Einzelbild herunterladen
 
Ein ösutsthnat'onales LVerbeflugblatt. ti»egcn die verblendeten dentschnationalen Minister. In früh erwachter Wahlangst gibt die Deutsäinationale Volkspartei ein Flugblatt heraus mit dem TitelWer gehört in die Deutschnationale Volkspartei  ?"(Nr. 411 der deutsch  - nationalen Schriftenoertricbsstelle). Die Westarpschen Partei­gänger, die dieses Flugblatt in die Hand bekommen, werden aber stark enttäuscht, denn gleich zu Anfang stoßen sie auf das stärk st e Verdammungsurteil der jetzigen deutschnationalen Regierungsmethoden. Das Flugblatt hebt nämlich an: Tatbcreit und opferbereit(!) ist die Deutschnationale Bolkspartei noch während der Revolutionskämpfe daran gegangen, die Kriinde unseres Zusammenbruches zu erforschen und die Wege zum Wiederaufstieg zu suchen... Seither sind Jahre harter Arbeit und schwerer Kämpfe über die NBP. hinweggegangen. Noch immer ist das Ziel das Be freiung von äußerer Knechtschaft, das Ziel innerer Einigung und Reinigung des deutschen   Volkes nicht erreicht. Viele haben sich müde und enttäuscht dem Kampf um ideale Werte ab- und rein materiellen Bestrebungen zugewandt. In kurzsichtiger Verblendung glauben sie, ihr eigenes Wohlergehen auch in einem geknechteten, zu immer weiteren Niedergang verurteilten Vaterlandes pflegen und fördern zu können und zu dürfen. Mit den so Gescholtenen kann niemand anders gemeint sein als die d c u t s ch n a t i o n a l e n R e i ch s m i n i st e r H e r g t, K e u d e l l. Schiele und K o ch, die für ihre vier Ministersitze der Locarno  -Politi? zugestimmt haben, in der die Deutschnationalen bekanntlich die Knechtung und Versklavung Deutschlands   sehen. Es kann ferner nur ge- ineint sein die d e u t s ch n a t i o n a l e Reichstags- f r a k t i o n, die für dasrein materielle" Ziel der L e b e n s- mittelzölle die Annahme des Dawes-Ler- träges ermöglicht hat! Vollkommen zutreffend(vom deutschnationalen Standpunkt ans) sagt das Flugblatt über deutschnationale Minister und Reichstagsfraktion sowie die zollhungrige agrarische Gefolgschaft, daß siesich dem Kampf um ideale Werte ab- und rein materiellen Desire- bungen zugewandt haben", daß sieihr eigenes Wohlergehen auch in einem geknechteten Vaterlande pflegen zu dürfen glauben". Das ist gewiß sehr richtig, aber wie es für die Deutschnationalen propagandistisch wirken soll, bleibt einigermaßen rätselhaft. Im weiteren wendet sich das Flugblatt an die Alten (die von den Deutschnationalen mit der Aufwertung be- schwindelt worden sind) und an die Jungen(denen man ein Schmutz- und Schundgesctz beschert hat), an die M ä n n e r, denen gesagt wird, daß sie welch herrliche Aussicht auf neuen Krieg!die Scharte von 1918 auszuwetzen haben", an die Frauen, die wahrscheinlich die Aussicht auf neuen Kohlrübenwinter bei dieser Gelegenheit locken soll. In schöner Parität heißt es dann weiter:Wir rufen die Besitzen- den wir rufen die Armen, wir ruken die Arbeiter." Wobei dann auseinandergesetzt wird, daß genügende Für- sorge für die Reichen den Armen auch zugute kommt, wie wir ja hinlänglich wissen! Am Schluß des Flugblattes aber prangt die Verheißung: Haben wir erst wieder ein freies, mächtiges, im Innern einiges und geordnetes Vaterland, dann werden sich die Schmerzen des einzelnen und ganzer Bolkslreise von selbst erledigen, wird man über Dinge, die Aufwertung, Steuerlast, Rentnernor, Londwirtschafts- bcfchwerdsn, Arbeitslofenclend schnell einig werden. Ohne die Wiederaüfrichtiing dits Deutschen Reiche- bleibt alle andere Arbeit für unsere nctleidenden Volksgenossen Stückwerk. In, künftigen nationalen Deutschland   lösen sich also alle Problemevon selbst". Run wissen wir endlich, warum die Deutschnationalen bei den Wahlen von 1924 ihren Wählern die größten Versprechungen gemacht und dann durch ihre Minister Locarno-Politik getrieben haben. Offen-! bar, damit es nichtvon selbst" ging, sondern damit nian 1
