Abendausgabe
Nr. 461 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 228
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10 Pfennig
Donnerstag
29. September 1927
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Berliner Volksblatt
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Städte gegen Schulgeset.
Bedenken und Forderungen.
insbesondere dann, wenn eine Zulassung von Antragsschulen gegen den Willen der Gemeinden ausgesprochen wird.
4. Zu fordern ist endlich, daß der Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden abgeändert wird und die den Gemeinden aus der Durchführung des Gesetzes erwachsenden Mehrkosten ersetzt werden.
Der Widerstand gegen das Reichsschul- scheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugebilligt werden, gefeß ist besonders start in den Städten, die die schweren, schultechnischen und finanziellen Folgen dieses Gefeßentwurfs in ihrer ganzen Härte zu spüren bekommen. Daher ist die Entschließung von Interesse, die der Deutsche Städte tag jetzt zu Reubells Vorlage veröffentlicht. Die Spigen organisation der Städte hat darauf verzichtet, ein bestimmtes weltanschauliches oder fulturpolitisches Programm aufzustellen und sich in ihrer Kritif auf die verwaltungsmäßigen Gesichtspunkte beschränkt. Aber auch so sind die Bedenken und Forderungen, die vorgebracht werden, ein scharfer Protest gegen das reaktionäre Gesez. Die Resolution
lautet:
1. Die Gemeinden betonen mit allergrößtem Nachdrud, daß 1. Die Gemeinden betonen mit allergrößtem Nachdrud, daß bei der Durchführung der Bestimmungen der Reichsverfassung die Organisation des Schulwesens so gestaltet werden muß, daß eine tatsächliche Beeinträchtigung des geordneten Schulbetriebes und damit ohne wesentliche Minderung des vorzugsweise den Gemeinden zu verdankenden Hochstandes unferes Boltsschulwesens sowie eine fortgesetzte Beunruhigung des Lebens in den Gemeinden vermieden wird.
Die Erfordernisse eines geordneten Schulbetriebes müssen des halb im Reichsgesetz völlig klar und im Einklang mit den Bedürf nissen der Schulverwaltung und der Schulfinanzen festgelegt werden. Die in dem Gesezentwurf enthaltene Regelung insbesondere§ 9 - ist durchaus unzulänglich.
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2. Die Rechte der gemeindlichen Selbstverwaltung als der gesetzlichen Vertretung der Gesamtheit der Gemeindebürger müffen auch den Elternrechten gegenüber gewahrt werden. Die zuständigen Verwaltungsorgane der Gemeinde sind daher zu maßgeblicher Mitwirkung im Entscheidungsverfahren durch das Reichsgesetz zu berufen.
3. Auch den Gemeinden als solchen muß reichsgefeßlich das Recht zur Anfechtung der über die Anträge getroffenen Ent
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Paris , 29. September. ( Eigenbericht.) Dr. Stresemann hat sich gegenüber dem Berichterstatter des„ Petit Parifien" in Genf über die deutsch - französischen Beziehungen geäußert:„ Nicht zufällig hat uns der Weg nach Genf über Locarno geführt. Wie oft hat man uns vor Locarno erklärt, daß die Tätigkeit Deutschlands im Völkerbund nicht von den deutsch französischen Beziehungen abhängen solle und daß Deutschland nach Genf gehen müffe, um im Gegenteil den 3wist, der unsere beiden Länder trennte, auf internationales Gebiet zu tragen. Indem wir über Locarno gingen, haben wir den Willen nach einer völlig anderen Politik betont, einer Politit nicht des Kampfes, sondern der Zusammenarbeit. Wir haben die Ansicht gehabt, daß die deutsch französische Annäherung unserem Eintritt in den Völkerbund vorangehen müsse. Ich brauche faum darauf hinzuweisen, daß diese Zusammenarbeit, natürlich erst ihren vollen Erfolg für den Weltfrieden haben kann, wenn gewiffe Probleme, von denen der dauernde Ausgleich zwischen unseren beiden Ländern abhängt, gelöst sein werden." Briand und ich haben der Bersuchung widerstanden, Prestigepolitik zu treiben. Wenn die jetzige Session des Völkerbundes bei ihrem Schluß den Völkern den Eindruck hinterläßt, daß man trotz aller Schwierigkeiten in Genf flar und offen und ohne hintergedanten sprechen kann, ohne ein anderes Ziel als die Schaffung des internationalen Vertrauens, und daß selbst die schwierigsten Meinungsverschiedenheiten zu einem loyalen und befriedigenden Abschluß gebracht werden fönnen, dann darf man mit Recht sagen, daß die 8. Bölkerbundsession sich um die Menschheit verdient gemacht hat."
