Nr. 55i* 44. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Freitag, S. Dezember-192?
Der„Llnfug des Gchwörens". Jährlich 25000 Meineidanzeigen.
Eingeladen von der„Gesellschaft für ethische Kul- t u r", sprach Paul Schlesinger im Bürgersaal des Rathauses über„E i d u n d Meineid''. Cr gibt keine systematische, von juristischer Weisheit strotzende und darum langweilige Abhandlung über dieses Thema, sondern er skizziert ein paar Fälle, die er aus seiner Praxis als Gerichtsberichterstatter kennt, er erzählt geistreich und witzig, aber aus diesen Plaudereien entsteht ein Bild, das den „Unfug des Schwörcns" in klareren Umrissen zeigt, als eine juristisch und philosophisch fundierte Kritik. Jährlich lausen bei den Gerichten ungefähr ZSÜOtiAnzeigen wegen Meineids ein, und nur lO Proz. kommen davon zur Per- Handlung, doch auch diese Zluswohl ist v i e l zu groß, ist über. flüssig. Worum handelt es sich denn? Um Lappalien. Well eine Frau Lehmann eine Frau Schulze mit„alte Schlampe" tituliert hat, kommt es zum Eid. Und später verbreiten gute Nachbarn, Freunde und Bekannte, daß der Fall ganz anders liegt, und«in Meineid-prozeß ist fertig. Aus einer Kinderei erwächst eine Staats- aktion. Worum bei dieser Bagatelle einen Eid? Weil der Richter das Bild des Vorganges allein aus den eidlichen Aussagen rekon- stniiert. Wird der Eid, bei delien Leistung Richter, Zeugen, An- geklagte und Zuschauer wie Marionetten in die Höhe schießen, durch diese Art von Handhabung nicht erniedrigt? Aber nur Deutschland zeichnet sich durch den Eidfetischismus aus. In Italien wird fast niemals geschworen und in Frankreich nur bei großen Strafprozessen. Für den französischen Richter stehen zwei Dinge fest: der Mensch ist böse, und der Mensch hat ein schlechtes Gedächtnis, deshalb ist ihm der Eid nur ein Beitrag, er baut darauf nicht sein Urteil auf wie in Deutschland und in Zivilprozessen und beim Unter- juchungsrichter wird überhaupt nicht geschworen. Well in Deutschland olles beschworen werden muß, selbst die Auslage, daß man nichts weiß, selbst die bloße M e i n u n g s- äußer nng, die gar nicht auf Tatsachen beruht, deshalb die hohe Quote der Meineidsprozesie. Bor allem aber die große Zahl, iveil Dinge beschworen werden müssen, die aus persönlichen und selbst inoralischen Gründen nicht ausgesagt werden können. Sehr viele Meineid« haben ihren Grund in einer Zartheit des Ge- Wissens, in einer Ueberfeinerung des moralischen Empfindens. Der Zeuge kann in manchem Alimentations- oder Ehescheidungsprozeß nicht die Wahrheit sagen. Ein Meineid ist dann moralischer als die Wahrheit. Schlesinger belegt dies alles mit Beispielen aus seiner Praxis. Ein Fall: Eine ehemalige Kellnerin in einer Animierkneipe, jetzt glücklich mit einem ethisch stark be- lasteten Beamte» verheiratet, muß als Zeugin unter Eid aussagen, daß der Wirt alkoholische Getränke ohne Konsenz verkaust hat. Leistet sie den Eid, dann gesteht sie ihr« Müschuld und außerdem erweckt sie das Mißtrauen ihres Mannes Heroismus und fanatische Wahrheitsliebe sind gute Tragödicnstoffe, das Leben aber ist diffe- renzierter. Der Richter darf in diesem Falle n'cht den Eid ver- langen, doch welcher Richter ist psychologisch genug geschult und welcher Richter ist in der Lage, die Fäden des Falles auch in mensch- sicher Beziehung völlig zu entwirren. Man trifft mit den Anklagen aus Meineid nur die Kleinen, die aus irgendeiner Angst heraus falsch schwören, während die.S ch u r k e n e i d e, geleistet aus Ge- winnfucht oder Freud « am Verbrechen, unge sühnt bleiben müssen, weil hier, wo der Eid letztes Beweismittel ist, kein Nachweis ermöglicht werden kann. Und schon aus rein sozialem Ge- f i ch t s p u n k t ist eine Aendcrung des Eides notwendig, denn die Härten treffen hauptsächlich nur die Armen, die in Hinterhäuser zusamniengepreßt wohnen. Meistens ist der Meineid eine Folge des Wohnungselends, überhaupt der u n g l ü ck- lichen sozialen Umstände. Kein Meiueidsprozeß ist notwendig. Der neue Strafgesetz- e n t w u r f sagt, der Eid ist nur in dringenden Fällen erforderlich. dafür wird aber die falsche, uneidliche Aussage unter Strafe gestellt.
