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Nr. 456 44. Jahrgang Ausgabe A nr. 232

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

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Dienstag, den 27. September 1927

Gute Zeiten für Kriegsheher.

rede. Reichsaußenminister Dr. Stresemann mußte die außen politischen Folgen übersehen und dem Unheil steuern. Er hat es nicht getan. Sein Versuch, dem drohenden Unheil die Spize ab zubiegen, fcheiterte. Die Träger der Locarnopolitik haben durch eigene Schuld ihr internationales Ansehen untergraben."

Die Deutschnationalen werden übermütig.- Poincaré und Maginot gleichfalls. Als der Weltkrieg ausbrach, schrieb ein führendes wortung für die unheilvollen Auswirkungen der Tannenberg nationalistisches Blatt, die Tägliche Rundschau": Diese Stunde haben wir ersehnt, gesegnet sei die Stunde!"| Ganz so weit ist es diesmal freilich noch nicht, aber die unselige Tannenbergrede, die Herr Stresemann aus Mangel an Zivilfourage passieren ließ, hat in Belgien und Frankreich in den Reden Jaspars und Barthous, leidenschaftliche Entgegnungen gefunden. Der alte Kriegs­haß lodert wieder auf und die nationalistische Presse wälzt sich in Bonne.

Die Kreuz- Zeitung " ift ganz in ihrem Element. Sie überschreibt ihren Bericht über die Rede Jaspars mit den Worten: Der belgische Ministerpräsident wird frech." Für das publizistische Hauptorgan der größten Regierungs­partei ist das ein hübscher Ton zur Führung internationaler Diskussionen. Wie froh ist doch die Edie, endlich wieder ein­mal tüchtig heßen zu können: 1

Wir fönnen es alles andere als bedauern, daß die Dinge fich fchließlich so entwidelt haben. Im Gegenteil, wir begrüßen cs, daß durch die energische Zurückweisung der Kriegsschuldfrage durch den Reichspräsidenten und ihre Bestätigung durch den Reichs­außenminister die ganze Kriegsschuldfrage erneut aufgerollt und in den Bordergrund gerückt ist. Jetzt ist es an der deutschen Regierung, gegenüber den Versuchen unserer Gegner, uns ins Unrecht zu feyzen, felbst zur Generaloffenfive zu schreiten Heraus mit den Greuelgegenliften, die in den deutschen Archiven vermodern. Immer wieder aber muß dem Bedquern Ausdruck gegeben merden, daß alle fich bietenden Gelegenheiten von der Reichs­regierung berpaẞt worden sind, die Kriegsschuldfrage endgültig zu bereinigen. Bei dem Abschluß der Locarno- Berträge und bei dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund war die Gelegenheit gegeben. Damals brauchte man uns dringend, und Deutschland hätte vielleicht etwas erreichen können. Jezt nach allen deutschen Borleistungen geht man über Deutsch

land hinweg.

leberraschenderweise unterstützt die Kreuz- Zeitung " in ihren Schlußsäzen die Kritik, die an der Tannenbergrede geübt wird, in einem ihrer Hauptpunkte. Gleichgültig, ob es wahr ist, daß Gelegenheiten zur Bereinigung der Kriegs­fchuldfrage verpaßt worden sind oder nicht auf alle Fälle mird durch diese Theorie der verpaßten Gelegenheiten zu­gegeben, daß jetzt für eine Rede wie die von Tannenberg nicht die Gelegenheit mar. Trotzdem verlangt die Kreuz Zeitung " von der Regierung, daß sie zur General offensive schreiten" soll. Diese Generaloffensive" wird Broar Deutschland nicht gut bekommen, aber die Deutsch nationalen können vielleicht dabei mit ihrer nationalisti­schen Agitation Dumme fangen.

"

Die Deutsche Zeitung" ist gleichfalls sehr erfreut über die erwünschte Klärung der Lage". Im übrigen hat sie wie immer die Patentlösung in der Tasche:

Poincaré vor seinen Wählern. Antwortrebe auf Tannenberg . Scharfe Sprache des Generalgouverneurs von Algier gegen Mussolini .

Paris , 26. September. ( Eigenbericht.)

