Hr. 520 ♦ 44. Jahrgang
z. Heilage ües vorwärts
Dannerstag, Z. November 7427
Die Toöesnacht öer Irauv.heyöebranö Mord oder Selbstmord?— Ein entlastendes Gutachten für Heydebrand.
Im weiteren Berlauf des Prozesses verlas der Vorsitzend« ein am 28. Juli 192ö abgefatztes Testament der Frau v. ijeyde- b r a n d, in dem es heitzt:„Da ich von meinem Mann in der ver- letzendsten Art behandelt wurde und er mir unerhörte Zumutungen gestellt und Geld von mir durch Zahlungsbefehle abgenommen hat, entziehe ich ihm den Pflichtteil. Als Erben setze ich den ältesten Sohn meines Schwagers, Otto v. Z o b e l t i tz, ein."— Vors.: Kannten Sie dieses Testament vor dem letzten Beisammen- sein?— A n g e k l.: Nein.— Vors.: Sie haben dann später das Testament angefochten mit der Begründung, daß bei dem letzten Bei- sammensein eine Versöhnung stattgefunden hat. Sie klagen auch auf Auszahlung des Pflichtteils und der Rente in Höhe von 12 000 Mark jährlich.— A n g e k l.: Jawohl. Nach kuitzer Paus« befragte der Borsitzende Herrn v. Heydebrand über die Lag« und Einrichtung der Villa in K n i e g n i tz. Im Schlafzimmer, das zu ebener Erde liegt, standen die Betten neben- einander, an jeder Seite ein Nachttisch. Dann wurde der Angeklagte an den Richtertisch gerufen, um zu demonstrieren, wie die Pistole, das Eigentum Herrn v. Heydebrands, funktioniere. Hierauf wurde die öeweisaufnahme eröffnet und die Wirtschafterin Frau Marie Anders(nicht Schreiber) ver- nommen, die in der Todesnacht in dem Haus„Waldesruh" in Kniegnitz anwesend war. Die Zeugin hat Frau v. Heydebrand erst am Todestag kennengelernt. Sie bekundete, daß die beiden Gatten getrennt angekommen seien. Beide hotten nach dem Essen gelacht und gescherzt und abends musiziert. Um!4S Uhr sei das Ehepaar ins Schlafzimmer gegangen. Sie selbst habe im Neben« zimmcr geschlafen. Sie habe wohl gehört, daß beide sich unterhalten haben, hätte aber nichts verstehen können. In der Nöcht habe sie plötzlich ein Geräusch gehört, und da sei schon Herr v. Hey de- brand in die Küche gestürzt. Der Herr hielt sich am Tisch fest und stammelte:„Sie hat sich das Leben genommen." Ich fragte: �Ho, wie denn?" Er erwiderte:„Mit der Wafse." Ich habe da gesagt:„Sehen Sie, die Waffe. Nun werden die Leute denken, Sie hoben das getan."— Vors.: War der Angeklagte bekleidet?— Zeugin: Er trug eine Hose und einen Schal. Er war ganz blaß und zitterte.— Vors.: Gingen Sie mit ihm in das Sterbszimmer? Was sahen Sie da?— Zeugin: Die Leiche lag auf der linken Seite und war bis zum Hals zugedeckt. In der rechten Hand hielt die Frau den Revolver.— Vors.: Haben Sie genau gesehen, wie die Hand die Waffe umspannte?— Zeugin: Nein, ich habe später nur gesehen, wie der Doktor ihr die Waffe aus der Hand nahm. Der Arzt schloß das Zimmer ab und gab mir den Schlüssel.— Vors.: Früher haben Sie Leuten erzählt, daß Sie durch die Wand des Schlafzimmers gehört hätten, daß das Ehepaar von Adoption und Testament gesprochen habe.— Zeugin: Das kann nichi stimmen. — Vors.: Im Schlafzimmer haben Sie doch eine holbgeleerte Flasche Wein gefunden. Kann da etwas darin gewesen sein?— Zeugin: Nein, denn ich habe die Flasche ausgetrunken.— Staatsanwalt: Haben Sie an den Kleidern oder der Wäsche des Angeklagten Blutflecken gsmnden?