Einzelbild herunterladen
 
  

Nr. 514 44. Jahrgang he Ausgabe A nr. 261

Bezugspreis: pu

Böchentlich 70 Bfennia, manatlich B.- Reichsmari BOTOUS abibar. Unter Streifbanb im Sn. unb

Ausland 5.50 Reichsmart pro Rona

Der Borwärts' mit ber illuftrier. ten Conntagsbeilage.Boll und Reit" sowie den Beilagen Unterhaltung und Biffen Aus der Filmwelt". Frauenftimme" Der Rinber freund Jugend- Borwärts Blid in die Bücherwelt" und Kultur. arbeit erscheint wochentäglich amei­mal, Gonntags und Montags einmal.

Telegramm- Abreffe:

Sozialdemokrat Berlin "

delemos

ad

6 دلام

Sonntagsansgabe

Vorwärts

Berliner Dolksblatt

Groß- Berlin 15 Pfg.

Auswärts 20 Pfg. mit Volk und Zeit

Anzeigenpreise:

Die einfpaltiae Nonpareille. geile 80 Bfennia. Reklamezeile

5 Reichsmart. Kleine Anzeigen bas fettaedrudte Wort 25 Brennia ( aufäffia amei fettaebrudte Worte), fedes weitere Bort 12 Bfennia. Stellengefuche δας erite Wort

15 Pfennia. iebes meitere Wort 10 Bfennig. Worte über 15 Buch­ftaben zählen fülr awei Worte. Arbeitsmarkt Reile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Reile 40 Biennia.

Anzeigenannahme im Hauptgeschäft, Lindenstraße 3, wochentäglich von bis 17 Uhr.

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297.

Sonntag, den 30. Oktober 1927

isd had de adell

Der Wiener Parteitag.

Referate von Bauer und Renner.

Wien , 29. Oftober.( Eigenbericht.)

Im Arbeiterheim Ottokring( 16. Stadtbezirt) hat heute der Par. teitag begonnen. In seiner Eröffnungsrede erflärte Parteivor: fizender Bürgermeister Seit, auf dem Parteitag würde ein Streit der Meinungen entbrennen, aber wer auf, Uneinigkeit und Spaltung hoffe, dürfte schwer enttäuscht werden. Wir werden so schloß Geiß eine Partei der inneren Geschlossenheit bleiben, mit un­erschütterlicher Einheit und Tattraft!"

-

-

Vorwärts- Verlag 6.m.b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

Baltichedients: Berlin 87 536 Banfients: Bant ber Arbeiter. Angeftelten unb Beamten. Balkr. 65: Diskonto- Gelekichaft. Depofitentaffe Lindenstr. 3.

Allerlei Jubiläen.

Moskau und Rom .

Launiges Spiel des Zufalls: Aus Rußland , und aus Italien dröhnen zugleich Festfanfahren. In dem einen Lande feiert man den zehnjährigen Bestand der So wjetmacht, im anderen die fünfjährige Dauer der Faschisten­herrschaft.

Zufall ist, daß die beiden Feste zeitlich zusammenfallen. Rein Zufall ist jedoch, daß der italienische Faschismus erst ein paar Jahre nach dem Bolschewismus kam. Hier besteht ein ur­sächlicher Zusammenhang. Ohne den Sieg der Bolschewiki in Petersburg und Moskau im Herbst 1917 fein Marsch nach Rom im Herbst 1922. Erst die Berwirrung, die durch die

würde. Eine Roalition wäre jezt nicht eine Roalition gleich starter Parteien. Ehe wir daran denken, müssen wir erst durch Kampf fo start werden, daß die Koalition für uns feine Gefahr bedeutet. Bor allem müffen wir auf das Land hinausgehen und den Bauern fagen, daß wir nicht gegen fie, sondern mit ihnen gegen das Kapital tämpfen wollen und nicht eine Koalition mit den Führern der Bauern, sondern einen 3usammenschluß mit allen wert tätigen Menschen gegen das Kapital erstreben.s Renner führte einleitend ebenfalls aus, daß kein Mensch an werde vollste Disziplin gehalten. Wenn heute so fuhr er fort hervorgerufen wurde, hat Mussolini und seinen Schwarz­biele noch die Koalition verurteilen, so sind das Nach wehen aus hemden den Weg zur Macht geöffnet. Erst als die Arbeiter alten Zeiten. Eine Koalition muß nicht das Proletariat hemmen, für den Kampf ihrer Klasse bedeutet, wurde es möglich, die Italiens vergessen hatten, was die politische Freiheit fie muß fein politische Freiheit in Italien zu vernichten.