Damit bleibt im Grunde alles beim alten. Der neue Entwurf sollte sich aber mehr nach dem in di.-scr Beziehung humaneren Frankreich orientieren. Die Meineidfabrik der Krau Ohlerich. Wegen einer Nähmaschine. Wegen umfangreicher Anstiftungen zum Meineid hat sich gegen- wärtig vor dem Schwurgericht I die Hausbesitzerin Berta O h l e r i ch zu verantworten. Wegen Meineids ist gleichzeitig ihre Aufwarte- frau, Frau Mittendorf, angeklagt. Diese und weitere sieben Personen hat die Hausbesitzerin zu einer wissentlich falschen Aussage verleitet. Die Meineide selbst sind die Folge eines Zivil- Prozesses, den Frau Ohlerisch gegen ihren Ehemann führte. der sich schon weirige Monate noch der Heirat wieder von ihr trennte. Der ganze Prozeh drehte sich um die Herausgabe einer Nähmaschine, die die Frau ihrem geschiedenen Ehemann nicht herausgeben wollle. Diesem Zivilprozeß folgten sväter nicht weniger als 24 Strafoerfohren wegen Darlehenswucher. dessen sich die Hausbesitzerin in zahlreichen Fällen schuldig gemacht hatte. Einer der Kläger war ein Bäckermeister aus dem Städtchen Bernau . Er gestand damals, auf Anstiftung der Frau seiner- zeit im Zivilprozeß wegen der Nähmaschine einen Meineid geleistet zu haben. Er hatte unter Eid bekundet, die Nähmaschine mit seinem Fuhrwerk bei der Frau abgeholt und zu dem Manne gebracht zu haben. Frau Ohlerich wurde seinerzeit sofort verhaftet. In dem dann folgenden Pro.zeß bestritt die Frau, jede Schulh, Die Zeugen waren schroff in zwei Gruppen geteilt. Die«inen be- kündeten, die Nähmaschine auf dem Boden der Frau gesehen zu haben, die anderen beschworen, daß der Bäckermeister die Maschine mit einem Schimmelgespcnn abgefahren hat. Der Bäckermeister wurde damals zu einem Jahr Zuchthaus(Mindeststrafe), Frau Ohlerich wegen Anstiftung zu drei Iahren Zuchthaus verurteilt. Gleichzeitig wurde die Hauptzeugin und Freundin. Frau Mittendorf, wegen Meineids verhaftet. Sie legte dann im Unter- fuchungsgefängni» ein Geständnis ab. Daraus ergab sich, daß all« Entlastungszeugen falsch geschworen hatten. Frau Ohlerich l)aUe alle ihre Zeugen zu Kaffee und Kuchen«mge- laden und dabei wurde bis ins einzeln« festgelegt, was jeder aus- zusagen hatte. Am Abend vor jener Verhandlung fand eine regel- rechte Generalprobe für die Zeugen statt. Sie alle werden sich in nächster Zeit unter der schweren Anklage des Meineids zu verantworten haben. Angesichts der großen Zahl der zu vernehmen- den Zeugen wird der jetzige Prozeß drei Tage dauern.
