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Nr. 455 44. Jahrgang
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Ausgabe B Nr. 225
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Berliner Volksblatt
26. September 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Wahlsieg an der Unterelbe.
Die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Altona , Wandsbek und HarburgWilhelmsburg. Antwort auf Tannenberg .
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Altona , 26. September. ( Eigenbericht.)
Am Sonntag wurde in Altona , Harburg und Wandsbet zu den Stadtverordnetenversammlungen neugewählt. Das Ergebnis zeigt überall einen erfreulichen Aufstieg der sozialdemokratischen Stimmen, während fämtliche bürgerlichen Parteien, und zwar insbesondere die Nationalsozialisten, verhältnis mäßig starke Rüdgänge zu verzeichnen haben. Auch die kommuniften haben überall verloren. Das hindert fie natürlich nicht, in ihrer Preffe das Gegenteil zu behaupten. Man lügt eben gewohnheitsmäßig.
wurden bei einer Wahlbeteiligung von 71 Broz. der Wahlberechtigten insgesamt 113 310 gültige Stimmen gegen rund 106 500 Stimmen am 4. Mai 1924 abgegeben. Davon entfielen auf die Sozialdemofratie 43 036 gegen 33 387 Stimmen oder 25 Mandate gegen 18 in dem früheren Stadtparlament. Die Kommunisten erhielten 18 537 ( 19 211) Stimmen mit 11 Mandaten( 10). Die Demokraten gingen von 11 637 bei den Wahlen im Mai 1924( 7) auf 6423( 3) zurüd. Am stärksten verloren die Nationalsozialisten, die von ihren 9363 Stimmen bei der letzten Wahl nur noch ganze 1980 retten konnten und statt bisher 5 jetzt nur noch mit einem einzigen Vertreter in das Stadtparlament einziehen.
Die Berluste der Rechtsparteien sind insofern nicht ganz flar festzustellen, als sie bei den legten Wahlen gemeinsam marschierten, während sie für den gestrigen Sonntag getrennte Liſten aufgestellt hatten. Dabei erhielt die Bolkspartei 9918 Stimmen
Aufwertungsgruppe erhielt 1141 Stimmen, das Zentrum 1100, die linken Kommunisten vereinigten nur 364 Stimmen auf ihre Liſten. Bei einem Vergleich mit dem früheren Stand ist zu berüc fichtigen, daß durch die Eingemeindung von Teilen des Kreises Binneberg die Zahl der Mandate etwas größer als früher ist. gediglich die Sozialdemokratie hat die Zahl ihrer Stimmen und ihrer Size im Stadtparlament nicht nur dement sprechend permehrt, sondern noch darüber hinaus einen wesentlichen Machtzuwachs erzielt.
fonnte die Sozialdemokratie ähnlich wie in Altona ihre Stimmen und damit ihre Mandatsziffern steigern. Statt bisher 12 Size erhielt sie jetzt 15 Mandate bei 8241 Stimmen. Die KPD. verlor an Stimmen, konnte jedoch ihre Mandatsziffer halten. Die bereinigten bürgerlichen Parteien, zu denen die Demokratensie erhielten 2 Mandate nicht zählen, gingen von 18 auf 14 Size zurück. Die Sparer erhielten 1 Mandat.
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erhielt die Sozialdemokratie mit 24 131 Stimmen 23 Mandate, auf die KPD. entfielen mit 9312 Stimmen 9 Mandate und auf die Demokraten mit 2524 Stimmen 2 Mandate. Auch das Zentrum fonte mit 1127 Stimmen 1 Mandat erzielen. Auf die bürger liche Einheitsliste entfielen 7764 Stimmen oder 7 Mandate, die Haus- und Grundbesitzer erhielten 3577 Stimmen oder 3 Mandate, und die Handwerker 3305 Stimmen mit ebenfalls Ein Vergleich mit den früheren Wahlergebnissen ist insofern nicht ohne weiteres möglich, als Harburg und Wilhelmsburg bisher getrennt gewählt haben. Die bisher vorhandene absolute Mehrheit der SPD. in Harburg ist infolge der Eingemeindung verloren gegangen, obwohl die Sozialdemokratie ihre Stimme um 22 Broz. vermehren fonnte. Eine ausgefprochene Linksmehrheit ist trotzdem gesichert. Die Sozialdemokratie zählt auch jetzt in Harburg allein wesentlich mehr Mandate als sämtliche bürgerlichen Parteien zusammen.
