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Morgenausgabe

Nr. 540

A 274

44. Jahrgang

Böchentlich 70 Bfennig, monatlid 3, Reichsmart, voraus zahlbar. Unter Streifband im In- und Ausland 5,50 Reichsmart pro Monat.

Der

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Borwärts" mit der illuftrier­ten Sonntagsbeilage., Bolt und Reit" fowie den Beilagen Unterhaltung und Wiffen Aus der Filmwelt". Stabtbeilage" Frauenftimme",

" Der Rinderfreund"," Jugend- Bor märts"," Blid in die" Bücherwelt" ,, Kulturarbeit" und Technit erscheint wochentäglich zweimal, Gonntags und Montags einmal.

Vorwärts

Berliner Bolesblatt

Dienstag 15. November 1927

Groß- Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pf.

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Minister Schiele verteuert den Kinderbrei!

Erhöhung des Maiszolls geplant.- Großagrarische Intereffentenpolitik im Reichskabinett.

Die Wähler der Deutschnationalen haben in den letzten teuer geworden, und sie fürchtet die Konkurrenz der Jahren oft genug Anlaß gehabt, sich verwundert zu fragen, Maisstärteindustrie, deren Rohstoff nur durch mozu die Deutschnationale Partei eigentlich in der Regierung ift. All die schönen Wahlversprechungen sind vor den Er­fordernissen der praktischen Politit" in nichts zerronnen. In der Außenpolitik merden die Deutschnationalen, wenn auch widerstrebend, auf der Linie der Locarno - Politik festgehalten; die Sparer und Rentner sind in der Aufwertungsfrage un­bedenklich betrogen worden; nur ein letztes und höchstes Gut gibt es, das angeblich alle Opfer in den großen Fragen der Bolitik rechtfertigt: die Wirtschaftspolitik, die Handhabung des Regierungsapparates im Dienste der wirt schaftlichen Forderungen der Großagrarier und des Reichslandbundes.

Ein glänzendes Beispiel für diese Handhabung des Re­gierungsapparates im Dienste der Interessen einer lei nen großagrarischen Clique bietet gerade der gegenwärtig zur Diskussion stehende deutsch jugo lawische Handelsvertrag. Es kann auf den ersten Blid teine harmlosere Maßnahme geben, als die in dem Handelsvertrag vorgesehene Bollermäßigung für Futter mais von 3,20 m. auf 2,50 m. je Doppelzeniner. Im Gegenteil, jeder, der für einen Abbau der Zollschranken auch auf landwirtschaftlichem Gebiet eintritt, und jeder volkswirt schaftlich Denkende, der eine Zollermäßigung vor allen Dingen bei den Rohstoffen und Halbfabrikaten für notwendig hält, muß diese Bollermäßigung begrüßen. Ist doch der Mais vor allen Dingen ein Rohstoff für die Schweinemaft, und Hunderttausende von fleineren und mittleren Landwirten haben daher ein Interesse daran, nachdem die in der Bor: friegszeit so billige russische Futtergerste auf dem Weltmarkt fast verschwunden ist, in dem Mais. einen neuen und wohl feilen Rohstoff für ihre Schweineproduktion zu gewinnen. Gegenüber diesem Abbau eines Stüdes der 3ollmauer schien es nur ein fleiner Schönheitsfehler zu sein, daß die 3oll­ermäßigung nur dem Futtermais, nicht aber dem zur industriellen Weiterverarbeitung einge führten Mais zugute tommen soll.

3war handelt es sich bei der industriellen Weiterverar beitung von Mais um nicht unwesentliche Interessen der Boltswirtschaft und der großen Berbrauchermassen, werden doch aus Mais wichtige industrielle Hilfsstoffe( Degtrin, Stärte) hergestellt, vor allem aber auch Massen nahrungsmittel wie Puddingpulver, beispiels­weise das bekannte Maizena, und Nährmittel für die Rinder, Kranten und Säuglingsernäh rung.

