Nr. 246.
Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mr., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz band : Deutschland u. DesterreichUngarn 2 M., für das übrige Ausland 3 Mt. pr. Monat. Eingetr. in der Post Beitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.
Vorwärts
12. Jahre.
Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 fg. Inferate für die nächne Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abaegeben werden. Die Expedition ist an Wochentagen bis 7 Uhr abends, an Sonnund Festtagen bis 9 Uhr vormittags geöffnet.
Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: „ Sozialdemokrat Berlin".
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Sonntag, den 20. Oktober 1895. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
schreckender Verurtheilung unserer Partei, ihrer Vertreter, scheinbaren Rückgang unserer Partei im 2. und 4. Leipziger Wahlkreise können unsere mit allen Hoffnungen in den So wurden die Ergänzungswahlen zum sächsischen Kampf gezogenen Gegner keine Freude empfinden, steht doch Das Königreich Sochsen ist das Versuchsfeld der Landtage bedeutungsvoller als je. Sie sollten zum Prüf- unserem scheinbaren Verluste von 31½s pCt. bei den Gegnern deutschen Reaktionäre. Alles, was Unternehmerhochmuth stein für die Wirkung der Aufrufe des Kaisers, für die Verlust von 18/2 pet. gegenüber! und Polizeispitfindigkeit ausdenken kann, wurde an sächsischen Politik des neuesten Kurses werden. Freund und Feind Der größte Theil unserer Gegner war unter der im Arbeitern erprobt. Ein Vereinsgefeß, das den Hohenlohe , warteten deshalb aufs gespannteste auf die Entscheidung übrigen Deutschland längst zerschliffenen Fahne des Kartells Schönstedt und Köller als Muster für die Russifizirung des der Wähler. oder der Ordnungspartei aufmarschirt. Blos die als Kartellpreußischen Vereins- und Versammlungsrechtes, als bestes Sie ist gefallen, so wie wir es wünschten. Die Sozial- kandidaten Aufgestellten wurden neben Sozialdemokraten Ausrottungsmittel gegen die Sozialdemokratie erscheint, demokratie wird ebenso stark vertreten sein wie in der gewählt; von diesen sind 15 Konservative( bisher 14), wurde von den sächsischen Behörden in einer Weise zu Un letzten Sitzungsperiode des Landtags. Die Zahl der für 5 Nationalliberale( bisher 3), 2 Kammerfortschrittler( früher 3). gunsten der sozialdemokratischen Arbeiter ausgelegt, die die sie abgegebenen Stimmen hat in erfreulicher Weise zu- Von den anderen Parteien, und dies macht auch Reaktionäre, die es erdacht, für unmöglich gehalten haben. Die genommen. Gegen 30 000 Stimmen gegenüber 20 721 im die Wahlen so bedeutungsvoll, wurde kein Kandidat sozialdemokratischen Blätter sind seit mehr als Jahres- Jahre 1889 wurden für die Kandidaten der Sozial- gewählt. Von den 12 Kandidaten Kandidaten der Antisemiten frist mit Notizen gefüllt, die unter der Spitz- demokratie abgegeben, was einem Stimmenzuwachs von siegte feiner und die beiden Fortschrittler Richter'scher marke Sächsisches" von Fällen berichten, die selbst 45 pCt. entspricht. In Dresden II stieg unsere Stimmen- Observanz, die sich zur Wiederwahl stellten, wurden auch uns im Lande der Puttkamer und Köller ganz abnorm zahl von 1301 auf 3027, in Dresden III von 1284 auf 1995, nicht wiedergewählt. So giebt auch hierin das Königreich vorkommen. Wenn wir vom Lande des Ochsenkopfes im in Leipzig II und Leipzig IV verloren wir 556 Stimmen, Sachsen ein Zukunftsbild der Parteientwicklung Deutschs Wappen und des Diktaturparagraphen