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Abendausgabe

Nr. 489 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 242

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sigue math( 10 Pfennig

Sonnabend

15. Oktober 1927

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Fel- Adresse: Sozialdemokrat Berlisionsfo

Berliner Dolksblatt

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Der Kampf in Mitteldeutschland .

Streif der Braunkohlenarbeiter ab Montag.

Der Deutsche Bergarbeiterverband hat samt den an dem Lohnstreit im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau beteiligten Berbänden nichts unversucht gelassen, um auf friedlichem Wege eine Erhöhung der überaus niedrigen Löhne herbeizuführen. Ueber die Notwendig­teit einer gründlichen Aufbesserung der Löhne der Braun­fohlenbergleute im mitteldeutschen Revier besteht kein Zweifel. Die Unternehmer geben sie unumwunden zu. Aber sie wollen als Borbedingung einer Lohnerhöhung für fich die Berechtigung zur Erhöhung der Brauntohlen preise, und weil das Reichswirtschaftsministerium aus guten Gründen seine Zustimmung zu einer Preissteigerung verweigert, verweigern die Bergherren den Arbeitern die notwendige Lohnzulage.

Aus diesem Grunde mußten auch die auf Beranlassung des Reichsarbeitsministeriums am Freitag geführten Ver­handlungen ergebnislos bleiben. Damit ist der Kampf im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau unvermeidbar ge­worden. Eine Revierkonferenz des Bergarbeiterverbandes in Berlin hat heute die letzten Vorbereitungen für den Kampf getroffen.

Die an den Verhandlungen beteiligten Organisationen haben infolge des negativen Ausgangs der Verhandlungen ,, an die Belegschaften des mitteldeutschen Braunfohlenberg­baues" folgenden Aufruf gerichtet:

kameraden! Die Unternehmer des mitteldeutschen Braun fohlenbergbaues lehnen die so notwendige Erhöhung der Löhne ab. Dadurch ist der Kampf unvermeidlich geworden. Die Unternehmer 3 w ingen durch ihre unverständliche Handlung die Belegschaften zur Anwendung des lehten gewerkschaftlichen Mittels. Auch die letzten Einigungsverhandlungen, die auf Beranlaffung des Reichsarbeitsminifters am 14. Oktober stattfanden, scheiterten an der

unverföhnlichen Haltung der Unternehmer,

die jeden Pfennig Lohnerhöhung auch jetzt ablehnen, wenn die Kohlenpreise nicht erhöht würden.

Die unterzeichneten Verbände haben alles getan, um ohne Einschung des Streits die Erhöhung der Löhne um 0,80 mart je Schicht durchzusehen.

Die Unternehmer aber wolien nicht. Wohl aber verfuchen fie, sich nach außen hin ein wohlwollendes soziales Mäntelchen um­zuhängen. Das geschieht aber nur, um Uneinigkeit und Zerriffen­heit in den Belegschaften zu erzeugen. Sie spekulieren dabei auf die Rückständigkeit der Kameraden im mitteldeutschen Braunkohlenrevier. Kameraden, beweist durch starke Einigkeit und Disziplin,

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daß die Unternehmer fich täuschen. Beweist ihnen durch reftlose Arbeitsniederlegung in den Betrieben, daß fie falsch spekulieren. Ab Montag, den 17. Oftober d. J., beginnt im gesamten mittel­deutschen Braunkohlenbergbau

#garmilo oder Streit.

Die unterzeichneten Tariforganisationen rufen alle Braunkohlen­bergarbeiter auf Grund des Beſchluſſes der Gewerkschafts- und Be­triebsfunktionäre zum Kampf auf. Keiner darf in diesem Kampfe abseits stehen!

Schulter an Schulfer müssen alle Arbeitskameraden diesen Kampf

um die notwendige Erhöhung der Löhne führen. Jeder Kamerad if an dem Ausgang des Kapfes interessiert, ganz gleich, ob er im Betriebe steht und beschäftigt ist.

Keiner darf zum Verräter an seiner eigenen Sache werden! Jeder Arbeiter im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau hat fich am Montag, dem 17. Oktober d. 3., früh in den örtlichen Streit­bureaus zu melden.

