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Ste. 32244. Jahrgang Ausgabe A nr. 265

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

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Freitag, den 4. November 1927

Pilsudski vergewaltigt das Parlament.

Das Budget wird verordnet.

Warschau , 3. November. ( Eigenbericht.)

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Die Regierung Pilsudski hat das von ihr einberufene Parla­ment wieder vertagt. Es handelt sich diesmal um eine Ber­tagung bis zum Ende der Wahlperiode des gegen­wärtigen Sejms und Senats. Die Neuwahlen müßten verfaffungs. gemäß im Februar nächsten Jahres sein.

Die Bertagung der Session erfolgte, weil die Regierung be­fürchtete, daß die Abgeordneten neben der Erledigung des Haushalts auch politische Fragen besprechen könnten. Das Budget wird nunmehr auf dem Berordnungswege Rechtsgültigkeit" er­halten. Auf diese Weise hat die Regierung schon wiederholt nicht nur ihre politischen, sondern auch ihre wirtschaftlichen Pläne ohne Parlament verwirklicht.

Der Verlauf der Donnerstagfißung war sehr dramatisch. Als der Vizepräsident Bartel das Bertagungsdekret des Staats­präsidenten verlas, protestierten die Abgeordneten mit aller Ent­

Dramatische Parlamentssitzung.

fchiedenheit gegen diese neuefte Bergewaltigung. Man hörte zurufe wie: hr Feiglinge!", Jhr treibt eine Komödie mit dem Staat!", Man müßte die Polizei holent". Ein fozialisti­fcher Abgeordneter rief den Ministern u. a. zu: Ihr Lumpen!" Der Abgang des Bizepremiers und der übrigen Minister- minister­präsident Pilsudski hielt es nicht für nöfig, zu erscheinen- war einer Flucht durchaus ähnlich.

Deutschland - Polen .

Endlich Handelsvertragsbesprechungen. Das Reichskabinett beschäftigte sich in seiner gestrigen Sigung mit der Frage der deutsch - polnischen Handelsbeziehungen. Es wurde beschlossen, daß Reichsaußenminister Dr. Stresemann mit einem Bertreter der polnischen Regierung in die in Aussicht genommenen Besprechungen eintritt. dist

Cachin, Marty und Duclos fofort zu enthaften. Unter

Dr. von Prittwitz Botschafter in Washington . beftigem Biberspruch der Rechten wurde dieser Antrag mit 264

Die Deutschnationalen drohen mit Krach. Der Reichspräsident hat am Donnerstag den Bot­schaftsrat beim Quirinal in Rom , Dr. v. Brittwig, zum Botschafter in Washington ernannt. v. Brittwig wird das neue Amt noch im Laufe dieses Monats antreten. Die Ernennung des Herrn v. Brittwig stößt innerhalb der Rechtspresse, insbesondere bei den Drganen Hugenbergs, auf scharfen Widerstand, weil dieser ablige Diplomat furz nach der Revolution einen republitani fchen Klub mitgegründet hat. Wenn man ihnen Glauben schenten dürfte, würde diese Ernennung noch ein politisch bedeutsames Nachspiel haben". Aber hier ist lediglich Aber hier ist lediglich der Wunsch wieder der Vater des Gedankens. Wir sind schon daran gemöhnt, daß hinter dem Alarm der Hugenberg- Bresse in der Regel nichts steckt und die Deutschnationalen sich im großen und ganzen schließlich mit allem abfinden, mas gegen ihren Willen geschieht.

Auswärtiges Amt gegen Hugenberg .