Der Bormittag war ausgefüllt mit Begrüßungsreden der aus eine Spaltung auch nur dente; auch im Streit der Meinungen russischen Ereignisse in der italienischen Arbeiterbewegung

wärtigen Gäste, darunter für Deutschland Adolf Braun . Es folgten

die Referate von Bauer und Renner

über die politische Lage, die auch den Nachmittag ausfüllten. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen stand die Frage der Koalition. Bauer erflärte, die Genossen, die von einer Roalition sprechen, tun das offenbar in übergroßer Aengstlichkeit um die Partei. Aber die uns diesen Rat geben, so fuhr Bauer fort, fönnen sich nicht darüber täuschen, welch furchtbares Opfer sie den heiligsten Gefühlen der Arbeiterschaft zumuten: gerade jeßt nach dem Gemezel vom 15. Juli, wonach die Mörder deforiert wurden, mit Parteien uns zusammenzuschließen, die den Mördern applaudiert haben. Das Bürgertum ist jetzt in höchstem Selbstbewußtsein. Der Bundes tanaler hat jeden Gedanten einer Koalition fchroff, abge wiesen. Das beweist zwar nicht, daß felbft Dr. Seipel nicht viel leicht doch einmal eine Koalition wird schließen müffen, aber es beweist, wie fich jetzt die Chriftlichsozialen verhalten würden, wenn am Beratungstisch über ein Koalitionsprogramm gesprochen werden

Kein Nachlassen der Konjunktur. Weiterer Rückgang der Arbeitslosigkeit.

Die Zahl der Hauptunterstübungsempfänger in der Arbeitslosenunterffügung befrug, am 15. Oftober 1927 rund 329 000( männlich 265 000, weiblich 64 000) gegenüber 355 000 ( männlich 286 000, weiblich 69 000) am 1. Oftober 1927 und 381 000 ( männlich 303 000, weiblich 78 000) am 15. September 1927. Der Rudgang in der Zeit vom 1. bis 15. Oktober 1927 beträgt rund 26 000, gleich 7,3 Prozent. Die Zahl der Zuschlagsempfänger( unter ftüßungsberechtigte Familienangehörige) ift im gleichen Zeitraum von 406 000 auf 369 000 gefunken. Whit fatis Auch die Zahl der Hauptunterstüßungsempfänger in der krisenunterstützung ist in der Zeit vom 15. September bis zum 15. Oftober 1927 weiterhin zurüdgegangen, und zwar um rund 23 000. Ihre Gesamtzahl betrug am 15. Oftober 1927 rund 113 000 ( männlich 90 000, weiblich 23 000) gegenüber 136 000( männlich 108 000, weiblich 28 000) am 15. September 1927.

Die Gesamtzahl der unterstützten Arbeitslofen hat fich dem­nach in der Zeit vom 15. September bis zum 15. Oktober 1927 von 517 000 auf 442 000, aljo um rund 75 000, gleich 14,5 Prozent, vermindert Jn den kommenden Wochen wird die Zahl der unterstühlen Arbeitslofen infolge faifonmäßiger Einflüffe möglicherweise wieder steigen.

-

-

-

ein Versuch, die Reaktion zu binden,

-

Beide Systeme, das bolschewistische und das faschistische, daß fie uns nicht in den Abgrund reißt. Ich habe nicht an Seipel nehmen für sich in Anspruch, gegenüber dem demokratischen die Frage gestellt, ob er sich mit uns foalieren will. Ich habe mich System eine höhere Stufe der Entwicklung darzustellen. Beide auch nicht an die Christlichsozialen gewandt. Ich weiß, daß sie alle befinden sich im Irrtum. In beiden Fällen handelt es sich um an dem gegenwärtigen Zustand ein Interesse haben, aber wir eruptive Maffenbewegungen, die eine Partei mit Gewalt an wiffent, daß hinter Seipel nicht eine einheitliche die Macht gebracht haben, und um die Erhaltung dieser Macht Bourgeoisie steht. Die ganze Bourgeoisie ist es nicht, die mit den Methoden der Gewalt. Wenn in anderen Ländern diesen häßlichen Kampf mit uns führen will. Bir haben ein Recht, fortgeschrittener Kultur ähnliche Versuche nicht gemacht wur­unsere Macht auszunuzen, um die Wirtschaft in Ordnung ben oder in ihren Anfängen steckenblieben, so darf man das zu bringen. Wir wollen das Recht und wir wollen den Frieden. auf den höheren Stand ihrer Volksbildung, insbeson Bir haben nicht um eine Koalition gebettelt. Aber laßt die andere auf die größere politische Reife ihrer deren das Zusammengehen ablehnen. Laht die anderen schuldig Rußland und Italien haben die politische Entwicklungs­Arbeiterflasse zurückzuführen. stufe, auf der sich Staaten wie Deutschland . Frant­reich und England befinden, nicht hinter sich, sondern erst vor fic.

