Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 485 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 240

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292- 297 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

10 Pfennig

Donnerstag

13. Oktober 1927

Vorwärts=

Berliner   Volksblaff

Berlag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Verlag Gmb. Berlin   Sm. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292 297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Adolf Wermuth  .

nationalen und sonstigen kapitalistischen   Kreise haben Wer­ muth   zur Strede gebracht. Die Kommunisten gaben ihm den Fangstoß. Beide sind jetzt zufrieden," schrieb damals der Borwärts".

"

Stimmzettel abgegeben. Der verstorbene Genosse Leo Arons  hatte jedoch schon in einer Sigung der sozialdemokratischen Stadt­verordnetenfrattion auf Grund genauerer Kenntnis der Person sich in höchst anerkennenswerter Weise über Wermuth ausgesprochen und dabei u. a. gesagt, wenn es zu einer zweiten Oberbürgermeister­wahl tommte, würden die Sozialdemokraten ganz gewiß geschlossen für ihn stimmen. Kurz nach seiner Wahl machte denn auch Wermuth  gelegentlich die Bemerkung, er wolle ein Bürgermeister nicht für Berlin   W., sondern für Berlin   D. sein. Zum Zeichen dieser seiner Gesinnung richtete er sich auch zunächst in einer sehr be­scheidenen Wohnung in der Klosterstraße ein, die er erst später mit einer repräsentativeren vertauschte.

Der frühere Oberbürgermeister von Berlin Adolf So endete frühzeitig und überraschend die Laufbahn des Wermuth   ist gestern, 73jährig, nach viertägigem Mannes, auf den gerade die Sozialdemokratie glaubte Krankenlager im Lichterfelder   Kreiskrankenhaus gestorben. noch viele Hoffnungen setzen zu dürfen. Die geschicht Ein ,, Beamtenleben", das die letzten sieben Jahre in freiliche Leistung Wermuths wird dadurch nicht willig- unfreiwilliger Muße verbringen mußte, ist zu Ende beeinträchtigt. Freund wie Gegner müssen sie heute gegangen. Ein Beamtenleben, dessen größter Teil dem schon anerkennen, wenn auch natürlich der Haß auf Dienste des Reiches galt und das seine Bedeutung doch den Mann, der sich rechtzeitig aus der Enge bürgerlicher erst durch die kommunale Betätigung an der Spiße der Ideologien löste, noch auf lange hinaus bestehen blei Reichshauptstadt erhielt. ben wird. ,, War es nicht selbstverständlich, wie im tiefsten Während des Krieges interessierte er sich als Mitglied des Sinne nützlich, daß wir in der Not die Arme regten ohne Herrenhauses lebhaft für die preußische Wahlreform. Rücksicht auf Ausgang und Urteil? Und war es nicht verdienst- Schon damals sprach er sich zu führenden Sozialdemokraten über lich, felbft nach dem Zusammenbruch mit leztem Kraftreste die Unhaltbarkeit des preußischen Dreifiassenwahlrechts in schärfsten Ordnung und Festigkeit zusammenzuraffen und zu verstär- Ausdrücken aus. Die Wahlreform fam allerdings trotz der Be­fen, wo sie zu finden waren? Ich unterfange mich, mühungen Wermuths erst mit dem Zusammenbruch. Wie sie kam, auch diese legte Frage zu bejahen" so urteilt Wermuth in das hat er aus seinen eigenen Erlebnissen in seinem Erinnerungs­seiner Autobiographie über sein eigenes Wert und insbe- buch dramatisch geschildert. Während einer Sigung der Wahlrechts­sondere über sein Handeln nach der Revolution. Die Ge= fommission des Herrenhauses am 1. Oftober 1918 wurden die schichte wird ihm recht geben. Fraktionsführer eiligst zusammengerufen, und die Regierung machte ihnen die Eröffnung, daß nunmehr die Oberste Heeresleitung, die bis dahin das gleiche Wahlrecht entschieden bekämpft hatte, die fchleunige Verabschiedung einer demokratischen Wahlreform verlange.

Im Juni 1912 wurde Adolf Wermuth   zum Oberbürger­meister Berlins   gewählt. Die Sozialdemokratie stand dieser Wahl abwartend gegenüber. Was Wermuth   als Staats fetretär im Reichsschaamt geleistet hatte, gab feine Gewähr dafür, daß er die Geschäfte der Stadt im Sinne der immer stärker andrängenden sozialen Forderun­gen mit bewußtem Fortschrittswillen und mit Entschieden heit würde zu leiten wissen. Er war gescheitert an der neuen Heeresvorlage des Jahres 1912, zu deren Deckung er die Erbanfallsteuer herangezogen wissen wollte. Als auf den Druck der Konservativen und des Zentrums hin die Finanz­minister sich gegen die Steuer wandten, zog er die Konses quenzen und trat zurück.

