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Nr. 492 44.Jahrgang

ni 1. Beilage des Vorwärts

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Das billige Kleidchen.

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Dienstag, 18. Oktober 1927

Der Großen Konfektion" haben dem Umstand Rechnung getragen und, um vielleicht das Risiko der täglich sich ablöjenden Neuheitenjago zu vermindern, haben einige schon ihren Wirkereien Konfektions­schneidereien angegliedert, in denen sie nicht nur wie bisher Damen­wäsche, sondern auch Damenoberkleidung, wie Jumpers, Blusen und Kleider und dergl. selbst herstellen. Auf Spindelmaschinen mird das Rohprodukt, das wie seidige weiße Walle in Zöpfen auf­gereiht ist. aufgefpult. Die Spulen mit den verschiedenen Farb­fäden oder Stoffmaterialien gelangen auf Rundwirkmaschinen, die den Arbeitsprozeß ungemein vereinfachen, läßt sich doch die Be­dienung von fünf bis sechs Maschinen durch eine Person bewert­stelligen. Das Gewebe guter Qualität benügt zwei Faden, wobei der eine etwaige Knoten und Enden des anderen überwirkt, jo daß ein Reißen oder Verändern des Stoffes gar nicht möglich ist. In eigenen Ateliers wird an lebenden Modellen von ersten Künstlern auf ihrem Gebiete der Modetyp geschaffen, er wird aus größeren Borlagen und Entwürfen dem Modegeschmack angepaẞt. Es wird auch gerechnet und mit der Schere kalkuliert, d. h. es wird an weniger sichtbarer Stelle eine Falte oder Bejaz meniger ange­bracht und an sichtbarer Stelle ein Tupfen mehr, der die Wirkung

In der Werkstatt der Schneiderinnen.

roben bis zu 90 Prozent aus Kunstseide bestehen. Denn genau so wie Seide befißt sie das Weiche und Anschmiegfame, das Griffige" im Stoff, das die fchlante" Linie der heutigen Mode besonders bei gewirkten Stoffen betont. Es wird ihr nachgerühmt, daß die Farben, die sie annimmt, leuchtender und freudiger heraus­tommen ais wie bei anderen Stoffen, z. B. naturseidenen.

Die Kunstseide als ein Spätgeborenes der Damenmode tritt| es ist ein offenes Geheimnis, daß die eleganten seidenen Gesellschafts­ams heute als erwachsen, start und eigenwillig entgegen und will in der Schar ihrer älteren schönen Geschwister gewiß nicht auf dem legten Platz stehen. Niemand sieht dem hübschen Geschöpf, das pon vielen Liebhabern umschwärmt wird, die micerigen Kinderjahre mehr an. Sie hat von ihren Erzeugern, der tech­nischen und chemischen Industrie, zu viel gesunde Anlagen, zu viel praktische Gegenwartswerte und zuletzt eine ziemlich reiche Mitgift itbekommen, was sie in den Stand seht, sich für die etwas stief an ütterliche Behandlung während ihrer Kinderjahre zu rächen. Die Kunstscide war bereits ein sehr fräftiges Kind, als sie geboren murde, und für technische Textilien wurde sie sofort gebraucht, ober ihre rechte, Mutter, die Mode, genierte sich doch, den seltsamen Sproß, dessen Stoff aus dem Holz der deutschen Wälder gewonnen ird, als ihr Kind anzuerkennen, was bei der foketten Dame nicht 28under nehmen kann. Dafür becilt sich, seit man die Vorteile der unftseide erfonnt hat, alles, ihr seine Reverenz zu machen, ganz Iefenders ist sie auf dem besten Wege, der älteren Schwester, der echten Seide, den Rang abzulaufen.

Schönheit und Billigkeit.

