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Abendausgabe

Nr. 501 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 248

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10 Pfennig

Sonnabend

22. Oktober 1927

Vorwärts=

Berliner   Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

Der Reichstag   will Ferien.

Die sozialdemokratische Streifinterpellation abgesett.

Kleine Vorlagen.

Die Unternehmer lehnen ab!

Vor dem Zusammentritt des Plenums war heute der Gewerkschaften schlagen Annahme des Schiedsspruchs vor.- Die Lohnerhöhung

Aeltestenrat des Reichstags beisammen, um sich mit der Ge­schäftslage des Hauses zu beschäftigen. Er wird dem Plenum vor­schlagen, sich heute bis zum 22. November zu vertagen. Bis dahin sollen die Ausschüsse Zeit zur Vorberatung der inzwischen in erster Lesung erledigten Gefeßentwürfe tagen, also der Schulvorlage, der Beamtenbesoldungsordnung und die Novelle zum Versorgungsgeseß. Die Tagesordnung der Gigung am 22. November soll dem Präfi denten überlaffen bleiben. Es soll dann bis zum 20. Dezember ohne Unterbrechung durchgetagt werden, in dieser Zeit soll auch die erste

Lesung des Etats erledigt werden.

Die Plenarsizung des Reichstages begann um 12 Uhr. Zuerst wurden ohne Debatte in allen drei Lejungen verabschiedet: ein Gesetz­entwurf über die Mündelsicherheit von Wertpapieren und Forderungen, ein internationales Uebereinkommen über die Krankenversicherung der Arbeitnehmer in Gewerbe und Handel und der Hausgehilfen, sowie über die Krankenversicherung der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft, und schließlich eine von fämtlichen Barteien eingebrachte Novelle zur Abänderung des Ge­seges über die Beschäftigung vor und nach der Nieder funft.

Dann führte das Haus die erste Beratung der Novelle zur Ab­änderung des Reichsversorgungsgejeges zu Ende. Abg. Weber- Düsseldorf  ( Komm.) wünschte eine größere Berüd­fichtigung der Ansprüche der Kriegsbeschädigten bei der Lieferung von Körpererfagstücken, eine Besserung der Heilanstaltspflege und eine wesentlich größere Erhöhung der Grundrenten.

Damit ist die Aussprache beendet. Die Borlage geht an den Ausschuß.

Nunmehr sollen die Interpellationen der Sozial­he motraten und der Kommunisten über den Streif im Braun­fohlenbergbau folgen. Dazu ergreift das Wort

Reichsarbeitsminister Dr. Brauns:

Wie Sie wissen, ist gestern der Schiedsspruch gefällt worden. Wir erwarten in den nächsten Stunden die Mitteilung der beiden Barteien, ob sie den Schiedsspruch annehmen oder nicht. Falls nicht beide Parteien annehmen, merde ich noch heute über die Frage der Berbindlichfeitserflärung entscheiden. Aus der Tat­fach, daß sich beide streitenden Parteien über die Einzelheiten einer eventuellen Wiederaufnahme der Arbeit am Montag freiwillig ge­einigt haben, darf man wohl den Schluß ziehen, daß auf beiden Seiten der Wunsch und die Hoffnung auf Wiederaufnahme der Arbeit am Montag besteht.

Abg. Dr. Scholz( D. Bp.) beantragt Absehung dieses Gegenstandes von der Tagesordnung, da mun feine Erörterung aus allgemeinen Gründen verfehlt sein würde.

Abg. Wels( Soz.):

Der Riesenkampf der Braunkohlenbergarbeiter ist mit solcher Ruhe und solcher Tatfraft ohne irgendwelche Ausschrei­tungen( Dho, rechts) geführt worden, daß er an sich einer Unter stützung durch Reden im Reichstag nicht bedürfe. Aber nichtsdesto­meniger wäre es sehr gut gewesen, wenn die Führer des Berg­arbeiterverbandes, die unserer Fraftion angehören, vor dem ganzen Wolfe dargelegt hätten, welche Gründe diese noch nicht dagewesene Geschlossenheit und diesen vorbildlich geord: neten Kampf der Bergarbeiter hervorgerufen habe. Auch die Ber  Ingenheit eines großen Teiles der bürgerlichen Bresse müßte hier festgestellt werden. Wir stimmen beshalb gegen den An frag Scholz, und werden die Anträge der Kommunisten insoweit unterstüßen, daß wir für ihre Beratung stimmen; unfere Stellung zu diesen Anträgen selbst werden wir in der Debatte zum Ausdruck bringen.( Beifall links.)

