Mittwoch 9. November �927
Unterhaltung unö ÄVissen
Beilage bes Vorwärts
Münchener November. Von Felix Fechenbach . Es war der erste Sonntag im November 1918. In München versammelte sich vormittags um 10 Uhr ein Häuslein von kaum tausend Menschen auf der Theresienruiese vor der Riesenstatue der Baoaria zu einer Friedenskundgebung der Unabhängigen. Die Ein- ladungen zu dieser Kundgebung konnten nur mit hektographierten Handzetteln erfolgen. Einmal hatte das Generalkommando den Anschlag von Plakaten verboten, dann aber mor auch kein Geld da, Flugblätter drucken zu lassen. Die Polizeidirektion hatte erst nach schwierigen Verhandlungen im letzten Augenblick die Durchführung der Veranstaltung erlaubt. Aber man hatte Bedingungen gestellt. Sehr merkwürdige'Bedingungen, die blitzartig die ganze Situation beleuchteten Die Polizadirettion forderte von der Versammlungs- leitung, daß sie die Soldaten nicht zum Ungehorsam und zur Meuterei auffordere, daß sie keine Demonstration veranstalte und die R«- publik nicht ausrufe. Es knisterte schon im Gebälk des alten Staates. Kurt Eisner sprach zu den Versammelten. Die Dersammlungsleitung forderte zu keiner Demonstration aus. Abei nach Schluß der Kundgebung kam spontan au, der Menge der Rus:„Auf noch Stadelheim !" Dort saßen noch drei Ge- nossen voin Ianuarstreik her im Gefängnis. Zweihundert Entschlossene zogen zum Gefängnis, weit außerhalb der Stadt. Polizei zu Fuß und zu Pferd, berittene Gendarmerie und ein Zug Unteroffizier« des bayerischen Leibregiments wurden alarmiert. Aber sie traten nicht in Aktion. Von 12 Uhr mittags bis 19 Uhr abends hielten die Demonstranten vor dem Gefängnis aus und erzwangen. eine Unterredung niit den Gefangenen. Die Freilassung der Inhaftierten wurde in Lucsicht gestellt. Dann zog man zur Stadt. In den Straßen hallten Kampflieder der Arbeiter wider. Friedensrufe erschollen und der Zug der Demonstranten schwoll an, je näher man dem Stadtinnern kam. Alles, was aus den Straßen war, zog mit und als die Demonstration vor dem Wittels- bacher Palais— dem Wohnsitz des letzten Bayernkönigs— ankam, war sie zu einer unübersehbaren Menschenmasse angewachsen. Da sprang einer aus der Meng« auf das EisengRter vor dem Königspolast:„Volk von München ! Entscheidungsvolle Tage liegen vor uns. Es gilt jetzt bereit zu sein!" Und dann schilderte er die politische Situation, erzählte die Vorgänge vor dem Gefängnis. fordert« nochmals die Freilassung der politischen Gefangenen und ließ die Anwesenden schwören, die Freilassung zu erzwingen, wenn sie nicht bi» zum nächsten Tag erfolgt sei. Jubelnd« Zustim- mung brauste ihm entgegen und unterbrach seine Schluß- ausführungen, die in den Ruf ausklangen:„Es lebe der Friede, es lebe die Freiheit, es lebe diesoziale Republik !" Di« Polizei hatte nicht gewagt, die Kundgebung zu stören. Aber zur gleichen Stunde, da die Meng« vor dem Wittels- bacher Palais stand, waren die drei Gefangenen auf freien Fuß gesetzt worden. Zwei Tage später, am 5. November, al» in Kiel die Matrosen die rote Fahne entrollten, sprach Kurt Etsner wieder auf der Theresienwies«. Es waren an Zwanzigtausend, die im Dunkel auf dem weiten Plan standen. Sie wollten in die Stadt ziehen. Eisner hielt ste zurück. Es war schwer. Die Menge tobte. Und doch gelang es Eisner, ein««ln überlegte Aktion zu verhindern. „Nicht jetzt," beschwor Eisner die Masse,„nicht in der Nacht wollen wir aufbrechen. Die Sache des Volkes hat nicht das Licht des Tages zu scheuen. Im Strahl der hellen Sonne wird sich das Voll erheben. Ich setze meinen Kops zum Pfände, «he oierundzwanzig Stunden ver st reichen, wird sich das Volk von München erheben!" Im Ministe- rium de» Innern überlegte man sich, ob Eisner oerhastet werden sollte. Aber man wogte diesen Schritt zuletzt doch nicht. Und die entscheidenden Ereignisse reisten heran. Für den 7. November hatten SPD. , USP. uckd Gewerkschaften eine gemeinsame Friedenskundgebung auf der Theresisnwicfe vereinbart. Um 1 Uhr