Sonntag
23. Oktober 1927
Unterhaltung und Wissen
-
-
Von Erich Goffgetreu.
Leppävirta das ist ein schöner Name. Den ganzen Morgen schon liegt Leppävirta auf dem Waffer, fonnt sich, fammelt Kräfte. Mittags um eins stampft fie auf, tutet sich Bahn, verläßt den Hafen von Savonlina, dem winzigen bunten Tupfen auf der blauen Seenplatte Mittelfinnlands; alle Städte dieser Republit find sehr klein, und Helsingfors der Name ist schwedisch , eigentlich soll man ja Helsinki sagen ist die einzige, die mehr hat als hunderttausend Einwohner; dabei ist dieses Land so groß wie Deutschland . Das schafft einen besonderen Maßstab, und man kann sich denken, was das alles für Stationen" find, an denen wir anlegen, eine Kuh, ein Pferd, manchmal auch einen Menschen an Bord nehmen, was das für ein stilles Leben sein muß auf den zahllosen Schären, deren Namen faum eine Landkarte, aber jedesmal am Landungssteg eine weiße Tafel mit gotischen Schriftzeichen verfündet. Tropinen, Rautasalmi, Bitfählati fast ostpreußisch flingt das.
11
Abends tommen wir nach Bartaus. Mitten im Farbfest der Matur steilt sich da die fabrikne Schwarzwelt der Technik hoch; hier wächst Papiermasse. Riesige Schornsteine und zwei Turmhäuser greifen schlankfingrig in den Himmel, und wenn dann die irdischen und firmamentnen Lichter anspringen, ergibt das in dieser Seenwelt cine sagenhaft schöne Kombination von Havellandschaft und Ruhrstadtschaft. Man erschauert vor Gewaltigem.
Bis morgens um vier geht der Dampfer vor Anker, die Dunkelheit macht die schmalen Fahrrinnen der doch nur seichten Gewäffer gefährlich. Wie sich der Schiffsleib mit dem ersten Morgenbleich wieder ins Leben zittert, ist er nicht mehr leer: jezt füllen ihn und die Kaffe seiner Gesellschaft die Marktleute, die nach Kuopio mollen. Diese Fahrt machen fie mun Jahr um Jahr außerhalb des Eiswinters an jedem Morgen, und in jedem Ort tommen noch zwei, drei Kollegen hinzu; man begrüßt sich und schweigt. Der Hund tommt jedesmal mit bis zum Landungssteg, sieht sich interessiert das Getriebe an, muß zurückbleiben, wundert sich, ist beleidigt Schachteln, Körbe, Kisten, Kannen werden mitgenommen, er nicht... Nein, von so einer Schäre, an der minters monatelang über. haupt kein Dampfer anlegen fann, tommt ebenso schmer etmas hinunter wie auf sie hinauf, fie bildet eine gefchloffene, reich um. mäfferte Welt, die des Nachbarn ist höchstens noch fleiner muß sich das mal von oben ansehen. Wir beten deshalb auch, wie mir um acht Uhr morgens endlich und leider schon nach Kuopio tommen, Pujo möge sein Haupt nicht moltendüster verhängen er erhört das Gebet.
-
man
Pujo
Bujo ist kein Gott. Bujo ist ein Berg. Pujo hudelt sich aus der Ebene hoch wie eine Katze auf einem Speicherboden. fträubt borstig das Gebäum wie jene das Haar.
-T
Bujo! Pujo! Bujopujopujopujo!
Das Biest kommt nicht. Da müssen wir also schon selbst hinauf flettern. Uns Finnen macht das gar nichts aus, wir sind sport gestählt, und dann tragen wir ganz lange Schaftstiefel, deren vordere Spigen steil in die Höhe ragen, als wären sie etwas Besseres als die Absätze warum wohl? Oben angekommen, sehen wir nun in rocitem Umkreis Suomi , das Finnenland, seine Seensprentel, seine Waldstreifen, wieder Seen, wieder Wald. Ein Blühen, ein Blauen, ein Grünen. Ein Paradies. Immer, wenn man irgendwo in Finnland ist, denkt man: hier ist es am allerschönsten. Bis zum nächsten Tag. Da findet man noch Schöneres. Aber vom Pujo aus fann es wohl keine Steigerung mehr geben.
Unten liegt Kuopio , die Stadt. Da ist jetzt Marktgetriebe, das Geschäft lohnt auch, denn in Läden wird hier weniger gekauft als bei uns, und Grünframhändler tennt man in unserem Sinne überhaupt nicht. Das Fernglas gibt natürlich vom Martt feine Einzelheiten her, und ein Ohrenglas habe ich nicht mit, höre aber doch: „ Acht Mark das Kilo von den Fischen? Na hörnse, das leztemal warnse viel größer und fosteten nur sieben fünfzig." Im Gegenteil, Frau Kari, im Gegenteil, sehnse sich die Tiere mal an. so etwas ist international.
