Abendausgabe
Nr. 46944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 232
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Vorwärts
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Berliner Volksblaff
10 Pfennig
Dienstag
4. Oktober 1927
Berlag und Anzeigenabteilung: Seschäftszeit 8½ bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-20
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Hergt schweigt.
Keine Veröffentlichung der Amnestierten.
Im Gegensatz zu zahlreichen amtlichen Ankündigungen wird
Marx in peinlicher Lage.
heute mitgeteilt, daß die Liste der Begnadigten nicht Vergleich im Prozeß Tresckow- Sodenstern- Die Verantwortung auf ihn abgewälzt
veröffentlicht werden soll. Man fügt hinzu, daß dies feineswegs geschehe, um etwa einen parteipolitischen Charakter der Amnestie des Reiches zu verdecken, denn neun Zehntel der begnadigten politischen Verurteilten gehörten zur Linken. Die Nichtveröffentlichung erfolge vielmehr zur Schonung vieler Berurteilter, die nicht wünschten, daß ihr Name in die Deffentlichkeit gelange. Die betreffende Reichsbehörde erklärte sich jedoch bereit, auf Anfragen darüber, ob dieser oder jener Berurteilte begnadigt sei, Auskunft zu geben, und sie erklärt gleichzeitig, daß hölz nicht begnadigt worden ist, ebenso wenig die Rathenau - Mörder. Dagegen hätten zahlreiche verurteilte Kommunisten, auch die aus Württemberg unter anderem, sowie die wegen angeblicher Mittäterschaft bei der Vorbereitung zum Hochverrat verurteilten Verleger, Buchdrucker usw. bedeutende Strafmilderungen oder auch bedingte Be
gnadigung erhalten.
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Aus der Festung Gollnow find, wie die„ Rote Fahne" mitteilt, auf Grund der Reichsbegnadigung außer dem Leiter des Küstriner Butsches, Major Buchruder, die Kommunisten Lauri. i chat, Redakteur Schulz aus Essen und Rinneberg entlassen chat, Redakteur Schulz aus Essen und Rinneberg entlassen
worden.
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Obwohl unser Finweis auf die vorschriftswidrige Art der Beflaggung von Reichswehrgebäuden anläßlich der Hindenburg - Feier bereits gestern nachmittag erschienen ist, fann auch heute mittag noch eine Antwort des Reichswehrminifteriums nicht mitgeteilt werden; denn wenn das Wehrministerium er flären läßt, daß die Untersuchung samt Erhebungen und Ermitt
sei,
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Don
Vor dem Amtsgericht Berlin- Mitte fand heute morgen eine gebracht, ohne dadurch persönlich herrn v. Tresdow kurze Verhandlung statt, gewissermaßen ein Vorspiel zu dem am nähertreten zu wollen. Sonnabend anberaumten großen Prozeß v. Tresdom gegen Major Badide, zu dem neben einer Reihe von Großgrund- Dieser Vergleich wälzt die Verantwortung auf den befizern auch der Reichsinnenminister Reudell geladen ist. Gegen- Reichskanzler Dr. Marg- und mit Recht. Herr Dr. Marr stand des Prozesses am Sonnabend ist der Boykott, den die neu- hat durch die Immunität gegen Klage geschützt märkischen Großgrundbefizer aus dem Kreise Königsberg gegen den der Tribüne des Reichstages herab den Vorwurf Komtur des Jungdeutschen Ordens v. Trescow in Berbindung mit des groben Bertrauensbruchs gegen Herrn von Tresdow der bekannten Denkschrift des Großmeisters des Jungdeutschen erhoben. Dieser Vorwurf, von diesem Mann und an dieser Ordens Mahraun verhängt hatten. Stelle erhoben, hat Herrn von Tresdom vor dem ganzen Volfe wie vor dem Ausland den Stempel:„ grob vertrauensunwürdig" aufgedrückt.
Die„ Deutsche Zeitung" hatte in Verbindung mit dieser Denkschrift v. Trescom groben Vertrauensbruch vorgeworfen: er habe Borgänge aus einer vertraulichen Sigung der Deffentlichkeit
preisgegeben.