recht ungestört den schnödesten Aufweriungsßetrug, den krassesten Z o l l w u ch e r, die ungeheuerlichste Massen- belastunng durch Steuern und die Rationalisierung auf Kosten der Arbeiter, auf Kosten der zwei Millionen arbeits- los Gewordenen alsStückwerk" betreiben konnte! So geht es wenigstens aus dem Flugblatt hervor. das Wehrministerium voran ... bei den austerplanmäftigen Reichsausgaben. Bei der Beratung des Haushaltsplans für 1927 gelang es der Sozialdemokratie, trotz des Widerspruchs des Reichssinanzministe- riums. in da» Etatgesetz eine Bestimmung einzufügen, die den Reichs- finanzminister verpflichtet, über- und außerplanmäßige Ausgaben im Betrage von 19 000 M. und darüber, die er den einzelnen Verwaltungen genehmigt, unverzüglich dem Ausschuh für den Reichshaushalt mitzuteilen. Als �überplanmäßige Aus- gaben" werden die Ueberschreitungen von im Reichshaushaltsplan bewilligten Beträgen bezeichnet.Außerplanmäßige Aus- gaben" find solche Ausgaben, für die im Reichshausholtsplan Be- träge nicht vorgesehen sind. Vor wenigen Tagen nun hat der Reichsfinanzminister erstmalig dem Ausschuß für den Reichshaushalt eine solche Uebersicht, und zwar über die vom 1. April bis 39. Juni 1927 bereitgestellten über- und außerplanmäßigen Beträge von 19999 M. und darüber mit- geteilt. Es geht au» ihr hervor, daß der Reichssinanzminister in diesen drei Monaten bei den fortdauernden und einmaligen Aus- gaben über- und außerplanmäßig im ganzen 7,3 Millionen Mark genehmigt hat. An dieser Summe sind all« Reichsver- waltungcn beteiligt. Ziffernmäßig steht an erster Stelle das Reichs- Ministerium des Innern mit 2,4 Mill., an zweiter die Reichsschuld mit 1,4 Mill., an dritter das Reichswehrministerium mit 1,1 Mill. In den vom Reichsministerium des Innern verausgabten 2.4 Mill. befindet sich indessen zur Finanzierung der Sicherung«- arbeiten am Mainzer Dom   ein verzinsliches Darlehn von 1,6 Mill. an das Land Hessen  , deren Bereitstellung dringlich war, da der Einsturz des Domes drohte. Im Haushall der R e! ch s s ch u l d ent­standen überplanmäßige Ausgaben von fast 1 Million wegen de« Umtausches der Markanleihen. Tatsächlich also marschiert, wie stets, wenn Ausgaben in Betracht kommen, das W e h r m i n i st e- r i u m an der Spitze aller Verwaltungen. Der Ausschuß für den Neichshaushalt wird die einzelnen Posten dieser Uebersicht recht ge- nau nachzuprüfen haben. Oos einheitliche Strafgesetz. Wiener Parlamentarier im Reichstag. Gestern traten in Berlin   die Vertreter der beiden zur Beratung des Strafgesetzentwurfs eingesetzten Sonderausschüsse der reichsdeuischen und der deuischösterrcichischen Volksvertretung zu- sammen, um sich über die Schaffung des einheitlichen Strafgesetzes für beide Länder und die Methode der Gemeinschaftsarbeit zu ver- ständigen. An diesen Beratungen nahmen teil aus Wien   Vizepräfi- dent des Nationolrots Dr. W o b e r. Generalberichierstotter für den Strafgesetzentwurf Prof. Dr. Rintelen und unser Genosse Dr. Eisler: für Deulschland die