pder 5 Mandate, die gleiche Mandatsziffer entfiel bei 8530 3 Mandaten. Die Mieter holten sich nur ein Mandat. Stimmen auf die Deutschnationale Partei. Die BürgervereinsI i ste vereinigte 16 834 Stimmen gegen 28 174 Stimmen bei der letzten Wahl auf sich. Ihre Mandatszahl beträgt 10 gegen früher 12. Die Wirtschaftspartei, die zum erstenmal auftrat, erhielt 1851 Stimmen oder 1 Mandat, während der bereit en früheren Wahlen aufmarschierte Wirtschaftsblod von 3464 Stimmen auf 1272 Stimmen zurückging und infolgedessen kein Mandat erhält. 2eer gehen auch die Aufmertungspartei, 3entrum und ebenso die linten Kommunist en( Urbahnsgruppe) aus. Die
Paris , 26. September. ( Eigenbericht.)
Am Sonntag wurden wieder in Frankreich eine ganze Reihe von Kriegerdenkmälern eingeweiht, durch Poincaré allein brei. In seinen Reden befaßt er sich jedoch mehr mit lokalen Ereignissen. Dagegen ging Justizminister Barthou auf die Kriegsschuldfrage ein. Er führte dabei nach den amtlichen Berichten wörtlich aus:
,, Es gibt Dementis, die die Geschichte nicht annimmt, und die, aus welchem Munde sie auch kommen mögen, nicht gegen die Wahrheit der Tatsachen, der Dokumente und der Daten auffommen fönnen. Die Verantwortlichkeiten, die wir noch so gut im Gedächtnis haben, sprechen zu laut aus unserem ver wüsteten Boden, als daß eine Ableugnung, die ebenso feierlich wie ungeschickt ist, ihre unleugbare Zeugenschaft erschüttern könnte.
Wenn das Deutschland von 1914 wirklich ein reines Herz gehabt hätte, hätte es mit einem Wort oder einer Geste durch Annahme des angebotenen Ausgleichsversuches jede Kriegsgefahrbannen tönnen, die im Gegenteil durch seine auf Grund falscher Nachrichten befohlene Mobilmachung proflamiert, verschärft und beschleunigt wurde. Wir wollen den Frieden, wir wollen ihn mit einem Willen, dessen weitherzige Aufrichtigkeit unsere bereits bewilligten Opfer bestätigen. Aber wir fönnen nicht ohne schändliche Gewissenlosigfeit auch noch die Wahrheit opfern. Diese Wahrheit ist unsere Kraft, denn sie ist unsere Ehre. Sie wird niemals dementiert oder entstellt werden können. Die notwendige Annäherung, die der Friede der Welt verlangt, fordert als Vorbedingung das Stillschweigen, das wir ohne Schwierigkeiten innehalten werden. Aber
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nur für diesen Preis des Stillschweigens ist er denn so hoch und schwer?- können wir versuchen zu vergeffen, Unkluge Rehabilitierungsversuche laufen Gefahr, in der öffentlichen Meinung nur allzu leicht die Form von Herausforde rungen anzunehmen."
In der Nähe von Mezz hielt General Hirschauer eine Denkmalrede, in deren Verlauf er das Stresemann- Interview im Ratin" als außerordentlich schamlos bezeichnete.
Brüffel, 26. September.( Eigenbericht.) Ministerpräsident Jasper jagte bei der Einweihung eines Dentmals für den katholischen Staatsmann Bernaert in Ostende u. a.: ,, Bernaert, der sich sehr um die Festigung des Friedens in Europa bemüht hat und von so tiefem Glauben daran erfüllt war, ist der beispiellofe Schmerz erspart geblieben,
das Berbrechen, das reinen Herzens" begangen wurde nou henen, die unsere Neutralität verlegt haben, mitzuerleben.
