Morgenausgabe
Nr. 561
A 285
44. Jahrgang
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Der
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Sonntag ente 27. November 1927
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Ein Wiener Rechtsradikaler schießt auf den Bürgermeister.- Genoffe Seit nicht verletzt.- Der Täter in Haft.
Wien , 26. November.( Eigenbericht.) Heute um 17% Uhr wurde auf den Bürgermeister von Wien , Genossen Karl Seih, ein Revolverattentat verübt. Genosse Seiß hatte an der Eröffnung des Schneepalastes im ehemaligen Nordwestbahnhof teilgenommen und fuhr nach der Feier in das Rathaus zurüd. Als er den Wagen.bestieg, feuerte ein Mann Revolverschiffe ab. Der erste Schuß ging fehl, der zweite durchschlug ein Fenster des Automobils, und nur dem Umstand, daß der Bürgermeister sich sofort büd te, ist es zuzuschreiben, daß der Schuß über ihn hinwegging. Der Attentäter lief, noch weiterschießend, dem Automobil nach, dann sprang er in einen schießend, dem Automobil nach, dann sprang er in einen Straßenbahnwagen, wo er verhaftet wurde. Er heißt Richard Strebinger. Er hat früher als Elektrotechnifer in Olmütz ( Tschechoslowakei ) gearbeitet, ift aber feit Jahren in Wien arbeitslos. Er gehört zu den rechtsradikalen " Frontfämpfern", wie z. B. auch die freigesprochenen Arbeitermörder von Schaltendorf, läuft oft in der Hafenfreuzlerwindjade herum und soll noch fags vor dem Mordanschlag in einer Frontfämpferversammlung gewesen fein. In seinem Wohnhaus ist er sehr wenig beliebt, noch Der Täter.
weniger angefehen.
laufend, vier Schüsse auf das Auto ab, dessen Scheiben zum Teil zersplittert wurden. Bürgermeister Seiß, der sich im Automobil, das nun rasch davonjuhr, duckte, blieb unverlegt. Der Täter, auf den sich mehrere Polizeibeamte und einige Leute aus dem Publikum stürzen wollten, entfloh nach dem duntien Gelände des alten Güterbahnhofs. Die Polizei feuerte ihm mehrere Schüsse nad), er überkletterte dann einen 3aun und sprang auf die Plattform eines Straßenbahnwagens, wo er festgenommen wurde. Ein Wachmann jetzte ihm den Revolver auf die Brust, worauf er die Hände hochheb und sich widerstandslos abführen ließ. Begreiflicherweise herrschte unter den Festgästen, die sich zur Eröffnung des Schneepalastes eingefunden hatten, unUngarn) geboren und nach Gutenstein in Niederösterreich zuständig. geheure Eriegung. Der Verhaftete ist 1904 in Temesvar ( damals In letzter Zeit will er Hausdiener in Salzburg gewesen sein.
Dr. Heinisch, des Bundeskanzlers. Dr. Seipel, des Polizei Dem Bürgermeister sind Glückwünsche des Bundespräsidenten präsidenten, zahlreicher Diplomaten und anderer Persönlichkeiten zugegangen. Als der Täter auf der Elektrischen verhaftet wurde, gelang es der Polizei nur mit Mühe, ihn vor der Lynch justiz der erregten Bolksmenge zu schützen.
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äen red und dann ein umso tieferes Aufatmen gebracht. Der gestrige Abend hat dem roten Wien zuerst einen Auf den da geschossen wurde von einem Front tämpfer", der bei Kriegs en de 14 Jahre alt war das ist. der erste Bertrauensmann von 43 Proz. der Wähler und Wählerinnen Deutschösterreichs, das ist der Parteivorsitzende, der Fraktionsführer, der Bürgermeister und Landeshauptmann des roten Wien ! Das ist der Mann, der als junger Bolksschullehrer aus Amt und Brot gejagt wurde, weil er Sozialdemokrat war. Der ihn damals strafweise entließ, Bürgermeister Dr. Kari Bueger, der konnte damals nicht ahnen, daß der eben Gemaßregelte einmal in ungleich und, mit seiner Partei sie aus tiefster Not zu neuer Blüte führen werde. Auf den Repräsentanten der Hauptstadt und fast der Hälfte der gesamten Staatsbevölkerung schießt ein Bursch von 23 Jahren!
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Diftatur führt zum Krieg!
Nur die Demokratie fann den Frieden sichern.