Mondfinsternis über Berlin . Auf der Treptower Sternwarte. Es ist noch Zeit- Man studiert zuerst durch das-große Teleskop den Jupiter, der klar mit vier von seinen Monden am Himmel steht, eine gelb« Scheibe in der Größe eines Fiinfmarkstückes. Der alte Wärter brummt vor sich hin, daß das Kraftwerk gerade dann am stärksten Rauch fabriziert, wenn der Mond beobachtet werden soll. Rauchschwaden beschatten zeitweif« den tief am'Horizont gelagerten roten Mond. Der Wind weht unangenehm, aber trotz der Kälte sammeln sich immer mehr Menschen auf der Plattform der Treptower Sternwarte an, bewaffnet mit photographlfchen Apparaten, Fernrohren. Krimstechern, Tüchern und astronomischen Kalendern. Assistenten des Sternwartedirektors Archenholt mon-
tieren kleinere Fernrohre auf, die immerhin eine tzvfache Ver- größerung bieten. Der Mond hängt jetzt in silberner Klarheit am Himmel. Plötzlich, die Uhr zeigt 14.52, verschwindet ein Stück des linken Randes, der Mond erhält eine klein« Einbuchtung an feinem Aequator.«in Stückchen des glänzenden Stoffes ist ver- fchwuyden, ein unglaublich kleines Stückchen. Dock) dies Stückchen wird größer, beginnt zu wandern, nimmt zu, verschluckt immer mehr der silbernen Oberfläche. Der Mond erscheint mit dem bloßen Aug« halbiert, die eine Hälfte ist verschwunden. Doch durch das Fernglas sieht die Sache anders aus. Man erkennt die Silhouetten der Mondgebirge auf der beleuchteten Seite, allerdings nicht mit derselben Klarheit, als wenn das Sonnenlicht seitwärts fällt,«S fehlen die tiefen Schlagschatten der Berge. Aber dte verdunkelle Seite ist nicht schwarz. Wie«in schwerer, grauer Nebel lastet der Erdschatten darüber, doch je stärker die Vergrößerung ist, desto lichter wird die Schwärze desto deutlicher erkennt man unter diesem Zigarrcndomps die Struktur der Mondobersläche. Es sieht so aus, als ob dünne, graue Schleier das silberne Licht abdämpfen wollen. Und nach der Mitte der Scheibe nimmt die Intensität der Dunkelheit ab. Was dem bloßen Auge als schorfer Schnitt erscheint, offenbart sich im starken Fernglas als allmälzlicher Uebergang von unglaublicher Zartheit, es sieht fo aus, als ob ein impressionistischer Künstler diese köstlichen Farbtönungen geschaffen hat. Am Rande verdickt sich die Finsternis, nur der Mondumriß strahlt eine leichte Helligkeit aus, ein verwaschenes Gelb mit Uebergängen zum Rot. An dem großen Teleskop arbeiten die Photographen, die Apparate dicht an das Okular gedrängt. Bei dem starken Mondlicht genügt eine Aufnahme von drei Minuten. Es ist 17.54 Uhr. Die Mondscheibe ist oSllig verfinstert. Mit dem Fernrohr aber sieht man durch die Nebel hindurch die seinen Striche der Mondoberfläche und an der Oberseite (ohne Rohr an der unteren) ein mattrotes Glühen. Auch auf der Straße sieht man die Fernrohre, deren Benutzung einen Groschen kostet. Aber der Andrang ist nicht so stark. Die Menschen ziehen unbeirrbar ihres Weges dahin, einge- spönnen in ihre eigenen Sorgen. Bestimmt wird der Mond wieder scheinen, niemand hat ihn verschluckt, wie man im Mittelalter annahm. Und um 19.14 Uhr wird der recht« Rand nach und nach heller, und eine Stunde später strahlt der Mond in fleckenloser Klarheit.
