Abendausgabe

Nr. 471 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 233

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Vorwärts

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Mittwoch

5. Oktober 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Mexiko - kein Land für Kappisten!

Schärfste Unterdrückung des Militärputsches.

Reuter meldet aus New York :

Der Aufruhr in Merito hat nur 24 Stunden gedauert, da Präsident Calles dessen Urheber mit eiserner Hand niederge. rungen hat. General Serrano ist, wie gemeldet, erschossen worden. Die Stadt Perofe im Staate Beracruz, wo General Gomez sich verborgen halfen foll, ift von den Regierungstruppen umzingelt und dürfte in der allernächsten Zeit fallen. Die Regie­rung gab Befehl, die Güter der Aufständischen überall zu be­schlagnahmen und sie zur Beftreitung der durch die Nieder­werfung des Aufruhrs verursachten Kosten zu verkaufen Es ist schwer, angesichts der scharfen Zenfur die Stimmung der Bevölkerung zu ergründen, nach eingegangenen Telegrammen foll jedoch die öffent­

liche Meinung der Regierung günstig sein.

General Obregon meldete telephonisch, daß zahlreiche Auf­ständische nach der Hauptstadt zurückkehren, um sich der Regierung bedingungslos zu ergeben. Die Leichen Serranos und drei­zehn feiner Anhänger find öffentlich ausgestellt worden.

feines Stabes wegen feiner Beteiligung an der Militärrevolte zum Tode verurteilt und hingerichtet worden.

Die Verhaftung und Erschießung des aufständischen Generals Serranos geschah in Puebla . 14 seiner Anhänger wurden eben­Falls füfiliert. Unter ihnen befinden sich die Generäle Carlo Arriza, Miguel Poralla, Carlo Vidal, der Gouverneur des Staates Chiape, ferner der Privatsekretär des früheren Präsidenten Huerta, Gonzales, sowie der Propagandadirektor des Generals Serrano, Malline3 Escobar. Aus El Paso wird gemeldet, daß 14 Offiziere des 16. Ba. faillons, das in Torreon gemeutert hatte, hingerichtet worden find. Die Regierungstruppen verfolgen den aufständischen General Arnulfo Gomez. Die Regierung hat in allen Großstädten Bei den Kämpfen in Jalisco wurden 19 Rebellen getötet und 20 verwundet. Aufständische haben bei Texcoco einen Eisenbahnzug überfallen und die Passagiere beraubt. Präsident Calles mobili­Ordnung im Lande.

des Landes Truppen konzentriert.

Pseudo- Sozialismus.

Das staatssozialistische" Experiment des Faschismus. Man schreibt uns von der italienischen Grenze:

Gelegentlich hört man sagen, daß die Sozialdemokratie dem Faschismus eigentlich dafür Dank wissen sollte, daß er auf breiter Grundlage ein staatssozialistisches Experiment unternimmt. Dem ließe sich manches entgegenhalten, vor allem, daß man das Recht auf Dant erwirbt für etwas, das man freiwillig tut also wegen des ethischen Wertes der Tat oder für den objektiven Wert des Getanen.

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Nun ist aber der Staatssozialismus des faschistischen Regimes durchaus nichts freiwillig Erwähltes oder gar die Berwirklichung eines Programmsazes. Er ist vielmehr dem Faschismus als ungeahnte und ungewollte Folge seiner Ab­würgung jeder freien Initiative: entweder den Drud ver­mindern, der alles im Lande niederhielt, oder an die Stelle der privaten Steuerung die Steuerung von oben treten lassen. Was bei Verminderung des Drucks erfolgt wäre, ließ sich nicht absehen, so erschien der Staatssozialismus , der dem Faschismus aus tiefster Seele widerstrebt als das geringere llebel. Er bot einmal das Mittel, die durch die Zerstörung

Der Oberst Manzanilla ist mit sämtlichen Offizieren liert weitere Streitfräfte zur Aufrechterhaltung der der Arbeiterorganisationen künstlich vermehrte Macht der

Beflaggung der Reichswehrgebäude.

Alles in Ordnung.

