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Nr. 508 44. Jahrgang Ausgabe A nr. 258

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Donnerstag, den 27. Oktober 1927

Ohne die KPD  !

Die Koalitionsverhandlungen in Hamburg   gescheitert.

Hamburg  , 26. Oftober.( Eigenbericht.)

Die Verhandlungen zwischen Vertretern der SPD.   und der KPD.   sowie des Ortsausschusses der Gewerkschaften fanden gestern nachmittag im Hamburger   Gewerkschaftshaus statt. Zu Beginn der Berhandlungen stellte der Borfißende des Ortsausschusses der Gewerkschaften fest, daß Gewerkschaften und Sozialdemokratische Partei   den ersten Willen zu einer gemeinsamen Arbeit im Interesse der werftätigen Bevölkerung hätten. Die Kom­ munistische Partei   müsse aber erklären, daß sie mit ihren Forde rungen in den Grenzen des Wirklichen bleiben wolle. Thälmann   erwiderte darauf, daß es unmöglich sein werde, folche Grenzen festzusehen.( 1) Für die kommunistische Partei   tomme eine Anerkennung des gegenwärtigen Etats nicht in Betracht, sie werde verlangen, daß ein proletarischer Etat aufgestellt werde.

Auf die Frage, was die KPD. unter einem proletarischen Etat verstehe, erwiderte Thälmann  , die APD. fordere Streichung der Aus­gabenfitel für Polizei, Cefängniswesen und andere arbeiterfeind­liche Einrichtungen"!

Die Bertreter der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei begnügten sich zunächst damit, Thälmanns kühne Erklärung zur Kenntnis zu nehmen. Sie gingen zum zweiten Punkt der Tagesordnung über: Was, wenn eine Einigung der verhandelnden Parteien zustande kommt?

3ft die PD. bereit, die Tenntwortung für die Durchführung des Programms mit zu übernehmen, indem sie in den Senat deinfrift?

Der Ortsausschuß der Gewerkschaften, so fügt der Berhand fungsleiter Genoffe Ehrenteit hinzu, schlage für diesen. Fall vor, den Sozialdemofraten 9 und den Kommunisten 6 Senats­Tize zuzusprechen. Man sei sogar bereit, den Kommunisten den Justiz senator zu überlassen. Ein Angebot also, bei dem die Kommunisten außerordentlich gut abschneiden und nach Herzensluft pofitive Arbeit für das Proletariat leisten fönnten. Die Antwort

auf dieses großzügige Angebot mußte der Prüfstein für den Ernst der kommunistischen   Einigungsaktion sein.

Aber man wartete vergeblich auf eine Antwort des fommunisti­schen Berhandlungsführers Thälmann  . Er blieb stumm. An feiner Stelle rafft sich endlich der zweite Wortführer der Kommunisten, Norden, zu einer Entgegnung auf:

Die PD. muß die Beteiligung an jeder Regierung ablehnen, die nichts an den bestehenden gefehlichen Zuständen ändern

fann."

Begründung? Die KPD  . sei mit Marg der Meinung, daß in der fapitalistischen Gesellschaft jede Regierung nur die Geschäfte der besitzenden Klaffe besorgen fönne und darum müsse fie grundsätz­lich die Beteiligung an einer solchen Regierung ablehnen! Eine andere Sache wäre es, wenn der Hamburger Senat   keine Landes­regierung wäre und nur jene Funktionen zu erfüllen hätte wie ein Ma-. giftrat in einer preußischen Stadt.( Siehe Berlin  !!)

Also erst dann, so schloß dieser Bürger des Landes" Hamburg   seine Abhandlung, wenn die soziale Revolution so weit vorgeschritten sein werde, daß das Proletariat allein von der Macht Besitz ergreifen könne, werde die Kommunistische Bartei bereit sein, in die Regierung einzutreten. Aber sie sei troß dem bereit, einer sozialdemokratischen Regierung die Möglichkeit zu geben, im heutigen Etaat Arbeiter for de rungen durchzusetzen.

Der Sinn dieser furiofen Liebeserklärung: Die KPD. wird auch weiter jene Politik belieben, die mit den gesetzlichen Zuständen" nicht vereinbar ist und die SPD.   darf als Brügelfnebe für ihre aussichtslosen Forderungen den Budel hinhalten.