Kür 20 und 50 Pfennig. Die allgemeine llmfielgeberechtigung ab i. Januar. — Auch Stadtbahn. Die Umsteigemöglichkeit zwischen allen städtischen Verkehrs- mittel» wird, wie bereits feststand, nun am 1. Januar Tatsache werden. Bereits am 27. September konnten wir mitteilen, daß mit der Fertigstellung der benötigten neuen IM Omnibusse am Jahresende der Umfteigeverkehr von den anderen Verkehrsmitteln auch auf dem Autobus gestattet werden wird. In einer Konserenz. die gestern beim Polizeipräsidenten mit den Vertretern der beteiligten städtischen Verkehrsgesellschafteit stattfand, hat der Polizeipräsident seine Zustimmung ge geben. Außer den völlig neu in den Dienst gestellten Autobusse»« werden. noch we.itere IM Wagen a(s Ersatz für die aus dem Verkehr zu ziehenden alten Wagen angeschafst. Auf diese Weise wiid der Autopark der Omitzbusgescllschaji nach und nach moderni- siert werden.'---'..i.' In der erwähnten Konferenz wurde auch die Frage der U m- steigcberechtigung von der Stadtbahn zu allen st ä d t i. scheu Verkehrsmitteln zum Abschluß gebrocht. Der Polizei- Präsident genehmigte grundsätzlich auch diese Neuerung, so daß vom 1. Iaimar ab die Reichsbahn Karten zu 30 Pf. ausgeben wird, die zu einer vollen Fahrt innerhalb der 20.Pfenmg-Tariszone im Nahverkehr der Reichsbahn und zur anschließenden Benutzung der Straßen-, Hochbahn oder des Omnibusses berechtigen. Umsteigekarten für die umgekehrte Beitutzungssolge können zurzeit noch nicht aus- gegeben axrden, doch ist ihre Einführung nur eine Frage der Zeit wie auch die Ausgabe von Umsteige monats karten, di« besonders
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Wieder bewegte sich und trommelte das Auto und wieder erklangen oben, nahe, zum Greifen nahe, die goldenen Tropfen der Sterne. Und über den Bergen brannte im feuriqen Nebel der Himmel. Man warf sie nicht in den Keller, sondern führte sie in das ihr bekannte Zimmer. Und derselbe Hauptmann, mit den Pickeln im Gesicht, sagte deutlich und faul, ohne sie an- zusehen:„Ingenieur Kleist hat für dich gebürgt. Wir glauben nicht dir, sondern Ingenieur Kleist ." ... Ein gutes Weib, die Motja, und eine gute Freundin —(und dabei verbrannten ihr zu dieser Zeit ihre Küchlein an einem bösen Fieber). „Du kannst gehen. Aber du sollst wissen: wenn man dich erwischt, wirst du niemals nach Hause wiederkehren. Und noch eines wisse: es ist dir hier nichts passiert, und deine Augen haben nichts gesehen. Und wenn du über etwas reden wirst— dann wird mit dir dasselbe geschehen, wie mit allen diesen Hunden. Nun mach, daß du fortkommst— marsch!" Und Daicha erzitterte nicht mehr, denn fest und für immer verbanden sich ihre Augenbrauen über der Nase in einen dichten Knoten. Sie sagte niemandem etwas, lernte aber Worte sprechen, sachlich und zur rechten Zeit. Sie war nur nacbts zu Hause, und ihr Zimmer wurde schmutzig, und in den Ecken blühten Staub und Schimmel. In den Fenstern verwelkten und trockneten die Blumen, das Gesicht wurde blaß und die Augen kalt und durchsichtig. Sie verbrachte ihre ganzen Tage bei Motja, ihrer guten Freundin, ein-r lieben Hausfrau. Freundete sich mit Sawtlchuk an. mit Gromada, und faß lange mit dem buckligen Lvschak in den Hofen des Werkes. Unbemerkt bereitete man sich zum Emfang der Roten Armee vor. und sie verwflfelte Loscbak und Gromada und Sawtschuk in ihre heimliche Arbeit. Früßer schliefen sie in der Nacht und sahen am Tage auf die Berge. Und jetzt waren ihre Auaen schlaflos in der Nacht, und am Tage stellten sie sich blind. Mit einer stummen Frage m den Augen kamen Soldaten. Sie kam-n. um sie anzusehen. Dummheiten zu machen, mit der jungen Witwe zu spielen. Sie kamen, einmal— zweimal, und verschwanden dann. Und statt ihrer kamen— andere. Aber wohin die ersten verschwunden waren— konnten die kaltgewordenen Augen Daschas niemand sagen.