Dieser fleine Schönheitsfehler bekommt aber ein ganz anderes Geficht durch eine Nachricht, die in diesen Tagen durch einen Beschluß des preußischen Kabinetts der Deffent­lichkeit zur Kenntnis gekommen ist. Das Reichsmini­sterium für Ernährung und Landwirt= chaft beabsichtigt nämlich, bei der Differenzierung zwischen Nährmittelmais und Futtermais durch einseitige Senfung des Futtermaiszolles nicht stehen zu bleiben;

es will diese Differenzierung noch ganz gewaltig übersteigern, indem gleichzeitig mit der Rollsenkung für Futtermais der Zollsatz für Industriemais von 3,20 m. auf 5 M. erhöht, also nahezu verdoppelt werden soll.

einen 3oll von 3,20 m. je Doppelzeniner verteuert ist. Klarer tann das Arbeiten der agrarischen 3011 erhöhungsmaschine gar nicht dargestellt werden. Erst erhöht man den Kartoffelzoll und schafft Kampfzölle gegen Polen , um die Kartoffeln teuer zu machen, dann, wenn die Kartoffeln teuer sind, ist wiederum die Kartoffelstärkeindustrie nicht fon­furrenzfähig, und man muß den Maiszoll erhöhen, um hohe Stärkepreise und Nährmittelsalze herbeizu­190 sind führen.

Nun verlohnt sich aber außerdem wohl die Frage, um welchen fabelhaft wichtigen, mit den Lebensintereffen Deutsch­ lands und seiner Erwerbstätigen verwachsenen Gewerbe­zweig es fich bei der Kartoffelstärkeindustrie tatsächlich han belt. Es gibt in Deutschland etwa 150 arbeitende Kartoffel­stärtefabriken, von denen jedoch rund 120 Betriebe( etwa 50 mit Trockenstärfe und etwa 70 mit Feuchtstärkeher stellung) sogenannte landwirtschaftliche Kartoffelstärfefabriken von sehr fleinem Umfange find. Nur 30 Betriebe sind wirt liche gewerbliche Kartoffelstärkefabriken, und unter diesen Betrieben sind eigentlich nur drei als einiger maßen großindustrielle Betriebe anzusprechen, nämlich die . 2, Scholten Stärte und Syrupfabriten ft Gel in Brandenburg , fowie die Stärtefabrifen in Rüftrin und Travemünde . Die gesamten Kar toffelstärtefabriken in Deutschland verarbeiteten im Jahre 1925 1,5 Millionen Tonnen Kartoffeln, wobei auf die land­wirtschaftlichen Fabriken 800 000 Zonnen, auf die gewerb lichen 700 000 Tonnen entfielen. Im Jahre 1926 ging die Verarbeitung um mehr als die Hälfte auf 600 000 Tonnen zurüd. Gemessen an der deutschen Kartoffelernte sind das vollkommen unwesentliche Bosten; betrug doch die Kartoffel­ernte von 1925 41 Millionen Tonnen, so daß nur etwa Pro3. der Kartoffelernte von der Kartoffelstärkeindustrie verwertet wurden. Es ist also taum zu verstehen, wes wegen gerade die Kartoffelstärtefabritation von so außer ordentlicher Wichtigkeit sein soll, um wegen ihrer Interessen

den Beschlüssen der Weltwirtschaftskonferenz ins Gesicht zu schlagen und einen Rohstoff zu verteuern, der der deutschen Tertilindustrie wichtige Hilfsstoffe liefert und aus dem wohl­feile Nährmittel für die großen Massen der Verbraucher, be­fonders aber für die Kinder, Kranten und Säuglinge herge stellt werden.

Es müssen doch außerordentlich einflußreiche Inter essengruppen sein, die hinter diesem Industriezweig stehen, und denen es hier gelungen ist, den Lauf der deutschnational gelenkten Regierungsmaschine aller Interessen der Verbraucher und allen feierlichen Er­klärungen der Regierung zum Trok zu beeinflussen.