— Zeugin:'Nein.— Vors.: Pflegt« der Angeklagte Nachthemden zu tragen?— Zeugin: Dos weiß ich nicht.— Der Angeklagte bat, die Zeugin «och näher über die Stellung der Leiche zu befragen, da ihre Aus- säg«, der rechte Arm der Toten habe aus der Bettdecke gelegen, so aufzukasien sei, ol» habe er der Toten diese Stellung gegeben.— Der Vorsitzende vernahm zu dieser Frage den Arzt Dr. Reim aus Dyhernfurth , den der Angeklagt« gerufen hatte und der süns Kilometer durch die dunkle regnerische Nacht marschiert war. Unterwegs traf er den Angeklagten, der ihm erklärte: „Meine Arau hat sich erschaffen." Als der Arzt nach dem Grund« fragte, sagte Herr o. Heydebrand: ..Fragen Sie jetzt nichts." Ich imterfuchte die Tote, so bekundete der Arzt. Der rechte Arm lag in fast rechtem Winkel auf der Bettdecke. Ich mußte der Toten den Revolver aus der Hand winden, um zu verhüten, daß ein zweiter Schuß losging. Die Leiche war bis zur Brust mit einem Tuch bedeckt. Der Einschuß befand sich 6 bis 7 Zenti-
meter über der Schläfe.— Vors.: War das Benehmen des Ange- klagten auffällig?— Zeuge: Er war innerlich stark erregt, äußer- lich aber korrekt. Vors.: Frau v. Heydebrand hatte zwischen de» Beinen ein kleines Tuch. Hätte sich das Leinen nicht verschieben müssen, wenn sie sich über den ganzen Körper ihres Mannes wälzte, um de» Revolver zu fossen?—Zeuge: Nach meiner Ueberzeugung hätte sich bei dieser Bewegung das Tuch unbedingt verschieben müssen.(Bewegung.)— Vor f.; War die Haltung des Armes auf der Bettdecke nonngl?— Dr. Reim: Wenn der Schily von Frau v. Heydebrand selbst abgeseuert ist, hätte der Arm normalerweise lang auf der Bettdecke liegen müssen. Wie sie in die Stellung ge- kommen ist, kann ich nicht verstehen.(Große Bewegung ün ganzen Saal.) Hierauf wurde der F ö r st e r Schmidt vernommen, der das Haus„Waidmannsruh" in Kriegnitz besitzt und der zugleich Guts- Vorsteher ist. Um M3 Uhr nachts sei der Angeklagte gekommen und habe ihm erzählt, daß seine Frau sich erschossen habe, und oerlangte dann, daß em Protokoll aufgesetzt werde.— Vors.: Welchen Ein- druck machte der Angeklagte?— Zeuge: Er war sehr erregt und braucht« 10 Minuten, um sich zu erholen.— Vors.: Haben Sie mir Frau Anders dann später über den Fall gesprochen? Was sagte sie? — Zeuge: Sie sagte, daß sie an Heydebrand schreiben wolle, er solle tominen und sein Gewissen unter vier Augen erleichtern.— Erster Staatsanwalt: Hat Frau Anders Sie um Rat gesragt, ob sie das tun soll?— Zeuge(nach langem Ueberlegen): Das kann wohl sein.— Vorst: Fron Anders, haben Sie das gesagt?— Zeugin: Das kann ich mir nicht denken.— Vors.: Haben Sie nun renommiert oder wiffen Sie wirklich etwas?— Die Zeugin schweigt und murmelt dann etwas Unverständliches.— Staatsanwalt: Frau Anders, wo haben Sie den Strumpf gefunden, in den der Revolver stets eingewickelt war?— Zeugin: Aus der Erde, neben dem Bett de» Herrn.(Große Bewegung.)— Gerichtsassesior M e tz n e r, der die Leiche zusammen mit der Ge- richtskommission untersucht hat, erklärte, ihm sei nicht» Ver- dächtigesaiifgefallen. Zu derselben Airsicht kam der Zeuge Kriminalkommissar P f i tz n e r. Er ist der Meinung, daß das Tuch, das Frau v. Heydebrand zwischen den Schenkeln trug, nicht zu ver- rutschen brauchte, auch wenn sie sich weit nach rechts übergelegt hätte. Es sei seine feste lieber rnigunq, daß Fron v. heydebnrnd Selbstmord verübt habe nnd daß die Schuld eines anderen völlig ausgeschlossen sei.