Einzelbild herunterladen
 
  

Abendausgabe

Nr. 463 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 229

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaffion: S. 68, Lindenstraße& Fernsprecher: Dönhoff 292- 29% Fel- Moreffe: Sozialbemotrat Berlin

NO

Vorwärts

11

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Freitag

30. September 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit bts 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin Sw. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Gegen die Todesstrafe.

Keine Bollstreckung von Todesurteilen in Hessen .

Darmstadt , 30. September.

St. Louis vom Wirbelsturm zerstört.

Der Heffifche Landtag erledigte in feiner geftrigen Sitzung eine Das Werk von fünf Minuten.- Ganze Stadtteile in Trümmern.

große Anzahl von Anträgen, darunter einen jozialdemotra. tischen Anfrag, wonach die Regierung sich für Aufhebung der Todesff rafe bei der Reichsregierung einsehen solle. Der Antrag enthält außerdem die Forderung, daß die hessische Regierung teine Todesstrafe in Heffen mehr vollstreden laffe. Der Antrag wurde angenommen.

Verlängerung der Krisenfürsorge. Verordnung des Reichsarbeitsministers.

London , 30. September.

Nach Meldungen aus New York ist die Stadt St. Louis gestern von einem schweren Wirbelsturm heimgesucht worden. Die Zahl der Toten wird auf 50 bis 60 geschäht, da jedoch der Zustand einer großen Anzahl von Verwundeten hoffnungslos ist, muß mit weiteren Todesopfern gerechnet werden. Der durch den Wirbelsturm angerichtete Schaden ist außerordent lich groß: die Berbindungen find fämtlich unterbrochen, die Hofpitäler überfüllt.

Der Sturm, dem ein wolfenbruchartiger Regen folgte, war jo heftig, daß die Fußgänger nicht gegen ihn ankämpfen konnten. Die Der Reichsarbeitsminister hat die Krifenunternationalgarde ist nach der Unglücksstätte entfandt worden. Neben stützung auch für die Zeit nach dem 30. September 1927 bis zum St. Louis haben auch die Staaten Arkansas und Oklahoma 31. März 1928 für die Berufe zugelassen, für die fie bisher zugäng schwer unter dem Wirbelffurm geliffen. Die Berbindungen mit ver­lich war, d. h. für die Gärtnerei, Metallverarbeitung und Industrie fchiedenen Bezirken im Staate Arfanjas find unterbrochen, es ist da­der Maschinen, Lederindustrie, das Holz- und Schnitzstoffgewerbe, her nicht bekannt, ob auch dort Verluste an Menschenleben zu ver­zeichnen find. Der Tornado wird als der schwerste seit 1896 be­Bekleidungsgewerbe und sämtliche Angestelltenberufe. zeichnet, wo 140 Personen ums Leben tamen.

Die Bestimmungen sind dabei in einer Reihe von Puntten geändert worden. Für Arbeitnehmer, die sich am 30. September bereits in der Krisenfürsorge befinden, oder die am 30. September bereits Erwerbslosenunterstützung beziehen und später in die Krisen fürsorge übergehen, gelten aber die bisherigen Bestim= mungen über Höhe der Unterstützung und Prüfung der Bedürftig

feit meiter.

Die Preußenanleihe.

Verschiebung der Auflegung auf längere Zeit? New Bort, 30. September. Eine Meldung des die Wallstreet vertretenden Journal of Commerce gibt zwar die Bedenken der amerikanischen Regierung gegen die Auflegung der Preußen- Anleihe wieder, drückt aber trotzdem die Erwartung aus, daß sich die Bedenken be­feitigen laffen würden, nach dem Schacht dementiert habe. Das Journal of Commerce" übt starke Krifit an der Anleihe. zenfur der Regierung und erklärt, diese Zenfur fönne viel. leicht die Aufmerksamkeit des Kongreffes auf sich ziehen. Das Blatt deutet an, daß die Auflegung der Preußen- Anleihe vielleicht noch längere 3eit auf sich warten laffen werde, da die Stellungnahme der Regierung zu der Anleihe zu starten Ein­drud gemacht habe.

