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Morgenausgabe

Rr. 545

A 277

44. Jahrgang

Böchentlich 70 Bfenrig. monatlich 3 Reichsmart, voraus zahlbar. Unter Etreifband im Sn. und Ausland 5,50 Heichsmart pro Monat.

Der

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Borwärts" mit ber illuftrier. ten Sonntagsbeilage.Bolt und Reit" fowie ben Beilagen Unterhaltung und Wissen" Aus der Filmwelt", Stadtbeilage" Frauenstimme", " Der Rinderfreund", Jugend- Vor wärts", Blid in die Bücherwelt", ,, Kulturarbeit" und" Technit erfcheint wochentäglich zweimal, Sonntags und Montags einmal.

Vorwärts

Berliner   Bolksblatt

Freitag

18. November 1927

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die einipaltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Retlamezeile 5- Reichs­mart kleine Anzeigen" das fettge brudte Bort 25 Pfennig( au'äffig zwei fettgedruckte Morte) jebes weitere Bort 12 Bfennig. Stellengesuche das erfte Wort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen tür zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen tür  Abonnentenzeile 40Biennig Anzeigen annahme im Hauptgeschäft Linden ftraße 3, wochentägl. von 81/2 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297. Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin  

Betrogene Kleinrentner.

Aus der deutschnationalen Pragis. Bon Wilhelm Keil  .

Das parlamentarische Regierungssystem wäre längst er­ledigt, wenn sich alle Parteien die Methoden der Deutsch  nationalen zu eigen machen würden. Zügellose Kritit, un wahrhaftige Versprechungen, unverantwortliche Anträge in der Opposition, feiges Ausweichen und völliges Ber­sagen in der Regierung- das sind die hervorstechendsten Kennzeichen der deutschnationalen Politik. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben uns eine Fülle von Belegen hierfür gebracht. Das Verhalten der Deutschnationalen gegenüber Den Kleinrentnern ist ein neues schlagendes Beispiel.

Als Oppositions partei hatten die Deutschnationalen den Gläubigern und Sparern im Jahre 1924 hundert prozentige Aufwertung versprochen. Als Re­gierungs partei beschlossen sie 1925 die Enteignung Der Gläubiger und Sparer. Schärffte Erbitterung der Gläubiger und Sparer war die Folge. Im Jahre 1926 waren die Deutschnationalen wieder Oppositions partei. Nun suchten fie die Gunst der schwer enttäuschten, verarmten Mittelschichten durch einen neuen agitatorischen Trid zurück­zugewinnen. Sie stellten den Kleinrentnern eine reichs gefeßliche Versorgung in Aussicht. Wie ernst sie es damit meinten, ergab sich sofort, nachdem sie im Januar 1927 wieder Regierungspartei geworden waren.

An der Hand einiger, den Reichstagsaften ent­nommenen Tatsachen soll hier furz gezeigt werden, in welch frivoler Weise die Deutschnationalen mit ihren Ber­forgungsanträgen die Kleinreniner an der Nase herumführen. 1. Am 11. Juni 1926 beantragten die Deutschnationalen im Reichstag, die Reichsregierung aufzufordern, mit tun lichster Beschleunigung einen Gesezentwurf vorzulegen, welcher unter Aufhebung der Fürsorgeverord­nung und entsprechender Menderung des Finanzausgleichs­gesezes den durch die Inflation um ihr Vermögen gebrachten Rentnern eine angemessene Versorgungreichs geseglich gewährleistet". Einen Versuch, diesen Antrag zur Beratung und Annahme zu bringen,

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machten sie nicht.

2. Am 27. November 1926 brachten die Deutschnationalen durch Initiativantrag einen eigenen Gefeßentwurf ein, der im§ 1 beſtimmte: Die Kleinrentner haben, unbeschadet der grundsätzlichen Fortgewährung der zur Zeit des Infraft tretens dieses Gesetzes von den Fürsorgeverbänden gewährten Leistungen, Anspruch auf Gewährung einer Mindestrente. Der Schlußparagraph lautete: Dieses Gesetz tritt mit dem Lage seiner Verfündung in Kraft." Bis dahin befanden sich die Deutschnationalen in der Opposition.