werden und überlaßt ihnen die geschichtliche Berantwortung. Sonntag beginnt die Debatte.

Es gibt kein Tanger - Problem.

So behaupten Pariser Blätter.

Paris , 29. Oktober. ( Eigenbericht.) Die italienische Flottendemonstration vor Tanger beginnt jetzt auch diejenigen ernstlich zu beschäftigen, die bisher die Methoden des italienischen Faschismus als Quintessenz der Staatstunst priesen. Der Intransigeant" schreibt, daß ein solches Regime gezwungen werde, feinem, Bolt nationale" Rompensationen für die verlorenen Freiheiten zu bieten. Das tue Mussolini durch die Tanger - Demonstration. Es frage sich nur, ob ihm daraus ein wirklicher Vorteil werden fönne. Auch die Entsendung des Banther" nach Agadir fei ein Scheinerfolg gewesen, der zum Schluß dem taiserlichen Deutschland sehr bittere Früchte ge­tragen habe. Der durch die Flottendemonstration unterstrichene Versuch Italiens , sich zwischen Frankreich und Spanien in Marotto einzuschieben, sei angesichts der außerordentlich geringen italienischen Interessen in Marotto aussichtslos. Das Blatt ist überzeugt, daß Mussolini im Einvernehmen mit England handele.

Der Temps" meint, die italienische Geste müßte jeden unpar teiischen Beobachter überraschen. Das Tanger - Problem sei 1923 durch die drei direkt beteiligten Mächte England, Frankreich und Spanien endgültig gelöst worden. Von der Einberufung einer neuen inter­nationalen Konferenz fönne gegenwärtig feine Rede sein, es liege nicht der geringste Anlaß dazu vor; außerdem haben am 29. Oktober 1912 Frankreich und Italien einen Vertrag unterzeichnet, in dem Italien ausdrüdlich gegen franzöfifche Zugeständnisse in Lybien sein Desintereffement an Marotto erklärt hat. Die spanische 3one und das Tanger - Statut feien in dem französisch- spanischen Ber trag vom 27. November 1912 festgesetzt worden. Italien Pönne also nicht den zeitlich später liegenden Bertrag mit Spanien heute zum Bormand nehmen, um eine neue Ein­mischung in Marokko zu versuchen. Die Rechtslage sei so klar, daß sie feinerlei 3weideutigkeit gestatte.

Ein Reparationskommissar? Zur Entlastung des Reichsfinanzministers. Innerhalb der Reichsregierung wird zurzeit die Schaffung des Amtes eines Reparationsfommissars erwogen. Es foll sich dabei wie der Sozialistische Pressedienst" er. fährt um ein Amt handeln, das vor allem eine Entlastung des Reichsfinanzministers herbeiführt. Eine selbständige Instanz tommt hierfür nach den vorläufigen Plänen der Reichsregierung nicht in Frage. Der sogenannte Reparationstommissar soll vielmehr dem Reichsfinanzminister unterstellt sein und die Aufgabe haben, die in nächster Zeit zu behandelnden Reparationsprobleme unter Berücksichtigung der in den zuständigen Ministerien vertretenen Auffassungen nach einheitlichen Gesichtspunkten vorzubeu reiten. Die letzte Entscheidung über diese Fragen soll schließlich dem Reichsfinanzminister überlassen bleiben.

Reparationsagent und Auswärtiges Amt . Im Reichsfinansministerium fanden am Sonnabend zwischen dem Außenminister Dr. Stresemann, dem Reichs­finanzminister Dr. Röhler und Batter Gilbert längere Berhandlungen über die Denkschrift des Reparationsagenten ftatt. Danach hat also bas Auswärtige Amt feinen Standpunkt, an den Berhandlungen mit dem Reparationsagenten beteiligt zu werden, trop des energischen Biber spruchs der deutsch sationalen Breffe, durchgesept.