(Kroße Bewegung im ganzen Saal.) Zum Schlnß wund« die Diakonissin Fräulein Elisabeth v. Heydebrand, die Schwester des Angeklagtem vernommen, die über ihre Schwägerin folpendes Urteil alywb:„Sie war sehr gutmütig, aberheftig, liebe- bedürftig, aber herrschsüchtig." Nach Ansicht der Zeugin habe ihr Bruder»icmal» Hand an sein« Frau gelegt. Die Schwä- gcrin sei ohne Zweifel freiwillig aus dem Leben geschieden. In der Nachmittogssitzung wurde zunächst Frau Forster Schmidt aus Kriegnitz vernommen. Der Vorsitzende logt der Zeugin die Frage vor. ob sie nicht einmal von Iustizrat Fried- londer. dem Anwalt des Herrn v. Zobeltitz, vernommen und ob ihr nicht dabei nahegelegt worden sei, die Wirtschafterin des Angeklagten, Frau Anders, auszuhorchen. Die Zeugin bestätigte, daß man ihr so etwas zugemutet habe. Das Gericht vernahm dann den Ehauffeur S p e r l i ch, der acht Jahre im Dienste der Frau v. Heydebrand stand, der serner in der Freizeit Diener war und so Gelegenheit hatte. die Ehe zu beobachten, vor s.: War da» Zusammenleben glücklich? — Zeug«: Im Gegenteil. Sie sprachen oft stundenlang kein Wart miteinander. Man konnte sehen, daß sie in Zwietracht lebkey. Die gnädige Frau, die früher lebensfroh gewesen, wurde in der zweiten Ehe sehr ernst.— Vors.: Sie haben an dem Unglücks- morgen, am 1?. Oktober, Frou v. Heydebrand zum Bahnhof begleitet. Wie war sie gelaunt?—Zeug«: Lustig und guter Dinge. Sie gab mir viele?lnord»»nge» für ihre Rückkehr. Freilich hat sie sich auch oft bei mir über den Mann boklagt und gelagt, daß er sie auchwUe. Der Zeuge bestritt, daß Frau v. Heydebrand launisch oder sehr leicht erregbar gewesen sei.— Borst: Was dachten Sie, als«je vom Tode Ihrer Herrin hörten?— Zeuge(den Angeklagten anschauend): Mein erster Gedanke war: er hat sie erschossen.— Es wurde dann noch eine Reih« von Zeuginnen, meist Arbeiterinnen
auf dem Gut Gleinig, vernommen, die fast übereinstimmend aus- sagten, daß Frou o. Heydebrand zu ihnen stets gut, daß fle lebeus- luftig, mitunter wohl aufbrausend, aber auch schnell versöhnt gewesen sei. An einen Selbstmord wollte keine der Zeu- ginnen glauben, da sie übereinstimmend betonten, daß die Verstorbene noch wenige Tag« vor ihrem unerwarteten Tode Zu- kunftsplüne gemacht habe. Darauf erstattete Prof. Dr. Straß- mann- Breslau das Hutachten über öen Sektionsbefunö. Er erklärt«, daß die Stellung der Leiche bis zur Sektion nur wenig verändert worden sei, wie man aus den Blutslecken habe erkennen können. Die C i n j ch u ß v s s n u n g habe sich sieben Zentimeter über der rechten Augenbraue befunden. Einen Ausschuß habe man nichi seststellen können. In 4er Umgebung der Einschuß- wunde habe mau Spuren von Pulver gestlnden, ein Beweis, daß es sich um einen Nahschuß gehandelt haben muß. Bei der Settion wurde dann die Kugel, die die 4. Gehirntarnmer, also das Zentrum der wichtigsten Nervenstriing«, zerstört hatte, an der hintere» Schädel- wand gesunden. Der Tod muß nach Ansicht des Suchvrrständtgeu innerhold weniger Sekunden eingetreten sein. Zeichen von einer laetischen Ertrankung, wie der