Das Reichswehrministerium erflärt nunmehr, daß die Beflaggung der Reichswehrgebäude am 2. Oktober durchaus vor.. schriftsmäßig gewesen sei. Es besteht dafür nämlich folgende Berordnung:„ Hat ein Reichswehrgebäude nur einen Fahnenmast, dann hißt es die Reichs friegs flagge; hat es daneben noch einen zweiten Flaggenstod, dann kommt schwarzrotgold daran, Eind noch mehr Flaggenstöcke vorhanden, so werden beide Flaggen in gleicher 3ahl aufgezogen; erreichen die Flaggenstöcke aber eine ungerade Bahl, dann kommt an den überschüssigen Flaggenmast die Reichskriegsflagge."

Da nun das Reichswehrministerium im Bendler- Block drei Flaggenmasten hat, wurden zwei Reichsfriegsflaggen und eine schwarzrotgoldene gehißt. Das Münchener Wehrkreis­tommando ist mit bayerischen Staatsbehörden im gleichen Gebäude untergebracht, hat für sich nur einen Flaggenstock zur Verfügung und hißte darauf vorschriftsmäßig und befriedigt die Reichskriegsflagge.

Die Gewissensnot der Lehrer. Braunschweiger Lehrer drohen mit der Niederlegung des Religionsunterrichts.

Braunschweig , 5. Oktober. ( Eigenbericht.) Die Hauptversammlung des Braunschweiger Landes. Lehrervereins nahm eine Entschließung an, in der die Bestimmung des Reudellschen Schulgesezentwurfes über die Einsicht nahme der Kirche in den Religionsunterricht als eine unwürdige Zumutung der Religionslehrer abgelehnt wird. Sollte die Kirche bei ihrer Forderung beharren und der Entwurf Gesetz werden, so müssen die im Landes- Lehrerverein organisierten Religionslehrer ( etwa 1400) von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen und den Religionsunterricht aus Gewissensnot niederlegen.

Der Rechtsirrtum im Strafrecht. Eine Verbefferung des Strafgesehentwurfs erreicht. Der Strafgefeßausschuß des Reichstages brachte heute die gestern begonnene Beratung über den Begriff des Rechts­irrtums zum Abschluß. Genosse Bender hatte in eingehendster Weise zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen und in zahlreichen Beispielen die bisherige Rechtsprechung des Reichsgerichts über den Begriff des Rechtsirrtums fritifiert. Er verlangte eine Erweite rung des Irrtumsbegriffes nach der Richtung, daß bei Mangel des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit unter allen Umständen Straffreiheit eintreten müsse. Er wies darauf hin, daß die jetzige Gesetzesvorlage in ihren Bestimmungen über den Irrtum selbst von gebildeten Laien nicht zu verstehen sei und daß eine allgemeinverständliche Sprache gefunden werden müsse.

Nach eingehender Beratung, insbesondere auch über den Rechts­Nach eingehender Beratung, insbesondere auch über den Rechts­irrtum, wurden zwar die weitergehenden sozialdemo fratischen Anträge zu den hier einschlägigen Baragraphen abgelehnt, es wurde aber doch eine Besserung des Ge­fehentwurfes entsprechend einem Antrag Stahl beschlossen, und zwar mit den Stimmen unserer Genossen gegen die Deutschnatio­nalen, wodurch wenigstens der bisherigen Rechtsprechung ein Ende gemacht wurde, nach der ein Rechtsirrtum nur dann Berücksichtigung findet, wenn es sich um einen Irrtum über außerhalb des Straf rechts liegende Gesetze handelt. Nach den heutigen Beschlüssen des Strafgesetzausschusses wird fünftig auch der unverschuldete Rechtsirrtum, der sich auf Strafgeseze bezieht, die Strafe ausschließen, und es wird bei Rechtsirrium unbedingt Strafmilde­

rung eintreten.

Um Rakowski. Tschitscherin will ihn halten.

Paris , 5. Oftober.( Eigenbericht.) Die Blätter veröffentlichen in großer Aufmachung eine Havas Meldung aus Mostau, daß die ruffische Regierung nicht daran denke, den Botschafter Ratomsti abzurufen. Tschitscherin sei nach

wie vor Gegner der Abberufung. Die Abgeordneten Berthon ( Kommunist) und Fontanier( Sozialist) haben den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der Kammer aufgefordert, den Ausschuß zur Prüfung des Falles Ratowski einzuberufen.