Abgg. Prof. Kahl, Emminger und Geiwsse Dr. Rosenfeld. Die Vertreter beider Länder ver- ständigen sich nach eingehender Beratung über alle auftauchenden Fragen. Sie werden den Strafgesetz- ausschüssen der beiden Parlamente Bericht erstatten. Darauf werden dies« Ausschüsse über die Zusammenarbeit weiter zu beschließen haben. finfthlußkunögebung in Köln  . Eine eindrucksvolle Kundgebung für die Wiedervereinigung Deutsch  -Oesterreichs   mit dem Reich« veranstaltete am gestrigen Sonntag der Oesterreichisch-Deutsche Volksbund(Ortsgruppe Köln) im großen Gürzenichsaal. In Anwesenheit von Vertretern der staat- lichen und städtischen Behörden erklärte Reichstagspräsident Lobe u. a., der Tag der Wiedervereinigung könne vorbereitet werden, indem man heute bereits die Gemeinschaft praktisch
pflege, was kein Friedenvertrag verbisien könne. Man könni eine möglichst große Angleichung des Schul- und Verkehrswesens durchführen. Dem Redner wurde durch den begeisterten Beifall der Versammlung gedankt. Nach dem deutschnationalen Reichstagsobg. v. Kemnitz sprach Generaldirektor Dr. N e u b a ch er- Wien in fesselnder Weise über die Gemeinsamkeit des deutschen   Kulturgutes. Gegen Nußlanüüelegationen. Ein Beschlust der französischen   Sozialisten. Der Parteioorstond der Sozialistischen Partei Frankreichs  hat sich am 19. Oktober mit der Teilnahme von Pareitmitgliedcrn an Rußlanddelegationen beschästiat. Es wurde folgende Resolution gefaßt: Der Parteivorstand billig� den Beschluß des Seine-Bcrbandes, wonach diejenigen, dt« die Teilnahme an diesen Delegationen annehmen, durch diese Tatsache selbst als außerhalb der Partei gestellt angesehen wiirden. Der Parteivorstand erinnert bei dieser Gelegenheit daran, daß die Partei stets bereit ist, an seder Untersuchung in Rußland   teilzunehmen, die unter den von der Sozioliftischen Arbeiier-Internatio- n a l e festgelegten G a r o n t i e n und Bedingmigen erfolgen würde.
Sulgarischer �ubiläumsparteitag. Kampfrede« gegen den Faschismus. Sofia  , 24. Oktober.  (Eigenbericht.) Unter starker Anteilnahme ist der 39. Jahrcskongreß der Sozialistischen Arbeiterpartei eröffnet worden. Die Parteiveteranen Boswelief und Sakasof legten die schwierigen Partei- stituationen seit dem Gründungstogs dar, aus welchen die Genossen stets mit ungeschwächtem Kampfesmut hervorgegangen wären Der Fraktionsführer P a st u ch o f referierte über die innerpolitische Lage und sagte der dem offenen Faschismus zutreibenden Diktatur der regierenden Professoren und Offiziere den schärfsten Kampf an. Der Redner gab die Parole aus:.Heran ans Volk, Kampf gegen Terror und Korruption, für Konstitution und soziale Demokratie". Pflichtbewußte Richter müssen flüchten. Der sozialdemokratischeNarod  " in Sofia   berichtet über einen besonders frechen Streich der bulgarischen Faschisten. Vor einiger Zeit wurde in der Stadt Tran der Volksschullehrcr Georgr P. I s a e w verhaftet, und er sollte nach Sofia   in das Gefängnis eingeliefert werden. Auf dem Transportunternahm er einen Fluchtversuch" und gab damit den ihn eskortierenden Faschisten die Gelegenheit, ihn zu erschießen. Als der eigentliche Mörder wurde ein gewisser N i k o l o f, ein Mitglied der faschistischen Organisation Kubrat  , festgestellt. Der Vater des unglücklichen Lehrers strengt gegen den Mörder seines Sohnes einen Privatprozeß an, die Staatsanwaltschaft denkt nicht daran, d!