Angeklagte behauptet habe, habe man bei der Toten nicht gesunden. Dagegen spreche für die Angaben des Angeklagten, daß die Patronenhülse hinter den, Rücken der Toter» gelegen habe. Versuche, die man init Probeschüjsen gemacht habe, hätten ergeben, daß die Patronenhülse in derselben Richtung nieder- gefallen sei. Die Tatsache, daß Frau v. Heydebrand nach ihren» Ableben den»Revolver in der Harid behalten habe, spreche nicht gegen«inen Selbstniord, obwohl es die Regel fei, daß bei dem Gehirnkrampf, der sehr häufig bei Kopischüssen eintrete, die Wafse zu Boden falle. Ueberdies hätten Ver- such«, die die Aerzte in Gememschast mit Waffenjachoerslimdigen unternommen hätten, gezeigt, daß es Frau v. Heydebrand sehr woh! »nöglich gewesen sei, den Revolver at'.s dem Nachttisch des Mannes zu erreichen, ohne daß Herr v. Heydebrand erwachen mußte, weil er etwa den Körper seiner Frau gespürt haben müßte. Nachdem noch das Protokoll über den Lokaltermin in der Villa „Waidinannsruh" verlesen worden ivar, wurde die Sitzung aus Donnerstag früh S Uhr vertagt.» * Regierungsrat o. HeydebrandundderLaja ist übrigens nicht, wie vielfach behauptet wird, der Sohn des früheren Führer» der preußischen Konservativen, sondern ein ganz eittsernter Ber- oxurdter von ihn». Die Brandstiftung eines Betrunkenen. In einer an Delirium grenzenden Trunkenheit hat ein gewisser Gerloch eine geradezu sinnlos« Brandstiftung verübt, die ihn vor dos Schwurgericht III und nunmehr ins Zuchthaus gebracht hat. Ger- lach war arbeitslos, und dus Aerger darüber hat er sich dem Alko- hol in einer Weise hingegeben, daß er nach seiner eigenen Dar- stellung morgens die Kasfeetasse nur noch mit beiden Händen hol ten kannte. Mehrfach hatte er nachts Tod- suchtsanfäll« und wollte zum Fenster hinausspringen. Qp hotte er dann auch in«ister Nacht in seiner Stube, in der sich sein ganzes Besitztum befand, Brand angelegt. Als pie Feuerwehr kam, roch der ganze Raum nach Brennspiritus, und Gerlach gab auch zu, daß er die Flasche ausgegossen und den Spiriius angezündet hoste. Um die Brandstelle herum hatte er Körbe mit seinem gesamten Hab und' Gut, Kleidern, Wäsche und Betten, gestellt. Die Betten ivarcn auch schon angekohlt. Gerlach hatte an dem Tage sei»,« letzten drei Mark in Schnaps angelegt und dann einem Arbei- ter, bei dem er zur Miete wohnte, einen Anzug entwendet und für 10 M. versetzt. Aon dem Erlös hotte er auch noch zwei Mark vertrunken. Den Rest fand man bei ihm. Der Angeklagt« entschuldigt« sich damit, daß er nicht gewußt hob«, was er anrichtete. Der Gcrichtsarzt Prof. Dr. Strauch erklärte, daß es schwer sei, ein Urteil abzugeben, ob der'AngeNogte sinnlos he- trunken gewesen sei oder nicht. Die Entscheidung stellte er dem Schwurgericht anheim. Dieses mor der Ueberzeugung, daß der An- geklagte sür seine Tat verantwortlich sei und verurteilte ihn wegen Brandstiftung und Diebstahls zu 1 Jahr 1 Monat Zuchthaus, stellt« ihm aber gleich einen Gnadenerweis in Aussicht. E» hätte in der Hand des Gerichts gelegen, diesen armen
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�Zernent. Dtoatan voa Fjodor Vladkoro»
