbinden. Bor. Abg. Koenen beantragt ferner, mit dem 5. Abschnitt des Straf­fizender Kahl widerspricht diesem Antrag. Genosse Landsberg macht darauf aufmerksam, daß es richtiger sei, zunächst das materielle Strafrecht zu regeln, da man zunächst wissen müsse, welche Straf­arten im Strafgesetz beschlossen würden. Vor allem aber sei die Strafvollzugsordnung dem Ausschuß noch nicht überwiesen. Sie fönne deshalb noch nicht beraten werden. Darauf zog Abg. Koenen seinen Antrag zurück.

Abg. Stoeder beantragt die Eröffnung einer General debatte. Vorsitzender Kahl wendet sich dagegen. Genosse Lands­ berg unterstützt den kommunistischen Antrag mit dem Hinweis, daß zwar dieselben Ausführungen sicherlich wirkungsvoller in der Spezial­debatte vorgebracht werden könnten, daß man aber, wenn eine Partei eine Generaldebatte wolle, ein solches Verlangen nicht ab lehnen fönne. Der kommunistische Antrag wird gegen die sozial­demofretischen und kommunistischen Stimmen abgelehnt. Alsdann beginnt Borsitzender Kahl das erste Referat zum ersten Abschnitt des Strafgesetzbuches.

Magnaten gegen Bauern.

facher ungarisch - rumänische Streitfall.

hogneidned

Von Hermann Wendel .

Ueberall steht zu lesen, daß es ein großer, ja dramatischer Tag gewesen sei, als am vergangenen Sonnabend vor dem Genfer Bölkerbundsrat der Madjar Apponyi und der Rumäne Titulescu miteinander rangen. Die Zuhörer famen bei dem Redeturnier auf ihre Kosten, und den Bresseleuten flossen die anschaulichsten Stimmungsbilder nur so aus der Feder. Und doch schien sich das Ganze um eine Frage des formalen Rechts zu drehen, wie sie sonst nur juristische Stäubchenfieber und Flohknacker, nicht aber eine breitere Deffentlichkeit mitzureißen pflegt.

Die Borgeschichte des Streitfalls ist etwas länglich. In seinem Vorderplan stehen 350 madjarische Groß­grundbefiger, deren Güter in dem 1918 an Rumänien gefallenen Siebenbürgen von der rumänischen Agrar­ihres Besizes, die sich die ungarische Regierung zu eigen reform erfaßt worden sind. Ihre Klage auf Rückerstattung gemacht hat, läuft seit 1923 und hat nacheinander die Bot­schafterkonferenz, den Bölkerbundsrat und das gemischte ungarisch - rumänische Schiedsgericht in Paris beschäftigt, das Ungarn wegen Verlegung des§ 250 des Vertrages von Trianon angerufen hatte. Allerdings schützt dieser Artikel finngemäß ungarische Staatsbürger in Rumänien nur inso­fern vor Enteignung, als sie sich unter dem Titel: Liquida­tion zu Reparationszwecken gegen sie in ihrer Eigenschaft als Schiedsgericht zuständig. Die Güter in Siebenbürgen aber Ungarn richtet, und lediglich für solche Fälle ist das wurden enteignet, nicht weil sie Ungarn gehörten, sondern weil sie Großgrundbesig waren, und folgerichtig bestritt die Bufarefter Regierung die Kompetenz des Schiedsgerichts. Als es fich gleichwohl für zuständig erklärte, berief Rumänien seinen Vertreter ab. Jetzt flopfte Ungarn beim Bölkerbund an, damit er die für diesen Fall vorgesehene Ernennung eines Erfagrichters vollziehe. Alles scheint also Sache der Aus­legung, Kompetenzfrage, Paragraphentram zu sein.

Aber es scheint nur so. In Wahrheit steckt hinter den Tüfteleien der Paragraphenmenschen eines der ge­maltigsten sozialen Probleme unserer 3eit, dessen Aufrollung schon die leidenschaftliche Erregung der Sonnabendfizung rechtfertigt. Die einschneidende Wandlung im Südosten Europas , die sich zwischen 1912 und 1918 durch Balkankrieg und Weltkrieg vollzogen hat, stellt, weit entfernt davon, sich mit Bertauschung von Grenzzeichen und Ablösung von Dynastien zu erschöpfen, in ihrem Kern eine Agrar­revolution größten Stils dar. Mit der Zer­trümmerung der osmanischen und habsburgischen Herrschaft verantwortlichen Staatsmänner aus guten und wohl verschwanden die letzten Ueberrefte des Feudalismus, nahm erwogenen Gründen weder in Berlin noch in Genf zu sagen für der Pachtsklave sich sein Stück vom Großgrundbesitz zu eigen, gut befinden. Rann jemand ein vernünftiges Interesse daran siegte die Bauernvarzelle über das Latifundium. Das ge= haben, die Person des Reichspräsidenten auf diese Weise schah, durch die Bauernbefreiung der russischen Revolution Das beflügelt, überall, in der Tschechoslowakei , in Südslawien. in in den Mittelpunkt außenpolitischer Diskussion zu rücken? Deutsche Reich kommt jedenfalls durch solche Vorgänge in die pein- Rumänien , und ist überhaupt der soziale Sinn der Ent­liche Rolle eines trogigen Jungen, dem von seinen einsich stehung oder Abrundung der neuen Nationalstaaten. tigen Eltern ein dummes Wort verboten wird, der dann aber, wenn hinter der elterlichen Mahnung die Tür zugeschlagen ist, ganz für fich allein jenes dumme Wort noch einmal laut wiederholt. Es liegt uns fern, dem Reichspräsidenten Vorwürfe zu machen, da man von einem alten General nicht verlangen fann, daß er die komplizierten und empfindlichen Zusammenhänge der inter­nationalen Politik beherrscht. Diese Ueberlegung hat vor seiner Wahl ja eine wichtige Rolle gespielt. Nun er aber gewählt ist, muß man sich an feine verantwortlichen politischen Ratgeber halten. Der Herr Reichskanzler ist ja dabei gewesen.

