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fie. 51644. Jahrgang

Ausgabe A nr. 262

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Dienstag, den 1. November 1927

Ungarische Tendenzjustiz.

Ein sensationelles Berliner   Protokoll: Der Kronzenge widerruft.

Budapest  , 31. Oftober.| In der Budapester   Verhandlung haben die Verteidiger dem Straf­gericht eine eidesstattliche Aussage des Eduard Rubin  vorgelegt, die er in Berlin   am 17. Oftober vor einem nofar gemacht hat, und die der Präsident des Landgerichts I Berlin   beglaubigt hat. Diese Aussage mußte verlesen werden. Rubin   befundet, daß er ein schwächlicher Schneidergefelle durch die entsetz­lighten tagelangen mißhandlungen vollkommen ge­brochen wurde, so daß er schließlich alle Befundungen machte, die thm die Polizei vorschrieb. Er erklärt weiter, daß alle diese Be­fundungen falsch feien, da er lauter Dinge angeben mußte, von denen er gar nichts gewußt hat. Die Polizisten schrieben ihm auf, was er ausfagen müsse, er mußte das auswendig lernen und den anderen Angeklagten nachher ins Geficht fagen; leugneten diese, so wurden fie so lange mißhandelt, bis auch fie die Lügenprotokolle unterfertigten. Schließlich schidte man ihn mit einem falschen Baß auf den Namen Rösler, mit 350 Bengö und mit einer Emp­fehlung an die ungarische Gesandtschaft in Berlin   nach Deutschland  . Hier hat er vom ungarischen Konsulat Unterstützungen erhalten und fellte ungarische Flüchtlinge bespikeln. Die Ver­teidiger stellten den Antrag, daß gegen den verantwortlichen Polizei­rat Schweiniger wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt, Ber­leitung zur falschen Zeugenausfage und Meineids vor Gericht das Strafverfahren eingeleitet werde. Der Staatsanwalt erhob Ein­fpruch gegen die Beifügung der Lassage Rubins zu den uften. Das Gericht wird über alle diese Anträge am Mittwoch entscheiden.

Bon den angeblichen Sowjetdokumenten, deren Photographien

Der 15. Juli und die Parteitaktik.

Wiener   Parteitagsdebatte.

Wien  , 31. Oftober.( Eigenbericht.) In der fortgesetzten Parteitagsdebatte über die politische Lage Iprach zunächst der Chefredakteur des Zentralorgans, Abg. Auster­Iig. Er führte in einer Betrachtung über das Wesen der Koalition aus: Für die Sozialdemokratie kann die Koalition mit anderen Parteien ein erstrebenswerter Zustand nicht sein. Eine Koalition fommt für uns nur in Betracht, wenn die politische Notwendig teit sie gebietet. Man muß sich darüber klar sein, daß Koalitionen immer eine mißliche Sache sind. Viel wichtiger als diese Frage ist für den Parteitag die Frage nach der Haltung der Arbeiter­schaft zu den politischen Ereignissen. Das Wichtigste für die Partei ist Mut, der selbstverständlich mit Be= Sonnenheit gepaart sein muß. Wir müssen erkennen, daß

der 15. Juli nicht eine Niederlage der Partei

war und daß die Partei mit ihrer Tattit seit 1920( wo sie aus der Regierung ausschieb) von Sieg zu Sieg geschritten ist; man fann alfo dieser Taktif nicht vorwerfen, daß sie für die Arbeiterschaft schlecht gewesen wäre. Der 15. Juli war nicht ein Mißerfolg dieser Tattit, sondern ein Mißerfolg deshalb, weil man diese Tattit zum erstenmal nicht angewendet hat. Austerlist appelliert zum Schluß an die Partei, dem Bürgertum stolz, mutig und selbstbewußt ent­gegenzutreten, denn nur mit dieser Haltung werde die Partei die Massen an sich fesseln, dem Bürgertum imponieren und überall geachtet, ja selbst bewundert sein.