Die heutige Gerichtsverhandlung endete mit einem Bergleich folgenden Inhalts: Die„ Deutsche Zeitung", hieß es da, hat das Material für ihre Vorwürfe des schweren Vertrauensbruchs gegen Herrn v. Tresckow lediglich aus der Erklärung des Reichskanzlers Dr. Marg in der Sitzung des Reichstags vom 11. Februar 1927 entnommen. Das Material, das dem Herrn Reichsfanzler zu seiner Erklärung zur Verfügung gestanden hat, entzieht fich der Kenntnis der Deutschen Zeitung". Die Deutsche Zeitung" hat seinerzeit die Mitteilung lediglich aus publizistischen Gründen
erhoben, ohne zugleich Beweise vorzulegen. Sein Material Herr Dr. Marg hat diese beleidigende Beschuldigung entzieht sich der Kenntnis der Deffentlichkeit. Er hat die Feme der Großgrundbesiger gegen Tres como gerechtfertigt und gedeckt mit einem Machtwort als Reichskanzler.
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Herr von Tresckow sucht Recht und Ehre zu verteidigen aber der Reichskanzler Marg, der niemals den Angeschuldigten selbst gehört hat, ist ihm unerreichbar.
Diese Haltung des Herrn Dr. Marr, die so sehr allem Empfinden für Loyalität und Gerechtigkeit widerstreitet, zeigt an einem Beispiel mehr, daß Bürgerbloď politik wirklich den Charakter verdirbt.
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Das Reichsgericht blamiert sich.
lungen noch im Gange jet, so ist das eben teine Antwort. An Zentrale- Prozeß ohne Angeklagte.- Hauptverhandlung bis auf weiteres vertagt.
der Tatsache, daß auf Reichswehrgebäuden in Berlin nur die Reichs friegsflagge, aber nicht auch die Reichsflagge gehißt war, wird keine Untersuchung etwas ändern können; denn zehntausende Menschen haben das beobachtet. Und wenn es schon in Berlin so gewesen ist,
dann kann man sich vorstellen, daß im Reiche die Achtung der Reichs. wehrbehörden vor den Reichsfarben und vor dem Erlaß des Reichswehrministers nicht größer ist.
Diskonterhöhung der Reichsbank.
Von 6 auf 7 Prozent.
In der heutigen Zentralausschußfihung der Reichsbant ist nach längerer Begründung durch den Reichsbankpräsidenten Schacht befchloffen worden, den Bankdiskont von 6 auf 7 Proz. und den Combardzinsfuß von 7 auf 8 Pro3. zu erhöhen. Der Diskontsah der Golddiskontbank bleibt zunächst mit seinen bisherigen 6 Proz. beflehen. Die Börse verkehrte unter dem Eindruck dieser Nachricht sehr fchwach bei äußerst geringem Geschäft.
Polen und der Gaskrieg. Propaganda für Selbstschuh.
Warschau , 3. Oktober. ( Eigenbericht.) In Warschau fand am Sonntag ein Propagandatag zur War: nung der Bevölkerung vor dem Gastriege statt. Ziel der Propaganda, die durch Flugblätter, Borträge und Blafate betrieben wurde, war die Aufforderung zum Selbstschutz jebes ein zelnen gegen die Gefahren des Gastrieges. Auf dem Flugplatz von Warschau wurde von polnischen Truppen ein militärischer Gasangriff markiert, dessen Eindruck auf die Zuschauer noch dadurch verstärkt worden ist, daß diese zum Schluß mit wirklichem Tränengas bombardiert wurden. Die polnischen Sozialisten benutzten einen gleichzeitig stattfindenden Arbeiterjugend tag, um nicht nur den Gasfrieg, sondern den Krieg über haupt propagandistisch zu bekämpfen.
Moraczewski und sein Getreuer.
Ceipzig, 4. Oktober. ( Eigenbericht.)