Er hat nicht die furchtbaren Tage erlebt, in denen die Invasion derer mit den reinen Händen" unser unschuldiges Bater land der Brandstiftung, dem Mord und der Vermüftung ausgeliefert hat. Er hat die unentschuldbaren Füsi lierungen von Frauen, von Greifen und selbst von Kindern in der Wiege nicht fennengelernt. Sein Herz krampfte fich nicht zufammen angesichts des systematischen Raubes unserer industriellen Ausrüstung. Er erlebte weder Löwen noch Bisée, noch Tanines, noch Aerschot, noch Dinant . Er hat nicht mehr mit Augen, die vor Entsetzen brannten, den langen Zug unserer Mitbürger davonziehen sehen müssen, die wie Sklaven zu Tausenden deportiert wurden.
Auch die letzte Prüfung blieb ihm erspart, sein geliebtes Baterland gegen den Haß und die Verleumdung verteidigen zu müffen, die hartnädig und unermüdlich bemüht find, mit den üblen Dünsten der Lüge und des Uebelwollens Heroismus und Leiden zu trüben.
Der unvermeidliche Widerhall der Hindenburg - Rede.
Das also ist der Ausklang einer vierwöchigen Völkerbundstagung, auf der die Außenminister aller Locarno - Mächte in engster Verbindung miteinander standen! Man müßte an= nehmen, daß das Ergebnis einer solchen mehrwöchigen Fühlungnahme eine weitere Annäherung zwischen den Völkern sein würde. Weit gefehlt! Es werden statt dessen scharfe Reden gehalten, in der alte Beschuldigungen abermals erhoben werden, worauf natürlich von deutscher Seite nicht minder scharfe Antworten erfolgen. Die natnoalistische Presse beider Länder ist wieder gottlob in ihrem Element, wie in den schlimmsten Kriegs- und Nachkriegsjahren.
Und warum das alles? Weil der Reichsaußenminister Dr. Stresemann, der verantwortliche Leiter unserer auswärtigen Politit, nicht den Mut hatte, gegen eine im höchsten Grade überflüssige und schädliche Stelle in der Tannenberg- Rede des Reichspräsidenten v. Hindenburg Einspruch zu erheben. Ihm hat dieser Mut gefehlt, weil er sich deutschnationalen Angriffen nicht aussetzen wollte, weil er befürchtete, daß seine deutschnationalen Ministerkollegen die Tatfache seines Einspruches gegen eine Kriegsschuldkundgebung an die große Glocke hängen würden. Sein Verhalten verdient um so schärferen Tadel, als er genau wußte, welches Echo diese Kundgebung erwecken würde. Daß diese Erflärungen Hindenburgs nicht nur schädlich, sondern auch überflüssig seien, das wußte Stresemann am allerbesten.
Denn er felber hatte sich bereits auf den durchaus richtigen Standpunkt gestellt, daß jede Antikriegsschuldaktion überflüssig geworden sei, weil die ehemals feindlichen Regierungen innerlich die einseitige Beschuldigung des Art. 231 längst preisgegeben hätten. Er ist es gewesen, der mit vollem Recht im September 1926 in Genf das Wort prägte, daß nach der begeistertem Aufnah me Deutschlands im Völkerbund durch die Delegationen aller ehemals feindlichen Staaten die unwahre Behauptung der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands faktisch fallengelassen morden sei. Er mußte aber andererseits sehr wohl, daß jeder Bersuch Deutschlands , eine förmliche Zurücknahme des Artifels 231 zu erzwingen, nur seine Bekräftigung zur Folge haben würde.
Das war der Standpunkt Stresemanns zu einer Zeit, als er eine vernünftige Reichsregierung vertrat, die wirklich die Bölkerverständigung erstrebte. Jezt, als Außenminister der Rechts regierung, macht er wider bessere Ueberzeugung gefährliche Konzeffionen an jene Propaganda, die unter dem Vorwand, das deutsche Volk reinzuwaschen, in Wirklichkeit die Rehabilitierung der hohenzollernschen Politik betreibt.