Die folgenden 28 Rebner sprechen gegen Koalition, nur ein steirischer Delegierter bezeichnet als wünschenswert, daß der

Bund die

Proporzregierung

obligatorisch einführe, was für die Landesregierungen gesetzlich vor­geschrieben ist.( D. h. Zusammensetzung der Regierung wie der Barlamentsausschüsse im zahlenmäßigen Verhältnis der verschiede nen Fraktionen. Red. d. B.".)

In seinem Schlußwort sagte Renner: Der 3wed der De­batte war, darzulegen, daß die Arbeitertiaffe einen Bürgerkrieg nicht will. Sie will einen Rechtsstaat, sie will die Abrüftung,

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fie will den Frieden. Wir werden sehen, welche Stellungnahme das Bürgertum und die Bürgerblodregierung dazu einnehmen wird. Bauer wandte sich im Schlußwort gegen die Proporzregierung. Ein dauerndes Proporzregieren wäre nicht nur eine Gefahr für den Staat, der ständig eine Opposition braucht, die kontrolliert, fondern auch und das ist für uns das Wichtigste eine Gefahr für die Arbeiterbewegung. Die Proporzregierung verschleiert die politischen Kämpfe, da sie sich dann nur noch am grünen Tisch ab. spielen, und dadurch verlieren die Massen das Inter effe an den politischen Vorgängen. Bauer sagt zum Schluß: Michts wäre falscher, als einen Gegensatz zwischen Reform und revolutionärem Schwung zu fonftruieren.

All die großen Reformen, die wir durchgefezt haben, vor allem auch die Leistungen der Gemeinde Bien, wären unmöglich gewesen ohne ben revolutionären Schmung der Arbeiterschaft; was die

Anklagematerial find, ist noch zu melden, daß darin auch ein Budget der Bagi- Partei enthalten ist, das in- Rubeln aufgestellt sein soll. ( Diese linksfozialistische Partei ist für die Antiage die Dedform der & pu.) Die Berteidiger verweisen darauf, daß man in Mostau in Ticherwonetz oder Dollar rechne, nicht aber in Rubel und daß schon daraus die Fälschung flar hervorgehe. Es heißt in dem Bericht, daß die Vagi- Partei eine Million Flugschriften und 80 000 plafate drucken und verteilen ließ; auch diese hohe Zahl verrät den Ueber­eifer des Spigels. Auf eine Frage des Verteidigers stellte der Vor­sitzende fest, daß die Aften weder eine Unterschrift noch ein Datum tragen. Als die Angeklagten Fragen über die Fälschungen stellen wollten, entzog ihnen der Vorsitzende das Wort.

Die Universität als Kafchemme. Obwohl die Führer der Studentenschaft in Debreczin   dem Rektor ein schriftliches Bersprechen gegeben hatten, daß die Ordnung nicht weiter gestört werden würde, haben sie jüdischen Studenten den Weg zu den Vorlesungsfälen versperrt. Ein jüdischer Student hatte im Biologischen Institut einen Plaz belegt, worauf ihm die Studenten mit Schmähungen die Tür wiesen. Er fehrte mit dem Reftor zurüd, der das gesetzliche Recht des Studenten, bei den Bor. lesungen zu erscheinen, zitierte und den Dozenten ersuchte, die Vor­lejungen zu beginnen. Die Studentenschaft verließ daraufhin lärmend den Saal, so daß nur der Dozent und der jüdische Hörer zurückblieben. Letterer mußte vom Bedell durch die Untertunne­lung der Universität in Sicherheit gebracht werden.

Arbeiterschaft begeistert, ist ebenso wie, daß das rote Bien Häuser baut, daß diese Boltswohnungshäuser gebaut werden durch den Billen der Arbeiterschaft."

Wien  , 31. Oftober.( Eigenbericht.) über die Politik und Taktik der Partei ausarbeiten. Eine Kommission foll nun bis Dienstag eine Entschließung

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schweren Berlust erlitten durch den Tod des Bauarbeiterführers, zu­Die Arbeiterbewegung und die Stadtverwaltung haben einen legt amtsführenden Stadtrats und Leiter des Bauwesens der Stadt Wien  , Genossen August Siegl, der seinem Krebsleiden erlegen ist.

Bürgermeisterwahl in Harburg  .

Der Sozialdemokrat mit kommunistischer Hilfe gewählt.