Der Prozeß gegen die kommunistische Zentrale begann heute ohne Angeflagte. Die Angeklagten waren nicht erschienen. Nach längerer Beratung verkündete Präsident Niedner folnen. Nach längerer Beratung verkündete Präsident Niedner folgenden Beschluß:
1. Die Hauptverhandlung wird bis auf weiteres verfagt. 2. Die Anberaumung des neuen Termins wird erfolgen, nachdem durch Beschluß des Reichstags die Durch führung mit allen zu Gebote stehenden Zwangsmaßnahmen gesichert ift, eventuell auch außerhalb der Ferienzeit des Reichstags.. 3. Die Borführung der Angeklagten Lindau und Schumann wird für den anberaumten Termin angeordnet.
Präsident Niedner schloß mit erhobener Stimme: Der Bestand des Deutschen Reiches beruht auf der Durchführung des Rechts. Jeder Staat, der das nicht beachtet, gibt sich selbst auf. In voller Erkenntnis diefes fundamentalen Grundfahes hat das Reichsgericht alles gefan, um diesen Prozeß nun endlich durchzuführen. Ich schließe die Verhandlung.
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In Leipzig hat heute der Prozeß gegen die angeklagten Mitglieder der KPD. - Zentrale von 1923 beginnen sollen. Einem Parteibeschluß folgend war jedoch kein einziger der Angeklagten erschienen.
Die Angeklagten sind fast sämtlich Mitglieder des Reichstags oder des Landtags. Der Reichstag hat zwar die Genehmigung zur Strafverfolgung erteilt, er hat aber verlangt, daß die Verhandlung nur in den fizungsfreien Sommermonaten stattfinden soll. Nun hat der Reichstag ſeine Ausschußberatungen wieder aufgenommen, auch das Plenum soll in den nächsten vierzehn Tagen wieder zu sammentreten der Prozeß aber soll monatelang dauern. Kein Zweifel, daß der Beschluß des Reichsgerichts, ihn am 4. Oktober beginnen zu lassen, dem Willen des Reichstags widerspricht.
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Im Jahre 1923 find bekanntlich auch von rechts schwere politische Delitte begangen worden. Diese tamen aber entmeder nicht zur Aburteilung oder die verhängten milden Strafen sind teils längst verbüßt, teils durch Amnestie erhat, wie schon gemeldet, am Sonntag als Amnestierter seine
mar. Gegen die Einstellung hat man von bürgerlicher Seite eingewendet, daß durch sie ungleiches Recht" geschaffen würde, denn Hunderte von kleinen Parteigängern der Kommunisten seien zu schweren Freiheitsstrafen verurteilt, munisten seien während die Großen, durch deren gewissenlose Führung jene armen Teufel ins Gefängnis gekommen seien, frei herumliefen. Daß hier eine sehr ungleiche Behandlung vorliegt, ist ganz offenbar. Ein Ausgleich aber läßt sich heute nur da durch schaffen, daß man jene Arbeiter, die vor vier Jahren so unvorsichtig waren, sich der kommunistischen Führung anzuvertrauen, endlich auch aus den Gefängnissen entläßt. Die Gerechtigkeit wird dadurch sehr viel, die aber sehr wenig gewinnen. Denn erst, wenn die Angelegen heit von 1923 völlig aufgehört hat, eine kriminalistische zu sein, wird man sie politisch richtig werten könner. Ueber die Rolle, die die kommunistischen Revolutionsgeneräle damals gespielt haben, wird dann noch manches zu sagen sein.
PD.
Einstweilen aber ist die Justiz immer noch die beste ,, Agitprop". Es ist Zeit, daß sie ihre eminent staatsgefähr liche Tätigkeit auf diesem Gebiet einstellt.
Das Reichsgericht ohne Angeklagte.
Leipzig , 4. Oktober. ( Eigenbericht.) Kurz nach 9,30 Uhr betritt der Gerichtshof mit Niedner an der Spize den Saal, der von Pressevertretern und Zuhörern gefüllt ist. Ein großes Polizeiaufgebot ist in und vor dem Reichsgericht verteilt. Der Oberreichsanwalt Werner ist selbst erschienen. Ihm stehen die Reichsanwälte Neumann und Floegel zur Seite. Bon den zahlreichen Verteidigern sind nur Obuch, Herzfeld, Fränkel und Nitschke erschienen. Von den Angeklagten ist teiner erschienen.
