Abendausgabe
Nr. 497 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 246
= Vorwärts
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Berliner Volksblatt
10 Pfennig
Donnerstag
20. Oktober 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Beginn der Verhandlungen.
Glänzender Fortgang des Streiks im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau. Heute vormittag 11 Uhr begannen im Reichsarbeits-| wahr sei, trifft nicht zu. Wie uns von der Zentralftreifleitung minifterium unter Borsiz des Schlichters Professor Brahn erklärt wird, haben bis gestern auf der Grube Alwine Rote die Verhandlungen zur Beilegung des mitteldeutschen Berg- Fronttämpfer und kommunisten als Streit. arbeiterstreiks. Die Unternehmer hatten zu den Berhand- brecher gearbeitet. Gestern war der kommunistische Landlingen aus allen bestreiften Revieren ihre Vertreter nach tagsabgeordnete Cademann dort und hat sich von dieser Tatsache Berlin beordert. Von den Brominenten der Zechenbefizer felbft überzeugt. waren u. a. erschienen: Generaldirektor Bühren von der Bubiag, der zugleich Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes ift, ferner Generaldirektor Ptatschet, der deutschnationale Reichstagsabgeordnete und Bergwerksdirettor Rade macher als Vertreter des Bornaer Gebietes, ein Bertreter der Ilse- 2.- G. Die Verhandlungskommission der Bergarbeiter besteht aus dem Vorsitzenden des Bergarbeiterverbandes Husemann, dem Vorstandsmitglied Schmidt Bochum, den Bezirksleitern Red digau- Halle, Briewig Senftenberg, Weidert Zeit und Bertretern der anderen Tariforganisationen. Die Bertreter der Bergarbeiter schilderten dem Schlichter Der Regierungspräsident für Halle- Merseburg hat gestern das noch einmal eingehend den Werdegang des Konfliktes sowie die augenblickliche Streiflage and betonten mit allem Nach- Geiseltal, aus dem viele Klagen der Unternehmer über Streit brud, daß eine Beilegung des Konfliktes nur durch die terror kamen, abgefahren und festgestellt, daß nicht der mindeste restlose Erfüllung der aufgestellten und sehr mini- nlaß vorliegt, polizeilich einzuschreiten. Diese Erklärung hat der Regierungspräsident ausdrücklich den Gewerkmalen Forderungen möglich sei. fchaftsvertretern gegenüber abgegeben. Alle Nachrichten, die bei der Zentralftreifleitung einlaufen, lauten übereinstimmend dahin, daß die Streillage eine ausgezeichnete und durchweg ruhige ift. Mustergültiges Verhalten der Streikenden.
Die Unternehmer zeigten sich zu feinem Entgegenfommen bereit und begründeten ihre ablehnende Stel lungnahme mit der Ablehnung der von ihnen beantragten Rohlenpreiserhöhung durch das Reichswirtschaftsministerium. Auf Borschlag des Schlichters wurde schließlich, gegen 13 Uhr ein Ausschuß gebildet, der aus je sechs Arbeiter und Unternehmervertretern besteht und der die Berhandlungen im stetigen Kontakt mit den Parteien führen foll. Nach dem jezigen Stand der Berhandlungen zu urteilen. dürften sie sich bis in die späten Abendstunden hinziehen. Es hat nicht den Anschein, als ob in direkten Verhandlungen mit den Unternehmern eine Einigung erzielt werden kann.
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Halle, 20. Oftober.( Eigenbericht.)
Deftlich wie westlich der Elbe befinden sich heute rund 95 Prozent der Bergarbeiter des mitfeldeutschen Braunfohlengebiets im Streif. Auf der Grube Alwine, wo gestern
noch gearbeitet wurde, ruht heute die Arbeit vollständig.
Die Behauptung der Roten Fahne", daß ihr von der Streifleitung der Grube Aiwine eine Erklärung zugegangen fei, wonach die Mitteilung des„ Vorwärts", daß auf der Grube Alwine Kommunisien und Rote Fronttämpfer Streifbrecherarbeit verrichten, un
Der rationierte Reichstag. Reichstagsschluß am Sonnabend.- Die Sozialdemokratie protestiert.
gungsgesez.