nachmittags heulten die Fabriksirenen und still ward'c um die Maschinen. Die Abendblätter konnten nicht erscheinen. In unübersehbaren Zügen strömten- die Massen zur Demonstrations- wiese. Ganz München war auf den Beinen. Viele rote Fahnen wehten über den Köpfen. Plakate wurden mitgesührt und mitten unter einer Gruppe Feldgrauer sah man eine große n>?iße Tafel mit der Aufschrift:„Es lebe die Revolution!" Auf den Gesichtern lag Spannung. Man wußte: Heute geschieht Entscheidendes. Die Ortskommandantur hatte die Soldaten in den Kasernen zurückgehalten. Aber viele waren trotzdem ohij« Erlaubnis weggegangen und vom Feld waren viele Urlauber in München . Die kamen alle zur Demonstration. Und die grauen Uniformen mischten sich unter die Männer im Arbeitskittel. Plötzlich hebt ein Soldat eine wallende rote Fahne hoch über die Köpfe und ruft in die Menge:„Alle Soldaten zu Kurt Eisner !" Der Ruf pflanzt sich fort, wird weitergegeben wie ein Befehl. Die Feldgrauen sammeln sich um die rote Fahne. Fünfzehn Minuten sollten die Redner sprechen. Dann sollte eine Resolution angenommen werden, die den Waffenstillstand for- derte und den von den Alldeutschen propagierten Gedanken der „Nationalen Verteidigung" ablehnte. Auch die Forderung noch Parlamentarisierung und Demokratisierung des Staatswesens fehlte nicht. Oben an der Bavaria aus der großen Freitreppe stand Erhard Auer , der Führer der SPD. , dann folgten die anderen Redner am Wiescnhang entlang mu je fünfzig Meter Abstand und weit unten stand Kurt Eisner , der Hauptredner der USP. Da kommt Bewegung in die Masse. Die Soldaten ziehen hinter einer roten Fahne mitten durch die Menge zu Eisner. Ein Zeichen wird gegeben. Die Ansprachen beginnen. Die Resolution wird be- gründet, die ganze Gefahr der augenblicklichen Situation geschildert. Abstimmung: Mehr als hunderttausend Hände erheben sich für die Forderungen der Münchener Arbeiter. Dann zieht Auer mit einem Teil der Demonstranten durch die Stadt zum Friedensengel. Unter- wegs schließen sich die Soldaten der Residenzwache dem Zuge an, der überall mit Jubel begrüßt wird. Aber dort, wo aus der Wiese die Soldaten standen, war nicht alles so programmäßig und ruhig verlausen. Drei Redner sprachen dort. Zuerst E i s n c r kurz und bündig. Es sei jahrelang g e- redet worden, man müsse jetzt handeln. Ein Vertreter der Bauern verspricht, daß das Landvolk die Arbeiter nicht im Stiche lassen werde. Dann springt ein Feldgrauer aus die Böschung. Er trögt eine rote Fahne, erinnert daran, daß die Soldaten der Garnison jn den Kasernen zurückgehallen würden:„Auf in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden! Es lebe die Revolution!" Do» war das Signal. Brausender Jubel setzt ein und im Eturmschrctt
geht's zu den Kasernen, voran die rote Fahne. In der Guldein- schule waren Landstürmer untergebracht. Sie standen mit scharfer Munition in Bereitschaft. Das Tor ist verschlossen. Man schlägt Fenster ei». Zwei Soldaten dringen ein. Mit den draußen War- tenden war vereinbart worden, nach fünf Minuten zu stürmen, wenn dos Tor nicht geöffnet wird. Im Zimmer des Kommandanten verhandeln die zwei Eingestiegenen wegen Uebergabe der Schule. Der Kommandant weigert sich. Die vereinbarten fünf Minuten verstreichen. Draußen fürchtet man für das Schicksal der beiden Kameraden. Das Tor wird gesprengt. Die bewofsnete Bereitschaft geht zu den Stürmenden über. Waffen und Munition werden mitgenommen und weiter gehts zur großen Kaserne auf dem Mars- feld. Bis zum Abend waren alle Kqsernen, die Ministerien, Bahn imd Post in der Hand der Revolutionäre. Um 22 Uhr tagte bereits die erste Sitzung des Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrates im Landtagegebäude. Al. am Morgen des 8. November die Münchener Bürger erwachten, lasen sie in ihrer Zeitung voller Staunen die Proklamation des Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrates:„Bayern ist fortan ein Freistaat." Und über München wehten rote Fahnen.
