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Freitag
16. Dezember 1927
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Eine Forderung Otto Brauns im Landtag.- Offizieller Schrift beim Reichspräsidenten.
Unter gefifteten Menschen ist es üblich, unbegründete Borwürfe zurückzunehmen. Bis heute ist das nicht geschehen.
den Reichsratsvertretern lag es jo, daß sich eine Anzahl der Broving vertreter verpflichtet hatte, für bie preußijen en Schule anträge zu ftimmen und nachher unter anderen Einflüssen das gegen ftimmten. Dadurch wurden die preußischen Anträge im Reichsrat abgelehnt.
Bor sehr start beseztem Hause sette am heutigen Freitag| treter erhobene Vorwurf des Vertrauensbruchs und der Irre| fahrungen in Ditpreußen ganz genau.( Große Helterkeit links.) Mit der Landtag die gestern begonnene Etatsdebatte fort. führung unberechtigt war.( Lebhaftes hört, hört.) Gleich zu Beginn der Sigung ergriff, wie erwartet, Ministerpräsident Braun das Wort, um auf die gestrigen Reden der Oppositionsvertreter zu antworten. Otto Braun war heute besonders schlagfertig aufgelegt und fo scheiterten die fleinen Unterbrechungsversuche der Rechten sehr rasch an feinen treffenden Antworten.
As immer wieder Zwischenrufe von rechts den arm feligen Herrn v. Reudell gegen den Ministerpräsidenten auszuspielen versuchten, schloß Otto Braun das Kapitel, indem er an den gestrigen Vorwurf des Abg. Bà der anfnüpfte, er, Braun, falle immer wieder auf die Füße wie eine Kaze: es sei schon beffer, wenn ein Ministerpräsident auf die Füße falle; als menn ein Minister auf den Kopf gefallen fei. Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen und die Lacher auf seiner Seite.
Im übrigen sprach Otto Braun fehr ruhig und abgemeffen und mit der ganzen Ueberlegenheit, die ihm seine Persönlich feit und feine fiebenjährige Amtstätigkeit als preußischer Min fterpräsident verleihen.
( Bewegung, Zuruf lints: Herr v. Keubell tönnte vielleicht an Babt telegraphieren!" Heiterfeit, Gegenzuruf: Da fehlt die innere Berbundenheit!" Große Heiterfeit.
Ministerpräsident Braun( fortfahrend): Ich habe also im Som mer nicht zuviel gefagt, wenn ich behauptet habe, daß gewiffe Reichsftellen eine bewußt antipreußische Politit treiben, und das gegen über einer Regierung, die überwiegend unitarisch und unbedingt reichsfreundlich ist, die immer die Intereffen des Reiches vorangestellt hat.( Sehr wahr!)
flagt, daß wir in der Flaggenfrage bas Reichsintereffe zu Auch das nimmt uns freilich der Abg. Baeder fibel. Er be ist auf die Reichsverfaffung dereidigt und verpflichtet, in ihrem Macht fehr in den Bordergrund gestellt hätten Aber jede Länderrenierung bereich allen Bestimmungen der Reichsverfaffung Geltung zu ver fchaffen.( Lebhafte Zustimmung links.) Benn wir daher erleben mußten, daß die verfassungsmäßigen Reichsfarben gehäffig beschimpft und zurückgedrängt werden, fo mußten wir als pflichtbewußte Länder regierung für die Durchsehung der Reichsfarben eintreten.( Sehr wahr! links.) Eine amerikanische Zeitung hat die pein lichen Szenen, die sich beim Empfang des New Yorker Bürger. meisters Balfer abgelpielt baben folgendermaßen geschildert: „ Einzelne Bartzien in Deutschland wollen von den schwarzrotgoldenen Der Landtag setzte heute die Etatdebatte fort. Das Wort nimmt Reichsfarben nichts wiffen, aber ein Boll, dos feine eigene Fahne fofort nicht achtet, hat feinen Anspruch auf die Achtung der Welt"( Sehr qui! lints, große Unruhe rechts.) Auch uns widerftrebt jeber Flaggenwechsel.c
Nach Braun nahm vor flüchtendem Haus der Kommunist
Pied das Wort.