-
-
Daneben hätten wir das Rathaus, die Kirche, das Lyzeum, gleich drei große Bankgebäude was machen die unreichen Finnen mit so vielen Banten? Dann kommt wieder ein Stück Natur, endlich, Kuopios Stolz, die Zündholzfabrites ist die größte der Welt. Da wollen wir mal alle aufstehen und uns den Namen merken: D. 9. Sova; außer nach Deutschland schickt sie ihre Streichhölzer so ziemlich in die ganze Welt. Wenn die Bosheit größer wäre als der Ernst, fönnte es in die Feder fließen: Wir machen unseren Dreck alleene tatsächlich aber zeichnen sich die finnischen Streichhölzer, was man ja beim Gebrauch merkt, durch ganz besondere Qualität aus. Wenn man das Werk besucht selbst vom Pujo muß man ja mal Abschied nehmen, sieht man dies: ben ewigen Holzaufmarsch aus unendlichen Wäldern, maschinelle Hackerei, maschinelle Sägerei - der reichliche Abfall dieses und des übrigen Produktionsprozesses speist die Maschinen, Kohle wird überhaupt nicht gefeuert. Bald ist das Holz so dünn wie Nudelteig, es werden gleich zwanzig, dreißig Lagen übereinander geschichtet, mit Quasi- Meffermaschinen in Hölzchen gesplittert; dann beginnt deren lange Wanderung: in Körben taucht man sie unter Wasser, in Riesentrommeln trocknet man sie, jedes hat 1600 000 Kollegen in der Stunde. Maschinen schütteln den Haufen in Ordnung. Maschinen paraffinieren, träufeln die Zündmasse auf die Köpfe, endlos ist die Streichholzparade auf dem laufenden Band. Maschinen fabrizieren die Schachteln, etikettieren, füllen, fleben: die Arbeit der Menschen an den Maschinen ist entsetzlich mechanisch. Dreißig Pfennig verdienen pro Stunde im Durchschnitt die Frauen, siebzig die Männer; die Lebenshaltung ist wohl um ein Drittel billiger als in Deutschland . Die Frauen find weit in der Mehrzahl, fie arbeiten alle in Reformhosen. Wenn sie durch die Fenster ihrer langen Säle sehen würden, erblickten sie die Szenerie einer herrlichen Landschaft; davon haben sie wenig. Bleibt auch taum Zeit. Es wird rasend fir gearbeitet. Die Produktion des achtstündigen Arbeitstages beträgt 750 000 Schachteln.
Was ist denn das da, Herr Direftor, gehört das auch mit zu Ihrem Betrieb?"
Ja und nein. Das ist die Sauna; da gehen die Arbeiter oft und gern hin, die Angestellten auch, die Arbeit macht müde, das Bad erfrischt..."
Davon haben Sie schon mal mas gehört. Die Sauna ist das finnische Bad, auf dem Lande hat fast jeder Bauer sein eigenes, wenn auch primitives, und in den Städten gibt es mehrere und große. Hier ist also eins in der Nähe der Zündholzfabrik, Feier abend ziehen ihre Arbeiter und Angestellten dorthin da zieh ich mit.
Links ein Eingang, rechts ein Eingang, einer für Männer, einer für Frauen. Unter uns bleiben wir natürlich nacht, wir Finnen find gut gebaut und haben voreinander nichts zu verbergen. Wir
Sonntagsreiter v. Keudell.
126 indust
مل
Fall
--
Fall
Badt
Mir scheint, ich habe mich vergallopiert!"
-
haben uns nur zu schlagen. Aber das besorgt jeder für sich und an fich allein, und zwar mit einem Bündel getrockneten Birkenreisig das duftet. Das Reisig muß natürlich naß sein, mir meichen es ein in unserer Waschschüssel, dem zweiten Ausrüstungsgegenstand. Und dann steigen wir ein Treppchen hoch, laufen auf einem steinernen Herd herum, tummeln" uns das muß der Teufel selber sein, der unten drunter das Feuer schürt. Das dampft. Und brauset. Und zischt. Wie wenn einer den Taucher" plagiiert. Schweiß fließt aus allen Poren, und Hitze dringt in einen ein, als ob man ein Kartoffelpuffer in der Pfanne wäre. Schüchtern blick ich zu den anderen, um den Moment zu erleben, wenn sie anfangen richtig= gehend zu brozzeln von mir selbst bin ich überzeugt, bereits eßfertig zu sein. Die anderen, ach, die sind beneidenswert, sind faunische Fachmänner, und ich stehe so hilflos unter ihnen wie ein Schulbub im Lehrerkollegium. Dann ihre Technik mit dem Birkenbündel. Muß doch mal sehen wie das ist...