Unter der Ueberschrift Eine Klarstellung" meldet WIB. amtlich:

"

Zu den Ausführungen in der Abendausgabe des Lokal- An­zeigers" über Mertwürdige Vorgänge" bei der Er nennung des deutschen Botschafters für die Vereinigten Staaten von Amerika wird amtlich folgendes mitgeteilt:

Die Ernennung der Beamten des auswärtigen Dienstes erfolgt durch den Reichspräsidenten unter Gegenzeichnung des Reichsminifters des Auswärtigen, ohne daß das Reichs. tabinett sich mit solchen Personalfragen zu befassen hätte. Die Nachsuchung des Agrements in Washington ist auch im vorliegenden Falle erfolgt, nachdem nach Rücksprache des Außenministers mit dem Reichskanzler die Zustimmung des Herrn Reichspräfi. denten eingeholt worden war. Eine Stellungnahme des Reichs­Eine Stellungnahme des Reichs: minifteriums ist weder nachgesucht worden noch hat sich der interfraktionelle Ausschuß der Regierungsparteien mit der Frage überhaupt befaßt.

Besatzungsverminderung im Rheinland .

Abzug französischer Truppen.

Paris , 3. November. ( Eigenbericht.) In der französischen Rheinarmee werden augenblid. lich verschiedene Umgruppierungen vorgenommen, die durch die Aus­führung der versprochenen Besaßungsverminderung notwendig ge­worden sind. So wird die Stadt Diez fünftig vollkommen besagungsfrei werden, das 150. Infanterieregiment wird von dort nach Landau bzw. Neustadt verlegt. Aus Düren werden drei Bataillone Artillerie nach Trier übersiedeln. Die Gruppen verminderung soll am 7. November beendet sein.

Die Engländer räumen Jdstein.

Jostein, 3. November. Die Stadt wurde heute von den Engländern vollkommen geräumt. Infolge des Abmarsches werden 60 Wohnungen, das Landesbauamt, drei Volksschulklassen und eine Turnhalle frei.

Kammerbeginn in Paris . Enthaftung verhafteter Abgeordneter beschlossen.

Paris , 3. November. ( Eigenbericht.) Die Eröffnungssigung der Kammertagung, die das übliche Zeremoniell aufwies, bot politisch nur geringes Intereffe. Zu einer lebhaften Debatte tam es über den von den Kommunisten gestellten und von den Sozialisten unterstüßten Antrag, die von den Gerichten wegen politischer Bergehen zu längeren Gefängnisstrafen verurteilten and in haft befindlichen tommunistischen Abgeordneten

gegen 221 Stimmen angenommen.

Bon den reichlich zwei Dugend Interpellationen, die zu Beginn der Donnerstagsfigung verlesen wurden, beziehen sich nur gang wenig auf die Außenpolitik. Es ist wenig wahrscheinlich, daß sie noch in dieser Session zur Besprechung gelangen werden, da mit Ausnahme der Freitage alle Sigungen ausschließlich der Beratung des Haushalts vorbehalten werden sollen. Die von Boincaré bereits formell angekündigte Absicht, gegen jeden Antrag, der das Bud­getgleichgewicht zu gefährden geeignet fei, die Bertrauens­frage zu stellen, muß die Etatsberatung, die eine der wichtigsten Angelegenheiten jedes Parlaments ist, zu einer unwürdigen arce herabfinten. I

Die

DON

den

Kommunisten geforderte Erörterung, der Interpellation Barthou, in der eine politische Amnestie ge­fordert wird, lehnte die Kammer mit 402 gegen 125 Stimmen ab. Justizminister Barthou erklärte im Namen der Regierung, daß diese gegen eine politische Amnestie sei.

Die Freilassung schon erfolgt.

Paris , 3. November.

Die kommunistischen Abgeordneten Doriot , Cachin, Marty und Duclos sind auf Grund des heutigen Beschlusses der Rammer im Laufe des Abends aus der Haft entlassen

worden.

Der rechte Flügel der Radikalen schwenkt zu den Nationalisten ab.

Paris , 3. November. ( Eigenbericht.)