3. Nachdem die Deutschnationalen anfangs 1927 wieder Regierungspartei geworden waren, dachten sie nicht mehr an ihren Gesezentwurf, der nach den Schätzungen des Reichsarbeitsministeriums 300 bis 400 Millionen Mark Jahresaufwand erfordert, sondern beantragten, zur Be teiligung des Reiches an der Kleinrentner fürsorge 25 Millionen zur Verfügung zu stellen. Die Ausschüttung diefes Betrages( der etwa ein Sechstel der erweckten Hoffnungen zu erfüllen geeignet war) an die Kleinrentner ist heute noch nicht abgeschlossen, weil die Fürsorgever­bände die Verpflichtungen ablehnten, die ihnen die Bürger­blockmehrheit aufzuerlegen versuchte.

4. Am 4. April 1927beschloß der Bürgerblod unter Führung der Deutschnationalen, die Reichsregierung zu ersuchen, in eine Brüfung darüber einzutreten, o b durch ein besonderes Gesetz die Versorgung der Kleinrentner geregelt werden kann. Dabei hatten die Deutschnationalen fünf Monate vorher ihren Gesetzentwurf schon eingebracht!

Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

sich die deutschnationalen Führer( so Graf Bestarp am 15. Oftober in Stuttgart  ) mit ihrem Antrag auf Schaffung eines Rentnerversorgungsgesehes, den sie im Reichstag   in der Bersentung hatten verschwinden lassen!

8. Am 15. November widersprachen die Deutsch nationalen im Sozialen Ausschuß des Reichstags der so­fortigen Beratung ihres eigenen und des demo fratischen Antrags mit der Begründung, daß man sich erst auf Grund der zu erwartenden Regierungsdenfschrift ein Bild von den finanziellen Wirkungen machen müsse. Sie waren sich also bei Einbringung ihres Antrages der finanziellen Wirkungen nicht bewußt gewesen! Es bedurfte des ent­

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Poftschecktonto: Berlin   37 536.

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schiedensten Eingreifens der Sozialdemokratie, um durchzu­legen, daß die Anträge am 22. November endlich im Aus fchuß zur Beratung tommen.

Ist das möglich? So wird nicht nur der Kleinrentner, der von diesen Tatsachen Kenntnis nimmt, sondern jeder anständige Mensch erstaunt fragen. Möglich ist das, wie die Tatsachen zeigen. Aber es ist nur möglich bei der Deutsch­nationalen Boltspartei, die in ihrem strupellosen agitatorischen Machtstreben keinerlei Hemmungen fennt und sich darauf verläßt, daß die verarmten Boltsschichten durch die bürgerliche Preffe nichts davon erfahren, wie sehr mit ihnen Schindluder getrieben wird.

Der Kinderbrei wird verteuert!

Erhöhung des Maiszolls vom Reichsrat angenommen.

Der Reichsrat genehmigte in seiner öffentlichen Bollsizung vom Donnerstagnachmittag, in der Minister v. Reudell den Borsiz führte, den Gefeßentwurf über den Handels- und Schiffahrts. vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Jugo. flawien.

Dem Gefeßentwurf ist ein Artikel III angehängt, worin die Re­gierung die Erhöhung des autonomen deutschen   Maiszolls von 3,20 auf 5 Mart vorgeschlagen hatte. Die Ausschüsse des Reichs­rats hatten beschlossen, diesen Artifel abzulehnen. Als Be. gründung für die Ablehnung wurde angeführt, daß die beabsichtigte Börderung des deutschen   Kartoffelbaues durch eine solche Boll erhöhung für Mais nicht zu erreichen wäre, da eine Berdrängung der Kartoffelerzeugniffe durch Mais nicht zu befürchten sei und bei den höheren Gestehungskosten der Kartoffelstärke ein Zoll von mindestens 8,60 Mark nötig sein würde. Auch im Hinblick auf die allgemeine wirtschaftspolitische Einstellung Deutschlands  , besonders auf dem internationalen Wirtschaftskongreß, sei die Zollerhöhung für Mais abzulehnen.