Diefe Meldung bedt fich im allgemeinen mit den anderen heute in Berlin vorliegenden Meldungen.

Berlin und die Schulvorlage.

Eine Tenkschrift.

Stadtschulrat Nydahl begründet in einer Dentschrift die Ein. wände, die die Stadt Berlin gegen den Reichsschulgefeßentwurf zu erheben habe. Er schließt sich den Forderungen des Städtetages an und verlangt darüber hinaus eine Abänderung des Regierungs. entwurfs nach folgenden Gesichtspunkten:

1. Dem Schullaftenträger ist in jedem Stadium des Berfahrens für die Errichtung neuer Schulen ein Mitwirkungs

recht einzuräumen,

wird.

2. Der Begriff des geordneten Schulbetriebes" muß so um­grenzt werden, daß die gleichmäßige Entwicklung hochstehender Schulwesen nicht durch Bildung von Zwergschulen gehemmt 3. Die Mitwirkung der Religionsgemeinschaften bei der Schulaufsicht muß in Fortfall tommen. 4. Die aus der Durchführung des Gesetzes sich ergebenden Mehrkosten sind vom Reich zu übernehmen.

Für die Stadt Berlin berechnet Genosse Nydahl die aus dem Gefeß entstehenden jährlichen laufenden Mehrausgaben auf min­destens millionen Mart, die einmaligen Mehrausgaben

auf etwa 10 millionen Mart.

Der Machtkampf der Kirche.

Blutige Gefechte in Merito.

Merito, 30. September. 3wischen Bundestruppen und Aufständischen unter Befehl des fatholischen Briesters Senado bei Los Mezquites( im Staate Jalisco ) tam es zu einem vierstündigen Kampf; 14 Auf­Staate Jalisco ) fam es zu einem vierstündigen Kampf; 14 Auf ständische wurisen getötet und zwei gefangengenommen, darunter auch Bater Servabo, der vor ein Striegsgericht gestellt und furzerhand hingerichtet wurde.

Bei einem zweiten Gefecht im Staate Jalisco , das drei Stunden bauerte, ließen bie Aufständischen 18 Tote und mehrere Verwundete auf dem Kampf plag zurüd.

-

Koennede abgestürzt. Flugzeug beschädigt. Flieger unverletzt. Bagdad , 30. September. ( Reuter.) Soennede ist heute morgen beim Abflug vom Flugplak mil feiner Majdine, abgestürzt Das Flugzeug ist beschädigt, bie Flieger blieben unverlegt

100 Tote, 400 Millionen Mark Schaden.

New Bort, 30. September.

Die neue schmere Wirbelsturmfatastrophe in Amerita, die dies. mal die Stadt St. Louis und mehrere fleinere misfiffippi- Ort. schaften heimsuchte, ereignete sich gerade in den frühen Nach­mittagsstunden des geftrigen Tages, wo naturgemäß der leb­haftefte Straßenverkehr herrschte. Innerhalb fünf Minuten

-

100 Tote.

rafte der Sturm mit 90 Meilen Geschwindigkeit über St. Louis hin­meg. Ganze Stadtteile waren mit einem Schlage ein Trümmer­feld geworden. Umgeworfene Autos und niedergeworfene, geknickte Laternenpfähle bedeckten die Straßen. Ueberall sah man Menschen, die unter den Häusertrümmern begrabene Angehörige suchten, um­herirren.

In dem Ort Rudy( Arkansas ) hat der Sturm nur den Bahnhof stehen lassen. Der ganze Ort ist sonst zerstört. Kurze Zeit nach der Katastrophe erstrahlte heller Sonnenschein, der das Zerstörungs­wert in seinen ganzen Ausmaßen sehen ließ. Man vermutet, daß die Zahl der Toten sich auf 100 erhöhen wird. Die Zahl der Ver­wundeten wird bereits auf 2000 geschäßt, der angerichtete Material­schaden auf 100 Millionen Dollar.