« Verantwortlichen zu verfolgen. Di« Prozeßakten verschwinden rätselhafter- weise, bevor es zur Verhandlung bei dem Kreisgericht Tran kommt. Der Vater läßt sich nicht entmutigen, er besitzt die beglaubigten Ab- schriften der Akten und strengt einen zweiten Prozeß an. Am 23. September kommt ein Kraftwagen aus Sofia   in Tran an, dem unter Führung eines Offiziers acht schwerbewaffnete so- genannteunverantwortliche Elemente" entsteigen. Das Auto hält beim Gebäude des Kreisgerichts: die Iustizwoche und die Gerichtswache flüchten, nachdem sie die Tor« geschlossen haben. Die Bande sprengt die Tor«, durchstöbert das ganze Gebäude nach den Gerichtsalten. Der Vorsitzende des Gerichtes ruft die Polizei, aber die kommt nicht. Daraus erklärt er: Die Unverantwortlichen könnten chn töten, ober er werde die Verhand- lung nicht absagen. Das Gerücht von dem mutigen Auftreten des Vorsitzenden dringt in die Stadt, es wird sofort eine Bürgerwehr gebildet, die die Bewachung des Gerichtsgebäudss übernimmt. Die Richter, auch der Vorsitzende, wagen seit dieser Zeit ihre Wohnungen nicht aufzusuchen, sie hallen sich versteckt, denn man erwartet einen Ueberfall sowohl aus das Gericht als auch auf die Wohnungen der unbotmäßigen Richter.
GlucksGrphcus unö Gurpöike" Erstaufführung in der Städtischen Oper. Bor einigen Jahre» begann man von einer Gluck-Reiwtssance aus den deutschen   Bühnen zu sprechen. Doch im Grunde handelte es sich hier nur um den frommen Wlliisch einiger Musikfreund« und die tapferen Versuche einiger Dirigenten, die Werte dieses Opern- ieformators wieder aufleben zu lassen. Durchgesetzt haben sie sich laum. Fast immer gab es begeisterten Applaus der Premieren- besucher. Aber das Interesse des eigentlichen Opcrnpublikums an den Werken blieb gering und flaute nach einigen Aufführungen ganz ab. Der Grund dafür? Zwar(eitet von der klassischen Klarheit der Gluck-Oper ein direkter Weg zu der barocken Fülle des Wagner. ichen Musikdramas. Aber es ist nicht ganz einfach, diesen Weg zurückzugehen. Es gehören Geduld und Glauben an die musikalische Erziehungsarbeit des Publikums dazu, um den Gluck-Opern wieder wirklich die Vühn« zu erobern. Und es gehören dazu der Wille und das Können aller Auestihrende», Bestes zu geben. Es wäre ein uiischützbarer Gewinn, wenn die Meisterwerke Glucks   ini R-pertoire unserer Opernbühnen wieder ihren Platz sände». Ist dies« Zeit schon da? Wird die Städtische Oper ihren neu- einstudiertenOrpheus  " erfolgreich auf dem Spielplan behaupten tonnen? Es ist zu wünschen. Verdient hat es das Werk und dir Aufführung, in der es geboten wurde, gewiß. Der Beifall, dem man Bruno Walter   an diesem Abend spendete, war wie nur je gerecht ausgeteilt. Walters sicheres Gefühl für die Atmosphäre einer Musik bewährte sich besonders auch in einem nicht ungewagten Experimenk. Die von Gluck   mehrfach bearbeitete Oper endet ihre unerhört persönlichkeitsstarke Musik in einem ziemlich konventio- nellen, dem Geschmack der dumallgen Zeit angepaßten Schluß. Der wurde von Walter gestrichen und durch das schöne innige Finale ans Glucks letztem WerkEcho und Narziß  " ersetzt. Die szenisch immer- hin flach wirkend« Pantomime des dazu gestellten Bildes war woh! nur eine Konzession an das Publikum. Eindringlicher hätte das Werk auf der Bühne mit dem Aufstieg der wieder vereinten Liebenden zur Oberwelt abgeschlossen. Der nachklingend« Hymnus auf die tedbesiegende Liebe wäre als Zlusklang am wirksamsten bei herab­gelassenem Vorhang gewesen. Aber wahrscheinlich hätte die Sehn- sucht einzelner Theaterbesucher