Schon bei der Einführung des neuen Oberbürgermeisters lüftete sich jedoch der Schleier ein wenig. Mit deutlicher Spike betonte Bermuth in seiner Antrittsrede:

Ich möchte nach den Grundsäßen, unter denen Berlin  erblüht ist, tatenfroh und gut bürgerlich wie im Ma­giftrat, so mit Ihnen( den Stadtverordneten) wirken, mit Ihnen das Suchen und Streben und die Freude am Er­reichten teilen."

Aus dem höfifchen Berlin   sollte das ,, bürgerliche" Berlin  werden, und als äußerliches Zeichen dessen brach er mit dem langjährigen würdelosen Brauch, den Kaiser und fremde Fürstlichkeiten mit entblößtem Haupt am Branden­ burger Tor   zu empfangen, sondern beteiligte sich bei den Empfängen auf dem Bahnhof.

Mit außergewöhnlicher Zattraft und Ent schiedenheit hat Wermuth   in den folgenden Jahren die Geschicke Berlins   in dem von ihm als richtig erkannten Sinne beeinflußt unbekümmert um den sich immer mehr zu spihenden Gegensatz zu den Rechtsparteien, die nichts unversucht ließen, um die liberalen oder- wie es bald hieß fozialistischen" Tendenzen seiner Amtsführung zu durchkreuzen. Sein persönliches Verdienst ist es in erster Linie, daß die Ernährung der Reichshauptstadt während des Krieges im Rahmen des Möglichen sichergestellt werden konnte. Die Arbeit. die damals geleistet worden ist, ist eingehend in dem im November 1920 herausgegebenen ausführlichen Bericht Berlin   im Weltkriege. Fünf Jahre städtischer Kriegsarbeit" gewürdigt worden.

-

Es ist möglich, daß Wermuth   wie von deutschnatio­naler Seite immer wieder behauptet worden ist gerade durch diese Arbeit, die ja zwangsläufig gewiffe gemeinwirt­schaftliche Formen annehmen mußte, immer mehr sich von der Richtigkeit sozialistischer Forderungen überzeugt hat. ,, Ehe er sich's versah," schreibt heute die .D. A. 3." ,,, befand sich der ehemals so unpolitische, feiner Partei zugeschworene Beamte im Bann sozialistischer Ideen."

Richtig ist, daß unmittelbar nach der Revolution der Bruch zwischen Wermuth und seinen einstigen Freunden innerhalb der bürgerlichen Barteien erfolgte. Zu den alten politischen Gegnern des Oberbürgermeisters gesellten sich nunmehr auch die Demokraten, die den Wandel vom Kommunalfreisinn zur Demokratie zunächst nur im Namen vollzogen hatten. während die Arbeitsgemeinschaft der Ar= beiterräte ihn ausdrücklich ihres Bertrauens in Er­martung weiterer ersprießlicher gemeinsamer Arbeit" ver­ficherte.

-

--

Oberbürgermeister Wermuth war im Jahre 1912 von den Bürgerlichen gewählt worden, die Sozialdemokraten hatten weiße

Konflikt zwischen Reich und Ländern.

Um die Kosten der Besoldungsreform.- Die Länder verlangen mehr Einnahmen.

Die Auseinandersetzung über die& o sten der Besoldungs-| Berhandlungen erforderlich fein. Das Reichskabinelt wird sich heute reform haben fich in den letzten Tagen zu einem schweren& on- nachmittag mit den durch die Besoldungsreform und die Ansprüche flitt zwischen dem Reich und den Ländern entwidelt, deffen Lösung der Länder entstandenen neuen Problemen befassen. noch nicht zu übersehen ist. Die meisten deutschen   Freistaaten er­flären fich außerfiande, die Koffen für die Durchführung der Be­foldungsreform der Beamten zu tragen. Preußen hätte zwar für die ersten Monate die Mittel dazu frei, fann aber ebenfalls auf die Dauer die neu entstandenen Mehrkosten nicht aufbringen. Eine große Rolle spielt dabei, daß die Reichsregierung gleichzeitig mit der Aufbürdung neuer Laften auf die Länder diesen die Möglichkeit ge­nommen hat, die Realsteuern zu erhöhen. Das Steuerverein­heiflichungsgeseh, deffen Schidfal noch ungewiß ist, sieht darin noch stärkere Bindungen vor als bisher.