In der Vollversammlung beantragte Ministerialdirektor  Ritter namens der Reichsregierung die Wiederherstellung bes Artikels III mit der Erhöhung des Maiszolls.

Auf Antrag des preußischen Staatssekretärs Dr. Weismann fand über den Antrag der Reichsregierung namentliche Ab. ftimmung statt. Das Ergebnis war, daß die Regierungsvorlage mit 35 gegen 32 Stimmen wiederhergestellt wurde. Gegen die Erhöhung des Maiszolls stimmten das preußische Staatsministerium, die Bertreter von Berlin  , der Grenzmart Bosen­Westpreußen, der Brovinz Niederschlesien  , der Provinz Sachsen  , der Provinz Hannover  , der Provinz Hessen- Nassau  , der Rheinprovinz  , ferner die Staaten Baden  , Hessen  , Hamburg  , Mecklenburg­Schwerin, Anhalt  , Lübeck  , Walded, Schaumburg- Lippe  . Für die Erhöhung des Maiszolls stimmten die Vertreter der preußischen Provinzen Ostpreußen  , Brandenburg  , Bommern  , Oberschlesien  , Westfalen   und die Staaten Bayern  , Sachsen  , Bürttemberg, Thüringen  , Oldenburg  , Braunschweig  , Bremen  , Lippe  , Mecklenburg  - Streliß. Der Vertreter der Provinz Schleswig- Holstein   enthielt sich der Stimme.

Grafen  , Freiherren  , Herrschaftsbesitzer.. Die Bertreter der preußischen Provinzen, bie für den Schiele­zoll gestimmt haben, sind:

Ostpreußen  : Direktor der Ostpreußischen Landgesellschaft  , Frei­herr von GayL

Brandenburg: Dr. von Dallmit, Rittergutsbesitzer. Bommern  : Graf Behr, Gutsbesizer.

Niederschlesien  : Freiherr von Tschammer und Quariz, Staatssekretär a. D.

Oberschlesien  : Graf Praschma, Herrschaftsbefizer. Westfalen  : Dr. Lensing, Buchdruckereibefizer.

Die Interessentenpolitit hat gefiegt. Der Maiszoll foll erhöht werden und der Kinderbrei verteuert werden zur höheren Ehre einer ganz fleinen Gruppe von Interessenten, zu denen der Reichsernährungsminister Schiele gehört.

Das Abstimmungsergebnis im Reichsrat ist nur dadurch zustande gekommen, daß fünf agrarische Vertreter aus preußi­schen Provinzen wieder einmal gegen das preußische Staats­minifterium gestimmt haben. Der Zustand, daß Interessenten­vertreter aus Provinzen im Reichsrat eine einheitliche Stimmenabgabe Preußens verhindern, wird allmählich zur Dauereinrichtung. Es wird Zeit, daß durch Gesetz für ein­heitliche Stimmenführung Preußens im Reichsrat ge­forgt wird.

Nicht minder standalös ist die Abstimmung Sachsens  . Ausgerechnet die Regierung eines durch und durch indu­striellen Landes mit durchaus proletarischer Bevölkerung stimmt für die Erhöhung einer Zollposition auf Lebensmittel zugunsten einer agrarischen Interessentengruppe!

Herr Schiele hat jedoch dieses Zollgeschäft noch nicht unter Dach und Fach! Er wird den famosen Artikel 3 im Reich stag persönlich verteidigen und Rede und Antwort stehen müssen über seine persönliche Interessiert­heit in dieser Frage!

Ein Kampf um das nackte Leben.

Bei den ausgesperrten Zigarrenarbeitern im Eichsfeld  .

F. F. Nordhausen  , 17. November. Das Eichsfeld   gehört zu den schlimmsten Glends gebieten der Bigarrenarbeiter. Bon ein paar fleinen Städtchen abgesehen, fuchten sich die Fabrikanten billige Arbeitskräfte auf den fatholischen Dörfern des landwirtschaftlich recht dürftigen Ge­bietes. Benn man von Nordhausen   her über Heiligen. stadt nach dem Eichsfeld   vorbringt, geht's immer an magerem Aderland vorbei durch ärmliche Dörfer.