Die Tagung der Generalräte in Frankreich ( Parlamente der Departements) ist am Montag, wie üblich, in mehreren Fällen durch hochpolitische Reden eingeleitet werden. So hat Poincaré bei der Eröffnung des Generalrats des Departements Maas, dessen Vorsitzender er ist, eine große Rede gehalten, die eine weitere Auslaffung zur Frage der Kriegsschuld darstellt und als Antwort auf die Rede von Tannenberg angesehen werden kann.

Poincaré fnüpfte an die historische Rolle Lothringens an, das stets am ersten einem Angriff Deutschlands ausgesezt gewesen sei. Es gebe deshalb kein Land in Frankreich , das leidenschaftlicher den Frieden münsche. Aus diesem Grunde habe man aber in Lothringen sind, daß es in der Lage ist, sich zu verteidigen, wenn es angegriffen ebenfalls stets verlangt, daß Frankreichs Grenzen so gesichert wird. Dann fuhr Poincaré wörtlich fort: Niemand von uns hat eine andere Bolitit vor 1914 betrieben, niemand von uns hätte den traurigen Mut gehabt, den Krieg zu erklären oder ihn zu provo­zieren. Als er uns aufgezwungen wurde, wollten wir mit ganzer Seele einen Krieg, der nicht nur den Feind aus dem Lande und uns außer der Wiedergutmachung der Schäden volle Sicher wirft, sondern die territoriale Einheit Frankreichs wieder herstellt nochmals ernst nehmen könnte, die man jetzt zu verbreiten sucht, daß heit bietet. Hier ist am wenigsten der Platz, wo man die Legende 3ivilbevölkerung, achtete und beinahe harmlos war. eine höfliche" Invasion in Frankreich stattgefunden hätte, die die

Zu viele Greise, zu viele Frauen und Kinder find getötet wurden in unseren besetzten Gebieten, zu viele Häuser verbrannt morden, als daß unsere Landsleute nicht die Pflicht hätten, dagegen zu protestieren, wenn man die Wahrheit leugnen will. Sie find damit einverstanden, daß Bergessenheit darüber gebreitet werden soll, sie wollen aber nicht, daß Lüge Plaz greift.

Im zweiten Teil seiner Rede ging Poincaré besonders auf die Innenpolitik ein und verteidigte seine Finanzpolitif, die feiner An­sicht nach die Innen- und Außenpolitik bedinge. Zum Schluffe pro­teftierte er gegen gewisse Pressemeldungen, er habe die Absicht, von seinem Amte zurückzutreten. Das Gegenteil sei der Fall, erst menn

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Städte und Einheitsstaat.

Magdeburger Ergebnisse.

Von Paul Her.

Der Städtetag in Magdeburg war eine große Bolksver= prächtigen Saal der Neuen Stadthalle. Außer den führenden sammlung. Etwa zweitausend Teilnehmer füllten den Kommunalpolitikern waren auch viele Politiker des Reiches Aufmarsch, wohl geeignet, die Bedeutung der deutschen Städte und der Länder erschienen. Alles in allem ein stattlicher im öffentlichen Leben fundzutun. Aber das äußerlich Jmpo­nierende hat auch seine Schattenseiten. Für eine wirkliche Klärung der zur Diskussion stehenden fachlichen Probleme mar die Tagung zu groß, ihre Dauer zu kurz und das Ganze sachlich mangelhaft vorbereitet. Bei Vermeidung dieser Fehler hätte der praktische Nugen der Tagung sich erheblich steigern lassen.

Tagungen der deutschen Städte waren ehemals Tagun gen ihrer Oberbürgermeister und der städtischen Bureaukratic. Die städtische Bevölkerung war auf ihnen sehr schwach ver­treten und ausschließlich durch Angehörige des besitzenden Bürgertums. Mit der Demokratisierung der Gemeindever­waltungen und der Gemeindevertretungen seit dem Jahre 1919 ist dies anders geworden. Wenn das Uebergewicht der hohen Verwaltungsbureaukratie auch immer noch vorhanden ist, so sind gegenwärtig doch alle Bevölkerungsschichten ver­treten. Das aber hat den Charakter des Städte= tages grundlegend geändert. Er ist in seiner Stellungnahme nicht mehr so einheitlich wie ehedem. sozialen und politischen Gegenfäße, die in jeder Ge­meindevertretung vorhanden sind, spiegeln sich auf dem Städtetag wider. Durch die Bildung von Gruppen und Frattionen ist nicht nur das äußere Bild des Städtetages verändert worden, es zeigt sich in ihr auch die zwangsmeije Politisierung dieser Körperschaft. Dieser Poli­tisierung aber hat man bisher weder in der Zusammensetzung des Borstandes des Städtetages voll Rechnung getragen, noch wurde sie bei der Vorbereitung der Tagung ausreichend berücksichtigt.