Nun hat Bayern   vorgeschlagen, die Anteile der Cänder an die Einkommensteuer des Reiches von 75 auf 80 Prozent zu erhöhen. Diesem Antrag schließt sich mit den übrigen Freistaaten jeht auch Preußen an. Die Reichsregierung aber hat bisher immer erklären laffen, daß an eine Aenderung des Finanzausgleichs wegen der Erhöhung der Beamtengehälter nicht zu denten sei. Nachdem nun die Mehrheit der Länder heute nachmittag im Reichsrat den Antrag anzunehmen entschloffen ist, werden sich daraus weitfragende Konsequenzen für das Schicksal der Besoldungs­vorlage und die Durchführung der übrigen Steuerpläne ergeben. Der Konflikt hat sich also unmittelbar vor dem Zusammentrefen des Reichstages zugespitzt. Zu seiner Leberbrüdung werden langwierige

Für eine europäische Wirtschaftsentente. Eine französische Stimme zum franko- amerikanischen Zolltrieg.

Paris  , 13. Oftober. In einer Betrachtung des französisch- amerikanischen 3olltarifftreit's und der franzöfifch- belgischen Wirtschaftsver­handlungen schreibt die linksgerichtete Tageszeitung Bolontee": Die belgischen Unterhändler, die sowieso schon wegen der in Das Jahr 1920 brachte dem Oberbürgermeister dann die Frankreich   gegenüber Belgien   verfolgten Bolitik wenig zugänglich Berwirklichung seiner langjährigen Bestrebungen nach einer find, sahen sich zu Beginn der Verhandlungen einer französischen  Zusammenfassung der zersplitterten Berliner   Gemeinden 34 These gegenüber, die mit den Interessen Belgiens   unvereinbar ist. einem einheitlichen Groß- Berlin. Und bei der Wahl Die ersten Sizungen sind daher äußerst heitel gewesen. Gegenwärtig des neuen Magistrats der Einheitsgemeinde wurde er an die Spige diefes Groß- Berlin berufen. Sämtliche sozialisti zeigen die franzöfifchen Unterhändler mehr Entgegenkommen, fie schen Parteien stimmten dafür keine einzige bürger- scheinen in der Frage der Einfuhr chemischer Produkte zu einer für liche Partei konnte sich dazu aufschwingen, dem Mann ihres Belgien   befriedigenden Regelung bereit zu sein. Die Atmosphäre einstigen Vertrauens, dem Mann der Kriegswirtschaft Ber   hat sich also geklärt, und es ist zu wünschen, daß sie noch günstiger wird. Denn es wäre der größte Fehler, den Frankreich   begehen lins, dem Borkämpfer für die Vereinheitlichung ihre Stimme fönnte, wenn es den Erfolg der verschiedenen Handelsvertragsver zu geben. handlungen, die es gegenwärtig führt, gefährden würde. So ent­gegenkommend im Ton auch die legte amerikanische Note ift, fie bleibt nichtsdestoweniger auf mit den französischen   Interessen nicht zu ver einbarenden Forderungen bestehen. Die beste Waffe aber, über die Frankreich   gegenüber dem mächtigen Amerika   verfügt, ift eine enge Wirtschaftsentente mit feinen tontinentalen Nachbarn. Ein derartiges Abkommen besteht bereits zwischen Frankreich   und Deutsch  , land. Wenn es auch mit Belgien   zu einem entsprechenden Ab­schluß fäme, würde man darin den Grund stod einer Art euro­päischer Wirtschaftseinheit haben, mit der die Bereinigten Staaten

