Sonntag 2. Gktober 1927
Unterhaltung unö �Bissen
öellage Ses vorwärts
Golgatha.
Eine Erinnerung aus dem Weltkriege. Von Hermann Stenz. Des Kreuzes vom Bois hossoule wird mancher Mann gedenken. Wie überhaupt das ganze, für die gesamte Welt riesengroße Unglück von Verdun mit eisernem Grisfel in die Erinnerung all jener, ob Franzmann oder Deutscher , eingegraben ist, welche in jene Hölle aus Schlamm und Feuer hineingepreßt wurden. Es war etwa um die Zeit des Sommers um welche dem damaligen Generalstabschef Faltenhayn die Leitung des Krieges an der Westfront abgenommen wurde, weil er dem Drängen des dcut- schen Kronprinzen, Verdun unter allen Umständen zu Fall zu bringen, nachgegeben und damit den zu jener Zeit schwächsten Punkt der deutschen Front vor aller Well hatte blohlegen lassen. Der Grund, weshalb der alte Herr so plötzlich ging, blieb auf die Dauer kein Geheimnis. Zuerst sickerte die Nachricht vom zweiten Stock des Großen Hauptquartiers in Mezieres über das luxuriöse Offiziers- kasino nach dem Erdgeschoß in Küche und Keller, von dort in die Zitadelle, um von da aus in alle Richtungen zu zerslattern und leise geraunt in den Unterständen und Schützengräben vor Verdun wieder aufeinanderzustoßen. „Wißt ihr schon, das Abenteuer ist vfsiziell verurteilt?"— „Wir wissen!"— Pst— ein Offizier!" Doch wurde die Hoffnung Tausender, daß nunmehr ein Ende käme, die Vernunft siegen werde, zuschandcn. Im Gegenteil, immer toller wurden die Kämpfe um die einzelnen Forts von Verdun . � Immer mehr Menschen und Tiere und Kriegsgeräte verschwanden in den tückischen Schlommlöchern, dem fließenden Sonde jener Gegend, und immer neue Divisionen wurden eingesetzt. Wer dort in» Treffen kam, der tat gut daran, entweder seine Rechnung mit dem Leben abzuschließen und in vollem Bewußtsein eines unnützen Opfers zu sterben, oder, wenn er das nicht konnte, stumpfsinnig wie ein Tier mit in den feurigen Strudel zu laufen. Denn zu Stenay saß einer,«in noch junger, hochmütiger Mensch. welchem man die Macht über Leben und Tod Hunderttausender in die Hand gegeben hatte. Durch die Truppen aber ging ein Raunen, daß dieser junge Mann, als er vom Sturze Falkenhayns hörte, in Wut mit den Zähnen geknirscht und den Ausspnich getan habe: „Nun erst recht!" Die um Verdun liegenden Truppen, soweit sie dem Oberbefehl des deutschen Kronprinzen unterstanden, wurden in engem Gürtel zusammengezogen, um in Quartieren, Woldlagern und Unterständen des stündlichen Abrufes gewärtig zu sein. Die Zeitungen aber wurden mit Nachrichten oersorgt, daß Hunderttausende deutscher Männer mit Ungeduld den Augenblick erwarten, in dem sie die Er- laubnis erhielten, gegen den Feind zu stürmen. In Wirklichkeit wünschten diese Soldaten wohl alle, daß der Kelch des Leidens an ihnen vorübergehen möge. Denn der Mensch läuft nicht gern in den sicheren Tod und wenn sein Leben ein noch so armseliges ist. Die ineisten ober sehnten sich nach Pflug und Schraubstock und danach, nicht ständig bis an die Knöchel im Blute waten zu müssen. In, Frühsommcr wurde vor Duaumont ganz rasch die erste bayerische Division eingesetzt. Da war ein bayerischer Major, das Kernbild eines Mannes und bei seinen Leuten beliebt. Dieser Offizier mußte den Wahnsinn des Geschehens wohl ganz ersaßt haben. Denn als ihm eine Ordonnanz am Margen, als es noch dunkel war, den