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Als der Neffe Napoleons I. durch einen verwegenen Staatsstreich die Macht an sich gerissen hatte, ließ er sich durch ein Plebiszit" das Recht bestätigen, ebenso wie fünfzig Jahre zuvor sein großer Onkel den Titel ,, Kaiser der Franzosen" zu tragen. Damals gab es noch feine nennenswerte Arbeiterbewegung das Kommunistische Manifest war erit wenige Jahre zuvor erlassen worden und seine Wirkungen machten sich erst ganz langjam bemerkbar, die bürgerliche Demogeschwächt, der Berwaltungsapparat war allmächtig, zumal fratie war durch die Niederlagen der 48er Revolutionen im Bunde mit den Militärs, und so erreichte Napoleon sein Biel mit einer erdrüdenden Mehrheit von rund acht Millionen Stimmen. Um die Volksmassen zur Stimmabgabe für die Wiedererrichtung des Kaiserreiches zu gewinnen, lieg er das Plebiszit unter der verheißungsvollen Parole vornehmen: L'empire, c'est la paix!„ Das Kaiserreich bedeutet den Frieden!" Damit mollte er vor allem rung an das große Weißbluten des französischen Volkes noch die Bauernmassen Frankreichs födern, in denen die Erinnelebendig war, mit dem der erste Kaiser der Franzosen" erleben, daß die Friedensparole dieses gewählten" Kaisers feinen nuglofen Ruhm erkauft hatte. Die vertrauensseligen Wähler mußten aber sehr bald ebensowenig wert war wie die übrigen feierlichen Bersprechungen der Monarchen zu allen Zeiten und in allen Ländern: nach wenigen Monaten beteiligte sich Frankreich an dem Krimkrieg gegen Rußland , fünf Jahre später führte es Krieg gegen Desterreich, einige Jahre danach war es an brach der Deutsch Französische Krieg 1870 aus, der dem napo einem finnlojen Abenteuer in Merito beteiligt und schließlich leonischen Gedanken endgültig das Genic brach.
seine Friedensparole ausgab, feineswegs unehrlich gemeint. Schon der große Napoleon hatte immer wieder als Kaiser beteuert, daß er nichts Sehnlicheres wünsche, als ein Friedenskaiser" zu sein, und daß er immer nur von den anderen gezwungen werde, Krieg zu führen. Auch nach seinem Sturz hat er von St. Helena aus diese Beteuerung seinem Sturz hat er von St. Helena aus diese Beteuerung feiner Friedensliebe der Nachwelt überliefert. Aber schließ
Bielleicht hatte es Napoleon HI., als er beim Plebiszit
Richard Sirebinger hat beim polizeilichen Berhör angegeben, daß er durch die Tat nur die allgemeine Aufmerksamkeit auf seine wirtschaftliche Mottage habe richten wollen. Diese Begründung" ist aber falsch. Er ist zwar schon drei Jahre arbeitslos, hat aber bei seinen Tanten gewohnt, die ein gutgehendes Schneidergeschäft befiten und ihn wie seinen Bruder ausreichend unterstützt haben. Diese Tanten gehören monarchistischen Organisationen an, sein Ontel ist Oberst a. D. und Mitglied des fchwererer Zeit das Oberhaupt der Zweimillionenstadt jein lidh fommt es für die Menschheit nicht auf die Abiichten,
Frontkämpferbundes.
Richard Strebinger war ein eifriger„ Antimargist" und schimpfte bei jeder Gelegenheit auf die Sozialdemokraten. Er ist ein exaltierter Mensch; in feiner Kindheit soll er eine Kopfverlegung erlitten haben. Vor kurzem erregte er in seinem
fondern auf die Wirkungen an. Denn die Menschheit muß ja die Folgen der Politik tragen, die die Selbstherrscher treiben. Das gilt heute ganz besonders für Wilhelm II. , der zwar bestreitet, daß er der Weitgeschichte angehört. dessen land am eigenen Leibe zu spüren bekommen hat.
Wohnhaus großes Hallo, da er mit allen möglichen Orden und under Nordwestbahnhof, vor dem dieses Attentat geschah weltgeschichtliche Rolle jeder einzelne Mensch in Deutsch
Medaillen geschmüdt herumstolzerte. Vor einigen Monaten hat er sich in Salzburg vom abfahrenden Flugzeug an einem. Seil mitnehmen lassen natürlich heimlich; es mußte dann eine Notlandung vorgenommen werden, um den blinden Luftpassasier wieder loszuwerden.
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und glücklicherweise mißglückte, ist vor 10% Jahren der Schauplaz der heimtüdischen Ermordung Franz Schuhmeiers, dieses Vorfämpfers der Arbeiterbewegung, durch einen fanatischen Anhänger der christlichsozialen Gegenpartei gewesen. Wir beglückwünschen unsere Genossen drüben und uns selbst dazu, daß dieses Attentat von gestern den beabsich denken über jenen Frontkämpfergeist" nötigen, der die Gewalt und selbst den Gebrauch von Waffen für den politischen Rampf predigt.
Aus dem Rathause verlautet: Nach allem, was bisher vorstigten Erfolg nicht gehabt hat. Dafür wird es zum Nachliegt, dürfte es sich in der Person des Attentäters um einen arre geleiteten Menschen handeln, der einige Jahre SchauSpieler in Graz war und jetzt die Arbeitslosenunter stigung bezieht.