So hätte Wermuth   noch lange Jahre die Geschicke Berlins  an der verantwortungsvollsten Stelle mit leiten fönnen, ge­früht auf die proletarische Mehrheit des Roten Hauses. Der Haß und die Wut der bürgerlichen Parteien über den Ber rater" hätten ihn nicht zu Fall bringen können. Aber was fie allein nicht vermocht hatten, das wurde ihnen ermöglicht durch die Uneinigkeit der Arbeiterparteien, durch die Ver­antwortungslosigkeit der Kommunisten. Als am Schluß des Elektrizitätsstreits im November 1920 die Linksmehrheit des Rathauses ein Vertrauensvotum über die Haltung des Ober­bürgermeisters in diesem Streik einbrachte, zogen die Kom­munisten unter Führung von Dörr die bereits ge­gebene Unterschrift in legter Stunde zurück: Neuer Schandprozeß in Rom. die Mehrheit, die den Oberbürgermeister gewählt hatte und Gegen neunzig Arbeiter und Intellektuelle. auf die er sich stüßen fonnte, war zerbrochen. Wermuth zog die Folgerung daraus und ließ sich zunächst beurlauben, Mitte Oftober soll vor dem Sondergericht in Rom  , einer Fa­um dann wegen seines ,, aufs äußerste angegriffenen Gesund schistenabteilung im Richtertalar, als Faschisten auf unbedingten Ge­heitszustandes" endgültig auszuscheiden. Die Deutsch- horsam gegen Mussolini   vereidigt, der Prozeß gegen 90 Personen

rechnen müßten.

Diese Zuspigung in einem Augenblick, in dem man über eine Neugestaltung des staatsrechtlichen Ver hältnisses zwischen Reich und Ländern diskutiert, ist ein neues Zeugnis der Unfähigkeit des Rechts­blods, den großen finanzpolitischen Fragen gerecht zu wer den. Der größte Widerstand gegen die Pläne des Reichs­finanzministeriums tommt aus Süddeutschland  , inbesondere aus Bayern  , also gerade den Ländern, deren Eigen­existenz der Reichsfinanzminister immer als besonders wert­voll ansieht, und die auch sonst aus Gründen der Regierungs­foalition sich einer großen Wertschäzung der Kabinettsmit­glieder erfreuen. Jetzt sind es diese Staaten, die in die Finanzpläne der Regierung ein Loch gerissen haben. Preußen muß sich dem Antrag anschließen, weil es selbst genau so wie die anderen Länder nicht über die notwendigen Mittel und steuerlichen Freiheiten verfügt, um die Mehraus­gaben zu decken. Diesen Gang der Dinge hätte die Reichs­regierung, wenn sie gewollt hätte, vor aussehen können. Sie hat es aber darauf ankommen lassen und befindet sich nun gegenüber den Ländern in einer Sadgasse, aus der einen Ausweg zu finden ihr sehr schwer fallen wird.

beginnen, denen alle möglichen Verbrechen gegen den Staat, will sagen gegen die Faschistenherrschaft, zur Last gelegt sind, so daß ihnen die Todesstrafe in Aussicht steht. In Wahrheit ist es ihr Berbrechen, daß sie Gegner des Faschismus sind und diese Gegner­schaft zu äußern so mutig waren; aber man schreibt ihnen einfach das Attentat von Bologna   aufs Konto. Unter den Angeklagten sind namhafte Gelehrte, darunter der schwerkranke Professor Gramsci  und viele andere. Sie alle werden als gemeine Verbrecher behandelt, obschon Mussolini   aus seiner sozialistischen Zeit her die schwache Gesundheit marcher der Berhafteten kennt und die Wirkung dieser Behandlung beurteilen kann. Angeklagt find auch eine ganze Anzahl kommunistischer Abgeordneter. Heute freilich sind sie es nicht mehr, da die Faschistenmehrheit am 8. November 1926 nicht weniger als 162 oppositionelle Abgeordnete aus dem Parla­ment ausgestoßen hat. Zu der Zeit, wo diese Kommunisten die ihnen angedichteten Verbrechen begangen haben, waren sie selbst nach faschistischem Recht"- noch Abgeordnete: sie sind nicht zur Strafverfolgung ausgeliefert worden, das Gesetz, auf Grund beffen man sie jetzt anklagt, bestand damals auch noch gar nicht furz, dieser Massenprozeß in Rom   ist die frechste und schamloseste Rechtsverhöhnung!

Rakowski geht. Rußland   beruft ihn ab.

Paris  , 13. Dftober.

( Eigenbericht.)

Die Volonté" meldet aus Moskau  , daß der Rat der Bolts­fommissare ein Memorandum als Antwort auf die französische  

Ratomsti- Note ausgearbeitet habe. Darin willige Rußland   in die Abberufung Ratowstis ein. Als Nachfolger Ratomitis werde Beffedowsty, gegenwärtig Geschäftsträger in Totio, vor. geschlagen.

Die Uebernahme der Präsidentenffandbilder im Reichstag. Am Dienstag, den 18. d. M., findet die Uebernahme der Standbilder des verstorbenen Reichspräsidenten Ebert   und des Reichspräsidenten von Hindenburg   in der Großen Wandelhalle des Reichstages statt.

-