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Abendausgabe

Nr. 473 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 234

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Donnerstag

6. Oktober 1927

Vorwärts=

Berliner Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Proletarische Einheitsfront in Fürth .

Die ganze kommunistische Rathausfraktion zur SPD. übergetreten.

Nürnberg , 6. Oftober.( Eigenbericht.)

Die Sozialdemokratische Partei in Nürnberg und in Fürth ist dieser Tage in eine Werbeaktion eingetreten. Sie hat bisher einen bemerkenswerten Erfolg zu verzeichnen; denn die kommunistische Rathausfraktion von Fürth gibt heute im Nürnberger Parteiblatt folgende Erklärung der Deffentlichkeit bekannt:

maligen tommunistischen Verband dieses vorwiegend industriel len Bezirkes, der sich bereits vor nahezu sechs Jahren von Moskau losgefagt hatte und dem es bisher gelungen war, sich selbständig zu behaupten. Die dortigen Sozialistisch- Kommunisten", wie sie sich nannten, hatten sogar drei Abgeordneten mandate in ihrem Departement erobert. Diese drei Abgeordneten, darunter der be­fannte Rechtsanwalt Ernest Lafont , werden nun der sozialistischen Rammerfraktion beitreten.

Die politischen Verhältnisse in Deutschland wirken sich immer ungünstiger für die Lage der Arbeiterschaft aus. Dem fann nur be­Als Vertreter der deutschen Sozialdemokratie werden die Ge­gegnet werden durch eine einige machtvolle Arbeiter- nossen Dr. Hilferding und Robert Schmidt an der inter­partei. Nach den bisherigen Erfahrungen fann dieses Ziel die nationalen Zollfonferenz teilnehmen. Kommunistische Partei nicht erreichen. Die Haltung der kommu­ nistischen Partei und die dort um sich greifende Zersplifferung macht fich immer nachteiliger für die gewerkschaftlichen Organisationen und damit für die Arbeiter selbst geltend.

In der klaren Erkenntnis, daß die Sozialdemokratische Partei allein noch die Möglichkeit zu einer Zusammenfassung der Arbeiterschaft und zur wirksamen Bekämpfung der Reaktion bietet, erklären die Unterzeichneten ihren Uebertritt zu dieser Partei. Getreu ihrem Grundfah, nur den Interessen der arbeitenden Bevölke­rung zu dienen, find fie, soweit sie dem Fürther Stadtrat angehören, davon überzeugt, mit diesem Schritt auch im Sinne ihrer Wähler zu handeln. An ihre bisherigen Gesinnungsfreunde und Genoffen richten die Unterzeichneten das Ersuchen, ihrem Beispiel zu folgen und durch Beitritt zur Sozialdemokratischen Partei die Einigkeit und Geschlossenheit der Arbeiterschaft herzustellen.

gez. Fischer, Bauer, Koch, Scheid, Seeger."

Damit hat in Fürth die Kommunistische Rathausfraktion aufgehört zu existieren, genau so, wie das vor einem Jahre in Nürnberg bei der Kommunistischen Partei sich ebenfalls ab­spielte. In Nürnberg und in Fürth gibt es heute feine kom­ munistischen Gemeindevertreter mehr in den Rathäusern.

Parteiverschmelzung in St. Etienne .

Paris , 6. Oftober.

Der erweiterte Vorstand der sozialistischen Bartei beschäftigte sich gestern mit dem von einer Gruppe ehemaliger Parteiangehöriger in St. Etienne geftelten Antrag auf Wiederaufnahme in die Partei. Es wurde beschlossen, eine Fusion von Organisation zu Organisation vorzunehmen, ohne Nachprüfung der Beitrittsgesuche der einzelnen Mitglieder.

Außerdem beschloß der Verwaltungsausschuß gestern, die geplante fozialistische 3olltonferenz, an der Sozialisten aus Deutschland , Belgien , Luxemburg , der Schweiz und Frankreich teil­nehmen, auf den 15. und 16. Oktober nach Paris einzuberufen.

Was die vom französischen Parteivorstand beschlossene Ber­schmelzung in St. Etienne betrifft, so handelt es sich um einen ehe­

Blum über Frankreichs Abrüstungspflicht.

Paris , 6. Oftober.