Harburg- Wilhelmsburg  , 31. Oktober.  ( Eigenbericht.) Die Stadtverordnetenversammlung wählte mit 36 gegen 13 Stimmen den Sozialdemokraten Dr. Duded wieder zum Oberbürgermeister. Die KPD.   stimmte troß vorheriger ablehnender Erklärung für den Sozialdemokraten. Der Magistrat hat mit acht Sozialdemokraten und einem Demokraten eine gesicherte republikanische Mehrheit.

Nach dem radikalen Parteitag. Die Rechte macht in Katastrophenstimmung.

Paris  , 31. Oftober.( Eigenbericht.) Die scharfe Lintsorientierung der Radikalen Partei wird von der hiesigen Rechtspresse dazu mißbraucht, dem Ministerium Poincaré   den schnellen Tod und darüber hinaus den französischen   Finanzen eine baldige Katastrophe zu prophezeien. Diese Auslegung der Beschlüsse des radikalen Partei­tages ist ein grobes Wahlmanöver und sollen die öffent­liche Meinung Frankreichs   in einem den Ordnungsparteien" günftigen Sinne beeinflussen.

In hiesigen Lintstreifen hält man demgegenüber die Beschlüsse des radikalen Parteitages teineswegs für eine brutale Kriegserklärung an das Kabinett, wenn man auch nicht leugnet, daß das Prestige des Stabinetts und besonders der dem Rabinett angehörenden radikalen Minister eine starte Ein­buße erlitten hat. Die Radikale Partei hat so versichert man­durch ihre Beschlüsse unzweideutig zu erkennen gegeben, daß fie das politische Experiment der nationalen Einheit", das bisher nur der Reaktion diente, nicht über die nächsten Wahlen hinaus zu verlängern gedenkt und auf eine feste intsmehrheit in engem Anschluß an die Sozialisten hinarbeitet

nds

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Konjunktur und Reichsfinanzen.

Kritische Bemerkungen zur Wirtschaftsdebatte.

Der Haushaltsausschuß des Reichstages hat sich in einer dreitägigen Debatte mit der allgemeinen Finanz­und Wirtschaftslage beschäftigt. Selbst wenn man von dem Ergebnis der Debatte abfieht, so muß man sie als erfreulich anerkennen. Sie diente der Klärung der Aus­wirkung der Besoldungsreform, über deren System und Aus­gabenhöhe bislang feine Uebereinstimmung besteht. Damit hat der Reichstag   zum erstenmal in der neueren Zeit an­erkannt, daß große Gesezesreformen nicht für sich allein betrachtet werden dürfen, daß ein innerer Zusammenhang zwischen Ausgaben und Einnahmen besteht, und daß infolge­dessen vor der Entscheidung über eine Einzelmaßnahme ihre gesamtpolitische Wirkung ernsthaft geklärt sein muß.

Das gilt in erster Linie von den finanzpolitischen Auswirkungen. Der Reichsfinanzminister Dr. Köhler hat in seiner großen Rede eine überaus optimistische Dar­stellung der Finanzlage des Jahres 1927 und des Jahres 1928 gegeben. Er folgerte daraus, das Reich habe die Mittel zur Besoldungserhöhung, es liege deshalb fein Anlaß zu Ab­strichen an der Regierungsvorlage vor. Man kann Berständ­nis für diese Auffassung haben, wenn man nur daran denkt, daß der Reichsfinanzminister damit sein jüngstes Kind ver­teidigen will. Aber dieser Standpunkt ist furzsichtig und wird von denen nicht geteilt werden fönnen, die auch an die Zu­funft denten und die die Stabilisierung des Reichsetats unter allen Umständen gesichert wissen wollen. Denn schließlich gibt eine Defizitwirtschaft, wie sie Krieg und Inflation es für das deutsche Bolt fein größeres Unglüd als

beschert haben.