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Revision der Grenzen? Diamand für die Beseitigung, nicht für die Verschiebung der Grenzen.
Warschau , 29. September. ( Eigenbericht.) Eine Erklärung des Genossen Breitscheid über die Lösung der deutschpolnischen Grenzfragen auf dem Wege einer Aufhebung der bestehenden Baßschwierigkeiten und durch Abschluß von Handels. verträgen wird hier ernsthaft besprochen. Man stellt diese Erklärung in einen gemiffen Gegensatz zu den Worten Löbes auf der Interparlamentarischen Konferenz in Paris. (? Red. d.„ V.") In diesem Zusammenhang veröffentlicht ein großer Teil der Bresse ein Schreiben des Genossen Diamand an die deutsche Sozial demokratische Partei, in dem er auf die Gefahren, die in dem Bestreben, die Grenzrevision heute schon durchzuführen, liegen, hinweist. Diamand erklärt, daß fein Staat zu einer Grenz revision, die ein gutwilliges Abtreten gewisser Bezirke an die Nach barstaaten bezwedt, veranlaßt werden könnte. Was wird, so fragt Diamand, wenn die friedlichen Bemühungen, die diese Frage ins Rollen bringen, scheitern sollten. Diamand bekennt, daß auch er die heutige Art der Grenzen als unhaltbar betrachtet. Sie müssen einen anderen Charakter bekommen und ebenso fallen pie die mittelalterlichen Städtemauern. Es könne aber feines
Von der italienischen Grenze wird uns geschrieben: Im Anschluß an einen Anschlag gegen zwei Offiziere der faschistischen Miliz in Ravenna find 200 Personen verhaftet worden. Bei den Verhaftungen geht es zu wie bei einer Treibjag d. Faschisten auf Lastautos suchen die Gegend ab, und die Liste der Kommunisten" wächst in erstaunlicher Weise, da vielfach persönlicher Haß, Habgier oder Rachsucht die Namen diftieren. Die beiden Milizoffiziere Muty und Morigi wurden auf offenem Markt von dem Kommunisten Massiroli mit dem Revolver an gegriffen; beide wurden verwundet und töteten ihrerseits den Sozialistische Kommunalpolitiker zur Schulvorlage. Angreifer. Gemein ist, daß die Presse den Ueberfall als„ aus Wesentlich weiter als diese Entschließung des Vorstandes dem Hinterhalt" erfolgt bezeichnet. Der Angreifer ist den des Deutschen Städtetages geht ein Antrag, den die sozial Faschisten offen entgegengetreten, in der absoluten Gewißdemokratische Fraktion auf der Magdeburger Ta heit, seine Tat mit dem Leben zu bezahlen, da er als eingung der Städteorganisation eingebracht hat und der dem zelner sich gegen eine Anzahl Bewaffneter wendete und auch, Borstand überwiesen wurde. Dieser Entschließungsantrag weil bei jeder politischen Gewalttat die Lynch justiz in hat in seinem ersten Absaß, der die Resolution des Städte- Italien heute Sitte ist und öffentlich empfohlen und verherrtages abändern sollte, den folgenden Wortlaut: licht wird. Was man den Antifaschisten an Recht der NotDer Deutsche Städtetag hält es für seine Pflicht, vom kultu wehr abgezogen hat der sardische Abgeordnete Lussu rellen, schultechnischen und finanziellen Gefigt noch heute, weil er einen Faschisten niederschoß, der nachts fichtspunkte aus den entschiedensten Einspruch gegen den in seine Wohnung einstieg, hat man den Faschisten als Reichsschulgesetzentwurf zu erheben, der die verfassungsmäßige spreche man gefälligft nicht; Anschläge aus dem Hinterhalt Recht auf Lynchjustiz zugelegt. Aber von„ Hinterhalt" Stellung der Gemeinschaftsschule als Regelschule bespreche feitigt, das Schulwesen der Gemeinden in unheilvoller Weise stische Anschläge vieler gegen einen. Wir verherrlichen die waren die auf Matteotti und Amendola, echt faschizersplittert und den Gemeinden in einer Zeit größter Tat des Kommunisten von Ravenna wirklich nicht, ob wir finanzieller Beanspruchung und größter sozialer Berpflichtungen fie auch in ihrer geschichtlichen Bedingtheit verstehen, aber neue unnötige Lasten auferlegt. wir wollen doch deutlich hervorheben, daß sie berghoch über den echt faschistischen Taten" steht, von deren Ertrag die Täter ausgiebig leben fönnen.