Leon Blum schreibt im Populaire": Frankreich hat Deutschland und allen Nationen gegenüber, die den Versailler Ber­trag unterzeichnet haben, die Verpflichtung der Abrüftung übernommen. Die Deutschland auferlegte Entwaffnung, die es auch nach Ansicht der alliierten Regierungen in befriedigender Weise durch geführt hat, ist nach dem Friedensvertrag als Vorspiel und An­bahnung einer allgemeinen Abrüftung aufzufaffen. Deutschland , dem offizielle Entlastung erteilt worden ist, hat allen Grund, Frank­ reich seine Abrüftungspflicht vorzuhalten. Wenn Frankreich hierin nicht guten Willen und Loyalität zeigt, wird es der deutschen Reaktion und allen Kräften zur Wiedereinführung der Monarchie sowie des militärischen Revanche- Gedankens das furchtbarste Propa ganda mittel liefern. Die Abrüstung ist notwendig, wenn man eine soziale Reform will; sie ist ferner notwendig, weil fie eine unumgängliche Vorbedingung ist für die Befrie­dung Europas . Man mag die Institutionen der internationalen Rechtsprechung, die Schiedsgerichtsabkommen und die Garantiever­träge so weit ausbauen, wie man will, solange es Armeen gibt, die angriffsfähig sind und eine Angriffsdrohung darstellen, wird der Friede nicht gewährleistet sein. Gegenüber früheren Zeiten schafft heute nicht mehr der Krieg die Armeen, sondern die Heere schaffen die Kriegsgefahr.

Renaudel über die Zwischenfälle in Toulon . Paris , 6. Oftober. Der sozialistische Abg. Renaudel, der selbst Abgeordneter von Toulon ist, hat einem Vertreter der Quotidien" erklärt, er habe die Ueberzeugung, daß die 3 wischenfälle in Toulon nicht so ernst gewesen seien, wie sie in der fonservativen und in der kommunistischen Presse dargestellt worden seien, die beide ein Intereffe daran hätten, die Ereignisse zu übertreiben, Es sei sehr wahrscheinlich, daß die Meuterer von der tommunistisch en Propaganda beeinflußt worden sind. Es handelt sich nur darum, festzustellen, in welchem Ausmaße dies der Fall war.

jenige, der in Notwehr ist, nur dann straffrei sein soll, wenn der Schaden, der durch die Ausübung der Berteidigung zu erwarten ist, nicht außer Berhältnis zu dem durch den Angriff drohenden Schaden steht. Die Bertreter mehrerer Parteien, auch der Vorsitzende, Abg. Kahl, hielten die Bedenken der sozialdemo­Bera- tratischen Fraktion für durchaus berechtigt.

Der Aufstand niedergeschlagen. Bis auf Veracruz ist Mexiko in der Hand der Regierung. Merito, 6. Oftober.( Eigenbericht.) Der Aufstand gegen die Regierung Calles ist bis auf Bera­cruz, wo die Truppen des Generals Gomez von den Anhängern der Regierung eingeschlossen sind, niedergeworfen. Jns­gesamt wurden bisher 4 Generale und zahlreiche Komplicen hin­gerichtet. 28 Abgeordnete wurden ihrer Mitgliedschaft zum Par­lament enthoben.

worden.

Bisher find im ganzen 40 Meuterer standrechtlich erschossen Ein Oberstleutnant mit seinem ganzen Regimentsstab wurden hingerichtet. In Merito- Stadt ist es zu Unruhen gekommen, bei denen mehrere Personen getötet und verlegt wurden.

abgelehnt.

Erfolgshaftung im neuen Strafrecht. Ein sozialdemokratischer Verbesserungsantrag wird Der Strafgefeßausschuß des Reichstags behandelte die wichtige Frage der Erfolgshaftung. In der Regierungs­vorlage findet sich im§ 22 Abfaz 2 die Bestimmung: Wer durch sein Tun die Gefahr herbeiführt, daß ein bestimmter Erfolg eintritt, ist verpflichtet, ihn abzuwenden.

Genosse Saenger begründete den sozialdemokratischen Antrag auf Streichung dieser Bestimmung mit dem Hinweis darauf, daß die vorgesehene, höchst gefährliche Bestimmung sicherlich zu einem Mißbrauch dieses Paragraphen durch die Richter führen würde, besonders bei politischen Deliften. Der Veranstalter von Demonstrationen zum Beispiel würde bei der heutigen Ein­stellung des Richtertums damit rechnen müssen, daß er für jede etwa vorkommende Ausschreitung verantwortlich gemacht werden würde. Trotz dieser sehr berechtigten Kritik an dem Regierungsentwurf wurde der sozialdemokratische Antrag abgelehnt und die Regierungsvorlage angenommen.