Der Vertreter der SPD.  , Leuterih und der Vertreter der Ge­werkschaften Ehrenteit winkten ab: in dieser Art von Koalition" fönne ein vernünftiger Mensch keine ausreichende Sicherheit für eine fozialistische Regierung sehen.

Wünsche die KPD. eine Koalitionspolitif zwischen SPD.   und APD., dann wüsse sie auch die volle Verantwortung für die Staatspolitik diefer Koalition übernehmen. Alles andere komme auf Sabotage hinaus.

Da wird Thälmann   wieder munter. Er leiert noch einmal das Sprüchlein herunter, das ihm sein Mitstreiter vorgesprochen hat: wir find teine staatserhaltende Partei wie die SPD., sondern eine staats­vernichtende Partei. Wir können nicht anders.

Gefangene Mostaus? Die Gegenseite war höflich genug, diese Frage nicht anzuschneiden. Sie versuchte dem Berhandlungsgegner goldene Brüden zu bauen: Ist die Kommunistische Partei   wenigftens bereit, die neugewählte Bürgerschaft arbeiten zu lassen? 3ft sie bereit, ihre bisher geübte Sabotage in der Parlamentstätigkeit aufzugeben? Pofitiv ausgedrückt: Ist die KPD. bereit, das Amt eines Bize­präsidenten zu besegen und diesen zu verpflichten, die Geschäfts­ordnung anzuerkennen und durchzuführen?

Berlegenheit auf der Gegenseite. Ausflüchte. Rein Ja und tein Rein. Man tonne doch die Geschäftsordnung nur insofern an­ertennen, als fie fich nicht gegen die eigene Partei richte!

Die Bertreter der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften machten dem kläglichen Schauspiel ein Ende. Vier Stunden hat man verhandelt. Man ist den Kommunisten weiter entgegengetom­men, als es bei Parteien, die eine Roalition einzugehen beabsichtigen, im allgemeinen üblich ist. Die Angst vor Mostau, die Angst, ein 3inkchen aus ihrer revolutionären Scheinheiligenkrone zu verlieren, verhindert diese Leute, die vorgeben, für das Proletariat praktische Arbeit leiſten zu wollen, auch nur ein Titelchen ihrer Forderungen selbst als Männer von Verantwortung durchzufechten und durch zusehen. Die ganze Arbeit soll der Sozialdemo fratie aufgehudelt werden. Was hat das Wort Koalition, das Gerede von der proletarischen Einheitsfront da noch für einen Sinn? Also Schluß. Der Vertreter der Sozial­demokratie erklärt:

Das Verhalten der Kommuniffen zwingt die Sozialdemokratie, eine Koalition mit anderen Parteien zu bilden.

Auch wenn die bis­

Aber selbst in dieser aussichtslosen Situation noch der Versuch, die Kommunisten nicht ganz auszuschalten und ihnen die praktische Mitarbeit an der Arbeit für das werftätige Bolt, soweit es Moskau   und Moskaus   Doktrinen erlauben, zu ermöglichen. Unser Vertreter erklärt: herige Koalition mit den Demokraten und der Volkspartei fortgefeht werden sollte, besteht noch die Möglichkeit, bestimmte Arbeiter. forderungen durch die sozialistisch- kommunistische Parlamentsmehr helt durchzusehen. Seid ihr bereit, auf diefer Bafis mit der Sozial­demokratie zusammenzuarbeiten?

Vorwärts- Verlag G.m.b. H., Berlin   SW. 68, Lindenstr.3 Bosticheatonto: Berlin   37 536 Bankkonto: Bant der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Ballftr. 65; Distonto- Gesellschaft. Devoitentafe 2indenftr. 3.

Die Radikalsozialisten.

Zu ihrem Pariser   Parteitag.

Paris  , 25. Oftober.( Eigenbericht.)

Am Donnerstag, dem 27. Oktober, tritt der ordentliche Jahreskongreß der französischen   Radikatsozialistischen Partei in Baris zusammen, um über die bei den kommenden Wahlen einzuschlagende Taktik und das Programm zu beraten.

Da es sich um die stärkste aller französischen   Parteien handelt, ohne deren Beteiligung seit bald drei Jahrzehnten ( die rein blocknationalistische Beriode von 1922 bis 1924 ausgenommen) feine Regierung gebildet werden konnte, werden die Debatten in ganz Frankreich   da denkbar höchste Interesse erwecken.