Die franzöfifchen Radikalen. dnd slum Wahl des Parteivorsitzenden .

Paris , 29. Oftober. Der Kongreß der Radikalen befaßte sich mit der Sozialpoliti? ber Partei. Der ehemalige Arbeitsminister Durafour, als Referent, sprach sich u. a. für die Verstaatlichung der In­dustrie, besonders der Bergwerfe und Betroleumraffinerten, der 3uderindustrie und des Bersicherungswesens aus. Seine Anträge wurden unter großem Beifall ohne Diskussion angenommen. Die Sigung schloß mit einer Aussprache über die rechtliche Stellung der perheirateten Frau und über die Wohnungsfrage. Die Nach mittagsfigung begann mit einem Bericht des Abg. Nogaro über bie Bährung. Zum Barteivorfigenden wurde Abg. Daladier gemählt.

Man darf diese beinahe selbstverständliche Tatsache aus­sprechen, ohne sich des Chauvinismus schuldig zu machen, der nach außen hin das hervorstechende Kennzeichen sowohl des Moskauer als auch des römischen Regierungs­systems darstellt. Würde sich Moskau nicht einbilden, an de: Spize der Zivilisation zu marschieren, so wäre das Verhält­päischen, ganz besonders der deutschen Arbeiterbewegung nis zwischen der russischen Kommunistenpartei und der euro­viel besser als es in Wirklichkeit ist.

Die deutsche Sozialdemokratie fann die politischen Herr­schaftsmethoden des Bolschewismus nicht billigen, aber sie fann seine kulturellen und ökonomischen Leistungen vor­urteilslos würdigen. Sie verwirft jeden Versuch, ihn von innen oder von außen mit Gewalt zu stürzen, sie stellt sich also feineswegs auf den Standpunkt, daß sein Sturz für Rußland und die übrige Welt ein Glück wäre. Wenn trozdem zwischen ihr und der russischen kommunistischen Partei eine Art dau­ernder Kriegszustand besteht, so tommt das nur daher, daß sich der russische Kommunismus gegenüber der sozialistischen Arbeiterbewegung der Welt ein Lehr- und Herrscher­amt anmaßt, das ihm auf keinen Fall zusteht.

Wenn die Wellen der Festbegeisterung verrauscht sind, wird man in Moskau vielleicht Zeit finden, über diese Fragen ernstlich nachzudenken. Auf die Dauer ist es doch kaum ein haltbarer Zustand, daß eine Regierung, die die ,, Diktatur des Broletariats" zu verförpern vorgibt, mit den reaktionärsten Regierungen Europas und mit den übelsten Kapitalisten­flüngeln immer noch besser steht als mit dem Gros der europäischen Arbeiterbewegung. Alendern wird sich das aber erst dann, wenn die Russen einsehen werden, daß ihr auf­dringliches Lehrmeistertum zu nichts anderem führt, als zu einer Spaltung und Schwächung des europäischen Sozialismus. Sie haben man muß nur an den Kampf mit ihrer Opposition und ihre sonstigen inneren Schwierig­feiten denken in ihrem eigenen Lande Sorgen genug. Mögen sie uns die unseren überlassen.

-

-

Der Faschismus hat sich nicht damit begnügt, seinen fünften Geburtstag durch Musik und laute Reden zu feiern, er hat ihn vielmehr mit einer militärischen Geste begangen, durch die er die Welt an sein eigentliches Wesen erinnern will. Die italienische Flottendemonstration von Tan­ger wedt allüberall die fatale Erinnerung an den wilhelmi­nischen Panthersprung nach Agadir . Gleichzeitige Unter­drückungsmaßnahmen in Südtirol mag man mit dem Treiben der altpreußischen Bureaukratie im polnischen Sprach­gebiet vergleichen, obwohl das, was jezt in Südtirol ge­fchieht, noch schlimmer ist. Auf alle Fälle aber bleibt die Aehnlichkeit frappant: das Talent, sich durch demonstrative Brutalität in aller Welt Feinde zu machen, ist im neuen Italien nicht weniger entwickelt, als es im alten Deutschland war.

Man wagt freilich taum, den Gedanken zu Ende zu den fen. Soll das alles schließlich auch in einem Hineinschlit in einen Weltkrieg seinen Ausgang finden?