Litwinow :»Wie herrlich ist diese Taube auf dem Dachet Alle(laut):»Begeisternd!"(Leise):»Nur den Sperling in der Hand nicht fliegen lassen!"
Sicherungsverwahrung oder nicht? Oer Kampf gegen Berufsverbrecher.— Sozialdemokratie gegen Blankovollmachten. Der Strafgesetzausschuh des Reichstags beschäftigte sich gestern mit Z 59 des Entwurfs, der vorsieht, dah das Gericht gegen jemand, der schon einmal zum Tode oder zu Zuchthaus verurteilt war und aufs neue als ein für die ösfentliche Sicherheit gefährlicher C e- wohnheitsverbrecher zu einer Strafe verurteilt wird, neben der Strafe auf Sicherungsoerwahrung erkennen kann. Die beiden Berichterstatter. Wegmann(Z.) und Wunderlich (D. Vp.) erklärten sich für den R e g i e r u n g s e n t w u r f mit der Begründung, daß die menschliche Gesellschaft vor den Gewohnheit?- Verbrechern geschlitzt werden müsi«. Genosse Dr. Rosenseld begründete den sozialdemokratischen An- trag aus Streichung des Z 59, indem er hervorhob, dah gewiß auch die Sozialdemokraten die menschliche Gesellschaft vor den Ge- wohnheitsverbrechern schützen wollten, dah sie aber der Meinung feien, die durrir den Gesetzentwurf vorgesehenen Verschärfungen der gegen Gewohnheiteverbrecher möglichen Strasen reichten schon aus, die Gesellschaft zu schützen, solle doch das Gericht die Möglichkeit be- koinmen, aus Zuchthaus bis zu 15 Jahren zu erkennen. also aus lange Zeit die Verbrecher festzuhalten. Der Unterschied zwischen Sicherungsverwahrung und Zuchthausstrafe sei nicht sehr groß. Einen Ctikettenschwindel, von dem man wegen des nur im Namen steckenden Unterschiedes gesprochen habe, dürfe man nicht unterstützen. Es sei auch merkwürdig, daß man in diesem Augenblick zu dem schweren Sichsrungsmittet der Verwahrung greisen wolle, wo noch gar nicht zu übersehen sei, ob der neugeplante Straf- Vollzug wesentliche Besserungen bringen werde. Die ch o s s y u n g s- l o f t g k e i t, die über den Eicherungsverwahrungsanstalten liege, die der Berbrechsr unter Umständen gar nicht mehr verlassen dürfe, erschwere eine günstige Beelnflusiung der Verbrecher. Auch Abg. Rädel sKomm.) trdt für die Streichung de»§ 59«in, während Abg. Barth(Dnat.) sich für die Sicherungsoerwahrung aus- sprach. Genosse tandsberg führte aus, dah der Gedanke der Sicherungs- Verwahrung an sich bestechend sei, da diese Maßnahme doch nur Ber- brecher treffen solle, die immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gerieten und daher eine Gefahr für die Gesellschaft darstellten. Wenn man aber dem Gericht die Möglichkeit gebe, schon beim Urteilsspruch neben der Strafe die Sicherungsverwahrung zu verhängen, so werde damit von vornherein zum Ausdruck gebracht, daß die Stras«, die bessern solle, vergeblich sein werde. Man wisse auch nicht genug darüber, wie die Sicherungsverwahrung in der Praxis aussehen würde. Der Gesehgeber solle de? Regierung eine Vollmacht geben, ohne genau zu wissen, welchen Gebrauch die Regie. rung von dieser Vollmacht macheu werde. Man könne ssch vorstellen, dah Anstalten geschaffen-würden, die eine günstig« Wirkung aus- übten. Wer aber könne wissen, ob die einzelnen Länder die AnstaUen vernünftig einrichten würden? Wünschenswert sei, daß das nicht den einzelnen Ländern überlassen bleibe, sondern daß das Reich Der- ivahrungsanstaltcn einrichtet. Auch über die Entlassung aus der Sicherungsanstalt wisse man zu wenig. Es müsse«in auserlesene» Kollegium sein, das darüber zu entscheiden habe. In ihm müßten pchcholögisch und pädagogisch gebildete Männer, von höchstem mensch- liehen Wohlwollen erfüllt, die Entscheidung treffen. Solange dies olles ungewiß fei, müsse die Sozialdemokratische Partei den Z 59 ablehnen. Ministerialdirektor vumk« erkannte an, daß man bei der Eni- schcidung über ß 59 vor einem der ernstesten Entschlüsse stehe. Die Strafanstalten, die der Erziehung, Besserung und Ertüchtigung der Gefangenen dienten, müssen von den Elementen befreit werden, die doch nicht mehr geändert werden könnten. Die Berufsverbrecher seien geradezu die Lehrmeister für Verbrecher. Die Bürger müßten vor ihnen geschützt werden. Es sei eine Art Kulturschande, dah man in Deutschland nicht längst, wie in anderen Ländern, die Sicherungs- Verwahrung eingeführt habe. Reichsanstaltcn seien leider vorläufig noch nicht möglich. Man müsse der Entwicklung vertrauen, die