Für die Radikalsozialistische Partei haben die kommenden Wahlen eine noch größere Bedeutung, als die von 1919. und 1924. Da zum erstenmal seit dem Kriegsende wieder auf Grund des traditionellen Einzelwahlkreissystems gewählt wird, das vor dem Kriege der Radikalsozialistischen Partei die Allmacht gegeben hatte, fann sie im ersten Gang allein fönnen, ob sich die Armee ihrer Wähler vergrößert oder ver­vorgehen: zum erstenmal seit dem Krieg wird sie feststellen ringert hat.

Eines steht fest: die von der Rechten wild gehaßte und

schon zahlloje male totgesagte Partei braucht nicht zu be­fürchten, daß ihr die bäuerlichen Massen des Südens, die ihre Hauptstüße bilden, untreu geworden wären, und auch jene Teile des Kleinbürgertums, der Beamten und der Lehrer­schaft, die ihre aktivsten Elemente bilden, werden ihr den Rüden nicht fehren. So daß man heute schon sagen fann, Sozial- schaft, daß die Radikalsozialistische Partei eine der stärksten, wenn nicht die mächtig fte aller bürgerlichen Grup­pierungen bleiben wird.

Und der Gewerkschaftsvertreter fügt hinzu: Wollt Ihr während der Dauer dieser Zusammenarbeit eure organisationszerstörende Tätigkeit in den Gewerkschaften aufgeben?

Nicht einmal dieses Opfer" wollen die Kom munisten dem Proletariat bringen. Sie blieben das

Ja schuldig!

=

Danach sind die Berhandlungen endgültig gescheitert und der Bor- 1 izende Ehrenteit ſtellt fest, daß die Bemühungen des Orisaus­schusses der Gewerkschaften, eine gemeinsame Basis für eine 3u­fammenarbeit in der neuen Bürgerschaft zu finden, bei der Sozial­fammenarbeit in der neuen Bürgerschaft zu finden, bei der Sozial­demokratischen Partei unbedingtes Entgegenkommen gefunden hätten, während die Kommunistische Partei   feinerlei pofitive Grund­lage für solche Zusammenarbeit gegeben hat.

Nach diesem Tatbestand hatten weitere Berhandlungen teinen 3med mehr und die Sigung wurde abgebrochen.

Schwarzbarth freigesprochen.

Der Rächer der Pogrome geht frei aus. Paris  , 26. Oktober.  ( Eigenbericht.)

3m Petljuta- prozeß haben die Geschworenen am Mittwoch abend das Urteil gefällt. Sämtliche Schuldfragen wurden verneint. Der Angeklagte Schwarzbarth wurde freige iprochen.

Paris  , 26. Oftober.

In Erwartung des Urteilsspruchs im Betljura- Prozeß hatte sich heute eine außerordentlich zahlreiche Menschenmenge, vor dem Justizpalast angesammelt. Die aufgestellten Bosten konnten des ungeheuren Andranges nicht Herr werden. Durch die korridore, die zu dem Verhandlungssaal führen, drängte sich eine kompakte Men­schenmenge gewaltfam bis zu den Eingängen vor. Sie wurde durch die Bache   mit Faustschlägen zurüdgetrieben. Auch im Gerichssaal selbst herrschte eine erstaunliche Disziplinlofigkeit. Nur mit Mühe gelang es den Zeugen und Anwälten, ihre Plätze zu er­reichen. Bei Eröffnung der Berhandlung erklärte der Borsitzende Flory, daß er im Falle der geringsten Unruhe den Saal räumen laffen werde. Darauf verlas er die

fünf Fragen an die Geschworenen:

1. Ist Schwarzbarth schuldig, auf Simon Betljura geschossen zu haben? 2. Haben die Schüsse den Tod Betljuras verur­facht? 3. Hatte Schwarzbarth die Absicht, Petljura zu töten? 4. Hatte Schwarzbarth mit Borbedacht gehandelt? 5. Hatte er Betljura in einen Hinterhalt gelockt?

Die Anwälte der Hinterbliebenen Petljuras beschuldigten den Angeklagten, im Einverständnis mit den Sowjets ge­handelt zu haben. Sie bestritten, daß Betljura die Judenpogrome angeordnet habe, wenn er fie auch vielleicht hätte dulden müssen. Der Staatsanwalt plädierte ebenfalls auf schuldig. Der Verteidiger schilderte die Verbrechen der Soldaten und Sofafen unter Betljura.