Doch loffen wir die elmas dunklen Familienverhältnisse im Hause her Mode beiseite und sehen lieber, wie sich die Kunstjeide ais rcue Modeschöpfung präsentiert. Sie tritt uns hier als vollständig fbständiges und ausgereiftes Produft entgegen, dem wesentliche erbesserungen faum mehr zugefügt werden fönnen, das aber durch die Beränderung feiner Berarbeitungsmöglichfeiten zu jöglid; neuen lleberraschungen führt. Als Ersatz für die feure Moturseide ursprünglich gedacht, mit ihr vermandt im chemischen Er­augungsvorgang, von ähnlichem Aussehen und ebensolchem Glanz, i bertrifft sie die Seide doch oftmals an Schönheit und immer an Billigkeit. Von Billigkeit fann man ja bei Naturseide nicht sprechen, doch die Kunstseide verschenkt sich gleichsam an alle Menschen, die Kleidung tragen. Sie ist das Material, das das Jultivierte Schönheitsverlangen breiter Massen befriedigt. Ihr aden läßt sich mehr noch wie der der Seide zu den mannigfachsten Geweben verspinnen, zu Trit otstoffen ebenso wie zu glatten rder in Mustern gewirkten, sie läßt sich mit Wolle und anderen Materialien zusammen verweben, wobei die anderen Stoffarten meist auch an saltbarkeit und Billigkeit gewinnen. Ja,

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Zement. Zement.

Roman von Fjeder Gladkow.

Bitte jammern Sie nicht, Genoffin!. Zeigen Sie, mas Sie fönnen, aber jammern Sie nicht. Jammern ist nicht das Wesentliche...."

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Die Industrie wollte ihr längst schon einen anderen Namen geben. man nannte sie, Siva" seide und anders, doch allen Behelfen zum Trozz bewährt sich der Name Kunstscide", mit dem sie an­Spruchslos und doch das Richtige treffend vor den Käufer tritt, der von ihrer Brauchbarkeit fest überzeugt ist. Wenn es auch Jahre bedurfte, ehe das Vorurteil gegen den Stoff Kunstseide schwand. Es war größtenteils ein Berschuiden des tonfurrierenden Marktes, der das billige neue Produkt schlecht verarbeitete. Die Kunstscide wäre beinahe an Unterernährung, d. h. an einem zu dünnen Faden und zu lojem Gewebe gestorben. Das in der Stofffunde bereits geschulte Publikum mußte langsam mieder an beffere Qualitäten gewöhnt werden, an die Feinheit und Dichtigkeit des Gewebes. Die deutschen Webstoffabriken liefern heute durchweg nur noch gute Qualitäten: es lohnt sich nicht mehr, bei dem billigen Robproduft zu schleudern und das Publikum weiß Bescheid! Berbesserungen im Web- und Wirkverfahren, die Technik mit ihren Farben und Mustern, erschließen täglich der Kunstseide neue Berwendungsmöglichkeiten. England verarbeitet bereits Kunstjeideneffefte in feine berühmten Herrenstofje hinein, besonders in den modernen Stoijen. In Amerika wird die Untermäsche der Herren auch aus Kunstseide hergestellt, weil sie die angenehme Eigenschaft befißt, im Sommer nicht wie die Seide zu bigen. In Deutschland haben diesen Borteil bisher nur die Damen crfannt. Sie schmelgen dafür um so mehr in seidenen Dessous, jeidenen Strümpfen, Süten und seidenen Oberfleidern, alles auf dem Baum der Kunstjeide" gewachsen, mas mörtlich angewendet werden kann. So trifft es vollständig zu, was in einer neuen Moderenue doppelsinnig gefungen wird: Mit Kunstseide hat bei uns schon mancher Seide gesponnen!"

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Der große Siegeszug.

Die Voraussetzung für die Lebensfähigkeit dieser großen Industrie, die Taufende voy Menschen in ihren Dienst spannt, ist natürlicherweise das Eindringen der Ware in die Masse der Käufer, wozu sie wegen ihrer Billigkeit auch berufen ist. Die Fabrikanten

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An der Wirkmaschine.

erhöht. Zuleht ist das billige Modefleid" ferlig, das seinen Siegeszug durch die Konfektions: und Warenhäuser antreten fann. Borläufig jedoch erst als Musterfleid, das in großen Schneider­stuben, in denen junge geschickte Hände on cleftrisch betriebenen Nähmaschinen arbeiten, gefertigt wird. Je nach Wahl machi ein Kunde nun aus den Mustervorlagen Bestellungen bis zu 500 Stüd; man fann darous ermeffen, mie dieser Massen= tonsum der Kunstscidenkleider den ganzen Markt beherrscht.