Neunter November. Das Volk erwachte. Zorn fuhr la die Blassen, Der bleiche Hunger stachelte die Wut. Nach Sühne schrie das hingegohne Blut, Es quoll der Aufruhr aus der Armut Gaffen. Zort mit den Epauletlen. die wir hasten, And mit der Fürsten augemastler Brutt Ans lockt kein Tand, uns treibt kein Aebermut, Doch nimmer wollen wir uns knechten lasten. wir stürmten lost Dann aber klang es laut: Jetzt wollen wir ein neues heim errichten, Das hau, der Freiheit wird von uns erbaut. Sein Sturm wird je die« heil'ge werk veralchlen. So lang' da, Volk der eignen Sraft vertraut, Im Rechte fest und fest in feinen Pflichten. heaalag Duderstadl.
Zum Nevolutions-Tage. Von Sau« Heinrich StrStner. N u r e i n�M ä r ch e n. Es schwimmt in meinem schweren Blut.- August 19l4. Die Bäume reckten sich hoch auf und streckten ihre Zweige von sich weg, als wenn Kinder einen Reigen machen. Aber sie sahen so. düster und drohend, aus, daß sie eher eisernen Gittern glichen, die Erde und Himmel trennten. Die Kinder schien der Wind fortgetragen zu haben, auch die Vögel schlüpften eiligst durch die düsteren Stäbe des Gitters. Kinder- lochen und Vogellaute paßten nicht in die Welt der Schreie, des Todes, der Tränen. Die Menschen sprangen von den Marmorstufen, die sie in Tausenden von Jahren erreich: hatten, wollten und sollten wieder Chaos und Urform sein. Fluteten durcheinander, gegenein- ander, aber nicht unter geistigen Hirnnwln, sondern durch sumpfige Gräben, die Leichtsinn und Machtgier der Herrschenden gezogen. Mensch brandete'gegen Mensch. Hinter heroischen Worten und Hurrageschkei verbarg sich das leere„Warum". Aus die wüste Stirn der Menschheit schrieb der Tod sein Lachen. Hinkend schlich der Wahnsinn durch die Masse, sah manchen: Menschen- kinde in die Augen. Hunger wurde allumfassende Gebärde. Die Sonnenstrahlen aber glichen Pserden, die vor einem Ab- grund bäumen und schössen eiligst zurück In den Weltenraum. Darum waren vier Jahre lang so wenig Sonne und so viel Tränen in der Welt. E i n e V i s i o n. Ich stand auf einem hohen Berge und sah ins Menschenland. Dunkle Wolkenhänd« mit langen Nägeln zerkratzten das bleiche Ant- litz des Mondes, knüllten die Lichtstrahlen zusammen und schleuderten sie in Pündeln ins Tal. Ein unheimliches Gefährt rast« durch das fein« Mondgewebe und riß ein großes Loch hinein. Menschen schrien auf. Sie lagen Übersahren aus der Straß«, mit zerquetschten Gliedern und blutigen Hirnen. Ein Mann sprang auf, erhob die Faust und hielt darin sein abgefahrenes Bein, wie eine Keule, drohend. Da drehte sich die Mondscheibe und hob«inen Parkettsaal aus den Armen der Nacht, Sektslaschen standen im Kreise, und ihre Schatten strichen mitleidig über das Wirrnis trunkener Leiber. Draußen aber kauerten Mütter und Frauen, Runen ßion Not und Sorge in den Gesichtern. Haßgesang drang wie das Rollen unter- irdischer Gewässer zu mir herauf., Wieder warfen Schotten das Bild in Trümmer und die Mond- strahlen zogen eine weiße Straße durchs Land. Das unheimliche Gefährt rollte langsam. Hinter dem?ithn>rsitz kauerte ein unheimlicher Gast, neben ihm lag das abgefahrene Bein. Plötzlich reckte er sich hoch, griff das Steuer. In den Abgrund sauste der Kriegswagen." Menschen standen jubelnd im Morgensonnenschein: Zerschellt! Vor- bei! Laßt uns Brüder sein! Symbol.' Im Herbststurm steht«iki junger Baum. Die Blätter des lauen Lenzes sind abgefallen wie Kinderträume von Kämpferstirnen. Junger Baum, die Erde war hart, in die du 1918 gepsianzt wurdest. Die Trümmer der alten Zeit sind noch nicht zerbröckelt, noch engen sie dich ein. Wachse in Geduld, diese Trümmer habe» keinen Sinn. Erschrick nicht, wenn du noch nicht groß genug bist, um die Welt zi» überschatten. Sieh, wieviele stehen abseits, die dir den Boden bereiten müßten, sdoiele sind müde, die dich stützen müßten. Am 9. November grüßen dich rote Fahnen: Deutsch « Republik !
