Str. 490 44. Jahrgang Ausgabe A nr. 249
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Topic
Sonntag, den 16. Oftober 1927
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Boftichedkonto: Berlin 87 536 Banktonte: Bant der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallftz. 65; Diskonto- Gesellschaft. Devaktentaffe Lindenstr. 3.
Die Regierung versagt.
Die Braunkohlenbesizer lassen es sich etwas kosten, um die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu stimmen. Mit Hochdruc wird die ihnen unterwürfige oder zugängliche Presse entweder direkt oder durch Korrespondenzen bearbeitet. Sie veröffentlichen ganzfeitige Inserate, in denen fie die gewagteften Behaup tungen drucken lassen, aber nicht magen, die Hungerlöhne der Braunkohlenarbeiter und die ver= ftedten und offenen Riesengewinne der Rechen befizer mitzuteilen. Sie erzählen wohl, wie oft seit 1926 Der Schichtzeiten verfürzt, die Löhne erhöht murden, fie magen aber nicht, zu schreiben, wie lange auch heute noch der Braunfohlenarbeiter schusten muß, wie elend auch heute noch sein Lohn ist.
Für eine schwere und schmutzige Arbeit, deren Dauer nindestens neun Stunden beträgt, bekommt der erwachsene Braun fohlenarbeiter einen Lohn von 5,50 M. Dabei muß man berüdfichtigen, daß es sich um Industriegebiete handelt, wo die Lebensperhältnisse nichts meniger als billig sind.
Schäden zufügen wird. Ob die Regierung ihrerseits alles getan hat, um den Kampf zu verhindern, soll in diesem Augen blick nicht untersucht werden. Sicher ist aber, daß das Reichs wirtschaftsministerium es an der notwendigen Klarheit fehlen ließ. Warum sich dieses in einer Situation, wo größte Klar heit notwendig ist, in Stillschweigen hüllt, ist schmer zu verstehen. Jit vielleicht die Bermutung der Bergleute zutreffend, wonach das Reichswirtschaftsministerium genau müßte,
daß die Unternehmer eine Lohnerhöhung ohne Kohlenpreiserhöhung tragen fönnfen,
ohne es anderen zusagen?"
Barum aber diese Schweigjamkeit und diese Untätigkeit der Reichsregierung angesichts des Unheils, das heraufzieht und vor das die Bergarbeiterorganisationen laut und lange genug gewarnt haben? Offenbar glaubt man in der Reichsregierung den Behauptungen der Braunkohlenbefizer, die auch heute noch davon reden, daß nur eine Minderheit der Belegschaften die Kündigung eingereicht habe. Danach bestünde also gar keine ernsthafte Gefahr eines großen Wirt
Wenn die Zechenbefizer reden und ihre Angestellten schreiben fchaftstampfes in Mitteldeutschland . Lassen, so
schweigt die Reichsregierung
um so gründlicher. Sie verhält sich nicht nur schweigjam, sondern
auch unfätig. Dabei muß man bedenfen, daß der Widerstand bet Unternehmer nicht nur die Braunkohlenarbeiter und ihre Familien trifft, sondern daß von dem Kampf in Mitteldeutschland lebenswichtige wirtschaftliche Interessen direft in Mitleidenschaft gezogen werden. Dieser Kampf wird sich un mittelbar
in allen Städten Mitteldeutschlands und in Berlin fühlbar machen. Troß ihrer Riesengeminne, die nicht mehr zu ver bergen sind, mollen die Zechenbefizer die Not der ausgebeuteten Bergarbeiter benutzen, um einen neuen Raubzug auf die Taschen der Konsumenten auszuführen, der, wie sie behaupten, jeben Haushalt„ nur“ mit 3,50 m. jährlich belasten würde.
Die Unverschämtheit der Zechenbefizer, die es für sich gewissermaßen als ein gottgemolltes Recht in Anspruch nehmen, nicht nur die Berg: arbeiter, sondern auch die Konsumenten auszubeuten, ist wirklich Was aber tut die Regierung?
grotest.