Der Aeltestenrat des Reichstags hat heute den Arbeitsplan für den Rest dieser Woche festgelegt. Danach soll am heutigen Donnerstag die erste Lesung des Schulgesetzes beendet werden. Für Freitag ist die erste Beratung des Besoldungsgesetzes in Aussicht genommen, für Sonnabend die Beratung über die Erhöhung der Kriegsbeschädigtenbezüge. Außerdem sollen noch einige kleinere Borlagen auf die Tagesordnung fommen, die ohne Aussprache den Ausschüssen überwiesen werden können, darunter auch des von den Demokraten beantragte RentnerverforFür Sonnabend ist ferner die Besprechung der Interpellation und Anträge zum Bergarbeiterstreik in Aussicht genommen. Die Erledigung der sozialdemokratischen Interpellation zur Wirfschaftslage wurde vom Helteffenrat abgelehnt, weil sie bei der Fülle des übrigen Stoffs nicht mehr in dieser Woche behandelt werden könnte und der Weltestenrat daran festhält, am Sonnabend eine Pause in den Verhandlungen des Reichstags eintreten zu lassen. Die Sozialdemokratie wird sich jedoch damit nicht zufrieden geben, sondern im Plenum noch einmal die Be ratung ihrer Interpellation beantragen.
Der frühere Ministerpräsident Dr. von nilling ist heute vormittag 9 Uhr in der Klinik von Dr. Lindl an den Folgen einer Herzlähmung gestorben. Dr. v. Knilling mußte fich einer Darmoperation unterziehen, die einen günftigen Verlauf genommen hatte.
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Der frühere bayerische Ministerpräsident v Knilling ist eines unerwarteten Todes gestorben. Seine Persönlichkeit stand gerade in den letzten Wochen im Vordergrunde politischer Diskussionen. Der zur Aufklärung der bayerischen Staats- und Rechtsverhältnisse im Jahre 1923 im Bayerischen Landtag eingesetzte Untersuchungsaus schuß war berufen, auch die Rolle endgültig zu flären, die Herr v. Knilling in der bayerischen Epoche der Befreiung der beutschen Seele" gespielt hatte.
Der Berstorbene galt in den Anfängen seiner Beamtenlaufbahn
Tschechische Gemeindewahlen.
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Der Ruck nach links.
W. N. Prag , 18. Oktober. Am vergangenen Sonntag haben in der tschechoslowakischen Republik die Gemeindewahlen stattgefunden, denen diesmal ein politischer Charakter zukommt und die für die innerpolitischen Verhältnisse nicht ohne Wirkung bleiben werden. Die Wahlen waren leider feine wirklich allgemeinen. denn von 15 652 Gemeinden wählten nur 6853. In etwa 5000 Gemeinden, durchwegs ganz fleine, entfiel die Wahl, Die Behauptungen der Unternehmer, die in der bürgerlichen weil dort die Einigung auf eine sogenannte„ Einheitslifte" Presse verbreitet werden, wonach von den Streifenden Terror. erfolgte, die aber zu Unrecht diesen Namen trägt, da vielfach atte ausgeübt würden, find erlogen. Sie sind auch so gehalten, auf ihr verschiedene Parteien vertreten waren. Der Rest der daß eine Nachprüfung gar nicht möglich ist. Angeblich foll u. a. im Gemeinden, nahezu 4000, darunter zwei Landeshauptstädte Senftenberger Revier vor einer Bubiag- Grube", die aber nicht geund in Mähren alle Städte mit eigenem Statut, wird erit nannt wird, eine Truppe von 700 Roten Frontkämpfern,„ feldmarsch Regierung, die mit Recht ein deutliches und einheitliches zu einem späteren Termin wählen, nicht ohne Absicht der mäßig ausgerüftet", lagern und die Bevölkerung in Angst und Botum der Bevölkerung fürchtete. Die deutschen und tschechiSchrecken versehen. In Senftenberg felbft weiß weder die Streit- schen Sozialdemokraten gaben die Lojung aus, daß den leitung noch sonst eine verantwortliche Behörde etwas von dieser Wahlen eine gesamtpolitische Bedeutung zufomme und trotz jagenhaften Roten Armee. Die anderen Behauptungen der Zechen- der Bemühungen der Regierungsparteien, den Gemeindebefizer sind noch unbestimmter gehalten. wahlen nur einen örtlichen und fommunalpolitischen Charakter zuzumessen, drehte sich der Wahlkampf um die Frage: für oder wider die tschechisch- deutsche Bürgerblod Regierung. Es waren die ersten Wahlen seit Bildung dieser Regierung, deren Tätigkeit den stärksten antisozialen Charakter trägt, die aber auch alles dazu getan hat, um die zu Frieden und Bölkerverständigung