absehen, so besitzt doch ist dies kaum ein thatsächlicher Verlust, da infolge von lands. Alles wird zerrieben zwischen der einigen reaktiodie Arbeiterschaft nirgends im Deutschen Reiche so wenig wahlkreisgeometrischen Kunststücken die Wahlkreise gegen nären Masse und der Sozialdemokratie. Bewegungsfreiheit wie gerade im Königreiche Sachsen . über den letzten Wahlen ganz erheblich geändert wurden. Zu schweren Schlägen rüstet sich unsere gesammte Sachsen hat außerdem den Vorzug", die tüchtigsten In Chemnitz II stieg unsere Stimmenzahl von 3682 auf Gegnerschaft, schweren Tagen geht die deutsche SozialJuristen des Deutschen Reiches zu befizen. Was sich aus 3918, in Zittau von 90 auf 254, in Bischofs- demokratie entgegen. Aber eines ist sicher, und dies beweisen unseren Gesetzen wir erinnern nur an die Geschichte des werda von 349 auf 391 Stimmen. In Dohna , die Ergebnisse der sächsischen Ergänzungswahlen: die Angroben Unfugsparagraphen gegen die um ihre Befreiung wo bei den letzten Wahlen Don sozialdemo- schläge unserer Gegner werden wirkungslos bleiben wie das kämpfende Arbeiterklasse herausinterpretiren ließ, haben kratischen Kandidaturen ganz abgesehen wurde, er Sozialistengesetz und die Praktikten des neuen und neuesten sächsische Richter fertig gebracht. So haben wir nun in hielten wir 407 Stimmen. Gegenüber den letzten Wahlen Kurses. Gestärkt wird die Sozialdemokratie aus dem Feuer Sachsen einen Rechtszustand", der vorbildlich für alle amt gewannen wir ferner im Kreise Döbeln 290, in Froh- der Verfolgungen hervorgehen und obfiegen wird sie über lichen Bekämpfer unserer Partei geworden ist. Sachsen ist burg 206, in Krimmitschau 154, in Eibenstock 505 Stimmen. ihre Gegner, wenn diese auch vor nichts zurückschrecken der Jdealstaat der Stumm und Köller, der Schönstedt und Auch in den ländlichen Kreisen haben wir große Er- werden. Brausewetter.
werden.
"
-
-
Politische Uebersicht.
folge zu verzeichnen. Wir führen vorerst die Bezirke an, Für diese Antwort an die Gegner, die an Klarheit Nicht blos Gerichte und Polizei treten dort mit aller in denen wir im Jahre 1889 von Kandidaturen nichts zu wünschen übrig läßt, ist die deutsche SozialThatkraft gegen die Sozialdemokratie auf, auch die ganz abfahen: So erhielten wir in Bitfau 338, demokratie den jächsischen Brüdern wärmsten Dank schuldig. Bourgeoisie läßt es an nichts fehlen, was ihr zur Be- in Baußen 121, in Radeburg 531, in Pirna 1132, kämpfung derselben irgend ersprießlich erscheint. Dies in Frankenberg 491 Stimmen. Die Resultate aus spiegelt sich auch in der Parteibildung, wo alle bürgerlichen den Kreisen Schwarzenberg und Sayda liegen noch Elemente fest zusammenstehen gegen die Sozialdemokratie, nicht vor. In Großschönau stieg unsere Stimmenzahl von Berlin , 19. Oktober. und wo die wenigen, welche bei der Bekämpfung der Sozial- 295 auf 794, in Löbau von 18 auf 57, in Neusalza von demokratie nicht den genau gleichen Weg gehen wollen wie 3 auf 173, in Freiberg von 17 auf 521, in Chemnitz - Land von Dienstag wegen angeblicher Majestätsbeleidigung erfolgte Die Thüringer Tribüne" theilt mit, daß die am die Ackermann, Frege, Mehnert, Friesen, einfach zerrieben 1569 auf 1817, in Stollberg von 2235 auf 2392, in Reichen- staatsanwaltliche Beschlagnahme des Blattes von dem bach von 627 auf 848, in Plauen von 137 auf 208 So stehen der Sozialdemokratie in Sachsen tampf- Stimmen. Dieser große Stimmen zuwachs bei einem uns sehr gerüstet die Organe des Klassenstaates und die besitzenden Klassen gegenüber. Niemals