Selbst ein so regierungstreues Organ, wie der Deutsche ", das Organ des Herrn Stegerwald, sieht sich veranlaßt, folgendes zu schreiben:
,, Wir wünschten den Frieden: doch der Kampfmille der Unternehmer vertrieb ihn. Und so haben sie nun einen Kampf zu verantworten, der unserem gesamten Wirtschaftsleben schwerste
Sozialistische Zollkonferenz in Paris .
Stellungnahme zum deutsch - französischen Handelsvertrag und sonstigen Zollfragen.
Paris , 15. Oktober. ( Eigenbericht.) Am Schluß der heute abgehaltenen Sozialistischen Vier länder Konferenz über 3011fragen wurde nachstehende offizielle Mitteilung herausgegeben:
,, Die Bertreter der sozialistischen Parteien Belgiens , Deutschlands , Frankreichs und der Schweiz sind am Sitz der Sozialistischen Partei Frankreichs zusammengetreten, um über das Problem, das durch die vorgeschlagenen Aenderungen im franzöfifchen 3olltarif aufgeworfen worden ist, fowie über die tariflichen Folgen des deutsch französischen Handelsvertrages zu beraten.bigy
Die einzelnen Parteien waren wie folgt vertreten: Belgien durch de Brouckère und Serruy; Deutschland durch Hilferding und Robert Schmidt ; Frankreich durch Léon Blum , Vin cent Auriol , Couteaug, Caprel, Grumbach und Walter; die Schweiz durch Hugler. Genosse Friedrich Adler wohnte als Sekretär der sozialistischen Arbeiterinternationale der Konferenz bei.im
Aus dem Meinungsaustausch über die Zollprobleme ergab sich, daß jede Sektion der Internationale bestrebt sein muß, eine Hera b segung der protettionistischen 3olffäße zu er reichen.
Die Konferenz begrüßte einmütig die Wiederaufnahme normaler wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich , von denen sie die besten wirtschaftlichen und politischen Folgen erhofft. Sie ist indeffen der Ansicht, daß, wenn es auch unerläßlich ist, die Grundlagen dieses Handelsabkommens zu befestigen und auszubauen, es andererseits nicht die Rückwirkung haben darf, Schutzölnerische Tendenzen in anderen Ländern auszulösen.
Die Ronferenz hat ferner weitere internationale Probleme besprochen und empfiehlt bie bhaltung neuer Ronfe.
Barum aber dann der Lärm der Zechenbefizer? Warum ertlären fie felbft in ihrem Rieseninserat im„ Berliner Tageblatt", daß in den nächsten Tagen sich eine Störung des Arbeitsfriedens
vollziehen würde, die
die gesamte Wirtschaft schädigen müsse.
Die Zechenbefizer wiffen nämlich ganz genau, daß die Sündi gungsfristen in Mitteldeutschland sehr verschieden sind, daß es pierzehntägige, achttägige und eintägige Kündigungsfristen gibt und Zechen wiederum, mo überhaupt feine Kündigungsfrist besteht. Und da die Arbeitsniederlegung selbstverständlich einheitlich fich vollziehen muß, wird auch die Kündigung der Bergarbeiter so eingerichtet, daß
die Arbeitsniederlegung einheitlich am Montag überall beginnen fann. Der Reichswirtschaftsminister hat mit vollem Recht. eine Erhöhung der Preise abgelehnt. Seine Pflicht wäre es aber, in aller Deffentlichkeit die Gründe der Ablehnung ffar zulegen. Das Reichswirtschaftsministerium muß wissen, wie es mit den skandalösen Gewinnen der Braunkohlenbesitzer in Wirklichkeit fieht. Und was tut der Reichswirtschaftsminister, um die von den Bergarbeitern nachgewiesenen ungeheuren Gewinne des 3wischenhandels, der zum guten Teil auch wieder den 3e chenbesigern zufließt, endlich auf ein normales Maß herabzudrücken? und
Wir stellen fest, daß die Reichsregiernug auf der ganzen Linie verjagt hat. Den Braunkohlenarbeitern bleibt nichts anderes übrig, als zum letzten Mittel der Selbsterhaltung zu greifen.
renzen mit dem Ziele des gegenseitigen Austausches von Infornationen über gewiffe politifd) e, finanzielle und wirt fchaftliche Fragen."