Im übrigen schließt sich die sozialdemokratische Resolution der Fassung des Städtetages an.
Es ist dringend zu fordern, daß bei der Beratung des Schulgesetzes vor den Parlamenten die schweren Bedenken und Einwände der Städte und Gemeinden berücksichtigt werden. Geschieht das, so wird sich bald herausstellen, was die Sozialdemokratie und die Lehrerorganisationen von vornherein betont haben, daß das Gefeß in dieser Form unmöglich und undurchführbar ist.
wegs eine Verschiebung der Grenzen in fremdsprach liche Gebiete erreicht werden. Die Sozialisten, so erklärt Diamand schließlich, haben wichtigere Aufgaben vor sich als die Revision von Grenzen.
Mostau, 29. September.
Der Vorstand der Moskauer Kontrollkommission der Kommunistischen Partei hat den Ausschluß von 14 Oppofitionellen aus der Partei wegen der Gründung einer illegalen parteijeindlichen Organisation beschlossen, die sie gemeinsam mit einer Gruppe parteilofer Intellektueller vornahmen; sie standen zum Teil offen mit sowjetfeindlichen Elementen in Beziehungen. Die Organisation besaß eine Geheimdruckerei, in der sowohl geheime Parteidokumente als auch parteifeindliche Dokumente der Opposition vervielfältigt wurden. An der Spize dieser Organifation standen alte Anhänger Trogfis, darunter Mratschtowsti, Vorsitzender eines Moskauer Trufts; er leitete die Geheimdruckerei und stellte den dort beschäftigten Parteilofen geheime Parteidokumente sowie parteifeindliche Schriftstücke zur Verfügung.
Weißgardistische Bluttaten in Litauen . Erschießungen von Gefangenen.
Bon der litauischen Grenze erhalten wir folgenden Bericht: Die blutige Repreffion des mißglückten Aufstandes dauert fort. Der letzte bekannte Fall betrifft die Erschießung eines 3wanzigjährigen Jugendgenoffen Kafys Maschejka, der als rühriger Werber für die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften unter den Arbeitern seines Wohnbezirks außerordentlich beliebt war. Maschejka war wegen Beteiligung an der Aufstandsbewegung ver= haftet worden und wurde gefesselt von zwei Polizisten von der Stadt Wilkawischtis nach der Stadt Mariampol geführt. Unterwegs wurde er von den Polizisten erschossen. Dieser Mord ist anscheinend auf höheren Befehl zurückzuführen, denn seiner Jugend wegen hätte Genosse Maschejta auch vom Feldgericht nicht zum Tode verurteilt werden können. Einer der beiden Poliziften, die die Bluttat verübt haben, hatte bereits im Jahre 1926 einen jungen sozialdemokratischen Lehrer, einen Genossen Batis, erschossen.
Ueber den Tod des Kownower Stadtverordneten Genossen Milfulsti( fiehe Morgenausgabe vom 27. September. Red.) wird jetzt bekannt, daß unser geflüchtete Genoffe, nachdem er umzingelt worden war, sich ergeben wollte, trotzdem aber von den Polizisten erschossen wurde. Die Version, wonach er in einem Feuerkampf den Tod fand, ist nachträglich von den Behörden erfunden worden.
daß weder der Abg. Graf Westarp, noch sonst irgendein Außen Dementi. Das Bureau des Reichspräsidenten erklärt entschieden, stehender" irgendwelchen Einfluß auf Hindenburgs Tannenbergrede genommen habe.