Die

Eine

Und was die Kriegsschuldfrage betrifft, so erwarten wir, daß er seine Aufgabe voll erfüllt habe, werde er und das Minifterium nicht entscheidend. Sowohl das Referat von Mulert als auch

die leitenden Männer, Herr Dr. Marg und Herr Dr. Strese mann, öffentlich und amtlich, furz und klar erklären, daß alle Ableugnungsversuche der Gegenfeite nichts ändern an der Tatsache, daß Deutschland nicht schuld am Weltkriege ist. Diese Erklärungen find den sämtlichen Staaten der Welt, nicht nur der Entente, durch die deutschen Auslandsvertreter schriftlich zu= zustellen. Daneben würde dann an Belgien und Frank reich die Forderung zu richten sein, ihr Bedauern über die Entgleisungen ihrer Minister Jaspar und Barthou auszusprechen.

Und wenn sämtliche Staaten die von der Deutschen Zeitung" gewünschte schriftliche Erklärung als Gebrauchs­papier behandeln und wenn die belgische und französische Regierung den im Sinne der ,, Deutschen Zeitung" instruierten Gesandten ins Gesicht lachen- was dann? Wird dann wieder marschiert?

*

Der dem Zentrum nahestehende Reichsdienst der Deutschen Bresse" schreibt: Das politische Berlin scheint auf die ersten Meldungen aus Baris und Brüffel die Sprache verloren zu haben. Das ist verständlich. Erfolgte doch die Erklärung des Reichspräsidenten Don Hindenburg zur Kriegsschuldfrage ungleich mehr aus inner­politischen Gründen, wie aus außerpolitischen Erwägungen. Sie war ein 3ugeständnis an die Deutsch nationalen im Reichsfabinett, an das Agitationsbedürfnis der Red) ts par teien und an den deutschnationalen Parteitag in Königsberg , Der unmittelbar auf die Enthüllung des Tannenbergdenkmals folgte. Das war gründlich mißgetan.

Bir haben schon einmal bedauert, daß der Reichskanzler und ber Reichsaußenminister dem Herrn Reichspräsidenten zu einer Zeit eine feierliche Erklärung über die Striegsschuldfrage abgeben ließen, bie fie felber nicht abgegeben hätten. Reichstanzler Marg trägt politifa zab parlamentaris die Berant

der nationalen Einheit von der politischen Bühne abtreten.

Im Departement Eure- et- Loir hat der Generalgourer neur von Algier , Violette, ebenfalls eine bedeutsame Rede gehalien, in der er u. a. sagte: Die kluge Politit Briands schüßt uns vor allen Unternehmungen der Leute, die Abenteuer suchen. Man fann nicht gerade sagen, daß es feine solchen gebe. So gibt es ein Cand in dem man es ist nicht Deutschland von Pulver froden halten" spricht, und wo man sich einredet, daß Frankreich das Hindernis gegen eine des Altertums würdige, majestätische Expansion" sei.

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Es ist die Ehre Frankreichs , daß es sich über solches Maul heldentum nicht aufregt, das steril bleiben wird, solange nicht andere Unterstüßung die Forderungen dieser Leute, die sämtlich vom Fieber des heiligen Egoismus" erfaßt sind, ermutigt. Es liegt also an uns, weitsichtig zu sein und uns Rechenschaft davon ab­zulegen, daß neue schwere Mißverständnisse, die sich zwischen Deutsch land und Frankreich erheben könnten, eine furchtbare Gefahr für den Weltfrieden bedeuten würden."

Tannenberg als Argument der Abrüstungsgegner.

Paris , 26. September. ( WTB.)