schon dahin führen würde, daß Eicherungsanstalten geschossen würden, die auch den sozialdemokratischen Bedenken standhalten würden. Der Leiter des Berliner Kriminalpolizeiamts, Hagemana. wies auf die an sich nicht sehr große Zahl der Berussoerbrecher hin. welche die Polizei genau kenne und die doch nach manchmal recht kurz-m Strafen entlassen würden und die Möglichkeit bekämen, neue Ber - brechen zu begehen. Nur die typischen Berufsverbrecher sollten der Sicherungsverwahrung überliefert werden, das würde ein großer Ge- vzinn für die Gesellschaft sein. Abg. Kahl betonte, daß alle bedeuten- den Kriminalisten in der Forderung der Sicherungsverwahrung seit langer Zeit einig seien. Es sei ein Bedürfnis der Gesellschaft, die Mells-hheli vor den Berufsverbrechern zu schützen. Der Ausschuß vertagte alsdann die Weitcrberatung auf heute.
Zu Gteubens Gedächtnis. Eine Bede des Beichsaußenministers. Gestern nachmittag l? Uhr veranstaltete die Bereinigung Karl Schurz unter dem Titel:„Ein deutscher Pion'er in den Bereinigten Staaten von Amerika ' In den Räumen de» Reichswirt- schaftsrats eine Gedenkfeier zu Ehren de« Deutschamerikaners von Steuden. Di« Veranstaltung begann mit ein« Begrüßungsansprache de» Vorsitzenden der Vereinigung, Reichstagsabgeordneten Erkelenz , der lieben dem Reichsminister Stresemann und dem amerb konischen Boischaftsrat Pool den jüngsternannte« deutschen Bot- schaster in Washington , von Prittwitz, begrüßte. Dann nahm Reichsaußenminister Dr. Stresemann das Wort. In einem Rückblick auf die Zeit, in der Steuden wirkte, stellt« der Minister..den jämmerlicken Seelen der deutschen Fürsten , die ihre Landeskinder für Geld ver- kauften', den König Friedrich ll. von Preußen gegenüber, der den Durchmarsch solcher Söldling« durch sein Gebiet verboten habe. Preußen war der erste Staat, der die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten anerkannte, und»enn mcn die Verhältnisse von damals auf heute Lb-rtrage, so könne man hassen, daß die Rachkriegspsychos« bald endgüing vorbei sei und das Verstehen der Völker untereinander in immer wachsendem Maße wiederkomm«. (Stürmischer Beifall.) Dann behandelte Stresemann den Anteil de» beut- � sche n Volkes a m Ausbau Nordamerikas und sagte. daß niemand ihn schöner gewürdigt Hab« al, der Botschafter Ehurman in seiner gestrigen Rede im Madison Square Garden In New York . Nach IMS hätten die besten Deutschen den neuen Erdteil aussuchen müssen.>e dem deutschen Volke in der Pauls» kirch« den Gedanken der Änigkeit eingehämmert hätte«. Wie die Gegnerdes amerikanischen Lefreiungskrieges. England und Amerika , nach Beendigung des Kcmpfes anderthalb Jahrhundert« In Frieden gelebt hätten—(hier Irrt sich Stresemann : Der letzte, zweite englisch - amerikanische Krieg, der 1812 begann, wurde am 24. Dezember 1814
durch den Frieden von Gent beendet.)— so möge auch zwischen den Feinden des Weltkrieges und namentlich zwischen dea beiden großen Republiken diesseits und jenseits des Ozeans Zrieden und Freundschaft einkehren! In glänzendem Deutsch sprach danach Professor Schreiber, Dal«, USA . Er würdigt« Steuden als deutschen Pflichtmenschen und Pionier in Amerika . Botschaftsrat Pool von dar amerikom- schen Vertretung in Berlin fand kurze Wort« über die Freundschaft der beiden Völker. Relchstagsabgeordneter Erkelenz schloß die Kundgebung mit den Worten Shurmans: „Trenneilde Kräfte sind nirgend« sichtbar. Der Krieg, der uns eine Zeitlang tiennte, gehört der Bergangenheit an, und die als Folg« des Krieges entstandenen Gesinnungen find schon ein Anachronismus. 140 Jahre lang— von der Ankunft Steudens in Amerika bis zum Jr.hr« 1917— haben die Regis» nmgen Deutschlands und der Dereinigten Staaten— die eine monarchisch, die ander« republikanisch— den Frieden aufrecht- erhalten. Warum sollten nicht die beiden Völker, unter der Aegide ihrer demokratischen Republiken, mitein- ander in Friede und Freundschaft leben, bis zum Morgengrauen der halbtausendjähngen Steuben-Feier, sc», des tausenksährigen Reiches selber Möge die Hoffnung, der Wunsch und der Wille beider Völker solch eine brüderliche Bereinigung und solch einen glorreichen Frieden erzielen und erholten.' Musikclische und rezitatorisch« Darbietungen von Schöpfungen der großen Deutschamerikaner Earl Schurz und Konrad K r e g rahmten die Feier«in.