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Nur Einigkeit und Disziplin fichern den Erfolg! Nur den Parolen der Gewerkschaften ist Folge zu leisten!

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Verband der Bergarbeiter Deutschlands , Gewerksverein christ­Der Aufruf ist von folgenden Berbänden unterzeichnet: licher Bergarbeiter, Gewerfverein der Fabrif- und Hand­arbeiter( 5.-D.), Deutscher Metallarbeiterverband, Verband der Fabritarbeiter Deutschlands , Zentralverband der Mi­schinisten und Heizer,

Damit ist ein Kampf entbrannt, der von den Unter­nehmern mit allen Mitteln geführt wird. Sie bilden eine Streifentschädigungsgesellschaft, die im Jahre 1925 mit einem für die Höhe der zur Streifverfiche­rung angemeldeten Jahreslohn von 97 421 000 m. rechnete. Aber auch in sonstiger Beziehung werden sie nichts under­sucht lassen, um den Kampf der Braunkohlenarbeiter abzu­schwächen, die heute noch mit Löhnen von 3,29 m. bis 5,57 m. für eine 10% bis 12 stündige Schichtzeit abgespeist werden.

Die werttätige Bevölkerung steht in ihrer Gesamt­heit in diesem Kampfe hinter den Braunkohlen arbeitern , zumal das Ziel der Unternehmer, die Rohlenpreise zu verteuern, fich gegen die Gesamtheit richtet.

Die Mehrbelastung für eine großstädtische Haushaltung durch die Kohlenpreiserhöhung betrage je nur etwa 3,50 m. jährlich.

Es muß alles darangesetzt werden, den Arbeitern im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau zum Sieg zu verhelfen!

Geschützdonner vor Peking .

Die Truppen des Südens stehen vor den Toren der Hauptstadt.

Condon, 15. Oktober.

Die militärische Lage um Peking hat eine fenfaflonelle Wendung erfahren. Während bisher nur von Siegen Tjdhangtfolins gesprochen wurde, melden jetzt englische Berichterstatter, daß die Truppen der Südarmee nur etwa 25 bis 50 Kilometer von Peting entfernt stehen. Der Bizeminister für äußere Angelegenheiten, Wuffing, hat die ausländischen Korrespondenten davon unterrichtet, daß möglicher­weise in den nächsten Stunden der Kanonendonner vor den Toren von Peking zu hören sei. Für die auswärtigen Kolonien fei teine Gefahr vorhanden.

gegen Fenoli, Albaniens früherem Herrn. Achmed Zogu ift fein Schwager. Er entzweite sich mit ihm, als dieser mehr und mehr in das Kielwasser Italiens geriet. Als er aus Belgrad , wo er Gesandter war, abberufen wurde, tehrte er nicht nach Albanien zurück. In letzter Zeit hatte eine Art Berföhnung mit Achmed 3ogu ftattgefunden, der ihn daraufhin zum Gesandten in Brag er nannte. Der Mörder ist offenbar aus Rom ihm nachgeschickt worden.

Der Papst kämpft für neuen Kirchenstaat . Nach Meldungen der Chicago Tribune" finden kämpfe bei Er lobt den Faschismus und erhofft von ihm Chouchow statt, das etwa 50 kilometer von Pefing entfernt ift. ein eigenes Staatsgebiet. Amerikanische und andere Truppen sind um das Gesandschaftsviertelnd eine aufgestellt. Bis jetzt steht noch nicht fest, worauf die Mißerfolge Tfchang folins zurückzuführen sind. Allem Anschein nach find jedoch die Truppen Tschangtfolins in eine Falle der Südtruppen gegangen. die Truppen Tichangtfolins in eine Falle der Südtruppen gegangen.

Der Gesandtenmord in Prag . Faschistische Anstiftung.

Prag , 15. Ottober.

Der Mörder des albanischen Gesandten Kene Ben ist der 23jährige Student Alginiabh Bebi, Schüler der sechsten Klasse bes Lyzeums in Rom , der am 10. Ottober nach Brag gekommen war. Außer albanisch spricht er noch französisch und italienisch. Wie weiter bekannt wird, ist der Attentäter Anhänger der italienischen Drientierung Albaniens . Er erflärte der Polizei, der Gesandte set ein Schädling seines Boltes, das er an Südslawien vertaufen wollte. Mit seiner Tat habe er den Verrat seines Vaterlandes an Südflawien verhindern wollen.