schien ihnen die Lage zu einem Hauptschlage gegen die verhaßte Sozialdemokratie günstiger als in diesen Wochen. Die ablehnende Haltung der Sozials demokratie und ihrer Vertreter gegen die Kriegserinnerungs Wohl haben wir den 16. städtischen Wahlkreis, der feiern, die Ansprachen des Kaisers, die zahlreichen Auflagen bisher vom Genossen Coldig vertreten wurde, verloren; aber Genosse Horn hat, wie wir aus Dresden erfahren, und Verurtheilungen unserer Genossen, sie schienen den es handelt sich hier blos um den Verlust eines Mandats, gegen seine Verurtheilung zu zehn Monaten Gefängniß richtigen Zeitpunkt für einen Hauptschlag gegen die das durch die Eroberung des dritten Dresdner Wahlkreises Berufung eingelegt. Unser Genosse ist übrigens nicht, wie Sozialdemokratie zu bestimmen. Die Presse unserer Gegner wett gemacht wurde, aber uni keinen Rückgang unserer wir gestern irrthümlich berichteten, wegen Majestätsschürte das Feuer, sie übertraf sich selbst in rückhaltloser, Partei, denn die Zahl unserer Stimmen ist auch im Wahl- beleidigung verurtheilt, sondern es handelte sich in dem vor keiner Verleumdung, vor keiner Hinterlist zurück- kreise Krimmitschau gestiegen. Ja, selbst über den einzigen Prozeß nur um eine einfache Privatbeleidigung.
4
1
Ein Verrückter.[ Nachdr. verboten. Kampf und Ende eines Lehrers. Roman von Joseph Ruederer.
ungünstigen Wahlrecht, ist der beste Ben eis, daß alle Angriffe unserer Gegner wirkungslos geblieben sind und bleiben werden. Deshalb find diese Wahlen ebenso lehrreich für unsere Gegner als ehrend für das sächsische Proletariat.
Amtsrichter Meyer bestätigt wurde. erwähnen, daß der Redakteur der„ Thüringer Tribüne", Zum Verständniß der Situation in Erfurt wollen wir Genosse Hülle es war, der soeben eine Verurtheilung des dortigen Staatsanwalts Lorenz wegen Beleidigung vor
Gericht erstritten hat.-
Schallendes Gelächter von den Tischen der Bauern folgte seinen Aeußerungen. Die Anwesenden bogen sich nach allen Seiten, schlugen mit den Fäusten auf die Tischplatten.
" Aber, Herr Lehrer, Herr Lehrer!" mischte sich die Erst blieb ihm der Lehrer nichts schuldig, er entgegueteWirthin hinein, ich bitt' Jhua! Was fallt Ihua denn ein." mit großer Heftigkeit, aber der Förster gerieth in inmer An den Nebentischen waren die Bauern wieder auf- stärkere Wuth, und sein fester Vorsaß, sich nicht mehr übermerksam geworden. Sie blickten mit ihren gerötheten Ge- trumpfen zu lassen, riß ihn noch weiter hin. sichtern durch den blauen Zigarrenrauch neugierig auf den In der Unterhaltung mit ihr hatte sich der Förster wieder Förster, der mit weit aufgerissenem Munde den Lehrer angesammelt und schrie dabei absichtlich immer lauter. Auf- starrte und erst nach und nach seine Fassung gewann. Als mertfam betrachtete er den Lehrer, der kleine Kugeln aus der er zu sprechen anfing, zitterte seine Stimme, aber statt des Da tamen fie aber beim Förster schön an. Bleich vor Mull seiner Semmel drehte und den Kopf in den rechten von allen Anwesenden erwarteten Heftigkeitsausbruches tam Wuth war er aufgesprungen und schrie mit bebender Stimme Arm gestützt hatte. Er schien für alles theilnahmslos zu ses fast schüchtern heraus, als er, noch ganz überwältigt von in die Stube: Bauernluder, verfluchte!" sein, und als der Förster anzügliche Bemerkungen machte, Staunen, die Antwort stotterte: die von der Wirthin mit frechem Get.cher begleitet wurden, da überhörte er auch das, bis ihn plöglich ein Name, der jäb an sein Ohr geflungen war, aus den Träumereien weckte.