Zu den Bestimmungen des Gesezzentwurfs über die Notwehr Derlangte ein sozialdemokratischer Antrag die Wiederherstellung des geltenden Rechts. Genoffe Saenger wandte sich entschieden gegen die unmögliche Bestimmung der Vorlage, nach welcher fünftig der

Deutsche Treue" vor Gericht. Berufungsverhandlung Mahraun gegen Sodenstern. Bor der kleinen Straftammer fand heute morgen die Berufungs. verhandlung in der Sache Ma hraun gegen Sodenstern statt. Das Urteil der ersten Instanz hatte, wie erinnerlich, durch die herausfordernd nationale" Begründung, die seinerzeit der Richter Tref B, ein ehemaliger Marineoberfriegsgerichtsrat, gab, das größte Aufsehen erregt.

Sodenstern, der Schriftleiter des Organs des Nationalver bandes deutscher Offiziere Deutsche Treue", hatte eine Er­flärung des Berbandsvorstandes veröffentlicht, in der Mahraun , dem Großmeister des Jungdeutschen Ordens , vorgeworfen wurde, er be fürworte ein Militärbündnis mit Frankreich , das unter Umständen einen Teil des deutschen Volkes im Falle eines Krieges mit Frankreich in die Lage bringen könne, gegen das deutsche Bolk fämpfen zu müffen.

Diese Erklärung hatte eine Privatflage Mahrauns gegen Soden. des deutscher Offiziere, den Generalleutnant a. D. Wächter und den stern und gegen die Mitglieder des Vorstandes des Nationalverban­Major a. D. v. Jena zur Folge. Das Gericht der ersten Instanz sprach Godenstern frei, weil er die Erklärung vor ihrem Abdrud nicht gelesen habe, und verurteilte die beiden anderen Beklagten zu je 50 m. Geldstrafe wegen formaler Beleidigung. Der Borsigende versucht, einen Bergleich anzuregen; er scheitert an der Kostenfrage. Das Gericht tritt in die Verhandlung ein. Das Urteil des Gerichts lautete: Die Berufung der Beklagten wird verworfen, das erstinstanzliche Urteil wird angesichts der Be­rufung des Privatklägers dahin abgeändert, daß für jeden der Be­flagten eine Geldstrafe von je 300 mart festgelegt wird, für die im Falle der Nichteintreibung eine Gefängisstrafe von zehn Tagen tritt. Die Publikationsbefugnis bleibt bestehen; die Kosten des Verfahrens haben die, Beklagten v. Wächter und v. Jena zu tragen.

Die Deutschen in Finnland .

Nachdenkliches über Landsleute.

Bon Dr. Th. Haubach.

Die heutige Stellung des Deutschtums in Finnland ist Expeditionsforps unter von der Golz im finnischen Bürger­entscheidend bedingt durch das Eingreifen des deutschen frieg. Es ist nicht unbekannt, daß ein erheblicher Teil des finnischen Volkes diesen Krieg als Freiheitskrieg" bezeichnet ( ob mit Recht soll hier nicht erörtert werden) und demgemäß haben die Deutschen als Befreier" und ,, Retter in der Noi" jahrelang eine außerordentliche Stellung eingenommen. Daraus ist bei uns die keineswegs unschädliche Legende von den enthusiastischen finnischen Sympathien für Deutschland ent­standen, eine Legende, die zu teilweise recht schofler Aus­nutzung dieser Freundschaftsgefühle geführt hat. Außerdem haben sich unsere, auf ihre legendare Befreierrolle sehr stolzen Landsleute zu ihrem eigenen Schaden viel zu wenig darum gefümmert, daß die prodeutschen Sympathien im wesent­lichen von der bürgerlichen und vielleicht auch bäuerischen Klasse getragen wurden, daß aber bei der Arbeiter­schaft ein Gefühl tiefster Erbitterung in Erinne­rung an heroische Niederlagen und furchtbare Leiden zurück­bleiben mußte. In dem Maße nun, in dem der Bürgerkrieg aufhört aktueller Gegenstand der finnischen Tagespolitik zu werden, in dem Maße, in dem Haß und Leidenschaften der Parteien abflingen und sich neben der horoisierenden Legende auch die nüchterne geschichtliche Untersuchung einen Plag in der öffentlichen Meinung erobert- in dem gleichen Maße fann der Deutsche nicht mehr von dem Ruhme des Be­freiungskrieges" Nuken ziehen, der ihm in den ersten Jahren nach Errichtung der finnischen Republik verschwenderisch zu­teil wurde. Man kann heute sagen, daß die Sympathien der finnischen Bourgeoisie für Deutsche recht erheblich abgefühlt und einer mehr nüchternen Betrachtung der Motive gewichen find, die der deutschen Intervention in Finnland zugrunde lagen. Gleichzeitig aber hat wohl auch der finnische Pro­letarier gelernt, in dem Deutschen nicht mehr ausschließlich den Anstifter seiner Niederlage zu sehen, und wenn er aud) faum direkte prodeutsche Sympathien entwickelt, so unter­scheidet er doch heute sachlich von Fall zu Fall.