Wilhelms Fahnenflucht. Von Herbert Eulenberg . Wir entnchmen diese Schilderung dem im Verlage«an Bruno Safsirer erschienenen Werl „D i c Hohenzolleru" van Herbert Sulcnberg. Ein Soldat und nichts Schöneres als ein Soldat hatte er doch sein Leben lang sein wollen.„Kinder, et is en tüchtiger Rekrut!" teilt« Papa Wrangel , der oerknöchertste Kommißkopp, der jemals preußischer General war, der Berliner Bevölkerung gleich nach der Geburt des Prinzen mit. Und auch Vater Friedrich, der doch selber seinen Rappel sürs blaue Tuch hatte, meinte, als der Junge groß-- jährig wurde, verschnupft zu seiner Frau:„Der Bengel kann vor- läufig über nichts anderes reden als über seinen Dienst." Dem Heer galten während der fünsundzwanzigjährigen Herumfahrerei, deret- wegen er allgemein der„Reisekaiser" im Volke hieß, Wilhelms meiste Besuche, seine häufigsten Reden, seine stärkste Sorge. Immersort wandte er sich ja in Tausenden von Ansprachen, die alle im Grund dasselbe besagten, an seine Soldaten zu Wasser und zu Lande. Nie wurde er müde, dem jüngsten wie dem ältesten seiner Krieger die soldatischen Tugenden vorzuhalten und zu predigen, deren oberste er selber dann verletzte, als es hart auf hart ging. Er steckte ja auch während seiner ganzen Herrschoftszeit ständig in irgendeiner bunten Heerestracht und trat fast bei keiner Gelegenheit in bürgerlicher Kleidung auf, ein Umstand, der im Ausland allgemein unangenehm vermerkt wurde. Sein Leben bis zum Krieg war in der Hauptsache ein fortwährendes Mustern und Nachprllsen seiner Truppen gewesen, die damals gebimst wurden, als hätte man ihnen die letzte Lust an dem„fröhlichen" Kriegshandwerk nehmen wollen. Er kniete sich geradezu in den Kasernen- oder Manäverstaub, und nie zuvor hat ein Hohen,zollernfürst, auch der vom Soldatenkoller ergriffene Vater Friedrichs des Großen nicht, sich derartig erpicht in das Heerwesen und die Drillerei verbissen als Wilhelm der Zweite. Er hatte ja nicht nur wie sein in Gott ruhender Großvater, dem er allein den Beinamen„der Große" verlieh, für seine stehenden Landtruppen zu sorgen, wo es ständig Paraden abzuhasten und neue Abzeichen, als da waren Standarten, Säkularbänder, Eichenblätter, Namenszüge, Litzen, Spangen, Grenadiermützen, Apfelsinenorden, Fangschnüre, Haarbüsche und andere Kinkerlitzchen zu ersinnen galt und wieder und immer wieder Sittenpredigten zu halten hieß. Er hatte sich noch dazu seine Kriegsflotte zugelegt,„Willys kleines Spielzeug," wie Onkel Eduard und England witzelten, denen er mit dieser für einen Krieg unzureichenden Waffe ständiD in die Augen stach. Bis- her hatte es trotz eines gelegentlichen, fchnell wieder verflatternden Puschels Seiner verstiegenen Majestät Friedrich Wilhelms des Vierten, der den Iadebusen für Preußen erhandelte, kaum eine streit- sähige deutsche Kriegsflotte gegeben. Die wurde erst von Wilhelm langsam zusammengebracht. Was hier in jenen Jahren, bei seiner neuen Ssemacht nach seinen genauen Angaben an ewiger Schleiferei der Seesoldaten geleistet wurde, das verdiente unter die Höllen - quälen Dantes aufgenommen zu werden. Däbei verstand der Kaiser nup den äußeren Drill von der ganzen Kriegsspielerei, deren Feinheiten er, sofort als e� Ernst wurde, anderen überlassen mußte: Man lächelte im ganzen Heer vom alten Schlieffen, dem Unglücksurheber des Durchzugsplanes durch v Belgien , bis hinunter zum untersten Generalstäbler, über die un- möglichen