Der ermordete Gesandte Keno Bey war erst 32 Jahre alt. Er entstammt einer albanischen Familie. Sein Bater war Adjutant beim türkischen Sultan . Er war einer der Führer des Aufstandes

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Rom, 15. Oftober.

Der Offervatore Romano", das Blatt des Batifans, schreibt zum zweitenmal feit wenigen Tagen über die römische Frage", das Ber­hältnis der Kirche zum italienischen Staat. Das Blatt erklärt, daß nicht allein die Italiener, sondern alle Söhne der Kirche auf dem Erdenrund daran interessiert seien, daß der Papst in offenkundiger Weise unabhängig sei. Der Bapst fönne, wie man im Aus: lande gesagt habe, nicht der Haustaplan irgendeiner Macht sein. Benn aber der Papst die im Jahre 1870 geschaffene Lage an nehmen würde, so wäre er der Haustaplan Italiens . Es würde da durch eventuell zur Bildung von Nationaltirchen Gelegenheit gegeben. Wenn nun auch die Unabhängigkeit des Papstes alle Katho­lifen der Welt intereffiere, so sei bamit nicht gefagt, daß die Lösung der römischen Frage vor das Tribunal aller Katholiken gehöre. Im Gegenteil, hierbei sei der Papst alleiniger Richter, aber er tönne nicht umhin, die gerechten Forderungen aller Ratholiken zu berücksichtigen. Solange der Papst nicht auf eigenem Terri torium stehe, müsse, um seine Unabhängigkeit zu beweisen, der offene Swift mit der italienischen Regierung andauern. Der Dfervatore" lobt alsdann den Faschismus, weil er sich über die Frei­maurerei hinweggefeßt und angefangen habe, auf dem Gebiet der Schule Gott und der Kirche zu geben, was ihnen gebühre.

Lindenstraße 3

Wer nicht weiß, der schweige!

lism Eine Antwort an Bernard Shaw .

"

Von*

**. Wenn der Brief Shaws an Friedrich Adler von einem anderen geschrieben worden wäre, hätte die ganze Sache mit einer Verbreitung des Schreibens durch die offiziöse ,, Stefani" ihre Erledigung gefunden. Der unbekannte Hinz oder Kung märe von der Stefani" als mindestens ebenso berühmt wie Shaw vorgestellt worden, in Italien hätte man darüber apologetische Literatur ausländischer Touristen. Höchstens weggelesen, wie über die sonstige massenhaft aufgetischte hätte uns etwas Neid gepackt über die paradiesische untenntnis, die aus dem Urteil spricht, und wir hätten uns gesagt: Der fann lachen, daß er die Dinge so sieht." Aber bei Shaw ist das denn doch etwas anderes. Von ihm fönnen wir wohl verlangen- und in dieser Forderung brücken wir die ganze Hochachtung vor seiner Bersönlichkeit aus daß er nicht als Dilettant und nicht aus der Halle eines Luxushotels Urteile fällt über Dinge, die in das lebendige Fleisch einer Nation schneiden. Will er über die Ermordung Matteottis schreiben, so lese er die darüber juristisch festgestellten Tatsachen; er leje die Akten des Prozesses, die im Ausland sind. Dann wird sich ihm deutlich und klar der Faden zeigen, der von oben

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ganz oben die Mörder bewegte, wie Marionetten. Bon jenem Worte Mussolinis in der Kammer: Es ist zur Ablieferung der mit Blut getränkten Do! umente des 3 eif, daß dieser Mensch nicht mehr redet" bis Ermordeten an Mussolini am Abend des 10. Juni, ist der Faden für jeden, der sehen kann, klar zu verfolgen. Dann der Schuh der Mörder vor der Justiz, die Schmach des Prozesses von Chieti , die noch heute andauernde zum Himmel und der schreiende Verfolgung der Witwe

aifen Matteoftis, das Leben der Mörder in Luxus und Wohlfein, die Wiedereinsehung eines der Beauftragten - des administrativen Generalsekretärs der Faschistischen Partei, Marinelli in seine Aemter und Würden! Das alls sind Dinge, die der Tourist nicht zu wissen braucht, aber für diese seine glückliche Unwissenheit tönnen die, die es erlebt haben, wohl die Entrichtung einer Abgabe fordern: die des Schweigens.