Geht man in Helsingfors die Boulevardsgassen entlang, so entdeckt man auf einem freien Play das Denkmal, das die Stadt den im April 1918 gefallenen deutschen Soldaten gesetzt hat. Ein anscheinend ständig erneuerter Kranz mit großer schwarzweißroter Schleife charakterisiert die Art der und den Deutschen bestanden haben und auch noch bestehen. Sympathien, die zwischen der weißen" Partei Finnlands Bis heute scheint noch niemand in der finnischen Hauptstadt auf den Gedanken gekommen zu sein, daß die Mehrzahl der hier geehrten Toten eine Schmüdung mit schwarzweißroten fönnte. Trozdem scheinen heute die letzten Stunden dieser Bändern ganz energisch sich verbitten würde, wenn sie es noch sonderbaren deutsch - finnischen Freundschaft gekommen zu sein. Der Ruhm der deutschen Intervention im Freiheitskriege" beginnt zu verblassen und damit zugleich die Legende über diesen Krieg der Finne denkt heute lebhaft daran, welch abenteuerliche Pläne die deutsche Oberste Heeresleitung beim Eingreifen in die Kämpfe seines Landes verfolgt hat. Gerade in nationalfinnischen, Kreisen, die Jahre hindurch die leb­haften Beziehungen zu den v.- D.- Golz- Leuten unterhalten haben, hört man heute harte Urteile über die Thron= fandidatur des Prinzen Friedrich Karl von Hessen , die die Weisheit der OHL. sich als Kaufpreis für die Truppensendung ausgedacht hatte. Die egoistischen Motive der deutschen Intervention werden heute vielfach unterstrichen und sogar das Verhalten der Interventions= truppen einer teilweise recht lebhaften Kritik unterzogen. Besonders nach dem Kriege haben ehemalige deutsche Offiziere, geflohene Kappisten, Verschwörer aller Art, Finn­ land überschwemmt, die Gastfreiheit und Freundschaft des finnischen Bürgertums weidlich ausgenußt und anscheinend des öfteren schmählich vergolten. Noch heute, wenn auch nur noch vereinzelt, kann man auf den nach Finnland fahrenden Schiffen solche deutschvölkischen Abenteurer entdecken, die durch müfte Intrigenwirtschaft und Schnorrereien dem deut­ schen Namen in Finnland schwer schaden.

Alles in allem: das finnische Bürgertum, auch diejenigen reise, die noch so national" und weiß" gesonnen sind, scheinen die Nase von den schwarzweißroten deutschen Freun­den allmählich voll zu kriegen. Ein nicht unwichtiges Symp­tom für diese Entwicklung ist die lebhafte und recht unfreund­liche Kampagne, die plöglich, im Sommer dieses Jahres, von führt wurde. Bloßes Interessentengezänt? Wer ein Gefühl der hauptstädtischen Presse gegen den deutschen Handel ge­für Tonarten hat, weiß, woran er ist. Noch ein anderes: die abgetakelten v.- D.- Golz- Leute, die die von ihnen glücklich) befreiten" finnischen Bürger jahraus, jahrein weiblich be­suchten, sind meistens als Faschisten, als völkische Abenteurer, als Demokratentöter und Diktaturhelden erschienen. Die finnischen Bürger aber sind Demokraten, durch und durch Demokraten, was sie damit bewiesen haben, daß sie ihren völligen Sieg über die Roten " zum Aufbau einer Republik mit vielleicht ein wenig bedenklicher Verfassung, aber immerhin einer Republik benutzt haben. Für das Geschrei und Geschnarre der ,, völlisch- nationalen" Finnland­befreier hat der finnische Bürger, je länger es dauert, desto weniger Interesse. Nie Sympathie flingt ab auch die finnische Bourgeoisie geht ihre eigenen Wege. Und die in Finnland lebenden Deutschen ? Das ist eine

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