Etaisberaiung im Galopp. Oer Beichsrat soll es in einer Woche schassen. Der Reichsetat für das Jahr 1928 ist vor. einigen Tagen dem Reichsrat zugegangen. Er hat beschlossen, den Beginn der Beratungen auf den 9. Dezember festzusetzen und sse am 15. Dezember zu beenden. Dadurch soll. die Möglichkeit ge- schaffen werden, daß der R.'ichstag sich noch vor den Weih. nachtsferien mit dem Etat in erster Lesung beschäftigt. Ob diese Dispositionen innegehalten werden können, dürft« noch Zweifel» hast sein. Das Gesetz über dix Liquidationsschäden soll Im Reichsrat am 6.. 7. und 8. Dezember zur Bsrahing gelangen. Di« Beratung des A rb e its s ch u tzg« setz e s wird bis noch Weihnachten vertagt. Neue bayerische Blamage. Keine Beichsraisflßung ohne Iudenriecherei. Gegen die Einbürgerung des Diplomingenieur» Heinrich S ch a p i r o in den preußischen Staatsverband hatten B o y e r n und Württemberg Bedenken erhoben. Die Dolloei sammtung des Retchsrois schloß sich dem Ausschußbeschluß an, diese Bedenken für unbegründet zu erklären. Wird sich der bayerische Gesandte von Preger in sedsr Reichsratssitzling erheben, lim namens der bayerischen Staatsregle- rung in offiziellen Antisemitismus zu machen?
Vottspartei gegen Zwergschulen. Eine wichtige Aenderung des Schulgesetzes. Nach Ablehnung vieler sozialdemokratischer Verbesserung»- antrage zum Schulgesetz konnte gestern im Vildungsausschuß des Reichstags doch ein Erfolg erzielt werden. Die n«u« Fassung des ß 9 schließt zwar das Entstehen von Zwergschulen nicht aus, erschwert sie jedoch. Der Paragraph erhält solgenbcn Zusatz: „Ein geordneter Schiilbetrieb wird beeinträchtigt, wenn in der Gemeinde die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehende Entwicklungshöhe der Schulen nach Aufbau und Zahl der Klassen, Unterrichtsabteilungen und Unterrichtsemrichtungen nicht verbleibt oder wesentlich herabgemindert wird.' Damit ist dem Entstehen von Zwergschulen ein wesentliche» Hindernis entgegengestellt. All« DerscHlechlecungs. antrage der Deutschnationalen und des Zemrums werden durch Dolkspartet, Demokraten. Sozialdemokraten und Kommunisten ab« gewehrt, bis auf«w-n. der Sachsen s-blechter stellt..Möglich wurde der geringe Fortschritt dadurch, laß die Volkspartei gegen die übrigen Regierungsparteien stimmte.
Oer Kall Höh. Der Reichsbegnad.igungs-Ausschvß trat gestern unter Vorsitz des Abg. Dr. Moses(Soz.) zusammen, um 1. den Bericht des Reichsjustizministeriums über den Umfang der Begnadi- gung im allgemeinen entgegenzunehmen und 2. Informationen zu erhalten über den gegenwärtigen Stand der Affäre H ö l z.