Naturkatastrophen und Wirtschaftskrise in Mexiko . London , 30. September.

Nach Meldungen aus Megifo berichtet die Zeitung Excelsior", daß in den Panuco- Delfeldern im Staate Veracrug schwere Ueberschwemmung en zu verzeichnen sind. Der Fluß Panuco ist über die Ufer getreten, ungefähr 5000 Personen find obdachlos. Der in den Petroleumanlagen angerichtete Schaden wird auf 60 Millionen Pejos geschäht.

Es wird befürchtet, daß die Petroleumfompagnien im Tampico­Distrikt drei Viertel ihrer Angestellten während der nächsten 14 Tage zu entlassen haben werden.

Die faschistische Deportiertenhölle.

Wie es auf der sizilianischen Verbannteninsel Ustica zugeht.

erwiderte der Kommandant, daß 90 Proz. der Deportierten gemeine Verbrecher

fcien. Bei einer solchen Haltung beschlossen wir einen 24 stündi gen freiwilligen Stubenarrest. Diese Demonstration, von allen durchgeführt, war würdig und ernst und erregte den Zorn des Kommandanten und der Miliz.

Einem der politischen Deportierten auf der Insel Ustica bei| gramm zur Absendung an das Ministerium eingereicht hatten, um Sizilien ist es gelungen, nähere Nachrichten über die dortigen 3u es von dem Borfall und unserem Proteft zu benachrichtigen- 34 fich stände und Vorkommnisse herausgelangen zu lassen. Er schreibt: rufen und sagte ihnen, daß das Telegramm an die Polizei in Pa­ Die Verhältnisse, in denen wir leben, find so, daß man| leimo, die allein das Recht habe, zu entscheiden, ob es befördert wenn fich eines Tages dic werden könne oder nicht, weitergeleitet worden sei. Zugleich ersuchte sich nicht wundern dürfte, traurige Nachricht verbreitete, daß die faschistische Miliz die er sie, den Deportierten zu sagen, daß er sich aus Gründen, die er politischen Deportierten unter irgendeinem Vorwande nieder- augenblicklich nicht angeben könne, gezwungen sehe, ihnen zu ver= megelt. Die Ueberwachung, der wir unterstehen, ist unerträglich. bieten, den Sarg Stagnettis zum Friedhof zu beglei­Um 400 Berbannte" zu überwachen, braucht man 250 ausgesucht ten. Er tönne es höchstens 50 von ihm selbst ausgewählten Depor= brutale faschistische Milizsoldaten, 100 Rarabinieri und außerdem tierten erlauben, da alle anderen ,, Ranaillen" wären. Auf die Agenten in Zivil( Spigel). Es ist der faschistischen Miliz ge- Protefte unserer Freunde Lungen, sich der Verwaltung der Kolonie zu bemächtigen. Der Bor steher der Kolonie, der beschuldigt wurde, zu nachsichtig in po­litischer Hinsicht zu sein( dabei ist das gar nicht wahr, ganz das Gegenteil), wurde soeben abberufen. Die faschistische Miliz übt widerrechtlich die Postzenfur aus; sie ist sehr streng, sowohl für antommende als für abgehende Post. Die hygienischen und sani­sehr schlecht. Die Bifternen mit Regenwasser sind ausgetrocknet. Der tären Zustände auf der Insel sind durch den Wassermangel Ernährungsdienst ist außerordentlich schlecht. Er geschieht durch Boote von Palermo aus, das 60 Kilometer entfernt ist. Seit einem Monat hat man nicht mehr als 200 Tonnen Wasser für eine Be­völkerung von mehr als 2000 Menschen gebracht. Es gibt viel Rrante. Das Lazarett ift schmußig und es fehlt darin am No. tigsten. Die Kranten schlafen am Boden auf Strohsäden. Die politischen Deportierten sahen sich gezwungen, auf ihre Koften im Lazarett eine Wollmatraße für einen schwer tranten Depor. tierten zu laufen. Der Arzt hat den Befehl, feinen Kranten nach Palermo zu schicken; wenn es doch vorkommt, daß er einen hinschickt, so bringt man ihn statt in das Epital in das Ge­fängnis, in die gewöhnlichen Bellen, und die Gefängnisse von Ba lermo gehören zu den ärgsten in Italien . Während des Trans­portes erhalten die Deportierten weder Nahrung noch Kostgeld.