kriegskünstlerischen Proben, die er, um sich in seiner Glanz- rolle hoch zu Roß zu zeigen, unter unendllchen Mühseligkeiten für den übrigen„Troß" allherbsllich aufzog. Immerhin hatte man er- wartet, daß er, der sich soundso oft als„oberster Kriegsherr" vor- geführt hatte, standholten werde, wenn es einmal galt, die so zahl- los« Male von den anderen geforderten soldatischen Tugenden am eigenen Leibe zu bewähren. Und da geschah das Unerwartete, das Schlimmste, das er tun konnte: Er übergab den Degen, von dem er laut zu Beginn des Krieges erklärt hatte, daß er ihn nur als Sieger in die Scheide zurückstoßen würde, einem holländischen Grenzwacht- posten und floh unter den Schutz einer fremden Königin ins Aus- land. Hiergegen war das stille Armekreuzen eines Napoleon des Britten, der sich, umzingelt von einem mächtigeren Feind, in Sedan samt seinen besiegten Truppen gefangennehmen ließ, eine Helden- hastigkeit, ein gefaßtes würdevolles Ergeben in ein Kriegsunglück. das den Tapfersten und Tüchtigsten treffen kann. Wilhelm aber verging sich in der grauen Herbstnacht vom 9. zum 19. November 1918 gegen die einfachste aller Soldatenpflichten, deren Uebertretung im neunten der früheren Kriegsartikel als eine Unwürdigkeit und Ehrlosigkeit bezeichnet wird und die nach diesem selben Artikel 9 im Frieden die Herabsetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes und im Felde die sofortige Todesstrafe durch Erschießen zur Folge hat. In dieser einen einzigen schmutzigen Novembernacht zertrüm- merte Wilhelm nicht allein sein Fürstenhaus, sqpden, auch die ganze seit Jahrhunderten geheiligte Ueberlieserung des preußischen Heeres, sür die er fünfundzwanzig Jahre lang die geschwollensten Worte gesunden und geprägt hatte. Die Pflichttreue, dieser Fetisch, dies Götterbild, vor dem er ununterbrochen Weihrauch geschwenkt hatte, wurde nun von ihm selber oerleugnet. Er floh, als erster der Hohen- zollencherrscher. vor seinem Volke und vernichtete damit die Schöp- jung der Könige Preußens, die Armee, auf die inan mit Recht stolzer gewesen war als aus alles andere. In dieser einen nah- grauen häßlichen Novembernacht versanken mit ihm all die Fahnen, Standarten und Ehrenzeichen Preußens, die vieUach von ihm er- neuert, soundso oft pomphast bei Truppenschauen und Prunk,-ügcn an ihm va:beigetragen worden waren, die er soundso häufige Male mit trompetender oder schnarrender Stimme angefeiert hatte, wo- bei ihm gelegentlich gar ein paar Tränen entfallen waren. Jn dieser einzigen Npoembernacht begrub er unter den Trümmern seines Thrones all die Titel und Orden des Kaiser- und Königreichs, die er und seine Ahnen geschaffen und verliehen hatten. In dieser ewig schmachwürdigen Nooembernacht seiner Fahnen- flucht bewies er. ober auch andererseits, daß a> die donnernden Redensarten, der ganze Wortschwoll, mit denen er sein Land und die Welt fünfundzwanzig Jahre lang überschwemmt hatte, nur Getue und er selber nichts als ein Schauspieler gewesen war. Und plötzlich siel es allen wie Schuppen von den Augen, und sie er- kannten den Komödianten, den er bisher so geschickt verborgen hatte.
Man tonn in Wünschen sich vergesien, Man wünschet leicht zum Uebersluß, Wir aber wünschen nicht vermessen, Wir wünschen, was man wünschen muh: Denn soll der Leib iii: Menschen leben, So brauchet er sein täglich Brot. Und soll er sich zum Geist erheben. So ist. ihm seine Freiheit. not. L. Uhlanfc»