Auch die Berliner Sowjetbotschaft teilt uns mit, daß Tschitscherin, entgegen anders lautenden Meldungen, fich stets gegen eine Ab­berufung Ratomftis geäußert habe, für die fein Grund vorliege und die auf die russisch - französischen Verhandlungen ungünstig rückwirken würde.

Die spanische Verschwörung. Sturz des Direktoriums das Ziel?

Paris , 5. Oktober.

Wie aus Biarritz ( Südfrankreich ) gemeldet wird, soll sich ein Teil der Führer der gegen die spanische Regierung gerichteten Bewegung zurzeit dort aufhalten, u. a. der Führer der liberalen fonservativen Partei Sandes, der frühere Ministerpräsident Sanchez Guerra , der frühere Minister Alba und der Dichter Unamuno . Es sei aber nicht erwiesen, ob sie mit dem vorgestern aufgedeckten Komplott in attiver Berbindung stehen. So weit bisher durch die engen Maschen der Zensur durchgesidert ist, follen nur liberale Bolitiker und Anhänger der Arbeiter partei, fogenannte Syndikalisten, tompromittiert sein. Dem Pariser Journal" zufolge sollte sich die Verschwörung nicht gegen das Leben des Königs richten, sondern lediglich den Sturz des Direttoriums am Tage des Zusammentritts der sogenannten„ Nationalversammlung" bezwecken. Die Lage sei

weiter verworren.

Unternehmer zu meistern; weiter erschien er als ein ratio= nelles Mittel, die Folgen der Wirtschaftskrise abzuschwächen. Jede Diktatur muß danach streben, durch materiellen Wohl= stand die Massen schadlos zu halten für ihre Einbuße an Rechten und Würde. So waren die staatssozialistischen Maßnahmen, die man, um ihren Kontrast zum primitiven Faschismus zu übertünchen, als ,, korporative" Maßnahmen bezeichnet, ein Ausweg, den der Faschismus notgedrungen und mit Widerwillen einschlug.

so ist zu bemerken, daß jedes Experiment um so beweisträf­Was nun den objektiven Wert des Experiments betrifft, tiger sein muß, je ungezwungener es ist, je leichter sich seine Borbedingungen spontan wiederholen oder herstellen lassen. Deshalb ist der praktische Wert des faschistischen Staatssozia­lismus minimal: sein Gelingen wie sein Mißlingen werden herzlich wenig besagen, denn es gibt feinen Kulturstaat, dessen Bolt fich freiwillig zu einem derartigen Versuch hergeben würde, und fein Kulturvolt, das sich zu ihm zwingen ließe.

Denn dieser Staatssozialismus verwirklicht einerseits ein Höchstmaß von 3wan g, das bei dem Fehlen jeder Kritik, jeder Selbststeuerung der Teile einen wahren Rattenkönig von Verwirrung vorbereitet; anderseits dient er Sonderzweden, die ganz außerhalb der nationalen Wohlfahrt liegen.

Ob er will oder nicht, muß der Faschismus immer schärfer zentralisieren und immer mehr die individuelle Freiheit beschränken. Um die Frage der Arbeitslosigkeit zu lösen, hat man schon die Gründung von industriellen Betrieben mit mehr als hundert Arbeitern von der Regierungserlaubnis abhängig gemacht, wenn diese Betriebe in Städten mit mehr als hunderttausend Einwohnern gegründet werden sollen. Dadurch glaubt man, der Landflucht zu steuern, die aber, bei dem beständigen Abbau der Löhne der Landarbeiter und bei der Durchführung des Behnstundentages an Stelle des Achtstundentages immer mehr zunimmt. Ein Versuch des Präsidenten der Arbeitersyndikate, des Abg. Rossoni , den Arbeitsnachweis diesen Organisationen zu sichern, ist sofort von der Regierung abgeschlagen worden. Der Arbeitsnach­Paris, 5. Oftober.( Eigenbericht.) meis wird paritätischen" Institutionen übertragen werden, Nach Meldungen aus Barcelona hat die Polizei dort um= deren praktische Erfahrung die Anwendung von Zwang fangreiche Berhaftungen vorgenommen. So wurden 30 Bersonen, Anhänger der syndikalistischen Bewegung, festgenahelegen wird, und das Ende vom Liede wird die Ab­festgeschaffung der Freizügigkeit sein. Die Studien über die Rationalisierung des Handels haben schon die For­berung des Abbaus der kleinen Verkäufer ergeben, bei deren Berwirklichung der Faschismus in das Fleisch der eigenen Anhänger schneiden müßte.

nommen.