Senatspräsident Niedner: Es steht heute Termin zur Hauptver handlung gegen Fröhlich und Genossen. Ich sehe, daß keiner der Angeklagten erschienen ist. Die Angeklagten bestehen zum größten Teile aus Parlamentariern fomie aus den Nichtparlamentariern Lindau und Schumann. Ich habe eben von Herrn Schumann ein Schreiben erhalten, in dem er erklärt, nicht erscheinen zu wollen. Schumann teilt mit, daß er als einziger nicht erscheine, da die ihm vorgeworfenen Straftaten nach Ansicht der bunden sind und die Reichsanwaltschaft die Abtrennung abgelehnt
Der Ausschluß des Außenministers Andreas Moraczewsti aus der hat aus der polnischen Sozialistischen Partei hat jetzt das Mitglied der polnischen Sozialistischen Partei, Tadeus Holowku, der von ledigt. Der bekannte Putschmajor Buchrud er aus Rüstrin Reichsanwaltschaft unlösbar mit denen der übrigen Angeklagten ver
der Regierung Pilsudski zum Ministerialdirektor und Leiter der Oftabteilung im polnischen Außenministerium ernannt worden ist, zum Austritt aus der PPS. veranlaßt. Soweit sich übersehen läßt, ist dieser Austritt bisher der einzige, der durch den Ausschluß von Moraczewski herbeigeführt wurde.
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Belle verlassen.
Dieser Prozeß, der seit vier Jahren nicht steigen kann, ist zur Sinnlosigkeit geworden. Die Justiz schickt sich an, dem Staat einen Schuh" zu gewähren, dessen er in feiner Weise bedarf. Sie leistet ihm damit nur Bärendienste. Die KPD. hat sich seit 1923 scharf geändert, sie ist vom Butschismus abgerüdt und versucht diesen Wandel der Gesinnung nur durch noch lauteres Schimpfen auf die Sozialdemokratie Mehrere zu verhüllen. Die putschistisch und revolutionsromantisch gebliebene KPD. - Opposition hat aber trotzdem diesen Wandel ganz richtig erfaßt und behandelt die Leute, die jetzt als gefährliche Revolutionäre vor Gericht gestellt werden sollen, längst als" Reformisten " und Sozialverräter".
merito, 4. Oftober.( Eigenbericht.) In Merito ist eine Militärrevolte ausgebrochen. Jedoch verlaffen die meuternden Truppenteile bereits die Hauptstadt, verfolgt von den Regierungstruppen. Der Führer der Aufständischen, Ferrano, ist in Cuernavaca verhaftet worden.
Mehrere Bundesstaaten find im Aufstand. Staatspräsident Calles versichert jedoch, innerhalb 48 Stunden mit der Aufstandsbewegung fertig zu werden. Die Hauptstadt ist ruhig.
Zuzugeben ist, daß der Reichstag an der lächerlichen Situation, die jetzt eingetreten ist, durch seinen halben Beschluß mit Schuld trägt. Er hat sich nicht dazu aufraffen können, die Einstellung des Prozesses zu fordern, die nach den gegebenen Umständen das einzig Bernünftige
habe.
Reichsanwalt Floegel stellt fest, daß die sämtlichen Angeklagten ordnungs- und frist gemäß von der Reichsanwaltschaft ge= laden sind.
eine Ertlärung für das Nichterscheinen der Angeklagten abSenatspräsident Niedner: Wünscht einer der Verteidiger zugeben?
R.-A. Obuch: Ich stelle im Namen sämtlicher Angeklagten den Antrag auf Bertagung. Obuch begründet den Antrag mit dem Nichterscheinen der Angeklagten, die fast alle Abgeordnete find.
Sie würden infolge ihres Erscheinens die Pflichten, die ihnen die Ausübung ihres Abgeordnetenberufes auferlege, gröblich verletzen.
Ihr Fernbleiben würde bei Abstimmungen den Willen des Reichstages verfälschen. Obuch zeigt die Entwicklung der Dinge auf. Der Reichstag habe dem Reichsgericht anheimgestellt, den Prozeß