Das Borversahren gegen den Bergarbeiter Friehe, der sich bekanntlich schon vor längerer Zeit selbst bezichtigt hat. den Guts- besitzer Heß erschossen zu haben, ist immer noch nicht zum Abschluß gelangt, so daß der Oberreichsanwalt auch nicht in der Lage war, zu einem Wiederaufnahmeverfahren der Sache Hölz Stellung zu nehmen. Holz selbst hat in einem Schreiben an das Reichsjustiz. Ministerium mitgeteilt, daß er der Roten Hilfe und seinem Berteidiger Dr. Apfel- Berlin seine Bollmacht«nt-. zogen habe. c Oie Schandwirtschast in Güdtirol. Oas Deutschtum soll ausgerottet werden. Innsbruck , l. Dezember. Der„Pusterthaler Bote', der In Bruneck als Wochenblatt er- scheint, erhielt von der italienischen Polizeibehörde die Mitteilung, daß er nicht mehr in deutscher Sprache gedruckt werden dürfe, sondern ab 1. Dezember d. I. ausschließlich in italienischer Sprache zu erscheinen hat. In den Ga st Häusern müssen mindesten» ebenso viel» italienische Zeitungen aufliegen als deutsche. Inhaber öffentlichcr Betriebe oder öffentlicher, dem Publikum zugänglicher Lokale, die eine Bibliothek zur Verfügung ihrer Besucher halten, müssen ab 1. Januar 1928 in sechs Monaten dafür sorgen, daß die Bibliothek ebenso viele Italienische w!« andere Werke enthalte. 40 Deutsche, die in Täufers im Vintschgau wegen angeblicher Besudelung eines Mussolini blldes verhaftet waren, ssrld freigelessen worden, da sich herausstellte, daß die Tat von i t a ll«ni s«he n Finanzsoldaten verübt worden ist. Die Tafel am Geburtshaus« Andreas Hofers im Passeyrrol soll von den Behörden entfernt werden! * Die Nachricht von einem Anschlag aufMussoliNl wird dementiert.
Oer Znnenkommissar abgesehi. Weil er Stalin — Dourgeoisdienst vorwirsi. Moskau , 1. Dezember. Aus Angaben Jaroslawskis erfährt mau. welche Gründe die Sowjetregierung bewogen haben, den Volkskommissar dös Innern, Bjeloborodow, von seinem Posten zu entfernen und durch Jegorow zu ersetzen. Bjeloborodow hat sich In letzter Zeit durch ganz besonderen Eifer im Dienst der Opposition her. vorgetan. Er hatte die Bearbeitung der Bevölkerung des Ural- gebiet» im Sinn des Oppositionsprogramms übernommen und sich in Begleitung mehrerer anderer Oppositionspolitiker dorthin begeben. Nach einer Parteioersammlung hat er da» Lokal in großer Erregung verlassen und offenbar noch In dieser verbitterten Stimmung sich an die das Versammlungslokal bewachenden Rotarmisten mit einer Ansprache gewandt, in welcher er u. a. sagte: sie. die Soldaten, wüßten gar nicht, in wessen Dienst sie hier auf Posten ständen. sie dienten einer„fremden Klasse'. Daraus entwickelt« sich eine Unterredung, in der Bjeloborodow zu verstehen gab, daß er die Parteimehrheit bereits als ein« solche„fremde Klasse' ansehe. Dieser Vorfall oeranlaßte die örtliche GPU., eine Anzeige zu erstatten, worauf die Zentralkontrollkommission der KP. eine Untersuchung anordnete. Diese ergab dann, dah Bjeloborodow aus offener Straß» in einer Versammlung von Parteilosen als Redner ausgetreten war und dabei u. a. erklärt hatte: Stalins Gruppe führe eine Politik im Interesse der Bourgeoisie. Jaroslawski sieht besonder» in Djeloborodows Versuch, die Soldaten zu beeinflussen,„eln Moment de» Hochverrat»'. Früher hät Bjeloborodow in der Kommunistischen Partei eine bedeutend- Rolle gespielt, die seit dem Untergang der Zarenfamllie datierte, woran er in hervorragendem Maß beteiligt war. London . 1. Dezember. (EP.) Der 15. Jahreskongretz der Kommunistischen Partei in Moskau billigte den Ausschluß Trotzki », Sinowjews und Kamenews aus d«r Partei. An dem Kongreß nahmen 1500 Delegierte teil.
Lteberraschung im �eichsrai. Oder Keudells schlechtes Gewissen. Am Schlüsse der gestrigen Reichsratssitzung erhob sich der Der» treter der preußischen Staatsregierung. Staatssekretär W e i s m a n n, und bat ums Wort zur Abgabe einer Erklärung. Reichsinnenminister von Keudell, der den Vorsitz führt«, wurde um ein» Nuance blasser und schlug nach kurzem Zögern vor. diese Erklärung inoertraulicherSitzung entgegenzunehmen. Ss erhob ssch kein Widerspruch, und so wurde der A u s f ch l u ß der Oefsentlichtelt beschlossen. Run erklärte Staatssekretär W e i s m a n n namens der preußischen Staatsregierung— es sei nicht leicht, mit der Etat-b«. ratung bis zum 15. Dezember fertig zu werdenl