Nach den Angaben Dr. Köhlers wird der Etat 1927 mit einem Ueberschuß von etwa 200 Millionen Mark ab­schließen. Selbst, wenn man diese Angabe für richtig hält, so darf man in ihr doch nicht den Beweis für eine gute Finanzpolitit erblicken, wie das Dr. Köhler getan hat. Dieser Ueberschuß wird nicht nur durch die un­verhoffte Erhöhung der Steuereinnahmen erzielt, sondern ebensosehr durch die Heranziehung der legten Reserven vergangener Jahre. Scheidet man diese Refer­Den( Ueberschuß des Jahres 1926, Betriebsmittelfonds, Münz­gewinn) mit mehr als 500 Millionen aus, so kommt man zu Der Feststellung, daß selbst in Ordentlichen Etat des Jahres 1927 die Ausgaben nicht poll durchordentliche, dauernd miederkehrende Einnahmen ge= deckt sind. Die Ursachen dafür bestehen in der unvoll­fommenen Regelung des provisorischen Finanzausgleichs, die für das Reich sehr kostspielig wurde, weil man sowohl Liebes­gaben an Bayern   austeilte( Biersteuer) als auch Liebesgaben an die Unternehmer( Senfung der Realsteuern), so daß das Reich überaus start belastet wurde.

für 1928. Dr. Röhler rechnet mit einem Mehrertrag der Noch ungünstiger sehen wir die Entwicklung des Etats Reichssteuern von 300 Millionen. Bei günstiger Wirtschafts­lage kann diese Annahme in Erfüllung gehen. Aber auch dann hängt alles von der Entwicklung der Ausgaben ab. In welchem Umfang die von Dr. Köhler angekündigte Senfung der Ausgaben eintreten wird, läßt sich nicht nachprüfen, da Einzelheiten darüber erst beim Etat festgestellt werden können. Es fehlen aber in der Rechnung Köhlers jegliche Ausgaben für die Liquidationsgeschädigten, für Klein­rentner und sonstige Nachkriegsfolgen. Es fehlt ferner jede Ausgabe für die Ausführung des Reichsschul­gefeges. Daß es Mehrkosten verursachen wird, kann kein ernsthafter Politiker bestreiten. Daher ist es ganz gleichgültig, welche Höhe sie erreichen werden und es ist für einen Finanz­minister völlig abmegig, einfach die Augen vor dieser Tatsache zu verschließen. Mit billigen Wigen läßt sich dieses ernſte Bedenken nicht beseitigen. Zu alledem tritt hinzu, daß der Außerordentliche Etat selbst bei vorsichtigster Schägung einen Fehlbedarf von 400 bis 500 Millionen auf­weist, für den keine Deckung vorhanden ist. Denn Herr Dr. Köhler will genau, wie im Etat 1927, fo auch im Jahre 1928 einen etwaigen Ueberschuß des Ordentlichen Etats nicht zur Deckung des Fehlbetrages des Außerordentlichen Etats perwenden, wie das die Reichshaushaltsordnung vorschreibt, sondern in den neuen Etat einstellen.

Wir

Wenn wir diese kritischen Ausstellungen machen, so wollen wir damit nicht zum Ausdruck bringen, daß wir die Lage für hoffnungslos halten. Im Gegenteil. find immer davon überzeugt gewesen, daß die deutsche Wirt­Eine bürgerlich- demokratische Internationale. schaft leistungsfähiger ist als die deutschen   Unternehmer sie Paris  , 31. Oktober.  ( Eigenbericht.) aus antisozialer Gesinnung heraus geschildert haben. Aber Im Anschluß an den Rabital- Sozialistischen Kongreß ist am wir sehen eine Gefahr darin, daß wir uns die leber Montag in Paris   ein internationaler Kongreß der rabitalen gangsjahre 1927/28 leichter zu machen Parteien und der ihnen na hestehenden bemotratifu chen, als sie in Wirtlichkeit sind, und dadurch für das Jahr schen Barteten Europas   eröffnet worden. Etwa 50 Delegierte 1929 und die späteren Jahre Schwierigteiten hervor maren anwefend Bon deutscher   Seite waren u. a. erschienen rufen, denen wir bei anderer Politik hätten ausweichen die Abgeordneten Haas, Ertelenz, Frau Lüders und fönnen. Dr. Köhler hat als einmütige Meinung der Reichs Bergstraßer. regierung verfündet, es gelte, das Londoner   Abtommen mit