10Ministerpräsident Braun:
Im Anschluß an die Besprechung des Reichsbahnkonflikts hat gestern ber beuticnationale Abgeordnete Bäder das Berhältnis zwischen dem Reich und Preußen als unmöglich bezeichnet. Ich darf die neueste Entwicklung dieses Konflikts turz darstellen. Durch Urteil des Staatsgerichtshofes vom 7. Mai 1927 ift an erkannt worden, daß Preußen einen Vertreter für den Berwaltungsrat der Reichsbahn zu benennen und das Reich ihn zu ernennen hat. Nach Buftellung des Urteils hat der Herr Reichstanzler mir mitgeteilt, er werde mit Bayern , Baden und Württemberg darüber verhandeln, wie der Anspruch Preußens zu verwirklichen sei. Er hat dann ein Rundschreiben an die Verwaltungsrats mitglieder gerichtet, ob jemand freiwillig zurüdireten wolle. Natürlich hat feiner von den Herren, die mit der Sache gar nichts zu tun hatten, feinen freiwilligen Rücktritt erflärt.
Ich habe deshalb durch Schreiben vom 7. Dezember dem Reichs fanzler anheimgegeben, das Mitglied zum Rüdfritt aufzu fordern, das fälschlich den preußischen Sih innehat, nämlich den früheren Reichskanzler Dr. Cufher Durch Schreiben vom 9. Dezember hat der Herr Reichskanzler das verweigert. ( hört, hört!)
Er hat Breußen ferner anheimgegeben, fich erneut an den Staatsgerichtshof zu menden, um aufzuffären, ob das Urteil vom 7 Mai ein Feststellungs- oder ein Bollstreďungsurteil fei. ( Heiterfeit.) Einen solchen Vorschlag fann ich taum noch ernst nehmen. Nach dem Entscheid des Staatsgerichtshofes fieht es feft, dah Preußen seit über zwei Jahren sein Blah im Verwaltungsrat der Reichsbahn zu Unrecht vorenthalten wird. Der Reichskanzler follte mit mir das bringende Berlangen empfinden, diefe Schädigung der preußijden Intereffen abzustellen. Wenn jegt nach Ausfechtung einer neuen Klage der Staatsgerichtshof erflärte, es handle sich um ein Bollftredungsurteil meiner Anschauung nach find alle Urteile bes Staatsgerichtshofs zu vollstrecken, was wäre dann gebessert? Urteile gegen das Reich können ja überhaupt nicht Dollfiredt werden.( Sehr wahr links.) Die Reichsregierung muß eben felbft Recht schaffen.
Es bleibt Preußen nichts weiter übrig, als einen Appell an den Reichspräsidenten , der nach Artikel 19 der Reichsverfaffung Urteile des Staatsgerichtshofes zu vollftreden hat.
Dieses Beispiel zeigt deutlich, daß es wirklich nicht die Schuld Breußens ist, wenn unser Verhältnis zur Reichsregierung menig erfreulich ist.( Lebhafter Beifall links.) Um das Verhältnis nicht welter zu verftlechtern, will ich die übrigen Klagen Breußens nicht vor tragen, sondern nur zusammenfaffend erflären, sämtliche früheren Beschwerben Breußens gegen das Reich find bis heute nicht abge ftellt, aber es iſt eine Reihe neuer Beschwerden hinzugefomunen. ( Lebhaftes hört, hört links.) Ich erinnere nur beispielsweise an ben Fall Badt, der darin bestanden hat, daß der Reichsinnenminister nor dem Reichsrat ben preußischen Reichsratbevollmächtigten rettifiziert hat. Ein solcher Vorgang ist noch nicht dagewejen.( Sehr wahr! links.) Denn wenn die Reichsregierung sich durch das Auftreten eines Ländervertreters beschwert fühlt, muß sie die betreffende Regierung um Remebur erfuten. Denn im Reichsrat ist der Ländernertreter nicht für seine Berson, sondern für seine Reglerung, und die Zured tweifung trifft diese und nicht den zufälligen Bertreter. Obendrein hatte fih der Borgang, ben Herr v. Reudell im Auge hatte, gar nicht im Reichsrat. fondern in einem Ausschuß des Reichstags abgespielt, wo jede Regierung das Recht hat, ihren Standpunti darzulegen, ohne einer Benfur des Reichsinnenministers zu unterliegen. Der Reichsrat hat nach eingehender Beratung festgestellt, daß der von Herrn v. Keudell gegen unseren Ver
Aber schließlich war fchwarzrotgold schon immer Symbol des Kampfes gegen Fürffenw für und Gelftestnechtschaft in Deutschland . Schwarzrotgold ift die alte Fahne aller Frei- und Deutschgesinnten, das alte Symbol der deutschen Einheit. ( Lebhaftes Brano linfs.)