schriftlichen Befehl �um Vorrücken überbrachte, ließ er den Mann erst wieder außer Zimmers gehen. Dann aber zog er in ohnmächtiger Wut den Säbel aus der Scheide und schlug damit so lange die dürftig aus Brettern zusammengenagelten Möbel seiner Stube in Fetzen, bis er wieder kalten Blutes geworden war. Und was er dabei in machtlosem Zorne und an Verwünschungen nach Stenay hinschrie, das kann sein Bursche erzählen, wenn er noch lebt. Der Major kann es nimmer, denn er lag am gleichen Abend, ein sehr stiller Mann, oben auf den Hügeln der Cöte sroide terre. Das bayerische Leibinfanterieregiment, das 10. und 11. Rcgi- mcnt, das Rescrveregiment 39 und das badijchc Fußartillerieregi- ment 11 aber stürmten um diese Zeit noch immer an diesen Höhen und um das Dorf Fleury. So lange, bis sie unter unsäglichen Mühen des Widerstandes Herr waren. Andern Tags begann dann der Gcgensturm der Franzosen . Die Toten lagen hausenweise, die Erde wurde lebendig, oerschlang Lebende und Tote. Dos Stöhnen und Schreien klang in Wellen zum Himmel. Und der unersättliche Boden trank Ströme rauchenden Blutes. Die schauerliche Bedeutung des Wortes:„Nun erst recht!" kam den vielen hämmernd ins Be- wußtsein und lieh sie zornig die Zähne llbereinanderbeißen. In tausend Hirnen schrie es immer wieder:„Es hat ja gar keinen Sinn!" Aus dem Munde von Mann und Offizier wurde da» Wort immer wieder gesprochen. Und immer wieder wurden die Massen vorwärts gejagt. Vielleicht mar es der Wille der Taufende im Feuer, der den Willen des einzelnen im bequemen Quartier zu Stenay brach und die Veranlassung gab. daß am Abend de» zweiten Tages die Stellung aufgehoben ward. Vielleicht aber auch hatte den einzigen vor der ungeheuren Blutschuld ein Grauen erfaßt. Die Schlacht war mit Dunkelwerden abgeflaut. Hie und da grollt es noch aus der Ferne. Dünste der Schlacht erfüllten die warme Nachtlust. Die Deutschen mußten sich zurückziehen und lagen er- schöpft in notdürftig errichteten neuen Stellungen aus blanker Erde umher. Ein ungeheurer Zorn, der nicht von der verlorenen Schlacht verursacht war, hat in jener Nacht die Division beherrscht. Doch wurde es immer ruhiger und stiller in der Gegend. Selten, daß der Schlag einer Axt, der Schall des Pickels, das Aufstoßen eines Spatens zu vernehmen war. Weiter oben aber, am Rande des Bois hassoule, eines Wäld- 'chens, dessen südwestlicher Rand in freie Gegend sah, ging etwas Geheimnisvolles vor sich. Da huschten dunkle Gestallen hin und her und schleppten und sägten. Dazwischen klang der dumpfe Schlag des Hammers. Steine wurden herbeigewälzt und getragen. Manches zornige Stöhnen tönte dazwischen. Dann trugen die dunklen De- stalten mit schweren Schritten, beinahe liebevoll vorsichtig, etwas Geheimnisvolles herbei und legten es nieder. Stricke schleiften raschelnd über dürre Beste. Etwa» Hohes wurde langsam steil auf- gerichtet. Spaten klirrten, Steine klangen übereinander und dann war alles wieder ruhig wie zuvor. Die Morgensonne zündete über östliche Hügel und spann ein mildes, rotes Feuer über die Gegend. Sie warf Ihr Licht mitleidig und unbarmherzig zugleich auf den kleinen Hügel, der dem Bois hassoule unmittelbar vorgelagert ist, und vergoldete das hohe Kreuz, welches dort über einem Steinhaufen aufgerichtet war. An ihm hing, sorgsam mit Stricken festgebunden, ein toter
Der höhere Sinn.