Diese Kritik des Zentrumsblattes an dem eigenen Parteivorsißenden ist ebenso fräftig wie zutreffend.

Wenn neuerdings erklärt wird, der Reichsregierung einschließlich des Herrn Stresemann habe der Tert der Hindenburg - Rede vorgelegen, so entlastet das zwar den Reichspräsidenten bezüglich seines formalen Verhaltens es belastet aber um so mehr die Reichsregierung und Herrn Stresemann. Ueber die Unzweckmäßigkeit der Rede fann es ja nur eine Meinung geben. Man hat aber nicht die nötige Zivilcourage gehabt, sie zu verhindern.

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Im übrigen sind die Mißverständnisse darauf zurück­zuführen, daß die Zustimmung des Ministerrates zu der Tannenbergrede Hindenburgs bereits vor drei Wochen, also vor der Abreise Stresemanns nach Genf erteilt worden t!

Amerikas neuer Mexiko - Botschafter. Ein Vertreter des Morgan- Trufts. Washington , 21. September. ( Eigenbericht.) Der Präsident hat den ihm nahestehenden Dwigh Morrow zum Botschafter in Mezito ernannt. Borah erflärte, er werde die Ernennung, die vom Senat noch zu bestätigen ist, unter stüßen, falls der neue Botschafter eine friedens freundliche Haltung einnehme.

Morrow hat mit Colidge zusammen an der gleichen Hochschule studiert. Er ist Teilhaber Morgans, der Megikos Aus­landsanleihen( über 400 Millionen Dollar) untergebracht hat. Im Gegensatz zu den scharfmacherischen Petroleuminter effenten ist die Ballstreet aus finanziellen Gründen mehr für die Friedens politit gegenüber Merito.

In dem klassischen Großgrundbesitzerlande Rumänien mußte die Not den Bojaren heiß auf den Nägeln brennen, bis auch sie sich zu einer Agrarreform entschlossen, aber mochte sie durch Korruption und Spekulantentum noch so verwässert und verfälscht werden. Die Umwälzung, die sie brachte, pflügte doch das gesellschaftliche Erdreich gründlich um. Kaum je," fagt Professor Dr. Walter Schiff in seiner Schrift Die großen Agrarreformen seit dem Kriege"," sind die agrarischen Berhältnisse eines Landes auf friedlichem Wege so rasch auf ganz neue Grundlagen gestellt worden." Auch in Sieben= dem einen Bol 0,48 Proz. der Befizer, die Großen, 3,2 Mil­bürgen gab es ein großes Aufwaschen. Dort hatten an lionen Hektar oder 37 Broz. der Bodenfläche inne, während fich am anderen Bol 87 Proz. der Besizer. die Kleinen, in 2,9 Millionen Hektar oder 34 Proz. der Bodenfläche teilen mußten! Daß in dieser Provinz die Agrarreform eine nationale Spike hetam, lag daran, daß unter den Latifundienbesitzern die Madjaren als die sozialen und politischen Herren des Landes überwogen. und die Rumänen meist zum landlosen oder landarmen Proletariat zählten. An Ungerechtigkeiten, Härten und Gaunereien fehlte es nicht, so daß sogar nichtrumänischen Kleinbauern ihr Eigen genommen oder geschmälert murde, aber im Ganzen hatten die madjarischen Magnaten teine Ursache zur Beschwerde: was Enteignung und Entschädigung anging. wurde ihnen mit demselben Maße gemessen wie ihren rumänischen Klassengenossen in Siebenbürgen .

Wenn jekt als ihr Sachwalter Graf Apponyi in Genf durch juristische Begriffsfpielereien verblüfft, so erinnert das wohl an das Wort, das die Ungarn eine Nation von Husaren und Advokaten nennt, aber es beweist nicht, daß es ihm und seinesgleichen um eine harmlose Rechtsfrage geht. Vielmehr handelt es sich um einen dreisten Borstoß des noch heute feudalen Ungarn gegen die neue soziale Ordnung im Süd­often, um einen Angriff des Latifundiums auf die Barzelle, um eine Ronterrevolution der Magnaten gegen die Bauern. Das geschichtliche Gegenstück ist die Frechheit, mit der nach 1815 die aristokratischen Ultras in Frankreich verlangten, daß sie mit Waffengewalt auf ihre Güter zurückgeführt würden, die die große Revolution zer­schlagen und an die freigewordenen Leibeigenen verteilt hatte. Aber selbst für die Bourbonen war es unmöglich, den Bauern von seinem Boden wieder zu verjagen und so die neue Grund­