Abg. Stöhr( Natfoz.) fpricht gleichfalls gegen den Antrag Scholz. Der Arbeitsminister selbst werde sich doch nicht verhehlen können, daß ein wirklicher Friebe im Braunkohlenbergbau durch diesen Schiedsspruch nicht hergestellt werden könne.

Abg. Koenen( Komm.) protestiert gegen diesen Antrag, der den Reichstag wie Schulbuben behandle. Man müsse vom Wirtschafts­minister hören, ob die Kosten dieses Schandspruchs wirklich der Bevölkerung durch eine Brifettverteuerung aufgelastet werden sollen. Die Regierungsparteien Jeien zu feige, um Stellung zu nehmen. ( Lärm rechts, Glocke des Präsidenten.) Abrechnung mit dem Terror: gefchrei der Unternehmer und mit den Bolizeimaßnahmen der Regie­rungen sei unumgänglich notwendig.

Abg. Gracje Medlenburg( Bölf.) bedauert, daß der Reichstag  nicht die Straft habe, eine Aussprache über diese Angelegenheit zu

ertragen.

Abg. Urbahas( Linfer Romum.) verlangt gleichfalls die Bespre. chung der sozialdemokratischen Interpellation.

Bräsident Löbe teilt munmehr mit, daß die Interpellation ab gefeßt jei, da die Regierung fie heute nicht beantworten wolle und die geschäftsordnungsmäßige Frist noch nicht abgelaufen fei. Auf Antrag des Abg. Scholz( D. Bp.) wird befchloffen, auch die zu dieser Interpellation eingebrachten fommunistischen Anträge von der Tagesordnung abzusetzen. Für die Abfeßung stimmen mit den Re­gierungsparteien auch die Demotraten.

Die meiter auf der Tagesordnung stehende erste Beratung des Handelsabkommens zwischen Deutschland   und Frankreich   wird von der Tagesordnung abgefeßt, da mehrere Fraktionen ihre Beratungen noch nicht abgeschloffen haben.

Es folgt nunmehr die erste Beratung eines Gelegentmuris über die Abrede zwischen der deutschen   Regierung und der Regierungs fommission des Saargebiets über Angelegenheiten der Sozialver fidherung des Saargebieta. Die Sigung dauert an,

beträgt 11 Prozent.

Halle, 22. Oktober.  ( Eigenbericht.)

Heute vormittag 11 Uhr traten zunächst die Organisa­fionsleitungen der Gewerkschaften zu einer internen Beratung zusammen, um zu dem Schiedsspruch Stellung zu nehmen, der gestern abend im Reichsarbeitsministerium für den mitteldeutschen Braunkohlenbergbau gefällt wurde. Die Beratungen zogen fich bis gegen 1 Uhr hin. Es wurde festgestellt, daß die Lohnerhöhung, die infolge des Schieds­spruchs eintritt, zwar hinter der Forderung der Gewerk­schaften erheblich zurückbleibt, aber immerhin insgesamt 11% Pro3. auf die bestehenden Löhne be­trägt. Aus diesem Grunde wurde beschlossen, der Delegierten­konferenz, die um 1 Uhr zusammentritt, die Annahme des Schiedsspruchs zu empfehlen.

ferenz vorgeschlagen, bis zur Entscheidung des Reichsarbeits­ministers über die Verbindlichkeitserklärung in Per­manenz 3u fagen.

Auf Nachverhandlungen, die einer Berbindlichkeits­erklärung vorauszugehen pflegen, haben beide Parteien ver­3ichtet. Lehnt der Reichsarbeitsminister die Berbindlich­keitserklärung ab, dann geht der Streit weiter. Die Entscheidung der Delegiertenkonferenz über Annahme oder Ablehnung des Schiedsspruchs fteht bei Redaktion.  schluß noch aus.