,vater, warum haben üie alle fthworz-weiß-rote Zahnen!' .Um die Republik zu verhöhnen!' »Und warum lassen fie Hindeaburg hochleben!' „Dummer Junge,«eil er Präsident von der Republik isil'
Soldat vom 10. bayerischen Regiment, dem tags zuvor unweit jener, Stelle die tödliche Kugel erreicht hatte. Der Tote hing in voller Uniform mit ausgespannten Armen und gesenktem Haupt« in der Geste des Geopferten. Der Anblick war ungeheuerlich und dennoch achtunggebietend groß und unendlich rührend zugleich in seiner Symbolik. Die Blicke Tausender waren auf das Kreuz gerichtet. Viel« standen tief er- schüttert entblößten Hauptes vor ihm und über manch hartes Ge- ficht soll eine Träne geflossen sein. Zu Füßen des Kreuzes aber war eine Tafel befestigt. Aus ihr befanden sich einige Worte, deren Sinn nach Stenay deutete. Als dann ein höherer Offizier zornroten Gesichtes die Tafel ab- riß, flogen ihm düstere Blicke zu. Es war ja doch zu spät! Das Kreuz wuchs, ward vom Sonnenslammen umloht. Die weitausgespannten Arm« des loten Soldaten schiene» Welten um- spannen zu wollen.. Die Kunde von dem Kreuz ging von Mund zu Mund und wie ein Lauffeuer durch die Reihen der Tausende. Die Blicke der ganzen Gegend und alle Feldstecher waren zum Bois hassoule gerichtet. Nach einigen Stunden wurde das Kreuz aus höheren Befehl entfernt. Aber der Gedanke, der aus ihm strahlte, war lebendig geworden. Die Blicke der Mannschaften brannten, diejenigen der Offiziere waren ernst, die Mienen nachdenkend. Sosort setzte scharfe Untersuchung ein und eine hohe Belohnung, deren Sumnie in die Taufende ging, wurde für die Ergreifung der Täter ausgesetzt. Diese Verkündigung begegnete eisigen Gesichtern. Wiederum einige Stunden später erhielt die Division ihre Ablösung. Das Kreuz mit dem toten Soldaten vom 10. Regiment am Bois hassoule aber wird in der Geschichte weiterleben und seine Wir- kung tun. Seefahrt nach Rheinsberg . Bon Armin T. wegner. Di« dunkle Silhouette der Stadt stand wie eine schwarze Augen- brau« über dem hellblauen Wasser. Die Sonne hatte einen weißen Teppich über die einsamen Straßen der kleinen mecklenburgischen Stadt gelegt. Wir gingen, den letzten Proviant zu besorgen. Um zwölf Uhr mittags stachen wir in See. Die Uhrglocke der Kirche holt« zum Schlage aus, langsam wie Kanonendonner rollt das Echo ihrer Schläge durch die einsamen Straßen. Wir waren vier Menschen an Bord, ein Orientale au» Trapezunt, seine Konstantinopeler Gattin, ich als Führer des Schiffe» und die Gefährtin. Unser Segelboot hieß„Gtnevra" und trug fünfzehn Quadratmeter Leinewand. An der Haoelschleuse hielten wir an, und als wir endlich Einfahrt erhalten, werden wir durch einen Spreekahn so dicht an da» Wehr gedrängt, daß unser Boot unter der Gewalt des einströmenden Wassers wie ein Fisch an der Angel zu tanzen beginnt. Aber kaum haben wir unter der Eisen- bahnbrücke den Röblinsee erreicht, saßt uns der volle Wind im Rücken, und gleich einem Wasserhuhn, das mit ausgebreiteten Flügeln dicht über die Flut streicht, läßt die„Gineora" mit gewölbtem Segel den See hinter sich. Wir gleiten in ein dunkle» und stilles Fließ, einen märchenhaften Arm der Havel . Eichen recken ihre alten, halb. kahlen und gewundenen Aefte wie dämonisch« Schlangen. Sind wir in China ? Di« erste» herbsllichen Blätter treiben wie eine Flotte kleiner gelber Dschunken aus der dunklen Fläche an uns vorbei. An der Steinhavelmühle betraten wir noch einmal das Ufer, die Schleusensteuer der Mühle zu entrichten, schweigend betrachtete das hohe Gebäude sein mächtiges rotes Bild im Spiegel: die Lust des heißen Sommertage» lostet« schwer über dem Hof. Endlich fanden wir im Verwaltungszimmer der Mühle einen zwölfjährigen