Bedeutet dieser Zuschnitt auf die große Masse auch im gemissen Sinne eine Uniformierung der Frauentieidung, so tritt diase doch kaum in Erscheinung, denn die zahlreichen Barietäten schaffen. genug Abwechslung, so daß auch verwöhnteste persön= Nur in den liche Geschmack befriedigt werden kann.

... Sie sind eine seltene Frau, rücksichtsvoll und feinfühlig.| pischen Ringen zum Festmachen der Ozeandampfer und der Unter ihrer Leitung wird alles gut, alles vorzüglich sein." im Schutthaufen der zerbrochenen Waggons flingende Glanz llnd als Dafcha fertging, umarmte sie wieder Njurka, der Schienenstränge schnitt die Bucht in steinerne Quadrate liebtofte sie, und wieder flebten die Kinder, mit ihren Bogel entzwei. Und in der Ferne, im Dunste des Frühlingsnebels ftimmchen zwitschernd, an ihr. spielt der Hafen mit regenbogenfarbenen Schleiern, und meiße Segelboote der Fischer blizen wie Möwen auf. Delphine schimmern mit ihren Stierrüden und die Meer­äsche glänzt wie Silber in der Sonne.

Und wieder sah Njurka Gljeb nachdenklich an. ,, Willst du nach Hause, Njurotschta. Wirst dort spielen, wie früher.... Und Vater und Mutter

Wo ist zu Hause? Mein Bettchen ist hier. Wir haben

Gewiß, gewiß, Genoffin Tschumalowa! Es ist jetzt gerade Milch getrunken und werden marschieren, mit so gut, so angenehm, mit Ihnen zusammen zu arbeiten. Mufil." Gljeb knirschte mit den Zähnen. Dascha ging in alle Eden, sah überall hinein, wurde ungeduldig. ging in die Zimmer des Personals.

,, Ach s0000!.. Warum sind die Stühle, Fauteuils, Gofas in diesen Kammern? Ach, und hier sind auch Blu men, Bilder, Statuen... und so weiter. Ich habe doch gefagt: man darf den Kindern nichts wegnehmen. Das ist unerhört!! Glauben Sie, es wäre den Kindern nangenehm, fich auch manchmal auf Sofas oder Teppichen herumzumälzen? Und Bilder haben sie auch ganz gern. So etwas darf nicht vorkommen!

,, Ja, wissen Sie, Genossin Tschumalowa, gewiß, Sie haben recht... aber die pädagogische Praris aber die pädagogische Praris... die Ideologie.... Das ist schädlich. .. das züchtet nur Faul­heit... Staub und Ansteckungsgefahr... In den Augen der Verwalterin zitterten dünne Nadeln, und Dascha sprach, ohne sie anzusehen, mit derselben harten Stimme, und auf ihren Backenknochen brannten rote Flede.

Ich spude auf eure Bragis! Unsere Kinder haben bis jezt wie die Schweine in Höhlen gelebt. Gebt ihnen nur Bilder und Licht und weiche Möbel. Alles muß man ihnen geben, alles, was wir nur fönnen. Den Klub schön einrichten, schmücken... Sie sollen effen, spielen und fich viel mit der Natur beschäftigen.... Für uns nichts, für sie elles Und wenn wir uns in Stücke schneiden müßten, sterben müßten, aber ihnen müssen wir alles geben. Und damit das Personal nicht faul ist, müßte man es in schäbige Löcher pferchen.... Streuen Sie mir nicht Gand in die Augen, Genoffin: ich perstehe auch manches andere ... außer ihrer Braris.

Und die flinke, bunte Maus glänzte mit ihren goldenen Zähnen und lachte entzüd( und in ihren Augen spielten scharfe Nadeln.)

Und zum ersten Male umarmte sie Gljeb schüchtern und meich und in ihren Aeugelein( Mutters Augen) glimmten Funken einer unbeantworteten Frage.