Wir haben nun einen besonderen Anlaß, an den de utfch nationalen Minister Schiele, der sein Amt als Boltsernährungsminister dahin auffaßt, daß er aus­gerechnet den Pudding und den Kinderbrei ver­teuern muß, folgende Frage zu richten: leuelaum 1. Jit es wahr, daß Herr Schiele auf seinem Gutsbetrieb in Schollene eine verhältnismäßig große und leistungsfähige landwirtschaftliche Kartoffelſtärke­fabrik besikt?

2. Jit es wahr, daß Herr Schiele an der größten und leistungsfähigsten industriellen Kartoffciſtärke­fabrik, der Scholten A. G. in Brandenburg , mit einem sehr großen Aftienpaket beteiligt ist oder noch bis vor kurzem beteiligt gewesen ist?

3. Jit es wahr, daß Serr Schiele vor seiner Er­nennung zum Reichsinnenminister dem Aufsichtsrat der Scholten- A.- G. angehörte, diefes Aufsichtsrats­mandat wegen seiner ersten Ministertätigkeit nieder­legte, es aber nach Beendigung seiner ersten Minister­tätigkeit aber prompt wieder erhielt, um es wiederum niederzulegen, als er Reichsernährungsmini­ster wurde, und daß er daher mit einer gewiffen Zuver ficht darauf rechnen kann, daß ihm dieser Sis im Auf­sichtsrat in der größten deutschen industriellen Kartoffel­stärke fabrik auch wiederum frei gehalten wird bis zu dem Augenblick, wo er wieder dem Kreise der pensions­berechtigten Reichsminister angehören wird?

Vereinbarung in der Metallindustrie

Allgemeine Lohnerhöhung von 5 Prozent für die Eisenformer.

Der Schlichtungsausschus, der gestern bis spät| infolge der außerordentlich guten Ronjunttur abends versammelt war, um eine Einigung in dem und von Arbeitern, die besonders tüchtig sind und auf Konflikt der Eisenformer und Berufsgenossen mit dem der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit stehen. BBMJ. herbeizuführen, ist schließlich zu folgender Vereinbarung gekommen, die beiden Parteien zur Annahme empfohlen wird.

,, Mit Rücksicht auf die weitgehende Differenzierung der Verdienste in den einzelnen Betrieben erscheint eine einheitliche Regelung kaum durchführbar. Die Kammer empfiehlt eine Erhöhung der Verdienste der Arbeit nehmer( Handformer, Maschinenformer, Kernmacher, Puter) um etwa 5 Proz. mit Wirkung ab 14. November. Falls sich bei der Durchführung dieser Empfehlung Streitigkeiten in den einzelnen Betrieben ergeben sollten, hat eine paritätische Kommission, bestehend aus einem Arbeitgeber und Arbeitnehmer, eine Regelung zu schaffen. Die Entscheidung dieser Kommission ist endgültig."

Die Berhandlungen die gestern unter dem Borsiz des Gewerberats Körner stattfanden, waren in Wirklichkeit eine Fortsetzung der direkten Berhandlungen zwischen dem Berband Berliner Metallindustrieller und dem Deutschen Metallarbeiterverband , die vorige Woche Diens­tag ergebnislos abgebrochen waren.