mürrischen Knaben und baten erschöpft um etwas Trinkwasser. Der Knabe schüttelte unwillig den Kops.„Wo gibt es hier Wasser?" Da streckt er die Hand aus und deutet durch das Fenster hinüber. Ich bitte ihn um ein Glas, das auf dem Fensterbrett steht: aber vcr- geblich suche ich nach einem Pumpenschwengel. Da erst begreife ich, daß seine Geste dem schwarzen und fauligen Wasser des Kanals selber galt. Eine Frau erscheint, um mir keisend das Glas zu ent- winden. Dos Gesicht meines orientalischen Freundes sieht mich in sasiungslosem Entsetzen an. Er crinnett sich an ein heiliges Gebot seiner türkischen Heimat:„Dem Bettler, dem Bedürftigen, dem Fremden verweigere ein Glas kaltes Wasser nicht und schicke ihn von deiner Tür nicht mit leeren Worten zurück!" Des Abends fanden wir die zwei einzigen Zimmer des kleinen Dorfkruxes besetzt: wir schliefen, die Frauen in einer Bauernstube, wir Männer im Heu, während die Rotten uns über die Füße liefen. Aber schon in der ersten Morgensrühe sind wir wieder auf dem Wasier, heller Wind wäscht uns Stirn und Wangen , schüttelt die Kleider. Mit sanftem Singen streift unser Boot das Schilf der Ufer. Oer Mittag versammelt uns um ei» Feuerloch. Bon den Dampf- molken des halbfeuchten Holzes umgeben, hiipfen in einer Kupfer- psanne in der Butter unsere panierten Schnitzel. Als wir noch lagern, treibt am Ufer ein zu seltsames kleines Hausboot vorüber wie eine schwimmende Hütte. Wir laden uns selbst bei ihrem Besitzer zu Gast; es ist die Sommerwohnung eines Berliner Architekten. Die Wände sind auf einem allen breiten Fischerprahni ausgebaut und aus der Innenseite mit Paneelen von Mahagoni bekleidet: hoch über dem Dach stottert ein breites Segel. So verbringt sein einsamer Besitzer die Sommertage in seinem schwimmenden Schneckenhaus von Kanal zu Kanal und von wee zu See gleitend, um irgendwo in einer schilf- umwachsenen Bucht zu ankern. Schwarz blieb das kleine Haus hinter uns. als wir schon im Wasser des EUenbogensees trieben. Aber plötzlich schlief der Wind ein, sinfte.- und reglos stand die starre Loubwand des Waldes am Ufer. Wir zogen das Schwert ein, die keuchende Arbeit des Ruder- Handwerks beginnt. Endlich am Nachmittag passierten wir die Schleuse von Straßen, das Durchgangstor nach der Müritz und den mecklenburgischen Seen. Ich ging in dos Dorf, einen Brief zur Post zu geben: aber der einzige Briefkasten des Ortes war besetzt,«in Schwärm Bienen hatte sich gerade in seinem Innern niedergelassen und in wilder Aufgeregtheit schwirren die Bienen um den offenen Deckel. Ratlos lasse ich die Bewohner oon Straßen vor ihrem neuen Bienenhaus zurück. Oh füßes Gefühl des Gleitens und der Bewegung! Schon nimmt uns ein neuer See aus. Die Waldufer öffnen sich wie ungeheure schwarze Flügel, lassen uns durch, falten sich wieder zusammen. Korn- selber drängen sich hinab an das Ufer. Die ungeheure Abgeschieden- heit eines Sommernachmittages liegt über See und Land, wie man sie nur abseits der großen Heerstraßen findet. Am User ein Kind, die Gänse hütend. Ein einsamer Schnitter. Stille. Schweigen. Der kleinste Gegenstand der Natur gewinnt Bedeutung, wird einen Augen- blick zum Mittelpunkt der Welt. Zwei Stunden ruderten wir auf den Turm einer Ziegelei zu, dann löste ihn der Kirchtum des Dorfe» ab. Am nächsten Morgen lag die warme Liebe der Sonne über dem Land. Bei der Schleuse von Wolssbruch betraten wir preußisches Gebiet. Wie schnell wechseln Länder und Grenzen in dieser kleinen Welt! Der Schleusenmeister von Wolfsbruch ist«in ehemaliger, langgedienter Feldwebel aus der Zeit Wilhelms des Zweiten: er trägt den Schnurrbort jener Epoche.„Wo kommen Sie her?" fragt er uns.„vom Stechlinsee!"—„Ach," sagt er lächelnd,„aus dem Geheimratswinkel der Mark." Der Mittag verließ uns auf der Terrasse der„Zechliner Hütte ". Der Horizont, der sich allmählich umzogen hatte, dunkelte tiefer, wir hatten kaum die Mitte des Sees erreicht, als der Sturm los- bricht. Der Hmimcl wird schwärzer als die Tinte. Die dunkle Haut des Sees erzittert unter den finstere» Stößen de» Windes, der unier Segel bi» dicht auf die Flut hinabdrückt. Bon den Böen auf» und niedergerissen schwankt unser Mast wie die Nadel eines Kompasses.