Soldatenwahlen in Oesterreich . Sozialdemokratische Verluste.
Wien , 15. Oftober.( Cigenbericht.) Bei den heutigen Vertrauensmännerwahlen der Wehrmacht erhielt der der Sozialdemokratie nahestehende Wehrverband diesmal nur 120 Mandate gegen 202 im Borjahr, während die christlich foziale Mandatszahl um 54 auf 132, die deutschnationale von zwei auf fieben stieg. Der Erfolg der Gegner ist nur zum Teil auf einen Rückgang der sozialistischen Stimmen zurückzuführen. Diese blieben mit 9200( gegen 11,000 im Vorjahr) die Dreifünftel mehrheit aller abgegebenen Stimmen. Die Gelben( Christlich sozialen) brachten es auf 6500, die Deutschnotionalen auf 600 Stimmen. Das Mißverhältnis zwischen Stimmen- und Mandatszahl erflärt sich daraus, daß jede Kompagnie ohne Rücksicht auf ihre Stärte( 20 bis 100 Mann) je zwei Vertrauensmänner wählt. So gelang es, eine christlichsoziale Mehrheit" zusammenzuschieben.
Neuer Mord in Litauen . Hinrichtung eines Einundzwanzigjährigen. Kowno , 14. Oktober.
In Mariampol wurde auf jeldgerichtliches Urteil der erst ein undzwanzigjährige Sozialdemokrat Macheita erschossen. Er war beschuldigt worden, an einer Berschwörung zum Sturz der Regierung beteiligt gewesen zu fein.
Das Bezirksgericht in Dnjeprpetromst( Sowjetukraine) verurteilte einen gemiffen Sorotin, her während der Regierung des hetmons Staropabiti Straferpebitionen geleitet hatte, zum Inbe. Das Urteil murbe nallft redt
Scheu der Bürgerblockregierung vor parlamen
tarischer Verantwortung.
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wenn
Der Reichstag , der am 9. Juli, vor mehr als drei Monaten, in die Sommerferien ging, versammelt sich am Dienstag wieder, um sich spätestens am Sonnabend es nach den Wünschen der Regierung geht wieder für einen Monat schlafen zu legen. Für die vier, fünf Tage, die man ihm das Beisammensein gestattet, ist ein strenges Arbeitsprogramm vorgesehen. Schulvorlage und Bejoldungsvorlage sollen die erste Lesung passieren, damit sie in den Ausschüssen weiterbearbeitet werden können. Dann soll sich der Reichstag wieder trollen. Fragen allgemein politischer, mirtschaftspolitischer, außenpolitischer Natur foll er nicht erörtern dürfen. Interpellationen, die von großen Parteien eingebracht sind oder vorbereitet werden, sollen unbeantwortet und unbesprochen bleiben. lleber Thema darf nicht geredet werden."
diese Schnürstiefel anlegt, sondern sozusagen eine parlamenEs ist keine faiserliche Regierung, die dem Reichstog. tarische. Die Regierung Mary Reudell tann nur so lange im Amte bleiben, als ihr der Reichstag nicht sein Bertrauen entzieht, und sie kann natürlich erst recht nicht dem Reichstag Borschriften für seine Arbeitsweise machen, menn er nicht bereit ist, sie anzunehmen. Soweit wäre also alles in Ordnung. Die Mehrheit hat das formale Recht, die Ber handlungen des Parlaments zu drosseln, sie verstößt aber, indem sie das tut, gegen den Geist des parlamen tarijchen Syftems. Das ist nicht verwunderlich bei einer Mehrheit, in der die Gegner der geltenden Verfassung. die Deutichnationalen, maßgebend find. Die Opposition ober hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht. den Charafter einer parlamentarischen Regierung ins rechte Licht z ftellen, die an hochgradiger Parlamentsfcheu leidet und fich von der Verantwortung vor der Deffentlichkeit drückt.