-
Es ist, schlägt man etwas derb, als ob schon das Feuer nach einem leckte. So muß dem Kartoffelpuffer zumute sein, dem plötzlich Fett auf Bauch und Rücken geträufelt wird. Glücklicher Kar toffelpuffer! Du hast wenigstens nicht Augen, Ohren, Nase und Mund, in die es fo bösartig erstickend hineindampft. Leb ich denn noch...?
Treppchen hinunter. Große Wäsche. Eine uralte Bedienerin, Lappin, häßlich wie des Teufels Großmutter, kommt auf mich zugestürzt, besorgt das, schrubbelt an einem herum mit der Fertigkeit, den Blicken, der Liebe einer Mutter; die Hölle ist mit dem Himmel vertauscht.
Ist es vielleicht der Himmel?
Nein, man zahlt ja, gibt der Lappenmutter ein Trinkgeld, das fie gefeßlicherweise gar nicht vertrinten darf, man geht, die Türe tnarrt, dann flingelt fie, als gäb's hier Milch zu kaufen, das Auge entdeckt rückblickend das Schild Sauna". Beim lieben Gott steht ficher was anderes dran. Was eigentlich? Das möcht ich wohl wissen.
Sauna heißt das Jungbrunnen? Bei allen Gebrüdern Grimm: man fühlt sich, als ob man dem entstiegen wäre. Bar man erst vom vielen Herumlaufen wie gesteinigt, tommt man sich jezt gesteinacht vor. Wenn das so weitergeht, wird die Anschaffung eines Kinderwagens notwendig werden. Wird man im Lande der Trockengelegten trockengelegt werden müssen. Wird man wieder anfangen, sprechen zu lernen.
Dem Literaturkritiker fehlt es gewiß nicht an aktuellem Stoff. Gerade in unserer Zeit, die wenig Wertvolles hervorbringt, türmen fich um ihn die Neuerscheinungen zu gewaltigen Stößen. So un angenehm es dem Kritiker auch sein mag: es ist ihm völlig un möglich, einen nennenswerten Teil der literarischen Produktion zu lesen; es bleibt ihm nichts weiter übrig, als seine Auswahl auf gut Glück zu treffen. Was wird er erft tun müssen, um den Teil unserer Kultur, der sich in Büchern ausdrückt, besprechen zu können, wenn die innige Liierung des Handels mit der Literatur anhält.
Doch möchte ich heute von einem Autor einer vergangenen Zeit reden, von einem großen bedeutenden Schriftsteller, der noch in mode ift, vielleicht seiner etwas snobistischen Bissigkeit wegen; ich meine Buy de Maupassant.
die alte
Dieser Schriftsteller sollte uns mehr bedeuten als ein bloßer Begriff, selbst mehr als die Feststellung: er ist ein rein bürgerlicher Schriftsteller. Unendlich viel ist über ihn geschrieben worden. Maupassant wurde in dem firchlichen Konvikt zu Yvetot erzogen; hier lernte er das Autoritätsgefühl und die Tradition Tradition des Adels kennen. Doch der wilde Knabe konnte sich den klösterlichen Sitten nicht anpassen und mußte eines Tages das Konvitt verlaffen. Seine Mutter, die entscheidenden Einfluß auf ihn hatte, veredelte seine literarischen und dichterischen Neigungen. Ihr standen Louis Bouilhet , Gustave Flaubert , sein geistiger Bater und das Siebengestirn von Médan , dessen bedeutendster Kopf Sola
--
Bellage des Vorwärts
He
war, zur Seite. Später wurde Maupassant in einem Ministerium angestellt. In seiner Freizeit ruderte er und genoß auch sonst sein Leben, vor allem arbeitete er aber an seinen schriftstellerischen Aufgaben, die er jeden Sonntag Flaubert zeigen ging. Den Krieg pon 1870 machte er als Nationalgardist mit. Ganz plöglich, durch Beröffentlichung der Novelle Boule de Suif " in dem Buche Les soirées de Médan" erlangte er mit einem Schlage Ruhm und Unabhängigkeit. Er hat ein umfangreiches Wert zustande gebracht: acht Romane und zweihundertfünfzig Novellen und Erzählungen, ohne die Theaterstücke und die Essays zu rechnen.