Und hier, zum erstenmal, aus freiem Willen, ohne Gljeb in ihrer Seele untreu zu werden, gab sich Dascha anderen Männern. Und wenn sie daran dachte— bereute sie es nicht. Als ob das auch zu ihrer gefahrvollen Arbeit unter den Augen der Gegenspionage gehörte. Kam so ein Mann mit ver- schleierten, dunstigen Augen, wich nicht von ihrer Seite, ging nicht in die Berge. Sprach zu ihr von Herzen:„Ich kann ohne dich nicht weggehen. Dascha.... Ich will kein wildes Tier im Walde fein... umarme mich in meiner letzten Stunde.... Durch dich sind mir die ärgsten Schrecken nicht
Es ist wahr, es gab Augenblicke, in denen sie trunken war— aber das war eben ihr Opfer, das sie zu bringen hatte. Womit war dieses Opfer mehr als ihr Leben? Und dieser Augenblick füllte einen anderen Menschen mit Kraft und Furchtlosigkeit. Im Hafen standen englische Schiffe, sie nahmen unzählige Massen von reichen und vornehmen Flüchtlingen auf, die von Norden kamen. Und irgendwo, hinter den Bergen, dröhnte die Erde mit unterirdischem Donner, und in der Nacht tropften von diesem grenzenlosen Donner die Sterne wie Feuer herunter. ... Und an einem heißen Frühlingsmorgen, in Sonnen- fäden, als man das Meer vom Himmel und die Luft von den blühenden Bäumen nicht unterscheiden konnte— schritt Dascha mit ihrem roten Kopfuch durch zertrümmerten Schutt, über Menschen- und Pferdeleichen, durch den Gestank des panik - artigen Todes der weißen Horde— in die Stadt, um die Kommunisten zu suchen. Sie ging ganz allein, als die Bürger und Arbeiter, noch ganz betäubt, sich nicht trauten, ihre Kammern zu verlassen. Dascha ging, und ihre Augen und ihr Tuch brannten in den Sonnenfäden und der Bläue des Himmels und des Meeres: die Slngen von innen heraus wie Bernstein , das Tucb wie rotes Blut. Sie traf am Wege Rotarmisten zu Pferde, mit roten Bändern an Ihren Uniformröcken, und diese Bänder blühten wie üppiger Mohn. Sie sah sie an, sie lachte, und sie winkten ihr zu und lachten und schrien:„Hurra— dem roten Tuch! ... Der roten Frau— hurra!" * Gljeb lag erschüttert, regungslos auf Dalchas Knien und konnte lange kein Wort aus sich herauspressen. Da ist sie, seine Dascha.... Sie sitzt neben ihm, wie seine eigen« Frau, dieselbe Stimme, dasselbe Gesicht, dieselben Hände, und ebenso wie früher klopft ihr Herz. Aber es ist nicht die Dascha. die sie vor drei Jahren war: diese Dascha ist für immer dahin. Und eine Welle unaussprechlicher Liebe zu ihr erschütterte
ihn schmerzvoll. Er umfaßte sie mit zitternden Händen, und keuchend, die Tränen bekämpfend, stöhnte er vor Wut, Kraft- losigkeit und Zärtlichkest! „Dascha, Täubchen!... Wenn ich hier gewesen wäre in diesen Tagen!... Du hast alles allein ertragen.... Wenn ich das gewußt hätte!... Und jetzt zerspringt mein Herz. Dascha.... Du bist mit Fremden gelegen... Dascha!... Ich kann dich quälen und schlagen... wozu hast du mir das gesagt, Dascha?... Meine Hand wird sich nicht gegen dich erheben.... Sie ist eingetrocknet— und soll verflucht sein!... Aber du... du allein... mit Soldaten..,. Kann ich denn das verstehen?... Dascha! ... Gut.... Ich kann dir keine Gesetze schreiben.... Und niemand ist mir näher als du... du lebst... du bist allein gegangen, und du hast deinen eigenen Kampfesweg. Dascha, Täuschen, Liebe!..." „Gljeb... du bist gut.... Dumm bist du, Gljeb, aber gut...." Und sie saßen bis tief in die Nacht hinein umschlungen — so wie sie niemals seit den ersten Tagen ihrer Ehe gesessen hatten. Signalfeuer. 1. Auf der Wacht. Gljebs Abteilung war auf dem Vorgebirge hinter der Stadt oerteilt, das von den Weinbergen und Gemüsegärten der Vorstädte bedeckt war. Am Tage, während des Exerzierens in der Kaserne, dröhnte hinter den Bergen wie ferner Donner der Atem der Kanonen: hinter den dunstigen Bergrücken ging ein Kampf. Das Detachement zur besonderen Verwendung bereitete sich vor. zur Berstärkung abzumarschieren. In der Nacht ver- richtete es Wachtdienst in der Stadt. Am Tage verfiel die Stadt mit den leeren Straßen einer ungewöhnlichen Stille, einem panischen Schrecken, und in der Nacht starb sie im Dunkel. Im Werke brannte das elektrische Licht nicht mehr und die Fenster der Wohnhäuser waren durch Jalousien und Vorhänge dicht geschlossen. Und nur in den Behörden, zwischen Gewimmel und Tabakrauch. und auf den Straßen zuckten die Einwohner und die Mst- glieder der Gewerkschaften, die sich dorthin verirrt hatten, bei ihrer Begegnung geheimnisvoll ihre Augenbrauen. Und Geflüster und Gezisch zog gleichzeitig mit dem Staubwirbel durch die Stadt, und der Bergwind trug es in alle Winkel bis in die Bororte hinein, bis in die Schluchten, wo hinter jedem Strauche, jedem Felsen, ein unsichtbarer Feind versteckt war. (Fortsetzung folgt.)