Nr. 244.
Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer
5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz band : Deutschland u. DesterreichUngarn 2 M., für das übrige Ausland 3 Mr. pr. Monat. Eingetr. in der Post Beitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.
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Vorwärts
12. Jahrg.
Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Berfammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächite Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochentagen bis 7 Uhr abends, an Sonnund Fefitagen bis 9 Uhr vormittags geöffnet.
Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: " Sozialdemokrat Berlin".
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
An die Parkeigenollen!
Durch Beschluß des Parteitages in Breslau sind die Unterzeichneten wiederum mit der Leitung der Parteigeschäfte für das nächste Jahr betraut worden. Entsprechend den Bestimmungen des§ 13 Abs. III unseres Organisationsstatuts hat sofort im Anschluß an die Wahl die Konstituirung der Parteileitung stattgefunden, bei welcher Gelegenheit nachstehende Beschlüsse gefaßt
wurden:
Freitag, den 18. Oktober 1895.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
im neuen Jahre seine Pflicht zu erfüllen wie bisher, wir erwarten, I wenigen Jahren wußte die ganze Welt nicht, wohin die daß Eurerseits das gleiche geschieht.
Vorsitzende.
Sämmtliche für den Parteivorstand bestimmte Briefe und Junkerlicher Staatssozialismus.
Sonstigen Zusendungen sind nur an die vorstehende Adresse zu richten.
Die kapitalistische Produktionsentwickelung schafft eine ökonomische Uebermacht des industriellen Kapitals. Dieses Alle Geldsendungen dagegen sind nur an den Parteikassirer wäre mit dem agrarischen Junkerthum politisch schon Albin Gerisch, Berlin SW., Rabba ch str. 9, längst fertig, wie es mit ihm ökonomisch durch Hypotheken zu adressiren. bereits fertig geworden ist, trüge es nicht selbst in der Beschwerden über den Parteivorstand oder dessen Geschäft:- Auflehnung des Proletariats den Tod im Herzen. So tommt es, daß in Deutschland , einem Industriestaat ersten führung sind an Ranges, im Vordergrund der politischen Macht nicht die Bourgeoisie, sondern das Junkerthum steht.
Heinrich Meister , Hannover , Pferde str. 9, einzusenden..
Parteigenossen! Nach den Bestimmungen des§ 4 des Organisationsstatuts hat die Neuwahl der Vertrauenspersonen alljährlich im Anschlusse an den Parteitag stattzufinden. Wir richten deshalb an Euch das Ersuchen, diese Neuwahlen überall wo sie nothwendig sind, schleunigst vorzunehmen und von dem Ergebniß derselben unter genauer Angabe der Adresse des Gewählten dem Parteivorstande unter der oben angegebenen Adresse Mittheilung zu machen.
Auch die Vertrauenspersonen jener Orte, welche im neuen Jahre die Parteigeschäfte wie bisher weiter besorgen, werden ersucht, davon dem Parteivorstande Mittheilung zu machen, damit das Adressenverzeichniß auf dem Laufenden gehalten werden kann und Irrthümer vermieden werden. Die Vertrauenspersonen werden besonders darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht genügt, wenn ihre Neuwahl in irgend einem der Partei- Organe veröffentlicht wird. Bei der großen Zahl unserer Preß- Organe ist es ausgeschlossen, daß seitens des Parteivorstandes eine so genaue Kontrolle stattfindet, um jede Notiz über etwa erfolgte Wahlen von Vertrauens personen feststellen zu können.
Die Wahlen der Vertrauenspersonen haben in öffent lichen Parteiversammlungen stattzufinden, zu denen jedermann Zutritt hat, der sich zu den sozialdemokratischen Grundsäßen
bekennt.
Wo solche öffentliche Versammlungen nicht stattfinden können, ſei es, weil die Genossen kein Lokal bekommen oder weit, wie in Mecklenburg , sozialdemokratische Versammlungen überhaupt nicht geduldet werden, da genügt es, wenn die Parteigenossen sich privat verständigen und Einen aus ihrer Mitte als Vertrauensperson in Vorschlag bringen.
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Agrarier hinlenken werden, sie selbst nicht minder. Und doch wurde das Resultat klar und entschieden auf einem sozialdemokratischen Parteitage vorhergesagt.