Wir fahren mit dem Auto von Dorf zu Dorf, von Zigarren fabrit zu Bigarrenfabrit, steigen da und dort aus, in Geisleden  , Kreuzeber  , Lengenfeld unterm Stein, Geismar  , Ershausen   und enden unsere Fahrt im Zentrum der Eichsfelder   Zigarrenindustrie, im alten Städtchen Heiligenstadt  . Elf Stunden waren wir unter wegs, ohne Unterbrechung. Wir brauchten bald nicht mehr zu fragen, wo die Zigarrenarbeiter wohnen. Nach ein paar Stunden war es uns zur Gewißheit geworden:

5. Am 28. Juni 1927 beantragte die Sozialdemo­tratie im Reichstag, von der Reichsregierung einen Gesez entwurf zu verlangen, durch den eine einmalige Abgabe von den großen Inflationsgewinnen vor­geschrieben wird, deren Ertrag zur Versorgung der Kleinrentner auf Grund eines reichsgesetzlichen Rechts­anspruchs verwendet werden sollte. Die Deutschnationalen suchten diesem in der Richtung ihres eigenen Gesetz entwurfes liegenden Antrag durch Verweisung an den Steuerausschuß ein Begräbnis zu bereiten. Da aber die Sozialdemokraten sich gegen die Verschleppung ihres An­trages wehrten, fanden die Deutschnationalen am 5. Juli 1927 im Steuerausschuß den Ausweg, von der Regierung eine Dentschrift über die Frage zu verlangen. 6. Am 21. Juli 1927 brachten die Demokraten einen wo die elendesten Hütten stehen, Rentnerversorgungsentwurf ein. Am 18. Oktober lehnte die Mehrheit des Reichstags unter Führung der Deutsch wohnen die Zigarrenarbeiter. 3wölftausend gibt's im Eichsfeld  nationalen die Berweisung diefes Entwurfs an den und ihre teilweise mens den unwürdigen Behausungen, ihr Sozialen Ausschuß ab und erst nach 3wischenverhandlungen entseßliches hungerelend erinnert lebhaft an das Elend unter den Fraktionen gestatteten die Deutschnationalen ber schlesischen Weber in den vierziger Jahren des vorigen Jahr am 21. Oftober die Berweisung an den Ausschuß. hunderts. Wie hier Menschen vegetieren, Menfchen mit Fleisch und 7. In den Bersammlungen des Rentnerbundes und in Blut, mit Herz und Verstand, bas ist so erschreckend traurig, daß beutschnationalen Agitationsversammlungen brüsteten die Empörung aller anftändigen Menschen sich gegen diejenigen

richten muß, die es mit ihrem Gewissen zu vereinbaren verstanden, an der Schwelle des Winters die grauenvolle Not der Zigarren­arbeiter noch ins Unerträgliche zu steigern, indem sie sie auf die Straße warfen.

Der wöchentliche Durchschnittslohn schwankt in den einzelnen Dörfern zwischen 13 und 15,50 Mart. In Heiligenstadt   steigt er auf 16,50 m. an. Es gibt aber viele Löhne, die weit unter Durchschnitt liegen. Die meisten Bigarrenarbeiter verdienen so wenig, daß sie von der Steuer befreit sind. Wenn man aus einer Wohnung heraustommt, in der man schlimmes Elend jah, tommt der Gedante: Dies war. das Schlimmste. In den anderen Wohnungen wird's besser fein. fein. Aber es ist nicht besser. Immer grauenvoller steigern sich die Elendsbilder.

Wir kommen zu einer christlich organisierten Fas milie. Eine elende Lehmhütte ist ihre Wohnung. Nein, Wohnung" ist eine Uebertreibung. Aber wie soll man diese Hütte nennen? In der engen, rauchgeschwärzten Küche sizen

zehn Personen wie die Heringe zufammengepfercht. Es ist der einzige geheizte Raum in der Hütte. Hinten in der Ede ein hagerer Mamm. Schwarzhaarig, mit hohlen Wangen und vorstehenden Badentnochen. Die Augen liegen tief in ben Höhlen. Schwer lungentrant. Bigarrenarbeiterschichal Der Mann ist arbeitsunfähig. Seine neun Rinder- 7 bis