Der landwirtschaftliche Gewerbezweig, zu dessen Gunsten hier der Maiszoll erhöht werden soll. ist die Kartoffel­ftärtefabritation, also ein Verwertungszweig des deutschen Kartoffelbaues. Nun ist es zwar außerordentlich schwierig, glaubhaft zu machen, warum gerade in der Gegen wart ein Lebensinteresse des deutschen Kartoffelbaues be­droht sein soll, da wir nicht nur im vorigen Jahr bei einer tnappen Kartoffelernte schwindelnd hohe Kar toffelpreise hatten, sondern die Kartoffelpreise auch in diesem Jahre weit über den Vorfriegspreisen liegen, obwohl das Ernteergebnis wesentlich besser war als im vorigen Jahr. Ist doch die Kartoffelernte von 1927 um nicht weniger als 6 Millionen Tonnen größer als die des Vorjahres, eine Menge, die faft ebensogroß ist wie der gesamte Spelfe fartoffelbedarf der städtischen Bevölkerung in Deutschland . Es wirkt sich hier die im legten Sommer geschaffene Ergen jede generelle Lohnerhöhung abgelehnt, und zwar höhung des Kartoffelzolles aus, die noch dadurch verstärkt wird, daß gegenüber dem einzigen Lande, das mefentliche Kartoffelmengen nach Deutschland liefern fönnte, nämlich Polen , noch immer der Kampfzoll von 2 m. je Doppelzentner in Geltung ift. Bum Schuß der Lebensinter effen des Kartoffelbaues ist also alles geschehen und weit mehr noch, als nötig wäre und als den Berbrauchern gegen über verantwortet werden fann.

Nun aber ist wiederum die Kartoffelstärkeindustrie in Not, denn durch die hohen Kartoffelpreise ist ihr Rohstoff

Wie erinnerlich, hat der BBMI. in jenen Berhandlun sowohl aus grundsäßlichen, wie auch aus wirtschaftlichen Gründen. In den Besprechungen, die gestern in der Oranien­straße stattfanden. versuchten die Unternehmervertreter, die fehr zahlreich erschienen waren, zunächst mit den angeblich hohen Löhnen aufzutrumpfen. Die Unternehmer hielten Löhne, deren Durchschnitt sie selbst auf 1,29 m. die Stunde angaben, für ausreichend, ja jogar für sehr hoch. Sie führten besonders die Löhne ins Feld, die nicht unerheb­lich über diesem Durchschnitt liegen. Sie mußten dabei aller­dings felbft zugeben, daß diese Löhne nur verbient werden

Die Unternehmer fonnten aber nicht bestreiten, was ihnen besonders von den Genossen 3 ista und rich nach­gewiesen wurde, daß selbst die Löhne, die über den Durch schnittslöhnen der Eisenformer liegen, noch nicht ein­mal den Friedensreallohn darstellen, wenn man die inzwischen eingetretene Teuerung berücksichtigt. Die Unternehmer selbst mußten aber zugeben, daß die jetzigen Löhne nur erzielt werden durch eine ganz außer­ordentliche Leistungssteigerung im Verhältnis zur Borkriegszeit.

Die Bereinbarung, die auch mit Zustimmung der Unter­nehmervertreter den beiden Parteien zur Annahme empfohlen wird, ist die erste allgemeine Lohnerhöhung, die die Former feit langen Jahren erhalten. Diese Lohn­erhöhung, die allerdings nur 5 Broz. beträgt, praktisch also eine durchschnittliche Lohnerhöhung etwa 3,10 m. die Woche, ist den Unternehmern nur ab­gerungen worden, weil diese, mie sie selbst zugaben, den Streit vermeiden wollen.

Die Eisenformer werden num zu entscheiden haben, ob sie sich mit diesem großen moralischen, praktisch aller­dings unbefriedigenden Erfolg begnügen wollen, oder ob die Differenz zwischen dem, was ihnen die Vereinbarung bietet, ihren Forderungen und dem, was sie eventuell durch einen zweifellos hartnäckigen Kampf erreichen können, ob diese Differenz diefen Kampf wert ist.

Die Entscheidung liegt bei den Formern selbst. Wie diese Entscheidung auch ausfallen mag, es steht jedenfalls heute schon fest, daß es den Formern dank ihrer guten Organisa tion gelungen ist, den BBMI. zu zwingen, seinen absolut ablehnenden Standpunkt aufzugeben. Daran möger die übrigen Gruppen der Arbeiterschaft der Berliner Metall industrie sich ein Beispiel nehmen.