Der frühere Kriegsminister Maginot hat gestern bei der Einweihung einer Erinnerungstafel für die an den Kämpfen von Berdun und Bar le Duc beteiligt gewesenen Regimenter eine Rede gehalten, in der er u. a. erklärte: Angesichts eines Deutschland , das vor acht Tagen gezeigt hat, daß es dem Geist von Tannen berg treu bleibt, besteht keine Gewähr für die Sicherheit Frant reichs. Abrüstung einem derartigen Deutschland gegenüber märe unter den gegenwärtigen Umständen ein Wahnsinn. Sie märe ein Verbrechen, deffen Folgen für Frankreich verheerend fein fönnten.

Auch das Referat des Präsidenten Mulert wies diesen Tätigkeit der Gemeinden. Aber es fehlte in ihm eine Dar­Mangel auf. Es war zwar eine im einzelnen vielfach ge­schickte Widerlegung der Angriffe der Unternehmer gegen die legung der Ursachen und Ziele dieser Angriffe. Wie fast alle führenden Kommunalpolitiker, so geht auch Mulert von der Annahme aus, die Angriffe gegen die Gemeinden beruhten auf Mißverständnissen, Unkenntnis und Abneigung gegen die Selbstverwaltung. Das mag zum Teil richtig sein. beffere Unterrichtung der Deffentlichkeit tann infolgedessen den Gemeinden viel nützen. Aber man sollte die Hoffnung hierauf nicht zu hoch spannen. Denn in Wirklichkeit gehen die allermeisten Angriffe auf die Tatsache zurüc, daß die Tätig­feit der Gemeinden dem Schuße der Schwachen und der Förderung der allgemeinen Wohlfahrt dient. Diese Er­fenntnis aber wurde auf dem Städtetag nicht ausgesprochen. Infolgedeffen konnte auch dem Kampf gegen die Bestrebun­gen der Unternehmer nicht die richtige Kraft gegeben werden. Für die Bedeutung des Städtetages ist dieser Mangel arbeit der Gemeinden ein neues Ziel zu weisen. Allseitig die Diskussion ließen den Willen erkennen, der Zukunfts­erfennt man, daß die staatspolitischen Verhältnisse Deutsch­ lands im Flusse sind, und daß ihre gesehliche Neuordnung bevorsteht. Man hat eingesehen, daß die Stärkung der Reichsgewalt eine im Zuge der Entwicklung liegende Tatsache ist, der man sich nicht mehr erfolgreich entgegenzustellen ver mag. Die Länder werden dadurch allmählich ausgeschaltet, so daß der staatsrechtliche Aufbau Deutschlands sich fünftig nur noch auf das Reich und auf die Gemeinden stüßt. Das haben die Gemeinden erkannt. Mulert und die meisten Diskussionsredner legten ein offenes Bekenntnis zum Einheitssta at ab, der ihnen nicht nur als die für Deutschland zweckmäßigere Staatsform, sondern auch als die beste Grundlage für die gemeindliche Selbstverwaltung er­scheint. Im Einheitsstaat hat in der Tat die Gemeinde eine ganz andere Stellung als im Bundesstaat. Bisher ist der Kampf zwischen Ländern und Reich meistens auf dem Rücken der Gemeinden ausgetragen worden und hat zur Schwächung ihrer Befugnisse und der Selbstverwaltung geführt. Entfällt das Hindernis der Länder und tritt das Reich in direkte Beziehungen zu den Gemeinden, so müssen sich dadurch ganz neue Möglichkeiten der Selbstverwaltung ergeben.

Es ist fein Borwurf gegen Herrn Mulert oder den Städtetag, wenn man feststellt, daß man sich über diese Mög­lichkeiten im Augenblid noch nicht völlig flar ist. Die stärkere Heranziehung der kommunalen Spizenverbände zur Mit­arbeit an Reichsaufgaben, die Errichtung einer Kommunal­abteilung im Reichsministerium des Innern, die ausreichende Beteiligung der Gemeinden im Reichswirtschaftsrat werden allfeitig als zweckmäßige Maßnahmen anerkannt, um die unmittelbaren Beziehungen zwischen Reich und Gemeinden zu fördern. Umstritten war jedoch die ursprüngliche Forde­