Herr Baeder hat über unseren Bontott ber hotels gefagt. Wir hielten uns verpflichtet dem magiftrat der Stadt Berlin beizutreten, wenn er gegen die Berlegung der deutschen nationalen würde fämpfte, die darin bestand, ausländische nationale Flaggen zu hiffen, aber die Reichsflagge zu mißachten. Hotels, die das taten, zu betreten, war uns durch die nationale Beltachtung Derboten.( Sehr gut! lints.) Aber wir werden dieses unwürdige Schauspiel nicht mehr erleben. Dant dem Vorgehen der preußischen Regierung wird in Zukunft die verfassungsmäßige Reichsfahne ge zeigt werden.( Lebhafter Beifall links.)
Herr Baeder hat dann von einem Bontott der preußi fchen Provinzialpertreter im Reichsrat gesprochen. Mit Bontott hat das nicht das Geringfte zu tun.( Widerspruch rechts.) Bontott bedeutet, jemand durch wirtschafliche und gesellschafliche Aechtung zugrunde richten- ich weiß das aus langjährigen Er.
Eine Anzahl Bertreter anderer Länder, denen aufere Anträge noch zu weit dem Entwurf des Reichsinnenminifters entgegen. zukommen fchlenen, häffen gleichwohl für unsere Schulanfrage geffimmf, wenn sie nicht in dem Irrtum befangen gewefen wären, daß ihre Annahme ohne dies gesichert fel.( Hört, hört!) unter diesen Umständen habe ich erklärt, daß die Beratungen mit den preußischen Brovinzialvertretern feinen 3wed mehr hätten. Die Unterredung tfargelegt, baß bie bfit einer 3rreführung preußischen Provinzialvertreter haben mir dann in einer persönlichen also wieder fortgesezt. Ich möchte nur wünschen, daß feber Streit bel ihnen nicht oorgelegen hat und die Besprechungen werden so loyal erledigt wird, wie ich diesen Zwischenfall erledigt habe. ( Sehr gut! fints.)
Aber die Deutschnationalen sollten doch das Wort Bontott leber
überhaupt nicht in den Mund nehmen. Es erinnert an ein unan
genehmes Kapitel der Bortriegszeit. Der Behördenbontott war im affen Preußen der Konfervativen eine Dauererscheinung. Es brauchte damals nur ein Birt fein Lotal zu einer fozials. demofratischen Bersammlung berzugeben manchmal geniigte auch eine Zentrumsversammlung oder eine freifinnige Ber jammlung sofort hatte er das Militärverbot auf dem Hals, Das Hotel Kaiserhof tam damals allerdings nicht in Frage. ( Heiter. feit.) Uebrigens wendet jeht schon wieder gelegentlich die Reichswehr ähnliche Methoden an.( Sehr wahr! links.) Ober soll ich fie daran erinnern, wie im alten Preußen der Land. rat von Willichen, weil er in ber Kaffe der Landwirtschaftsfammer Unregelmäßigkeiten entdeckt hatte, vom Major Endeli gesellschaftlich und wirtschaftlich augrunde gerichtet wurde? 3m alten Preußen wurde jeder Grundbesiker, der nicht konfer vafio war, in den öfflichen Provinzen fyftematisch boykoffiert und schifaniert.( Zurus: Heute ist es noch viel schlimmer!") Wenn wir alfo das Kapital Bontott eingehend erörtern wollten, würden die Deutschnationalen und Konservativen verflucht schlecht abschneiden.( Sehr mahr! links.)