Ein großes Können spricht aus seinem Werk. Ich will hier feine genaue Analyse seines Schaffens anstellen, weil es mich zu weit führen würde. Ich will nur davon sprechen, wie Maupassant über das rein Literarische hinaus das Leben beurteilte. Natürlichfeit und Klarheit verhelfen seinen Beschreibungen, seinen Gestalten, feinen Komödien und Dramen mit einfachen Mitteln zu formaler Vollendung. Von der ersten bis zur letzten Seite seiner Werte werden wir von einer unwiderstehlichen Bewegung gefangen und mitgerissen.
Mit wieviel Gedanken mußte er sich
Wenn kritische Bemerkungen über diesen Schriftsteller fallen, hört man gewöhnlich, er sei oft zu flüchtig, fei mehr„ Journaliſt" als Schriftsteller. Häufig machen seine Erzählungen nicht den Eindruck von durchgearbeiteten Kunstwerken, sondern von prächtigen, ein wenig oberflächlichen Reportagen. auf diesen Bunft möchte ich besonders hinweisen vertraut machen, ehe er sie mit großartiger Feinfühligkeit und unendlicher Bartheit verwertete. Mehr als einmal erfüllt sein Wert ein tiefes Mitleid( eine Mischung von Herz und Hirn) für Menschen, Tiere und Dinge.
-
Seine Gedanken, die stets klar und eindeutig sind, macht er uns im Laufe seiner Erzählungen und Romane folgerichtig bekannt; jeder Gedanke zeugt von seinem bedeutenden Geist. Bewunderswert und aufrührerisch hat er die Schieber, die Börsenspekulanten und die gesellschaftlichen oder politischen Emportömmlinge gegeißelt. Sein Roman" Le bel ami" ist eine der stärksten Satiren auf die Fäulnis gewisser journalistischer Kreise und Angelegenheiten.( Diese Zustände haben sich erst durch die Fortschritte unserer tapitalistischen Zivilisation entwickelt.) Er zeichnet gerade in diesem Buch die Ausbeuter großen Formats( die Propheten sind nur sehr scharfsichtige Beobachter), die sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sie einen Marokkokrieg anzetteln können, um dabei durch geschickte Börsengeschäfte einige 10 Millionen zu verdienen.
Er läßt sich nicht von dem falschen Prestige der Geschäftemacher umgarnen wie so viele Leute; er stellt diese Fürsten des Geldes" auf den gebührenden Platz:" Sie haben feinen Geist, aber in ihrem Herzen eine gemeine Sucht, Geschäfte zu machen."
Reine Gelegenheit läßt er vorübergehen, ohne die Wahrheit über den Aberglauben und die Religion festzustellen. Er gesteht, seit seiner Kindheit habe er die religiösen Riten und Zeremonien nur lächerlich gefunden. Auch den Glauben an einen Gott hält er nicht für heilig. Im Gegenteil, er beschimpft dieses sogenannte göttliche Wesen", das Leid und Unglück über die Welt bringt, und auch das schlimmste Uebel, den Tod. Auf dem letzten, nicht mehr vollendeten Blatt seines letzten Romans L'Angélus" finden wir am Ende die Schmähung:„ Gott , ewiger Mörder, du liegst unabläffig auf der Lauer
Er spricht von der furchtbaren Unterdrückung der Kolonialvölker und den grausamen Kolonisierungsmethoden Frankreichs , die er an Ort und Stelle auf seiner Reise nach Afrita tennengelernt hat.
Endlich hat Maupassant die besten Seiten, die es überhaupt gibt, gegen den Krieg und seine Hintergründe, gegen die Gutmütigkeit der Völker, die sich das gefallen laffen, gegen den Patriotismus, der eine neue Religion ist, und auch gegen die Dummheit bürgerlicher Denkungsweise geschrieben. Man hat den Eindruck, dieser Schriftsteller hätte sich durch die Art seines Dentens von selbst den großen sozialistischen Strömungen nähern müssen, die dieses Denten in ein System bringen und es zusammenfassen.
Aber dies geschah nicht; Maupassant hatte sich niemals über den proletarischen Klaffentainpf ausgelassen, meder mit Zustimmung, noch mit Abneigung. Er ist bei Berührung sozialer Probleme trop feines ausgesprochenen Wirklichkeitsfinnes immer in einer Art aristofratisch- anarchischer Isolierung geblieben.
Da er sich im Grunde über den gesellschaftlichen Aufbau nicht flar war, fah sein scharfes Auge nur einige besondere Ausnahmen. Trog aller Lebenstenninis fonnte er sich deswegen von gewissen grundlegenden Ansichten und ideologischen Begriffen seiner Klaffe