Es war 1892 in Berlin . Damals sagte W. Liebknecht in seiner Rede über den Staatssozialismus : Bei der Entwickelung, welche die deutsche Landwirthschaft nimmt, halte ich es durchaus nicht für unwahrscheinlich, daß das Junkerthum, welches schon bei der theilweisen Verstaatlichung der Schnapsbrennerei seine Rechnung so gut gefunden hat, mit Freuden seine Hand dazu reichen wird, die Landwirthschaft wie alle übrigen Betriebe zu verstaatlichen. Die Staatssozialisten bilden jetzt gewiß nicht bie majorität, aber sie sind mächtig und die ganze wirthschaftliche und politische Entwickelung Deutschlands ist einem derartigen Versuch zur Verwirklichung des Staatssozialismus entschieden günstig. Ich halte es darum für doppelt nothwendig, daß wir klipp und klar Stellung nehmen denn die Gefahr rückt immer näher heran."( Protokoll S. 213.) Diese Auffassung wurde gerechtfertigt durch die EntEs genügt, den Autrag wickelung weniger Jahre. Raniß zu nennen! Der Antrag Ranizz trat zunächst als vereinzelte Erscheinung, als Kuriosum auf und wurde mit spöttischem Gelächter aufgenommen. Jetzt lacht man nicht mehr über ihn! Denn er hat bereits die gesetzgeberische Maschinerie und die vollziehende Gewalt des Staats in mächtige Bewegung gesetzt und hat die gesammte agrarische Hochfluth hinter sich.
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Das politische Vorherrschen des agrarischen Junker thums würde aber ein noch ganz anderes, ein noch durchgreifenderes sein, würde es verstehen, ök om omisch durch greifende Aenderungen zu fordern. Das ist eben der Jammer des Agrarierthums, der sich aus seiner ökonomischen Klassen- Nun wird man sagen:" Ja, der Antrag Kaniz ist lage ergiebt, daß es sich auf die Dauer nicht zu helfen entstanden, weil man die Getreidezölle nicht hat erhöhen - das sind abge- können." Allerdings, das war seine Veranlassung. Aber weiß. Getreidezölle, Doppelwährung Das sind Sachen, die längst nicht es ist auch kein Zufall, daß man die Getreidezölle schmackte Dinge. nur von der Theorie, sondern auch von der Praxis ge- nicht auf die frühere Höhe hat heraufbringen können. richtet sind. Und würde mau auch noch einmal die Zölle erhöhen, so Diese Art der Volksbewucherung ist zu nackt, zu offen- würde man es immer wieder thun müssen, denn die kundig. Jedermann sieht hier jetzt gleich, wie das Geld Getreidezölle wirken nur, so lange sie gesteigert werden. aus dem Staatssäckel genommen und in die Taschen der Und schließlich gelangt man doch zu einem Punkt, wo die Agrarier geschoben wird. Und jedermann kann leicht aus- Bölle nicht mehr erhöht werden können. Was dann? rechnen, daß die Operation das Volk zehnmal soviel kostet, Dann kommt eben der Antrag Ranih. Aber der als sie den Junkern einbringt. Eine solche Manier ist, seitdem es innerhalb einer parlamentarischen Regierung eine politisch kämpfende Arbeiterklasse giebt, nicht entwickelungsfähig.
Die ökonomische und politische Entwickelung drängt die Agrarier dazu, viel schärfere ökonomische Umwälzungen zu erstreben. Die europäische Industrie herrscht auf dem Weltmarkt, aber die europäische Landwirthschaft wird von dem gleichen Weltmarkt beherrscht. Deshalb das Bestreben der Junker, sich von dem Weltmarkt abzuschließen durch Getreidezölle. Nachdem aber dieses Mittel verbraucht, bleibt nichts übrig, als sich gegen den Waaren agrarischen Staatssozialismus . Seine weitere Entwickelung markt überhaupt zu wenden. Das der Ursprung des führt über die Verstaatlichung der Hypotheken zu der Verstaatlichung des Grund und Bodens!
Diese Deduktion wird jetzt, nachdem die hochsteigende agrarische Bewegung schon manche sehr kennzeichnende Parteigenoffen! Der Parteivorstand ist entschlossen, auch Blüthe gezeitigt hat, kaum jemand überraschen. Aber vor
Ein Verrückter.[ Nachdr. verboten. Kampf und Ende eines Lehrers. Roman von Joseph Ruederer.
Als er dem Förster, der immer noch regungslos an seinem Blaze stand und von der Seite tief traurig den weinenden Schullehrer betrachtete, die Hand gab, wandte er sein Gesicht ab und wischte sich die Augen. Dann wich er der heranströmenden Menge aus und schritt langsam zu der fleinen Friedhofsthüre, wo er seinen Hut aufsetzte.
Wie im Zweifel, wohin er gehen sollte, machte er auf dem schmalen Wege des Kirchenbühels einige Schritte
Antrag Kanitz ist nur erst ein schüchterner Versuch und leidet deshalb an seiner eigenen Inkonsequenz. Er ist nur ein Taster nach einer bestimmten Richtung. Und als Auskundschaftung hatte er einen glänzenden. Erfolg. Anderes wird kommen, und das wird konsequenter sein und gründlicher!
Ob eine allgemeine kapitalistische Verstaatlichung der Landwirthschaft zu verwirklichen ist, hängt von einer komplizirten Menge ökonomischer und politischer Bedingungen ab. Aber darauf kommt es am allerwenigsten an.