2. Feinde. Ist irgendein Fehler in der logischen Konstruktion des Ingenieurs Kleist, oder hat das Leben seit einiger Zeit auf- gehört, sich den Cesetzen der menschlichen Vernunft unterzu- ordnen? Die Geschlossenheit der isolierten Welt des Inge- nieurs Kleist platzte unwiderruflich und zerriß wie ein ver- rosteter Draht. Noch vor einer Stunde, als Jakob durch sein alltägliches Kommen die Unveränderlichkeit der Zeit bestätigt hatte, äußerte sich die Vorstellung des Ingenieurs Kleist über das Leben deutlich in dem strengen graphischen Schema: Kreis und Tangente. In den Stunden seliger Ruhe, geborgen hinter den Wänden versteckt, saß er am Schreibtisch zwischen den alten Projekten der Fabrikgebäude und zeichnete, die traditionelle Würde seines Arbeitszimmers wahrend/ mecha- nisch mit dem Bleistift auf englischem Blockpapier immer wieder dieselbe Zeichnung: einen Kreis und eine Tangente, ein AxiHM. das in allen Kombinationen richtig ist. Und plötzlich wurde alles gesprengt, zerbarst in Splittern. Das Axiom wurde plötzlich zum Unsinn: die Tangente ver» wandelte sich in einen Stein, der die Muschel zerschmetterte. Und weil dies alles so einfach und leise geschah, erzitterte Ingenieur Kleists Seele in Todesangst. Er war in die Toilette gegangen und blieb dort etwas länger als gewöhnlich: infolge ver schlechten Ernährung litt er oft an Darmstörungen. Als er über den Gang zurückging, sah er, daß die Tür zu seinem Zimmer offen war. Das hatten weder er noch Jakob zugelassen. Auf der Terrasse standen Arbeiter, sahen auf die Stein- bräche und schielten in sein Fenster. Das war bald, nachdem Jakob fortgegangen war. Da schon hatte er einen«leichten elektrischen Schlag im Innern gespürt, eine Unruhe, aber nur einen Moment lang, und er vergaß sie. Jetzt sah er die weit- geöffnete Tür und wieder fühlte er den elektrischen Schlag. Und schon überkam ihn eine Uebelkeit erregende Unruhe und ein unheimliches Brennen. Ingenieur Kleist bewahrte seine kalte Würde und das gewohnte Gleichgewicht und ging mit festen Schritten ins Zimmer. Er blieb auf der Schwelle stehen und konnte nicht
sofort begreifen, was geschehen war. Zweifellos ist ein piötz- licher, grober Einbruch in seine isolierte Welt verübt morden. Das Fenster war offen und über dem Tisch und dem Fenster- brett dampfte der Staub. Durch die luftige Fensteröffnung ragten deutlich und mächtig die kupfernen Rippen der Berge, mit frühlingsgrünen Flecken und Steinhaufen bedeckt, herein. Ganz weit, auf der oberen Terrasse der Brüche stand ein kleines, zweifenstriges Häuschen, das mit seinen Spitzen sich scharf vom Horizont abhob. Spiralen blauen Rauches und abgerissene Spinngewebe verflochten sich durchsichtig in ge- meinsamem Gang. Vor dem Fenster stand, eine Pfeife im Munde, ein rasier- ter Mann im Helm, Uniform.rock und blauen Gamaschen. Die Kiefer stachen in scharfen Ecken unter den Ohren hervor, und auf seinen Wangen, unter den Backenknochen, waren tiefe Löcher. „Was Sie für Ungeziefer in Ihrer Höhle gezüchtet haben, Genosse Techniker... Und er fegte mit seinen Händen das Spinngewebe von dem Fensterrahmen und»flügeln herunter und schlug nach den herumkriechenden, vor Schreck oerrückt gewordenen Spinnen. „Sie haben eine oerläßliche Barrikade, Genosse Techniker. Aber ein dumpfes Loch... eine Sackgasse." Mit schleppenden Schritten ging Ingenieur Kleist zum Tisch. Es gab eine Stunde, wo dieser Mensch, durch Schläge zermartetert, dem Tode geweiht war und mit seiner blutigen Maske ihm Grimassen schnitt. Und jetzt ist er unerwartet hier und ist so seltsam und unheimlich ruhig. „Ja... ich öffne nie die Fenster...." „Recht haben Sie, Genosse Techniker. Bei uns hier weht ein giftiger Zugwind.... Die Bolschewiken haben, in drei Teufels Namen, alles auf den Kopf gestellt, die Eingeweide aus dem Bauch gerissen und alles auf ihre teuflische Art in Stücke zerfetzt. Verfluchte Kerle!.. „Warum hat Jakob Sie mir nicht angemeldet?" „Ihren Jakob werden wir zum Holzsägen in die Bött- cherei schicken, ein Nichtstuer paßt nicht in unsere Lebensweise. ... Sie müssen sich an mich erinnern, Genosse Techniker.... „Ja, ich erinnere mich an Sie... und wenn schon, was folgt daraus?" „Eine verteufelte Geschichte. Wie ihr sagt: in unseren Händen ist die Diktatur des Proletariats, wir bekämpfen aber den wirtschaftlichen Verfall ohne Hände. Die Arbeit,
das Werk, der Transport, olle» ist ohne Holz, die Bremsberge sind zerschlagen, das Werk ist eine Ruine, und die Spezialisten haben sich wie. die Ratten in ihre Höhlen verkrochen.... Wozu dieses Spinngewebe?... und Sie und das Werk im Spinngewebe? So hat man die Frage zu stellen, Genosse Techniker...." „Angenommen, ich hätte diese Fragen gestellt und gelöst. Was wünschen Sie von mir?" „Nun... ich bin hier auf Ihre Barrikade gestoßen, auf diese Sackgasse... da gings mir durch den Kopf, werde mal diese Höhle umschmeißen.... Das ist schon meine ver- flixte Gewohnheit, Genosse Techniker...." „Ich führe nie müßige Gespräche. Und was Sie da reden, verstehe ich nicht und will es auch nicht verstehe»». Seien Sie so liebenswürdig und lassen Sie mich in Ruhe." Gljeb trat an den Tisch, lächelte. Nahm die Pfeife aus seinem Mund und schaute Ingenieur Kleist scharf an. Spie- gelten sich Spinnen in seinen Augen oder erschienen neben Gljeb unheimliche Gespenster— das Gesicht des Ingenieur» Kleist bedeckte sich plötzlich mit einem dichten Staichanflug. „Genosse Techniker, erinnern Sie sich an diesen schönen Abend, als Sie mich so herrlich auszeichneten und mich so fein eingesalbt haben? Ihr Dampfbad war nicht allzu schwach. ... So ein Bad ist, wenn es gerade nicht die-Teufel geheizt haben, ganz gesund.... Also, ich bin zu Ihnen als Gast gekommen... um über Vergangenes einen Witz zu reißen ... ich liebe es, alte Freunde wiederzusehen, Genosse Tech- niker." Er steckte die Pfeife in den Mundwinkel, reckte sich, um seine Muskeln in Ordnung zu bringen, und lachte. „Und jetzt werde ich Ihnen ein Rätsel aufgeben, Genosse Techniker. Ein kleines, aber sehr interessantes. Es waren einmal vier Dummköpfe in der Welt. Die verdammten Weißen packten diese vier Dummköpfe und brachten sie hier- her in dieses Zimmer. Und ihre Fratzen waren keine Ge- iichter mehr, sondern zerschundene Galoschen. Frage: wozu »at man diese zerschundenen Galoschen hergeschleppt und wozu haben sich diese vier Dummköpfe in einen Lebenden verwandelt?... Ja, das ist wahr: das ist ein lumpiges Rätsel... und die Antwort ist voller Gift.... Wae?.. Und lachte wieder wie ein lustiger Spaßmacher. „Das erzähle ich olles nur so zum Lachen, Genosse Techniker.— Wir haben un» schon lange nicht mehr gesehen." (Fortsetzung folgt.)