Deshalb lehnen wir es ab, im einzelnen zu den Reden Barthous, Poincarés und Jaspars Stellung zu nehmen, und mögen sie zum Teil noch so scharfe Erwiderung verdienen, zumal namentlich die beiden französischen Minister wahrhaftig nicht als Unschuldsengel vor der Geschichte dastehen. Aber in diesem speziellen Fall liegt die Schuldfrage klar vor allen Augen: Hier ist es unzweifelhaft Deutschland gewesen, das angefangen hat, das diese Debatte entfesselt, ja provoziert hat. Es ist deshalb ein starkes Stück, wenn das Auswärtige Amt durch WTB. gang wie in Kriegszeiten der Rede Barthous eine Anmerkung" folgen läßt, in der dem französischen Justizminister ironisch, vorgeworfen wird, er hätte seine Mahnung vom filbernen Reden und vom goldenen Schweigen nicht selber befolgt. Diese Mahnung hätte Stresemann mit allem nötigen Respekt, aber mit eben solcher Entschiedenheit in jener Kabinettssigung aussprechen müssen, in der der Wortlaut der Rede Hindenburgs gebilligt wurde.
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Und wenn WTB. in jener Anmerkung" dem französi schen Justizminister Barthou vorhält, er habe sich gerade zu dem entscheidenden Punkt" nicht geäußert, nämlich zu dem deut
Infolge dieser Rede Jaspers soll die Genfer Besprechung Strese mann- de Brouckère, die für heute vormittag geplant war, abgesagt worden sein. In dieser Besprechung sollte die gemeinsame deutsch - schen Angebot einer unparteiischen Untersuchung belgische Erklärung fertiggestellt werden, worin man auf die unparteiische Untersuchung des sogenannten Franktireurkrieges von 1914 für jetzt verzichtet.
5000 Opfer.
der Kriegsschuld und der Kriegführung, so weiß jeder einsich= tige Politiker, daß eine solche Untersuchung, auch wenn sie relativ noch so günstig für Deutschland ausgehen würde, so viel Kriegsleidenschaften aufwirbeln, so viele alte Wunden aufreißen würde, daß damit der Sache des Friedens in feiner Weise gedient wäre. Wenn schließlich aus Genf gemeldet wird, die deutsche Delegation stehe jetzt auf dem Standpunkt, daß nach der Rede Jaspars die bevorstehende deutsch belgische Einigung über einen einstweiligen Berzicht auf eine unparteiische Untersuchung wieder hin=. fällig geworden sei, weil die Beschuldigungen Jaspars eine neue Situation geschaffen hätten, jo ist auch das eine ebenso unfluge wie furziichtige Stellungnahme: denn wenn es ein Land gibt, auf das die Tannenberg - Rede von der Unschuld und von den reinen Herzen und Schwertern Deutsch lands schon ganz und gar nicht paßte, so war es Belgien . Daß von belgischer Seite eine scharfe Antwort auf die Tannenbergrede erfolgen würde, war unvermeidlich. Und wenn Deutschland jetzt Belgien gegenüber so tut, als nähme es übel" und als wolle es dreizehn Jahre nach dem aufrichbei- ,, übel" richtigen Schuldgeständnis Bethmann- Holwegs seine Un schuld gegenüber Belgien vor einem unparteiischen Ausschuß nachweisen, so ist das glatter Wahnsinn.
London , 26. September. Nach Zeitungsmeldungen ist die Gegend von Yungtong, 150 Meilen südwestlich von Honkong, von einem mit einer Springflut verbundenen Taifun heimgesucht worden. 5000 Personen sind ums Leben gekommen. 20 000 Häuser und Hunderte von Dschunken wurden zerstört.
Basel , 26. September. Hochwaffer. und Unwetterfatastrophen haben während der bei den letzten Tage in der östlichen und füdlichen Schweiz schwere Schäden angerichtet. In Tavanasa ertranten acht Personen. Im See von Lugano ging ein Dampfer unter, der vom Sturm an den Quai geschleudert wurde. Mehrere Brüden wurden fortgeriffen. Der Verkehr auf großen Bahnlinien mußte eingestellt werden. Das Hochwaffer ist im Abflauen.( Weitere Meldungen in der Beilage.) I machen will!
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Das alles tommt eben davon, wenn man auswärtige Politik mit den Deutschnationalen zusammen