führenden Wege zu verschütten und besonders die deutschbürgerlichen Regierungsteilnehmer fuchten mit allen Mitteln eine Verschleierung des Willens der Bevölkerung herbeizuführen. Die Regierung leistete ihnen dabei willige Hilfe. Bis zum letzten Augenblid vor der Wahlausschreibung verheimlichte sie den Wahltermin, so daß knapp drei Wochen für die Wahlbemesozialistischen Zeitungen und Flugblätter los, die mehrfach gung übrig blieben, fie ließ ihre Staatsanwälte auf die beschlagnahmt wurden, fie ließ aber auch von zehn Plakaten, auf denen die Tätigkeit des Bürgerblocks bildlich dargestellt wurde, neun zur Plakatierung nicht zu. Aber vergeblich waren alle Verhüllungsversuche, vergeblich die Parteinahme der Behörden: das Bürgertum, insbesondere die Regierungsparteien, haben eine Niederlage erlitten, die deutschen und tschechischen schönen. Erfolg zu verzeichnen. Es ist dies feit Sozialdemokraten dagegen haben einen acht Jahren der erste große sichtbare Erfolg, der beweist, daß die Sozialdemokratie in diesem Staate, in dem der nationale Streit sich bis in die Reihen der Beamtenschaft fortpflanzte und deutsche und tschechische Sozialdemokraten voneinander fernhielt, in dem aber auch durch die unglückselige Politik der früheren alltschechischen Regierung und durch die langandauernde Wirtschaftskrise die Kommunistische Partei verhältnismäßig stärker als in allen Ländern vormuchern tonnte, wieder eine Macht zu werden beginnt. Nach Jahren des Stillstandes und scheinbarer Hoffnungslosigkeit haben die Gemeindewahlen unserer Partei einen prächtigen Fortschritt gebracht.
Halle, 20. Oftober.( WTB.)
als zur Feststellung der polizeilichen Sicherheitsverhältnisse besich Der Regierungspräsident hat heute früh die Gruben des Geiseltigt. Das Berhalten der Streifenden ist geradezu muffergültig. Auch von den Bergwertsdirettoren wurde dieses Urteil für den heutigen Tag bestätigt. Der Schichtwechsel vollzog sich mit der denkbar größten Ruhe und Ordnung.
Leipzig , 20. Oktober. ( WIB.) Die Lage im Streifgebiet der Amtshauptmannschaften in Borna , Leipzig und Grimma hat sich bis heute fast nicht rerändert. Es herrscht überall nach völlige Ruhe, wie audy Ausschrei tungen weiterhin nicht vorgekommen find. Die heute beginnenden Verhandlungen im Reichsarbeitsministerium in Berlin haben eine sichtliche Entspannung der Lage gebracht, da allerfeits die Hoffnung besteht, daß dieselben zu einem baldigen
und guten Abschluß der Bewegung führen.
als liberal orientiert. Als letzter bayerischer Kultusminister des Rönigreichs hatte er fich wiederholt weitgehenden Machtansprüchen des Kleritalismus gegenüber seinem Ressort entgegengestellt. Mit der parlamentarischen Machtstellung der Bayerischen Volkspartei nach der Staatsumwälzung wandelte sich sein politischer Sinn mehr und mehr in der Richtung der Grundfäße der Bayerischen Voltspartei, ohne allerdings in seinem zunehmenden extrem nationaliftischen Gebaren immer die Zustimmung seiner politischen Freunde zu finden Als verantwortlicher Staatsmann hat wohl noch niemals ein deutscher Minister einen so fläglichen Zusammenbruch nach jeder Richtung hin erlebt, wie Herr v. Knilling. Mangelnde Charakterstärke und politische Einsichtslosigkeit vereinigten sich bei vollkommenster Mißachtung von Recht und Verfassung Bayern an ihm im seltenen Maße. Er ist der Hauptschuldige, daß unter den Rand des Abgrundes geführt und dem allgemeinen Gespött der deutschen und internationalen Welt preisgegeben wurde. Je mehr die Geschichte in Kritik und Aufklärung fortschreitet, um so härter wird das Urteil über jene Episode des bayerischen Landes werden, in der Herr v. Knilling der verantwortliche Ministerpräsident Bayerns mar. Die im Vorwärts" bereits wiedergegebene Aussage Dr. Schweyers, der Innenminister im Kabinett Knilling war, vor dem Untersuchungsausschuß des Bayerischen Landtages zeigt, wie berechtigt eine vernichtende Kritik an dem staatspolitischen Wirken Knilings ist. Daß er aus dem Bürgerbräusaale dere Münchener Weltrevolution als Gefangener Ludendorffs und Hir. Iers und deren Horden herausgeführt wurde, wird für immer das Symbol seiner Ministerpräsidentschaft bleiben.