Die Unternehmer lehnen ab!

Halle, 22. Oftober.( WTB.) Mit Rücksicht auf den Beschluß der Unternehmer, den Der Arbeitgeberverband für den Braunkohlenbergbau hat den Schiedsspruch abzulehnen, wird der Delegiertenfon- gestern gefällten Schiedsspruch abgelehnt.

Das Schriftstück Parker Gilberts.

Eine Warnung. Die Regierung verheimlicht das Schriftstück.

-

Die Mitteilungen, die wir heute in unserem Morgenblatt über den Schrift des Reparationsagenten gegen die deutsche Finanz­politit brachten, bestätigen sich. Wie wir hören, handelt es sich dabei nicht um einen formellen Einspruch gegen die Gefehe, die der Rechtsblod jetzt vorgelegt hat. Insbesondere ist es unfinnig, zu behaupten, daß der Reparationsagent die Erhöhung der Beamten­gehälter verbieten wolle. Vielmehr ist die umfangreiche Denkschrift nichts anderes als eine Fortiehung des lehten zwischen berichtes, den Parker Gilbert als Reparationsagent erstattet hat und in dem er bereits auf die Gefahren der deutschen   Finanz­politif in ihrer Rüdwirkung auf die Reparationszahlungen hin­gewiefen hat. In diesem Zusammenhange frififiert er die finanziellen wirkungen der geplanten Gesetze, insbesondere nach der Richtung hin, daß die Länder nunmehr neue Ansprüche an den Reichsfädel stellen. Zu einem Einspruch gegen die Beamtenbesoldung hat der Reparationsagent fein Recht und er maßt sich dieses auch nicht an. Der Reichsfinanzminister hat heute mit dem Reparationsagenten eine Besprechung über die in der Denkschrift angeschnittenen Fragen. Ein Ergebnis dieser Besprechung ist bis zur Stunde nicht bekannt.

Warum Parker Gilbert warnt.

Die Situation, in der der Reparationsagent seine Warnungen erhebt, ist von der Regierung des Rechtsblockes und von ihrem Borgänger dem Kabinett Luther- Schlieben Als der in leichtfertiger Weise heraufbeschworen worden. Deutschnationale Herr v. Schlieben Finanzminister war, schwamm das Reich im Geld. 3unächst verwandte man diese lleberschüsse zu Zuwendungen an die Industrie. Dann unter dem Finanzminister Reinhold setzte der Ab­bau der Besißsteuern ein. Unter dem Beifall der Industrie hat man die Reserven früherer Reichshaushalte durch Senkung der Befizsteuern beseitigt, noch ehe die Frage der Beamtenbesoldung erledigt war. Erst nachdem man so durch die Kürzung der Reichsein­nahmen den Haushalt an den Rand des Defizits gebracht hat, begab man sich an die Ausarbeitung der Besoldungs­novelle.

um

gierung haben also zu dieser warnenden Kritik des Repara­tionsagenten geführt. Im Interesse des deutschen Volkes muß man es bedauern, daß es dahin gekommen ist. Soweit sich die Kritik des Reparationsagenten gegen die Beamten­besoldung richtet, greift fie in soziale Interessen des deutschen Volkes ein, wozu der Reparationsagent fein Recht hat. Aber wir mußten es ja erleben, daß unter dem Beifall der Rechtsparteien und sogar der Völkischen der Präsident der Deutschen   Reichsbant die Aufnahme fremder Anleihen abgedroffelt hat, was ebenfalls zu einer Gefährdung des sozialen Lebensstandards führen muß. In seinem Be­ftreben, Steuern und Reparationslaften entgegen den Be­Stimmungen des Dames- Vertrages auf die Schultern der breiten Voltsmaisen abzuwälzen, den Besitz aber zu entlasten, hat man in der Reparationspolitik einen 3id= 3 ad furs getrieben, der sich jetzt an dem ganzen Volke rächt. So trägt die Reichsregierung die Verantwortung für Die Konsequenzen, die sich aus dem Schritt Parker Gilberts für die zukünftige Wirtschafts- und Finanzpolitit ergeben

tönnen.