Der Redner schloß sein Plädoyer mit den Worten: Wenn ihr den Angeklagten nicht freisprecht, so werdet ihr den tieferen Sinn dieses Prozesses fälschen und ihr werdet auch die Gesinnung Frant reichs fälschen. Jetzt ist der Augenblid gekommen, wo sich die Stimme Frantreichs erheben foll. Sie wird nicht geschmälert aus dieser Ber­handlung hervorgehen."

Darüber ist man sich im Lage des Bloc national so flar geworden, daß, je näher die Wahlen herankommen, desto stürmischer die Liebeswerbungen der Rechten ihr gegenüber

werden.

Bor einem Jahr, als das zweite Rabinett Herriot  durch die von den Banken geschickt organisierte Finanzpanit zur Strede gebracht worden war und Herr Poincaré   ans Ruder fam, fonnte man in sämtlichen Organen des Bloc national lesen, daß es nun auf immer mit der Radikalſozia­listischen Partei aus sei und ihr nichts übrig bleiben würde, als Anschluß nach rechts zu suchen oder ihrem Zerfall ent­gegenzugehen. Wäre die Radikalsozialistische Partei eine ftraffe Organisation wie die Sozialistische Partei, so hätte die Rechte mit ihren Voraussagungen recht behalten können. Aber in Wirklichkeit haben nur die Komitees in der Radikal­sozialistischen Bartei ernsthaften Bestand: die millionenstarke Masse der Mitglieder" und der Wähler steht, vom rein organisatorischen Standpunkt aus gesehen, in ziemlich losem Zusammenhang mit der eigentlichen Führung der Partei. Das hindert nicht, daß die Kongresse der Radikalsozialistischen Partei, der oft gegen tausend Delegierte beiwohnen, den Eindruck einer starken Organisation machen, und das hindert vor allem nicht, daß der tatsächliche Einfluß der Partei im gangen Land sehr groß ist.

"

Von der Orientierung der Politik hängt in allererster Linie die Gesamtrichtung der inneren und äußeren Politik Frankreichs   ab. Allerdings und das ist eine Tat­sache von ausschlaggebender Wichtigkeit hat sich ihr Traum, allein die absolute Mehrheit zu erringen, nicht verwirklicht. Ein gewisser Prozentsaz ihrer Wähler ist nach dem Krieg zu übergegangen. Bei den ersten Nachkriegswahlen. im Jahre den Sozialisten, ein anderer zu den gemäßigten Nationalisten 1919, hatte sich ihr Erekutivkomitee und ihr damaliger Bräsi­dent Herriot   dazu hinreißen lassen, mit dem Bloc national zu marschieren. Bei den Wahlen im Jahre 1924 ist sie wieder zu ihrer traditionellen Linksorientierung zurückgekehrt, was ihr dadurch erleichtert wurde, daß die französische Sozialistische   Partei, die im Jahre 1919 jedwede Wahlverständigung mit irgendeiner anderen Partei von vornherein abgelehnt hatte, bei den letzten Wahlen ihre Taktik änderte und ihre Beteiligung an einem Linkskartell beschloß, um die Rechtsmehrheit zu Fall zu bringen.

Das neue Wahlgesetz macht das Zusammengehen im ersten Gang nicht mehr erforderlich. Dagegen bleibt die Berständigung für den zweiten Gang notwendig. Daß sich eine erdrückende Mehrheit auf dem radikaljozia­liftischen Kongreß für das Zusammengehen mit den Sozialisten im zweiten Gang aussprechen wird, darf als feststehend be­trachtet werden.

Der Versuch des Abgeordneten Franklin- Bouil­ lon  , die Radikalsozialistische Partei zu einer Berständigung mit dem sogenannten ,, linken Flügel" des Bloc national zu bewegen, um die Mehrheit der nationalen Einheit", die dem gegenwärtigen Kabinett Boincaré- Herriot das Dasein er­möglicht, Dauer über die Wahlen hinaus zu verschaffen, hat nicht die geringste Aussicht auf Erfolg.

Herr Franklin- Bouillon   glaubt, geschickt zu handeln, wenn er eine Mehrheit von Léon Blum   bis Louis Marin"