Für die bayerischen Verhältnisse war es selbstverständlich, 13 er nach seiner schweren Schuld an dem bayerischen Zusammenaruh zum Präsidenten der bayerischen Staatsschuldenverwaltungannt
wurde.
Als erfreuliche Tatsache des Wahlergebnisses ist beson= ders die eklatante Niederlage der deutsch= christ= lich sozialen Partei zu buchen, die völlig unter das Rommando der Bischöfe geraten ist und im letzten Jahre in dem österreichischen Prälaten Seipel ihr großes Vorbild erblickte. Diese Partei zählte in ihren Reihen zahlreiche katho= lische Arbeiter, die, auf religiöse Schlagwörter gedrillt, ein, stellten. Was die deutschen Christlichsozialen aber, die in den wie es schien, unbedingt verläßliches Wählermaterial dar= ersten Jahren nach dem Kriege sich eine soziale und demo= fratische Maste vorhingen, durch ihre Zustimmung zu den Agrarzöllen, zur Erhöhung der Kongruagebühren( Gehalte der Geistlichen), zum Gemeindefinanzgefeß, das den Gemeinden alle Mittel zur Erfüllung ihrer sozialen und humanitären Aufgaben raubt, zum Dreimilliarden- Rüstungsfonds und schließlich, aber nicht zuletzt, zur Verwaltungsreform, welche die Arbeiter politisch zu verfklaven, die Deutschen national zu entrechten bestimmt ist, was also diese Partei an der deutschen arbeitenden Bevölkerung und an der deutschen Bevölkerung des Staates überhaupt verbrochen hat, das war sogar den fatholischen Arbeitern zuviel und sie stimmten bei den Gemeindewahlen in hellen Scharen gegen fie. In der Stadt Tepliß beispielsweise verlor die christlichsoziale Partei allein über 1300 Stimmen, in dem Gebiete der Städte 3wittau und Trübau, wo die Christlichsozialen ihre Gemertschaftssekretariate fonzentriert haben und das als uneinnehm bare Hochburg des Klerikalismus galt, erlitten fie beträchtliche Einbußen, besonders aber im Faltenauer Bezirk, wo fic rund 60 Proz. ihrer früheren Stimmenzahl einbüßten. Nicht nalsozialisten, die mit großen Hoffnungen in den Wahlkampf zogen und eine Wahlschlappe der Sozialdemofraten prophezeiten, zu beflagen. Nur in ganz wenigen Gemeinden haben sie etwas an Stimmen gewonnen, in der großen Mehrzahl Stimmen und Mandate verloren. Soweit fich das Schlachtfeld bis jetzt überblicken läßt, macht sich auch bei den kommunisten, trop vereinzelter Wahlerfolge, in der Gesamtheit ein Abbrödelungsprozeß bemertbar. Im tschechischen Lager sind die Hauptleidtragenden die tschechischen Nationaldemokraten, das ist die Partei des Herrn Dr. Kramarich, die chauvinistischste
Das Parlament heimgeschickt. Der Etat tritt ohne unbedeutende Verluste haben auch die deutschen Natio
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Genehmigung in Kraft.
Der polnische Staatspräsident hat die außerordentlichen Sessionen des Sejm und Senats mit dem heutigen Tage geschlossen. Der Sejm war nur einen einzigen Tag zu Beginn der ganzen außerordentlichen Session versammelt, der Senat ist überhaupt nicht zusammengetreten. Mit dem willkürlichen Sessionsschluß erhält der Entwurf des Budgets Gesezestraft, ohne parlamentarisch verabschiedet worden zu sein.