Der Abgeordnete Franklin Bouillon hat am Donners­tag der radikalen Partei die Quittung für seine Niederlage auf dem Parteifongreß in Paris ausgestellt. Zunächst veranlaßte er die rabifale Ortsgruppe seines Wahlkreises Seine- Dise, zum Austritt aus der Partei, dann legte er seinen Boften als Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten nieder. In einer Erklärung, die er vor dieser Kommission abgab, begründete er seine Demission ausdrücklich mit seiner Desavouierung durch den radikalen Parteitag. Nachdem er sich 25 Jahre in der radikalen Partei geschlagen habe, verlasse er sie heute, weil sie die Formel der natio­nalen Einigung, die Frankreich vor der Katastrophe gerettet habe, zurückweise und weil sie ein bedingungsloses Wahlbünd nis mit den Sozialisten einzugehen entschlossen sei. Das ge­schehe, ohne die geringste Garantie dafür zu verlangen, daß die Sozialdemokraten nach einem eventuellen Lintssieg bei den kommen­den Wahlen die Berantwortung in der Regierung mit übernehmen. Ein Zusammengehen mit den Sozialisten sei jedoch zu verwerfen, weil sie für die Räumung des Rheinlandes und den An= aber sei die schlimmste Gefahr für Frankreich (!!) und schluß Desterreichs an Deutschland eintreten. Gerade das bas franzöfifche Bolt, denn es müsse in spätestens 10 Jahren mit einem neuen Krieg rechnen.

Passive Resistenz!

Der Kampf der tschechoslowakischen Eisenbahner. Prag , 3. November. ( Eigenbericht.) Die Berhandlungen der Eisenbahner sind heute in ein entschei­dendes Stadium getreten. Gegenwärtig finden Beratungen im Ministerratspräfidium statt. Die Eisenbahner verharren auf ihrer Forderung nach Abwehr der Systemierungsforderung und find für alle Eventualitäten gerüstet. Geffern abend befaßte fich die Ege­tutive der Eisenbahner mit diesen Borbereitungen. Die Beschlüffe werden geheim gehalten, doch ist es ziemlich sicher, daß heute nacht um 12 Uhr die paffive Resistenz auf den Bahnhöfen, und 3war zunächst auf den großen Eisenbahnftationen einsehen wird. Gestern wurden verschiedene Hausdurchfuchungen im Sefretariat der Aommunistischen Eisenbahner vorgenommen.

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

Bostiche tonto: Berlin 87 536- Banktonte: Bauf der Arbeiter. Angeftelten. und Beamten. Ballftr. 65: Diskonto- Gesellschaft, Devoktentaffe Lindenstr. 3.

Tod!

Eine Mahnung an das Gewissen.

Eine Mehrheit des Strafrechtsausschusses des Reichstags hat beschlossen, daß die Todesstrafe in Deutschland beibehalten werden soll.

Auf dem Geschworenen, der in einem Mordprozeß über schuldig oder nichtschuldig entscheidet, liegt ungeheure Verantwortung. In seiner Hand liegt Tod und Leben eines Menschen. Seine Entscheidung fennt in den Fällen, wo die Läterschaft überhaupt strittig ist, und nicht die Entscheidung zwischen Mord und Totschlag, nur die Alternative: Tod oder Freiheit. Er sieht den Angeklagten vor sich. Er prüft und wägt, die Tatumstände, die Persönlichkeit des Angeklagten. Vielleicht ist sein Urteil fertig von dem Augenblick an, der ihm den Angeklagten zum ersten Male zeigte. Vielleicht ent­ringt sich seinem Mund das Schuldig" im Beratungs zimmer unter dem Eindruck der Ueberzeugung seiner Mitge schworenen wider eigene Ueberzeugung, vielleicht reißt werdende Mehrheit im Beratungszimmer den Geschworenen mit, dessen eigene Ueberzeugung in qualvoller Prüfung teinen Ausweg findet. Wer könnte sagen, welche Einflüffe sich in der Seele des Geschworenen freuzen?

Der Geschworene, der das Schuldig gegen den Ange­vor mir, aus Fleisch und Blut, der um sein Leben bangt und fämpft, ist von meinem Gewissen verurteilt, jenen grauen­vollen Weg zu gehen, der durch die Zögerung der letzten Instanz und der Bestätigung, durch die Mörderzelle in den Gefängnishof, über die Stufen des Schafotts zum Kloh führt. Vor seinem Auge müßte visionär der letzte Aft des Dramas aufsteigen, ehe er im vollen Bewußtsein erklärt: dieser lette aufsteigen, ehe er im vollen Bewußtsein erklärt: dieser lette Aft soll vollstreckt werden; mit dem Bewußtsein, recht ent­

flagten in der eigenen Bruſt findet, der weiß: dieſer Mensch

schieden zu haben, werde ich ihm beiwohnen, und mein Ge­wissen wird nicht aufschreien: haltet ein, das habe ich nicht gewollt.