Die sozialdemokratische Reichstagsfraf tion hat eine Interpellation eingebracht, die das Wirken ber Bürgerblock regierung nach einer für die Arbeitermassen befonders wichtigen Seite hin, nach der wirtschaftspolitischen, hell beleuchtet. Sie wünscht eine Besprechung ihrer vositiven Borschläge, die nach ihrer leberzeuguna geeignet sind, die drohende Gefahr eines Konjunkturumschwungs zu bannen und das arbeitende Bolk vor neuer Bedrängnis zu schüßen. Sie wird sich in ihrer Dienstagiizung mit der allgemein= politischen Haltung der Bürgerblockregierung beschäftigen und fich über ihr weiteres Vorgehen schlüssig machen. Die Mehrheit kann, wenn sie will, fozialdemokratische Interpellationen und Anträge, wie z. B. den über die Senfung der Lohnsteuer von sich wegstoßen und ihre Beratung wochen-, monatelang verschleppen. Aber sie darf sich nicht wundern, wenn die sozialdemokratische Opposition gegen ein solches Verhalten vor der letzten Instanz unserer Verfassung vor dem Volke, Anklage erhebt. Mehrheit und Regierung werden daher gut tun, sich noch einmal gründlich zu überlegen, ob es ihren eigenen Interessen dient, wenn sie sich einer notwendig gewordenen, durch den Gang der Entwicklung gebotenen Auseinandersetzung durch eine Flucht in neue Ferien entziehen.
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Die Bürgerblockfregierung kann nun in dieser Woche ihre große Scherbenfiste in den Reichstag tragen. Weder über die Besoldungsvorlage noch über die Schulvorlage hat sie ein Einverständnis mit dem Reichsrat zu erzielen vermocht. In dem ersten Fall muß sie mit einer Doppelvorlage fommen, in dem zweiten ist sie dieser Mühe enthoben, meil bekanntlich im Reichsrat alles abgelehnt worden ist. Dieses an sich nicht beneidenswerte Schicksal trägt sie, äußerlich wenigstens, mit heiterer Fassung, und insbesondere im Fall der Schulvorlage geberdet sie sich ganz wie der Hans im Glück, der sich freut, daß er nun endlich auch seinen Feldstein losgeworden ist.
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Es ist ergöglich, zu beobachten, welche Sprünge die Rechtspresse vollbringt, um ihren Lefern zu beweisen. daß nicht die Reichsregierung, sondern die preußische Regierung im Reichsrat eine Niederlage erlitten habe. Die preußischen Anträge abgelehnt!" las man da in dicen lleber schriften. Mit Berlaub, die preußischen Anträge sind nicht abgelehnt, sondern angenommen worden. Wenn dann- teils trotzdem, teils dieserhalb die ganze abgeänderte Vorlage fiel, so wurde durch diese Ablehnung nicht die Preußenregierung betroffen, denn die Vorlage stammte nicht pon ihr, sondern DON Keudell. Wenn der Reichsrat das Ding besah, es zu reparieren ver= fuchte und dann doch als irreparabel in die Ecke warf, fo hat er damit dem Urheber des Entwurfs selbst das verdiente Zeugnis ausgestellt. Er hätte ja, wenn er anders gemollt hätte, die Regierungsvorlage unverändert annehmen fönnen.
Ueber feine Niederlage im Reichsrot. foll nun Herr n. Reubell Troft in Tränen gefunden haben: man schreibt ihm