Und vom Heim bis zur Landstraße schwieg Dascha, und in ihrem Gesichte spiegelte sich die noch nicht erfaltete 3ärt lichkeit. Auf der Straße jagte fie, es tlang aber so, als ob fie zu fich felber, nicht zu Gljeb sprach:

bearbeiten.

Die Frauengruppe hat viel zu arbeiten. Nicht Kinder zu bearbeiten.. ach, wir müssen diese verfluchten Weiber Menn wir nicht Augen und Hände hätten, mürden sie alles, bis zur legten Krume, ausplündern... . überall find Selber sind sie... mie Knechte!... Ach!... überall sind Feinde, ach, wieviel Feinde!... Die mit den Goldzähnen, die müssen schon so sein... aber unfere... unsere. Gljeb, wie Knechte!... Was denkst du über eine Requisition, Gljeb?"

Das Parteifomitee.

1. Genosse Schut, der alles aufdeckt. Der Palast der Arbeit stand als zweistöckige Ziegel­faserne an dem fer neben den schwarzen Pfählen, die längs der Bucht lieben. Eine Betonmauer 30g fich wie ein ge­wundenes Band von beiden Seiten der Fassade und schnitt das Ufer vom Eisenbahngelände ab. Durch die Löcher und Risse der Mauer sah man, wie die eisernen Sehnen der rostigen und abgefahrenen Schienen sich wie Saiten weiter zogen, fich ineinanderflochten und verzweigten. Mehl­magazine breiteten sich schwer und wuchtig bis zum Bahn­hofe aus, und in der Ferne, von den Abhängen des Vor­gebirges, schauten streng die alten Türme und die mit Moos bewachsenen Spigen des Elevators herunter, und dieser, feurig und glühend, schien unter den Bergen selber ein Berg, ein unzugänglicher Tempel.

Auf dem Pflaster, die Mauer entlang, dröhnten die Nun, wer zweifelt denn daran, Genossin Tschumalowa?| Wagen, und die grauen Massen der Häfen mit den zyklo­

Trauernde Landungsbrücken, hungriges Meer. .. In welchen Gewässern und Ländern irren die ver­schleppten Schiffe herum?

Neben dem Palast der Arbeit, vor dem Portal mit der hohen Pyramide der Stufen, ist ein Blumengarten mit Kastanien. Aber es gibt keine Blumen mehr, die Kastanien sind verkrüppelt, und der Zaun ist auseinandergerissen zum Heizen.

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Statt Zierblumen Sonnenblumen, und die Schatten der Bäume sehen wie braune gefnickte Pilze aus. Aber man sicht deutlich, wie hoch über dem Dache, auf den roten Schmin­gen der Fahne fich wie weiße Kamillenblüten die Zeichen RSFSR " anzünden und wieder verlöschen.

Kreuzartig schneiden sich zwei Korridore: einer führt geradeaus in den Sizungssaal( rote Fahnen bluten durch die offenen Türen), der andere mündet rechts und links in zwei dunklen Löchern. Rechts ist das Parteitomitee links der Facharbeiterrat.

Bon dem überhigten Dunst war die tabakdurchtränkte Luft schwer und schmutzig. Und die Wände sind schmukig, mit Spülmaffer besprigt, fledig, die Stuffatur aufgeriffen. Plakate, Menschen in schwarzem und gelbem Leder gekleidet, mit Attentaschen, und Menschen... einfach Menschen, zer­fegt, in Bauernstiefeln oder barfuß( der März lief gerade die Berge hinunter, aber es war warm). In der Ferne und in der Nähe, in den Korridoren, in den Zimmern singende Stimmen, Stiefelgetrampel, Klatschen von nadten Füßen und das Knaden der Gewehrverschlüsse in der Abteilung der Tscheka .

Gljeb ging durch den Korridor nach rechts. Vor der Glastür des Barteikomitees standen zwei Männer. Beide schnitten sich deutlich mit ihren flachen Profilen in die matten Vierede der Scheiben hinein. Eines war fahl mit türkischer Nase. Die Oberlippe furz, der Mund in einem Lächeln halb geöffnet. Das andere stumpfnafig, mit niedriger Stirn, die in der Mitte scharf geteilt war, und dickem Kinn, das wie eine Faust herausstach.

( Fortsetzung folgt.)