Neue Verhaftungen.

Eine sonderbare Nationalversammlung".

"

Madrid , 4. Oktober.

Heute wurde eine Liste von 400 Persönlichkeiten ver­öffentlicht, die von der Regierung als Mitglieder der „ Nationalversammlung" auser sehen sind. An der Spize der Liste steht Infant Carlos von Bourbon, der Schwager des Königs; es folgen Generalkapitán Beyler, Admiral Dela­puente, drei Kardinäle, mehrere Generäle, darunter Jordana, mehrere Mitglieder beiderlei Geschlechts aus der Hoch­aristokratie. Ferner verzeichnet die Liste zwölf frühere Minister, mehrere Männer und Frauen von Literatur und Breise. Auf der Lifte bemerkt man weiter 82 ehemalige Abgeordnete und Senatoren, ferner Namen aus der Finanz. Gemäß dem Wunsche der Regierung, daß alle politi schen Parteien in der Nationalversammlung" vertreten seien, sieht man unter den Mitgliedern Angehörige der äußersten Rechten und der äußersten Linken.

Tschangtfolin geschlagen. Vormarsch der Schansi- Armee.

Peting, 5. Oktober.

Die Schanfi- Armee hat auf ihrem Vormarsch gegen die Truppen Thangtfolins& algan befeht. Es gelang ihnen eine Flanten­umgehung, so daß sich die mandschurischen Truppen zurückziehen mußten und schon in der Nähe des Nantau- Passes stehen sollen, wo weiterer Widerstand geleistet werden soll. Die Schanfitruppen fetzen fich aus 15 Divifionen Infanterie und 20 Divifionen Kavallerie zu­fammen. Die Gesamtstärke wird mit etwa 150 000 Mann angegeben. Sie sind, wie schon frühere Berichte befagten, für chinesische Ver­hältniffe gut ausgebildet und ausgerüftet. In Peting ist die Nervosität recht groß, die Presse steht unter Borprüfung.

Gewiß gibt es feine Rationalisierung der Wirtschaft, auch nicht eine im sozialdemokratischen Geiste durchgeführte, die nicht Interessen verlegte und namentlich im Stadium der Einführung als 3wang und Beengung empfunden würde. Aber dabei stehen die Interessen der Gesamtheit auf dem Spiele, nicht die einer oligarchischen Clique. Der faschistische Staatssozialismus verliert nie die Vorteile seiner Partei aus dem Auge. Bei dem, was er als Lösung der Woh­nungsfrage" bezeichnet, hat er sich zunächst eine wahr­haft floßige Demagogie geleistet. Jegt veröffentlicht nun die " Gazetta Ufficiale" ein Defret, das die mit Staatszuschuß ausgeführten Arbeiter- und Beamtenwohnungen zu einer Handhabe politischer Verfolgung macht, indem es festsetzt, daß jeder sein Recht auf eine dieser Wohnungen vor dem endgültigen Ankauf verliert, der sich in irgendeiner Weise in Widerspruch zu den allgemeinen politischen Leitfäßen der Regierung setzt oder gesetzt hat". Der betreffende Beschluß wird vom Minister der öffentlichen Arbeiten unter Zustim mung des Premierministers gefaßt und ist unanfechtbar. Wer also politisch nicht orthodor ist, bekommt fein Haus, wie er teine Arbeit bekommt und feinen Paß zum Auswandern. Wenige Tage vor dem Inkrafttreten dieses Defrets hat das Direktorium des faschistischen Pressesyndikats eine Resolution angenommen, in dem, wie üblich, die Orga­nisation als politisches Werkzeug zu Diensten des Duce" bezeichnet und weiter gefordert wird, man solle alle, die nicht als Berufsjournalisten, Praktikanten oder Schriftsteller in den Berufslisten eingetragen sind, von jeder Betätigung mit der Feder ausschließen. Am 2. Oftober veröffentlichte ein Mussolini persönlich nahestehendes römisches Revolver­blatt die nachstehenden Leitsäße für den Journa=