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Gleichzeitig mit dem Kesseltreiben von Ravenna hat das Spezialgericht" in Rom feine trodene Guillotine wieder in Arbeit gesezt. Unter der Anklage, eine kommunistische Aktionsgruppe gegen die Sicherheit des Staates gegründet zu haben gründet zu haben der Zeitpunkt der Gründung und des Wirkens ist, nach der Anklageschrift, unbestimmt( sic!) waren 16 Kommunisten von Brindisi seit November vorigen Jahres in Untersuchungshaft. Hauptbelastungszeugen: Polizisten, Sträflinge, die man den Gefangenen als Bellengenoffen gegeben hatte, und ein paar Burschen, die bei dem Hauptangeklagten als Friseurlehrlinge angestellt waren. Interessant ist weiter, daß der Oberstaatsanwalt den Standpunkt vertrat, daß zum Begriff der Verschwö rung gegen den Staat ein Zusammenkommen oder irgendeine Art der Versammlung nicht erforderlich ist! Gibt es schon einen Fernverkehr ohne Draht, warum soll es da keine Verschwörung ohne Kontakt der Verschwörer untereinander geben? Das Urteil lautete auf je acht Jahre für Conchiglia und Ostuni , auf sechs Jahre für Ribezzi, für fünf andere auf fünf, vier oder drei Jahre; sieben Angeklagte wurden wegen ungenügenden Schuldbeweises freigefprochen". Diese Formel des Freispruchs erlaubt die Anwendung der Polizeimaßnahme der Verschidung, aber diese ist ja ohnehin für jeden Antifaschisten erlaubt und anwendbar!
Das beflagenswerte Attentat, dem der Vizekonsul Nardini zum Opfer gefallen ist, ist natürlich auch nicht dazu angetan, entspannend zu wirken. Aufforderungen zu Repressalien in der Bresse , wie sie auf die Zerstörung von Pinedos Flugapparat folgten( welche Zerstörung bekanntlich durch das unvorsichtige Handhaben einer Zigarette durch einen jungen Amerikaner veranlaßt, aber den italienischen Antifaschisten zur Last gelegt wurde), sind diesmal nicht zu verzeichnen. Ob Exzesse vorgekommen sind, läßt sich bei dem Berbot der Presse, über so etwas zu berichten, nicht sagen. Große Freude herrscht über die Schweizer Gerichtsentscheidung, die 23 italienische Flüchtlinge, die ohne Ausweispapiere die Grenze überschreiten konnten, zu zwei daß heute alle Italiener Kommunisten" sein sollen. Der Tagen Haft und zur Ausweisung verurteilt. Merkwürdig ist, offiziell- faschistischen Lesart zufolge hat doch der Faschismus den Kommunismus ausgerottet; schenkt man aber den heutigen Berichten Glauben, so hätte er ihn zu einer bisher unbekannten Bedeutung und Wirksamkeit gebracht, denn alles, was in der Welt an Unrecht geschieht oder an Unrecht ihnen erduldet. Verhaftet wurden dieser Tage der frühere erduldet wird, geschieht durch Kommunisten oder wird von Bizesekretär des Verbandes der Seeleute, Genosse Poggi 3 anzi, beide, um polizeilich verschickt zu werden. und der einheitssozialistische Abgeordnete von Alessandria , bescheiden bildet das Urteil wegen der Flucht Einen einzigen Lichtblid man sieht, wir sind Turatis, bei dem das Gericht von Savona das politische Motiv der Grenzüberschreitung verneint hat und so auf zehn Monate haft anstatt auf fünf Jahre 3uchthaus ertannt hat, wie sie der Staatsanwalt beantragt hatte. Das Urteil bedeutet, daß das Gericht die Gefährdung an Leib und Leben, der sich Turati ausgesetzt hat, als Grund der Flucht Turatis angesehen hat; man konnte nicht so weit gehen, diese Gefährdung als Rechtfertigung anzusehen. Immerhin hat man aber den Grundsay aufgestellt, daß der Wunsch, sich politischer BerMotivs der gefeßwidrigen Auswanderung begründet. Es folgung zu entziehen, noch nicht den Begriff des politischen ist seit langer Zeit das erste mutige Urteil, das ein italienisches Gericht gefällt hat.
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