Die Ermordung des Anarchisten Stagnetti. Bekanntlich wurde der Anarchist Spartaco Stagnetti am 15. Auguft ermordet. Der Bericht, den die faschistischen Zeitungen darüber gaben, ist niederträchtig; er versucht, den Toten zu ver­leumden. Es ist nicht wahr, daß Stagnetti während eines Streites getötet wurde; er wurde von einem Zuchthaussträfling, den Stagnetti dabei überraschte, wie er ihm feine Brieftasche fehlen wollte, durch einen Dolchſtich getötet. Der Lavoro d'Italia", das faschistische Blat: in Rom , schrieb, daß Stagnetti wegen gemeiner Berbrechen verurteilt war und daß er seine Familie vernachläffigte. Stagnetti war ein Anarchist von sehr ruhigem Temperament, ein träumerischer Idealist; er hatte in der Gewerkschaftsbewegung als Setretär der nationalen Gewerkschaft ber unteren Eisenbahn- und Tramwaŋbedienfteten gearbeitet.

Auf die Nachricht von dem Mord tamen die Deportierter zufam men, aber ble faschistischen Milizfolbaten zwangen fie fofort, in ihre Gefängnisse und Wohnungen zurückzugehen. Die Genossen hielten abwechselnd ache bei der Leiche. Als wir uns uni 46 Uhr am Dorfplatz versammelten, um am Begräbnis, das um 6 Uhr statt­finden sollte, teilzunehmen, ließ der Kommandant die Deportierten Bordiga( Rommunist), Angeloni( Republitaner), Gorgoni ( Unitarier) und Romita( Magimalist)- die am Morgen ein Tele

-

-

Gewisse Anzeichen bei den Zuchthäuslern alle Klagen und Proteste gegen das erniedrigende Zusammensperren von Verbrechern bestätigen die um­und politischen Deportierten waren vergeblich laufenden Gerüchte: daß die Miliz sie systematisch gegen uns aufhezt, ihnen sogar Waffen verspricht, wenn sie fie brauchen.

Wir schließen, indem wir wiederholen, daß unsere Lage tragisch ist, daß wir ärger als Tiere behandelt werden, ärger als die gemeinen Verbrecher, viel ärger als Kriegs­gefangene. Wir verlangen, daß die zivilisierte Welt energisch gen die Behandlung, die wir erleiden, protestiert.

Haussuchung bei Mussolini - Feinden. Die französische Polizei in der Redaktion des Corrière degli Italiani".

Paris , 30. September. ( Eigenbericht.)

In der Redaktion des Antifaschiffenblattes Corriere degli 3taliani" in St. Etienne sind am Donnerstag Haus­fuchungen vorgenommen worden, da der Mörder des italie­nischen Bizekonsuls in Paris an der Zeitung gearbeitet hatte. Die gesamte korrespondenz und zahlreiche Arten wurden beschlag­nahmt. Die Redaktion hat sich beschwerdeführend an die Abgeord­neten des Departements Coire gewandt, die von der Regierung in einer Interpellation Auskunft über ihr Borgehen verlangen werden.

Neuer Balkankonflikt.

Griechenland sperrt die Grenze.

Athen , 29. September.

Die griechische Brenze gegen Bulgarien ist geschlossen worden. Die Regierung hat im Anschluß an die Berhaftung dreier bulgarischer Komitatschis, die das subslawische Ron­fulat in Saloniki in die Luft sprengen wollten, eine scharfe Note an die bulgarische Regierung gesandt, worin sie Maßnahmen forbert. um zu verhindern, daß in Zukunft bulgarische Komitatschis über die griechische Grenze gelangen.