nach ihrer Garderobe dann zu pein- lichen Störungen geführt. So wurde als Notbehelf die musikalische Ausdeutung eines Gefühls in«in Bild übersetzt, dessen stumme Be- wegthell im Zusammenhang mit der Oper nicht als ergriffenes Schweigen, sondern fast als überraschende plötzliche Stummheit der Beteiligten wirkte. Doch von diesem nicht ganz vollwertigen Bühnen- schluß abgesehen, war die Oper darstellerisch wie musikalisch eine wundervolle Einheit. Die Kraft, die sie zusammenfaßte, war die Größe von Walters musikalischer Auffassung, die Orchester und Sänger nütrtß und emporriß und die im Grunde doch nichts anderes
war als vollkommenste Bescheidenheit, bedingungsloses Zurücktreten hinter die Bedeutsamkeit des Werkes. Sigrid Onegin  »vor ein Orpheus von stimmlicher Sckchn- l>eit und Eindringlichkeii. Die erschütternde Totenllage de» ersten Slktes, das Ringen mit den Geisten, der Unterwelt, da, fast den eigentlichen musikdromatischen Höhepuilki der Oper darstellt, die Ver- zweiflung um den Verlust der eben wiedergewonnenen Gattin wur- den Gipselleistungon der Sängerin. Ihr galt neben Walter der .Hauptvcisall. Als Eurydike   brachte Maria Müller   die Fülle und den wunderbar warmen Klang ihres Organs zur Geltung. Den Slmor sang Marguerite Perras mit Hellem metallischen Sopran, der aber nicht immer ganz sicher sitzt. Außerordentlich« Freude bereitete der Chor, der seine schwierigen Partien durchaus frei vom Dirigenteustab fang. Bühnenbilder von düsterer Wucht und rnärchenhafkr Zartheit wurden von E c s a r Klein geschaffen. Hart Heinz Mariin hatte dos Wert inszeniert. Ihnen beiden wird es mit zu danken sein, wenn die Oper auch weiterhin beim Publikum die ihin ge­bührende Aufnahine findet. Die Tänze und Bcwegungschöre, die sich im allgemeinen recht sinnvoll der Musit anpassen, würden noch gewinnen, wenn L i z z i e M a u d r i k, die Leiterin der Tanzgruppe. ihre unverständliche Vorliebe für starr verkrampft« Armstellungen der Tänzerschar ablegen würde. Auch sollten sich in der Trauer- Pantomime des ersten Aktes tiefere, verinnerlichte Gesten Glucks  schmerzlich-edler Musik anpassen. T r u d e C. Schulz.
.,3m Namen des Volkes." Merkwürdig« Dinge geschehen im W a l l n e r t h e a t e r. Abends wallen arische Rauschebärte über die Bühne, während nachmittags gegen die reaktionäre Justiz ge- donnert wird, die selbst»ach dem Umsturz nicht das geringste Morgenlüftchen gewittert hat. Paul Reinus nennt sein« Revue Im Namen des Volkes" einen Spiegel der Zeit, zum mindesten ist sie aber ei» Hohlspiegel, der die Bilder verzerrt. Es ist genug über Beamteneide zu sagen, es ist noch mehr über das Verhalten von Nichtern und Staatsanwälten in politischen Prozessen zu sagen, aber niemand wird ernsthaft behouvten wollen, daß das Gericht unentwegt falsche Urteile über Mörder fällt und sich nicht die Müh« gibt, den wahren Schuldigen zu fassen. Wenn Reinus die Unzulänglichkeit des Indizienbeweises demonstrieren will, dann geht er falsch vor. Der Musiker Rudolf Schröder kommt in den Verdacht, feine Frau er- mordet zu haben, wird zum Tode verurteilt und nachher zu lebens- länglichem Zuchthaus begnadigt. Cr und feine Geliebte, Frau eine» Staatssekretär» haben das Alibi, aber beide schweigen. Nur«in Satz, und Schröders Unschuld wäre bewiesen. Kein Mensch tonn oerlangen, daß allein auf die schönen Augen des Angeklagten hin ein Freispruch erfolgt. Das Verhalten der Staatsanwälte macht dazu den Fall zu einem Unikum. Will der Verfasser die Hinfällig- keit des Indizienbeweises zeigen, dann hätte er einen Fall konstruie- ren müssen, bei dem sich die Veweiskette lückenlos schließt. Mit Gesinnung ollein ist kein Theaterstück aufzubauen, und Talent besitzt Paul Reinus weniger als Gesinnung. Das Stück ist Dilettanten-