Was weiß Shaw von der Ermordung Amen­dolas? Weiß er, was aus Gerichtsaften hervorgeht, daß nach dem ersten Ueberfall auf diesen Abgeordneten, Mussolini telephonisch sagte, er hätte mit besonderen Appetit gefrüh­ftüdt"? Weiß er, daß gegen die Mörder deren Anführer dem Opfer durch ihr Ehrenwort freies Geleit gesichert hatten - nie ein Gerichtsverfahren angestrengt wurde? Was weiß er von den Mordtaten von Molinella, von der Schreckens nacht des 3. Ottober 1925 in Florenz , von der Ermordung von 21 Arbeitern und Arbeiterführern in Turin im Dezem­ber 1922, welche Tat durch ein Glückwunschtelegramm des damaligen Unterstaatssekretärs für Kriegspension, heutigen Gouverneurs von Somaliland , gefeiert wurde? Die meisten dieser Verbrechen haben nie einen Richter bemüht; wo aber, wie für die Morde und Plünderungen von Florenz und für die Ermordung des Genossen Narani in Molinella durch den Faschisten Regazzi, ein Prozeß stattfand, hat er mit dem Freispruch und mit der Apotheose der Mörder geendet. Regazzi wurde auf den Schultern durch Bologna getragen und ist heute faschistischer Sefretär der ganzen Provinz, während ihn das forrupte vorfaschistische Regime so wenig zu würdigen verstanden hatte, daß es ihn wegen Betrug bei Heereslieferungen unter Prozeß gestellt hatte.

Bon all diesen Dingen weiß Sham nichts. Das wollen wir zu seiner Ehre annehmen und in dieser Annahme bestätigt uns unter anderem seine Bemerkung, daß die Sozialisten nie einen Centime öffentlicher Gelder zu verwalten, noch einen Arbeiter anzustellen hatten". In Italien haben die Sozialisten die Städte von Reggio Emilia , Bologna und Mailand weit über ein Jahrzehnt derwaltet, haben piele Hunderte Don Millionen öffentlicher Gelder admini­striert, und diese Städte waren die am besten perwalteten In Molinella hat Genosse des ganzen Landes. Massarenti, der heute auf die Insel Ustica verschickt ist, die größte landwirtschaftliche Arbeiter­genossenschaft gegründet und geleitet, die es je ge­geben hat, deren Bestand an Vieh und Maschinen über fünf Millionen Goldfire wert war, so daß Mussolini es für der Mühe wert gefunden hat, für ihre Expropriatierung ein eigenes Dekret zu erlassen, das alle Verwaltungen, zu deren Fonds Arbeitergelder beitragen, unter Polizei­furatel stellt und ihre Einziehung und Ueberweisung an andere Institutionen autorisiert. Unkenntnis ent­schuldigt, wenigstens in dem Sinne, daß ein auf Unfenntnis gegründetes ethisches Urteil nicht zu einem Schluß auf das fittliche Empfinden des Urteilenden berechtigt; freilich wäre es besser gewesen, im Bewußtsein der Unkenntnis sich des Urteilens zu enthalten.

Aber damit sind wir mit Sham nicht fertig. Er bemüht Napoleon I. , aber zum Vergleichsobjekt liegt der dritte Napoleon zeitlich und den Dimensionen nach viel näher. Karl Marg's ,, Achtzehnter Brumaire des Louis Bonaparte " scheint von dem heutigen Italien zu handeln und verrät mehr Sach­fenntnis als der Zeitgenoffe Shaw. Dieser glaubt im Ernst, daß der Faschismus eine Revolution sei, und fragt daher, warum die Kommunisten nicht imftande waren, die Diktatur des Proletariats herzustellen, wie Mussolini