Herr Baeder Sprach davon, daß das heutige Preußen noch teine moralischen Eroberungen gemacht habe. Das alte Preußen hat in der ganzen Welt moralische Eroberungen nicht zu machen verstanden. Die Erörterungen über die Herstellung der Reichseinheit finb deshalb fo fchwierig, weil in der Erinnerung an das alte Preußen gerade unitarisch und republikanisch ge= finnte Länder die größte Angst vor der Berpreußung haben.( Sehr wahr! links.) Ueber Einheitsstaat und Berwaltungsreform wird gegenwärtig ungemein viel geredet. Aber ich habe den Eindrud,
Verschlechterung der Lex Brüning.
Annahme des Antrags der Regierungsparteien.- Steuerliche Bevorzugung der
großen Einkommen.
Der Steuerausschuß des Reichstags erledigte am| nen verschlechterten Faffung der Leg Brüning von einem Aufkommen Freitag in furzer Beratung die Anträge zur Reuregelung der Sohn Steuer und Einkommensteuer. An der Aussprache beteiligten fich nur die Bateien der Oppofition. Die Regierungsparteien schmiegen fich pollig aus.
Abg. Dr. Herh( Soz.) bezeichnete den Antrag der Regierungsparteien als ein Berlegenheitszeugnis. Der steuerfreie Bohnbetrag, bie Familienermäßigungen und der Steuerfas würden unverändert bleiben, während der Steuer betrag um 15 Broz. bzw. im Höchstfall 2. ermäßigt merbe. Das sei ein ganz unge wöhnlicher Borgang, zumal er die Lohnsteuer außerordentlich to m. pliziere Die Erfchwerung fei fo groß, daß sie den Biberstand ber Unternehmer gegen die Lohnftener verstärten und den Quellen abzug überhaupt gefährden muß. Wenn auch die Wirkung des An. trags der Regierungsparteien für die Lohn- und Gehaltsempfänger mit geringem Einfommen günstiger fei als bei dem Entwurf der Reichsregierung,
so bleibe doch eine absolute Bevorzugung der größeren Einkommen.
Die vorgeschlagene Wenderung der Lohnsteuer werbe zu einem Meht. aufkommen von einigen hundert Millionen führen. Selbst nach den Berechnungen der Reichsregierung wird die Lohnsteuer im Jahre 1928 1420 Millionen bringen, wahrscheinlich aber set ein noch höherer Betrag. Daher sei es eine Täuschung, wenn in der vorgeschlage
von 1300 millionen gesprochen werde. Tatsächlich werde die Leg Brüning überhaupt außer Kraft gefeht, bie Lohnsteuer verschärft und als Ausnahmegefeh gegen die pünktlichsten Steuerzahler gebrand martt. Da alle fachlichen Erwägungen der Sozialdemokratie völlig unberüdsichtigt geblieben feien, fo hänge es allein von der poli tischen Entwidlung ab, ob bie Lohnsteuerzahler ihr Recht erhalten. Die Lohn- und Gehaltsempfänger müßten fich bei den nachften Bahlen den Schutz zu erzwingen suchen, den der Rechtsbloc ihnen verweigert. Abg. Soenen( Stomm.) und Abg. Dr. Fischer ( Dem.) fprachen ebenfalls die Ablehnung ihrer Parteien aus.
Die Abstimmung ergab bie Annahme des Vorschlages der Regierungsparteien, modurch der Gesezentwurf ber Reichsregierung hinfällig wurde.
Der sozialdemokratische Antrag auf Erhöhung des steuerfreien Lohnbetrages um 40 M. monatlich wurde gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten abgelehnt.
Abgelehnt wurden auch die von ben Demokraten und der Deutschen Boltspartei eingebrachten Anträge auf weitgehende Senkung bea Einkommensteuertarifs, Einführung des dreijährigen Durchschnitts bei ber Beranlagung und Aufhebung der Kapitalertragssteuer.
Die Beratung des Gefeßentwurfs zur Aenderung der Lohn steuer wird im Plenum des Reichstags am Sonnabend erfolgen,