Einheitsfront Industrie- Reparationsagent.

Daß die Stellung des Reparationsagenten nicht un­beeinflußt von den Interessen des Unternehmertums erfolgt ist, dafür erleben wir gerade in dieser Stunde den schlagend­ften Beweis. Am Tage nachdem der Reparationsagent seinen Bericht dem Finanzministerium übergeben hat, nämlich am Freitag, faßten Präsidium und Vorstand des Reichsver­bandes der deutschen   Industrie folgende Entschließung:

Der Reichsverband vertennt nicht die staatspolitische Not­wendigkeit einer durchaus angemessenen Besoldung der gesamten Beamtenschaft, insbesondere auch derjenigen Beamten­kategorien, die durch eine langjährige Berufsvorbildung große wirt­schaftliche Opfer bringen mußten. Nur auf diese Weise kann ein mustergültiges und arbeitsfreudiges Berufsbeamtentum erhalten

bleiben. Mit besonderer Sorge betrachtet der Reichsverband dabei die Lage vieler richterlicher Beamten.

Das erst jüngst bekanntgewordene Gesamtausmaß der durch die Regierungsvorlage bedingten Aufwendungen gibt jedoch vom Stand­punkte der gesamten Boltswirtschaft zu den größten Bedenken Anlaß, weil die etatsmäßige Dedung ohne schwere Erschütterungen nicht möglich erscheint. Deshalb sollte eine Erhöhung nur insoweit erfolgen, als die tatsächlichen Gesamtbezüge der einzelnen Beamten­fategorien hinter der allgemeinen Entwickelung zurüdgeblieben find. Die in der Bergangenheit stattgehabten Umstufungen bedürfen be­fonderer Prüfung.

Gleichzeitig aber, während die Besizsteuern gekürzt wurden, leistete man sich Verschwendungen größten Ausmaßes. Durch seine Zollpolitik hat der frühere Reichs­finanzminister v. Schlieben   zunächst die Reparations mutwillig Derpflichtungen Deutschlands  500 Millionen Mart erhöht. Erst seinem Nachfolger Reinhold gelang es, non dieser Mehrbelastung einen großen Teil herunterzuhandeln, immerhin bleibt die Tatsache bestehen, daß die deutsche Regierung durch das Verschulden des Herrn v. Schlieben ohne jeden äußeren 3wang 200 mil. lionen Mart über den normalen Reparationsetat hinaus zu zahlen hat. Weitere Berschwendungen traten in diesem Frühjahr ein, als die Reichsregierung die Biersteuer überweisung zur Beruhigung füddeutscher Proteste beschloß. In der Linie dieser Verschwendungspolitik liegt es ferner, daß die Reichsregierung die Schulporlage einbrachte, ohne überhaupt etwas über ihre finanziellen Aus­mirfungen fagen zu fönnen. Für den Reparationsagenten Genaue Einzelheiten aus der Denfschrift sind nicht be. mußten alle diefe Maßnahmen, zu denen übrigens auch das fannt. Es ist ein unerhörter Standal, daß das deutsche Balt Liquidationsschädengejez gehört, um so befremd aus der amerikanischen   und der französischen   Presse die licher sein, als gleichzeitig die Klagen über die Intrag dürftigsten Hinweise auf den Hinweis der Dentschrift barkeit der Reparationslasten auf deutsch   empfangen muß. Das deutsche Bolt wird von einer solchen Kritif betroffen. nationales Kommando von Tag zu Tag stärker wurden. Die Regierung des deutschen   Boltes Berfehlte Finanzpolitit, Mangel an Berantwortungsschweigt. Sie läßt allen Mutmaßungen den größten gefühl und an Selbstbisziplin einer in sich uneinigen Re- Spielraum.

Hier sprechen also die deutschen Industrie= führer das aus, was der Reparationsagent zur Grundlage feiner Stritit macht.

Die Regierung schweigt.