arbeit, mit viel Sentimentalität und einem großen Phrasenrcichtum behaftet, nur im Karikaturistischen ist Reinus begabt, aber er kann sich nicht konzentrieren, der Ablauf der fünfzehn Bilder wirkt er- inüdend. Di« Aufführung ist dazu undiskutierbor, selbst Lau- b i n g e r vom Siaatstheater als das unschuldige Opfer bleibt völlig farblos. Di« Direktion des Wallner-Thcaters teilt mit. daß das Theater für Sonntagnachmittag an Dr. Paul Thieme  , den Autor des Stückes, verpachtet mar(sie also mit der Aufführung nichts zu tun hat). Warum hat sie das aber nicht vorher zu wissen gegeben. t. Heinrich Mann   verlang» Amnestie. Den Höhepunkt einer Kund- gcbung, die gestern der Klub 1 926, Gesellschaft sür Politik, Wissenschasi und Kunst, vormittags 11 Uhr in der Piscator-Vühne am Nollendorfplatz unter dem MottoA m n o st i e! Amnestie veranstaltete, bildete ohne Zweifel«ine Rede Heinrich Manns, der von hoher geistiger Warte aus eine?lmncstie der politische» Gefangenen verlangt«. Ohne unnütze radikale Phrasen, klug und doch erfüllt von Leidenschaft, stellt« er seine Forderungen. Ohne jede Beschönigung geißelt« er Willkür und Klassencharakter der heutigen Justiz, und er sprach offen aus, daß dies« Justiz dos Ver- trauen des Volkes schon lang« verloren habe. Die meisten Urteile seien vollkommen unhaltbar. Aber die Richter haben Angst, ihr Ansehen könnt« leide», wenn eine zu weitgehende Amnestie ver- kündet wurde. Mann verlangte einen Gesetzentwurf, nach dun alle politischen Prozesse nach einer gewissen Zeit erneut aufgerollt werden sollen. Deshalb sind alle Verurteilten, die aus politischen Gründen gehandelt haben, in weitestgehendem Maße zu amnestieren. Poltti- sche Gefangene aus früheren Zeiten, ans den Iahren der Unruhen und Leidenschaft von 1919 bis 1923, müssen aus den Gefängnissen und Zuchthäusern entlassen werden.Wir fordern Gerechtigkeit von den deutschen   Richtern!", so schloß Heinrich Mann  . Außer Mann sprachen Justizrat Fraenkel, Dr. Gumbel und Erich Mühsam  . Gertrud E y s o l d t, Ernst Deutsch, Alexander G r a n a ch und Oskar S i m a brachten künstlerisch außer- ordentlich wirkungsvoll Zuchthaus  - und Gesängnisbriefe politischer Gesangener zum Vortrag. Auch Erich Mühsam   scheint sich sür die Befreiung der russifchtN Gefangenen eingesetzt zu haben, wenigstens wird er von derRoten Fahne am Montag" gehörig gerüffelt und an den Pranger gestellt als ein Schädling an der Sache der Amnestie. Die Veranstalter der Kundgebung scheinen eine seltsam« Aus- fassung von dem Begriffe Amnestie gehabt zu haben. Als eine russische Geno'sin sich bei ihnen meldet«, um über die in Rußland  geplant« Amnestie und über die Lage der gefangenen Sozialdemo» raten«nigc kurz? Mitteilungen zu machen, wurde sie nicht zum Wart zugelasien. Sie fragt mit Recht, was man von solchen angeblich öffentlichen Kundgebungen denken soll, wo die Rollen wie im Theater von vornherein verteilt sind. H. D.
l>l« Leethelasseler»!» Varl». Sonntag abend haben bi« gleitllchkeiteii zur Feier deis 100. GeburtZtaaeZ de» LhemikecS Macceti» Bertbelot durch einen Empfang der ausländischen Delegierten, darunter auch der deutschen  , in der Sorbonne degomieu.