Er senkte den Arm zum Tische hernieder, schaute den Förster mit weit aufgerissenen Augen an und fragte scharf und furz:
"
Was haben Sie da gesagt?"
" Geht Sie vielleicht das' was an?" gab paßig der Gefragte zurück, der so that, als bemerke er jetzt erst den ungeladenen Gast am Tische.
Wenn Sie über die Anna und über mich reden, dann geht's mich wohl' was an!" fuhr Gatti heftig heraus. Möcht' wissen," lachte gereizt sein Gegenüber, was i mag."
"
"
Sie. Sie, gelt? Reden S' Jhna net so leicht... i bin a königlicher Beamter." Ach, was! Königlich hin, königlich her, ich verlang von Ihnen a anständiges Betragen!"
Diese Worte flangen sehr fest und bestimmt und schienen jede Erwiderung abzuschneiden. Der Förster befand sich auch in sichtlicher Verlegenheit und begann heiter zu lachen:
" I werd' mi streiten, könnt' mer einfall'n," brachte er endlich hervor und grinste zur Wirthin hin, die nicht wußte, was sie sagen sollte. Könnt mir einfall'n," wiederholte er, mit so ami Menschen streit i mi net."
i red, So lang Sie allein sind, können Sie das thun, wenn ich aber am Tisch bin, verbitt' ich mir solche Bemerkungen." " Hab' bis jetzt net g'merkt, daß sich jemand her- vorzugehen. g'jetzt bätt'."
" Dann wissen Sie's jetzt," schrie der Lehrer und schlug mit der Hand auf den Tisch, daß die Krüge zu tanzen begaunen, so, und jetzt verbitt' ich mir jedes weitere Wort über uns, Herr Förster Göpfert."
Todtenstille folgte diesem Ausbruch. Die Männer steckten die Köpfe zusammen und wiesen einen jungen Burschen eilig zurecht, der hinter dem Rücken der anderen noch weiter fichern wollte.
Befriedigt wandte sich Göpfert wieder zu dem Lehrer und sah verächtlich auf ihn herab:
„ Eh' man andre beleidigt, oder sich drüber lustig machen möcht', muaß man selber was sein. Versteh'n Sie mich? Uebrigens können Sie mich gar net verleh'n, denn was san Sie denn? A Hilfslehrer, der scho dreißig Jahr alt is, der nig war, nix is und nix werd!"
Wuchtig ließ er sich auf die Bank fallen und blies frampshaft einigen Staub von seiner ausgegangenen Pfeife empor.
Brummig fnurrte er weiter, wie ein bissiger Hofhund, und je mehr er vor sich hinredete, um so troßiger wurde er. Der Lehrer sagte nichts mehr. Er warf den Rest der Bei einem zweiten Anprall licße er sich nicht wieder so aufgerissenen Semmel beiseite, zog seine Börse und legte überrumpeln, das nahm er sich fest vor, und als er mun einige Münzen auf den Tisch. Dann trant er aus und mit einem Gesichte, auf dem der Aerger über die erlittene rüstete sich zum Fortgehen, indem er den Gehrock zuNiederlage dentlich geschrieben stand, höhnisch zum Lehrer knöpfte und nach seinem Hut griff. Als er aber hinüber nickte, da war er willens, mit äußerster Brutalität die Klinke der Thüre in der Hand hatte, drehte er sich um und wollte dem Förster, auf den er mit zwinkernden Angen hinblickte, eben noch etwas zurufen. Da wurde die Thüre sanft gegen ihn geschoben und der Wirth schlich mit verdußtem Gesichte an ihm vorüber ins Zimmer, wo er sich mit fragenden Blicken neben dem Förster niederließ.
Seine Stimme wurde wieder lauter und nun, wo Gattl auf eine neue Bemerkung wüthend vom Stuhle emporsprang, um ihn zur Rede zu stellen, da antwortete er herausfordernd und beleidigend. Er durfte sich doch vor den Bauern nichts vergeben!