"

So sollte die Entscheidung über ein Todesurteil fallen. Das Schuldig" follte nicht das Todesurteil bejahen, sondern die Bollstreckung. Es sollte sich nicht dahinter verfriechen, daß zwischen dem Schuldig" und dem Schafott noch die Gnadeninstanz steht. Es sollte die flare Entscheidung sein: ich will, daß dieser Mann vor mir getötet werde, die flare Entscheidung für das Schafott.

"

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Die Annahme ist berechtigt, daß Geschworene ihr Schuldig" sprechen, ohne daß der dunkle Schatten des Schafotts in ihr Gewissen fällt. Uralter Vergeltungsinstinkt, unerklärlich haßerfüllte Abneigung gegen ein Menschengesicht, Leidenschaft und soziales Vorurteil alles das fann einen Rechtsspruch ebenso trüben wie jede menschliche Entscheidung, die nur dem Verstand anvertraut sein sollte und es doch nicht ist. Das andere, der Mechanismus der Vollstreckung, kommt erst hinterdrein. Dann wird das abstrakte Ürteil, das Wort schuldig" zu einem grauenhaften Apparat zur Vernichtung eines Menschenlebens. Wer weiß, ob dann nicht aus dem Gewissen derer, die das Schuldig" sprechen, sich der Schrei emporringt: das habe ich nicht gewollt, nie, nie wieder meine Stimme für ein Todesurteil?

tags, der seine Stimme für oder gegen die Todesstrafe in Der Gesetzgeber, der Abgeordnete des Reichs­die Bagschale wirft. steht dem Problem ferner als der Ge­schworene. Sein Spruch schicht nicht unmittelbar einen Menschen in den Tod. Er sieht den Delinquenten nicht vor sich. Ihm drängt sich der Gedanke nicht auf: dieser Mann vor mir soll den Kopf auf den Kloz legen. Vor ihm erhebt sich nicht die Frage: wie wird dieser Mann in den Tod gehen, wird er, erdrückt von Angst und Schuld, zum Schafoit ge­schleift werden, oder wird er die Arme gen Himmel streden und rufen: ich sterbe unschuldig? Die Stimme im Parla­ment für die Beibehaltung der Todesstrafe- fie ist bequemer als das Schuldig" des Geschworenen im Mordprozeß. Und eben darum sollte sie das Gewissen mit jenem Ernst und jenem Verantwortungsbewußtsein abwägen, das man von dem Spruch der Geschworenen fordern muß.

Die Verantwortung aber, die Verantwortung des Gesetzgebers ist größer als die Verantwortung des Geschwo­renen. Wenn der Deutsche Reichstag über die Frage ent­scheidet, ob Todesstrafe oder nicht, so weitet sich der ernste Saal des Parlaments in ernstere Szenerie: für die Mord­prozesse der Zukunft wird die Strafe vorgezeichnet. Die Ent­scheidung für die Todesstrafe ist der Befehl zum Löten für die Henker der Zukunft. Die abstrakte Entscheidung des Par­lamentariers für die Todesstrafe wird in der Person des Henters der Zukunft verwirklicht werden.

Der Geschworene schickt den einen in den Tod, über den fein Gewissen das Schuldig spricht, das Ja" des Abgeord­neten auf viele Jahre hinaus die vielen, über die das Schuldig des Mordes" gesprochen wird. 112 Todesurteile wurden im Jahre 1924 gefällt, 23 vollstreckt; 92 im Jahre 1925 gefällt, 22 vollstreckt. In jedem fünftigen Falle wird Der Arm des Henters bewegt von dem Willen der deutschen Reichstagsabgeordneten, die das Ja für die Todesstrafe

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