Genauere Schilderung des Attentats.
Alls Bürgermeister Seiz auf dem früheren Fiakerstandplay am Nordwestbahnhof fein Dienstauto bestieg, trat aus dem Dunfel ein Mann heraus und gab aus einem alten Trommel evolver, neben dem langsam anfahrenden Auto her Die Partei
mahnt zur Ruhe.
Die Sozialdemokratische Partei hat an die Arbeiterschaft einen Aufruf erlaffen, in dem der Freude Ausdrud gegeben wird, daß das versuchte Attentat auf den Bürgermeister Seih mißlungen ist und die Arbeiterschaft aufgefordert wird, sich zu keinerlei Demonstrationen und Unbesonnenheiten hinreißen zu laffen.
Quichol wed fr
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Das Beispiel der beiden Napoleons und ebenso das Beispiel Wilhelms II.- beweist aber, daß Frieden und Autokratie zwei Begriffe darstellen. Die miteinander u n- vereinbar sind. Gleichviel, weiche Formen die Autokratie befleidet, ob Boltskaisertum" oder Monarchie von Gottes Gnaden oder militärische Diktatur, sie muß zwangsläufig zum Kriege führen. Das Fehlen der demokratischen Kontrolle über die Regierungspolitik. das Treiben der militärischen Hofcliquen, die Notwendigkeit für den Selbstherrscher, be sonders in der Jektzeit dem Bolte einen Erjaß für die perlorene Freiheit in der Form von Waffenruhm und imperialiftischen Eroberungen zu bieten, diese und noch andere Gründe ähnlicher. Art treiben die autokratischen Regierungen unweigerlich in die Bahn der außenpolitischen Kraftproben und Abenteuer, in die Bahn des Krieges.
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Ein Blick auf die politische Karte Europas und auf die Ereignisse der lezten Tage ist allerdings noch beweiskräftiger als die hier angeführten Beispiele einer teils fernen, teils jüngeren Bergangenheit.
Wir haben in Europa seit einigen Jahren eine ganze Anzahl von Ländern, in denen die faschistische Dikta tur unter verschiedenen Namen, Formen und Nuancen am Ruder ist: Italien, Litauen, Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Spanien.
Riga, 26. November. 6. und 8. Dezember mit seinem Vormarsch auf Kowno zu beginnen beabsichtige. Die Regierung konzentriert Truppen an der litauisch- flächen hat, find alle die oben aufgezählten Ditta
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Wie noch unbestätigt gemeldet wird, ift die litauische Regierung Boldemaras durch einen Militäcputsch gestürzt worden alis auf dieselbe Weise, der sie ihre Herrshaft zu verdanken hatte. Es ist noch untefannt, ob dieser Putsch das verfassungsmäßige parlamentarisch- demokratische Regieren oder eine reine Militärdiktatur errichten will
Auch aus Warschau tommt diese Kowno- Butschmeldung, ohee Musto nepan Beftätigung und ohne Einzelheiten.
polnischen Demarfationslinie."
Der Oberfaschist Oberst Plech awitschus erklärte, daß nur die Militärdiktatur Citauen retten tönne! Berschiedene Freunde Woldemaras wollen diefen zum Rüdirift bewegen.
Morgen foll ein neuer Schritt des franzöfifchen, des englischen und des italienischen Gesandten unternommen werden, um auf die Notwendigkeit einer Einigung mit polen hinzu weifen dotusan fonts
In der Nähe der Demartationslinie find neue Berhaftungen Bor dieser Nachricht wurde aus Kowno gemeldet: angeblicher Emigranten vorgenommen worden.( Demartationslinie Jm Kabinett erklärte Woldemaras, der Regierung feien Dotu- heißt die Grenze, weil Litauen noch Kriegszustand" gegen Bolen mente zugegangen, nach welchen Pletschtaitis zwischen dem aufrechterhält.)
Wir haben anderseits in Europa einige Stellen, an denen das Feuer des Krieges dauernd unter der Asche schwelt und wo der erste größere Sturm jederzeit ein Auflodern der Flammen hervorrufen kann. Von Spanien abgefehen, das geographisch abseits liegt und feine außenpolitischen Reibungs turstaaten in außenpolitische Konflikte ver midelt. Bulgarien streitet sich abwechselnd mit Jugo slawien und mit Griechenland, Ungarn schürt die Irredenta in der Slowakei und lauert mit einem aufgerüsteten Heer auf den Augenblick, wo es das Burgenland dem entwaffneten Defterreich entreißen fönnte, Rumänien steht wegen Bessarabien auf halbem Kriegsfuß mit Rußland und megen Siebenbürgen und dem Banat in dauerndem, Konflikt mit Ungarn, so daß man mit doppelter Besorgnis den außenpolitischen Rückwirtungen entgegensieht, die die nach dem plöglichen Tod des Diktators Bratianu afut gewordene Berfaffungsfrise noch erzeugen kann.