Wichtig ist die Bedeutung des Agrarsozialismus für die Gegenwartspolitif. Es kommt darauf an, daß politischen Vordergrund treten, daß um ihretwillen eine derartige Forderungen gestellt werden, daß sie in den ausgedehnte politische Agitation entwickelt wird. Kurz, es handelt sich darum, daß der Staatssozialismus der Agrarier die politische Situation beeinflußt, eine neue politische Gestaltung hervorruft und dadurch die anderen Parteien zur Stellungnahme zwingt.
herab. Dabei hatte sein Schritt etwas Selbstbewußtes und Gott, Herr Förster !" in die Stube polterten und an cntStolzes. Hoch emporgereckt trug er den derben Schädel fernteren Tischen Platz nahmen. und blickte herausfordernd um sich. An einigen Häusern Der Wirth brachte frischen Austich und kredenzte dem des Dorfes kam er so vorüber und gelangte zum gelb- Förster die erste Maß. Mit breitem Fletschen der eberartigen gestrichenen Gasthaus, dessen Hauptfront scheckig gemalte weißen Zähne hob dieser den Krug zum Munde und trank Heiligenbilder und fromme Sprüche bedeckten. einen tüchtigen Schluck. Wenn's erlaubt ist, Herr Förster?" tönte es flüsterud Schweigend saß ihm der Wirth gegenüber. Die devoten neben ihm. Es war der Wirth. Höflich hatte er den Hut Augen hingen an den schwulstigen Lippen des Försters, der abgenommen und sich mit tiefer Verbeugung an die linke seine Pfeife anzündete und beide Arme zur blanken TischSeite des Angeredeten begeben. Sein langes Gesicht steckte platte niederließ. noch in den Falten der angelegten Traurigkeit und sah gar fummervoll drein.
"
Ja,
A z'widre G'schicht, ha, Kreittmayer?" " Der Herr Förster meinen den Todesfall Man muß zwar Gott danken, daß die arme Frau Försterin erlöst is, aber' s is halt doch a harte Prüfung für den Herrn Förster und für die Fräul'n Auna!"
verſchiedenen Seiten und blickte dabei über die abbröckelnde Chrzch glaub' gar, der Herr Förster ſchenken mir die du lieber Gott, das is wohl a' wibre, traurige&' ſchicht, Mauer noch immer auf das Gewoge zurück, das dort Die Sprache des Wirthes stimmte mit dem Anzuge um die Grabftätte wimmelte. Man konnte es ihm an- überein, der seinen hageren, langen Körper bedeckte. Sie sehen, daß er froh war, der Trauerversammlung entronnen war halb städtisch, halb ländlich, ein Umstand, auf den zu sein, deren verstimmenden Eindruck er schnell zu ver- sich Herr Kreittmayer nicht wenig einbildete. Ueberragte er doch als ein Mann, der in der Welt schon weit herumwischen suchte. gekommen war, mit seiner gebildeten, flötenden Redeweise alle seine Landsleute, die nichts als ihr Dorf kanuten. Wenn's gefällig ist, Herr Förster !"
Er schüttelte den Kopf, als er gegen den Rand der kleinen Anhöhe trat, recte die Schultern ein paarmal empor, ſpie aus und holte einen Kamm aus der Tasche. Sorgfältig durchfuhr er seinen rothbraunen, dichten Vollbart, der weit herabreichte und, unter dem Kinn ein wenig geftugt, zwei stattliche Hälften aufwies.
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Hm, hm," nickte das Gegenüber, dichte Dampfwolken blafend. Der Wirth schüttelte nachdenklich den Kopf. De Verzweiflung, de Verzweiflung," sagte er. Von wem?"
" Nun... von der Fräul'n Anna halt! Ja, wenn
"
"
Sie sich
kein Begriff, wie's im Forsthaus droben zuge gangen is."
das g'seh'n hätt'n, Herr Förster!... Sie machen
Damit wies er höflich zum Eingang und entblößte sein Haupt. Vom Friedhof tönte ein feierlicher Choral ins Dorf" No, aber er, der Balder, scheint mir eigentli doch Die stechenden Augen blinzelten wohlgefällig auf die herab. Das Begräbniß war beendet, die Menge zerstreute sich. ziemli talt' sein, er hat ja net amal g'woant." Der Förster sprach dies mit etwas gedämpfter Stimme, weil die gut gepflegte Haarmasse herab, die mit beiden Händen glattgestrichen wurde. Auch die Uniform wurde besichtigt In der weißgetüuchten Eckstube, die heute zu Ehren Bauern an den Nebentischen, ohne ein Wort zu reden, unund verrieth die peinlichste Sauberkeit bis hinab zu den des Sonntags frisch gescheuert war, ließ sich der Förster unterbrochen zu ihm herüberstierten. blankgeputzten, viereckigen Stiefeln. unter einer schlecht geschnitten Kreuzigungsgruppe behaglich Verlegen hob der Wirth die magere Hand empor Der Mann schien von der Musterung befriedigt. Er nieder. Langsam stopfte er seine kleine Pfeife und nickte zu und blickte auf die Decke, wo dichte Fliegenschwärme setzte sich langsam in Bewegung und wanderte vom Bühel den Bauern hinüber, die nach und nach mit einem Grüaß saßen: