Sonnabend
17. Dezember 1927
Unterhaltung und Wissen
Ein Scholar flarb.
Es ist erlaubt, traurig zu sein, wenn der Tod einen Menschen fortnahm, dessen Bild man tief in fich trug. Gesten gehören nicht dazu und feine Tränen, vielleicht ein Besinnen, selten aber meitschweifendes Wort.
Anders aber ist es, wenn der Lote mitten in der Reihe( soll man jagen Schlachtreihe?) fiel und an sich Merkmale einer ganzen Schicht in fich trug, die ihn emporgebracht, nun auch seinen Berlust trägt, wie eine Wunde, die langsam vernarben muß.
Man wird fragen, was das bedeutet und was der Aufwand diefer Worte soll, da man erfährt, daß ein einfacher junger Student gestorben ist, von dem nur wenige etwas wissen und der, weiß Gott ,
noch teine Berühmtheit war.
Beilage des Borwärts
Der Tiger" an der Front.
bimbola
Bon Heinz Lamprecht.
rührung kommen. Die Geschütze feuerten jetzt auf beiden Seiten. Die Geschosse pfiffen über unsere Köpfe hinweg. Zu unserer Linken, nach dem Feind zu, war eine niedrige Suppe mit hohen alten Bäumen, 3mischen diesen Bäumen bewegten sich ein paar dunkle Figuren. Das war unsere Front und letzte Linie."
Aber man muß erfahren, daß dieser Mensch herausgehoben gebildeter Gefahr vor sich und anderen den Heldenmütigen zu spielen Ahnung von dem Gelände hatte), daß sie pon feiner anderen Stelle
murde aus den Massen arbeitsharten Volkes durch eigenen Willen und Fleiß, das er mit Stolz betrachtet murde von vielen Laftträgern in den Winkeln des Lebens drunten am Niederrhein , auch ihren Haß trug und ihren firsteren Reid, blaß, elend, und ausgehungert, mit brennenden Augen hinter dem Wissen her, mit zitternden Händen Bücher umfassend. Er hatte Angst vor dem Verfinken und vor dem
geftigen Lod.
Er lebte zwischen uns auf dem Gymnasium. Sein wächlernes Gesicht leuchtete aus allen hervor. Seine Stirn war früh von Falten 3erfägt. Seine Stimme mar bart, feine Zähne schlecht und seine Hand von Geschwüren zerfressen. Wer konnte sein Wesen sehen? Niemand. Er war begabt und wußte viel. Man mußte schon aufmerken, wenn man erkennen wollte, daß das harte Lachen, das er oft auf frühlingsblanten, hochgelegenem Schulhof ausstieß, 3ufunftshoffnung war, und die Gewißheit, der finsteren Hütte des Baterhauses für einige Stunden entronnen zu sein. Damals schon wandelte die hohe Gestalt des Setundaners im ärmlichen allzu furzen Anzug am Barren und Red norbei, den Zarathustra unter dem Arm. Er verbarg unter einem verächtlichen Lächeln die Sehnsucht nach dieser Welt frischen Jungentums. Aber die war ihm immer verwehrt. Jahre hezte er so hin zwischen Schulstunden, die ihn etwa hochmütig fahen im Kreise gut genährter, oft verschlafener Kameraden. Rote Ränder hatten feine Augen bekommen und seine Wangen waren noch hohler.
In der Prima waren wir ihm etwas näher gekommen, er hatte ein wenig Bertrauen gefaßt und sich leise eingestanden, daß wir zwar nicht so wissensburstig wie er, aber doch Burschen von radikalem Zemperament waren. Unzählige Male bin ich dann den Schulweg stattauf mit ihm gepilgert. Wir vertrauten uns fleine Sorgen an. Kleine Sorgen? Nachmittags lief er die Bürgerhäuser ab und mußte dort den Lafai für die Kinder des besseren Publikums spielen. Abends hockte er über seinen Büchern, mübe, aber doch mit einem glühenden Millen, der feinen Ertenninistrieb machhielt.
Die Stadt bot an Abwechselung nicht viel. Nun, es gab Theater und Konzerte, es waren dort leidlich hübsche, langzopfige Mädchen, die wir mittags, in junger Männlichkeit prahlend, nach Hause brachten, die neben uns huschten in spärlichem Wald und in den be fichten, weiten Baumalleen, die das Vermächtnis eines gestorbenen Bürgermeisters waren.
Es tam aber eine Zeit, in der wir einen Bund gründeten zur Erstrebung höherer Biele und er, Hubert, war mit dabei. Wir waren unser sechs und heiß brannte unfer Glaube an das Gute im Menschen, an eine tommende, schönere Welt neuer Gemeinschaft.
Ich weiß noch, mir faßen in vornehmen Herrenzimmern, bei gedämpftem Lampenlicht und theorefisierten über das Glüd. Bücher wurden aufgestapelt und gelesen. Huberts Lachen war oft eistger Hohn. Einige verstanden ihn nicht, mieden ihn, haßten ihn. An einem Beihnachtsabend bin ich dann einmal bei ihm gewesen, ungebeten und ungerufen, denn er wollte nicht, daß man zu ihm tam. Ich sah einen betrunkenen Schuster mit einem Eisen auf seinen zitternben, erschöpften Sohn eindringen und fluchen und flagen in ärmlicher Hütte. Wir enteilten den grauen Augen dieses Wüterichs und dem Arme- Leute- Geruch. Später jaßen wir träumend auf ber Dochstube eines Freundes. Unsere Pfeifen waren talt geworden, und wir äugten in die Dunkelheit. Was solite ihm noch Leonhard Frant
-
Ja, und dann waren wir frei. Die Schule lag hinter uns und das Leben weitfadend voraus. Fremde Städte nahmen uns auf und Das Gemimmel der Universitäten. Wir waren versprengt und hörten wenig voneinander, wir sechs. Reich waren einige und gewannen einen anderen Stil des Lebens in den lockenden Städten München oder Berlin , nicht bald, aber allmählich. Was vergaß man nicht alles im neuen Bezirt.
Wir anderen aber fämpften mit der Not des Tages, mit dem Hunger und mit der Zeit. Aber unsere Kraft war jung und unser Mut ungebrochen. In Bergwerfen und in Fabriken tauchten wir unter, auf Kontorfchemein ritten wir und wurden Liebhaber bei ländlichen Schmieren. Es blieb zuerst wenig Zeit für das Studium, aber das Buch des Lebens war reichhaltig und abwechselungsreich genug. We oft mußte ich in durchschwißten Arbeitspausen tief unten in der Erde, im Konzert der hämmernden Maschinen, beim Geflapper der Webstühle an jenen saltsamen Jungen denken, der irgendwo so lämpjen mußte wie ich.
Er konnte keine Muskelkraft spielen lassen im Sturm modernen Arbeitsgetriebes. Er, der Arbeitersohn, mußte nur Bureauluft atmen und erschrieb sich mit zitternden Fingern ein armseliges Studentendasein. Ich sah ihn noch einige Male, wie er hager und mit dampfender Pfeife mir entgegenschritt, seltsame Schatten unter den Augen. Dann hörte ich, daß er zusammengebrochen war an der Schwindsucht. Noch einen Tübinger Sommer schleppte er fich bei einem Freunde durch. Man brachte ihn nach Davos . Dort ist er geftorben.
Bor Tagen las ich die Todesanzeige. Da fam mir start die Erinnerung, und ich war tief beschämt. Man hat ihn gehen lassen. Warum? Eine große Schar Aengstlicher hat ihn vorgeschickt in ein neuzeitliches Scholarenleben, heffen Berechtigung und Aufgabe man nicht versteht. Nun hat der Einsame vor dem Tod tapituliert.
Spinnen, die ihre Männchen auffreffen. Der Londoner 300logische Garten beherbergt gegenwärtig fieben große Vogelspinnen, von der größten, sieben Bentimeter fangen Spinne bis zu den fleinsten Lieren der Art. Die Vogelspinnen stellen eine Gattung fehr großer, zu den Erdwebern gehöriger Spinnen mit gottig behaartem Körper und träftigem, mit einfchlagbaren Kleuen verfehenen Beinen bar. Die im Londoner 300 befindlichen Spinnen sind mit einer einzigen Ausnahme Weibchen. Männchen sind in der Gefangenschaft fo gut wie nicht anzutreffen, da es zu den Gewohnheiten biefer Spinnenfamilien gehört, daß das Weibchen das Männchen auffrist
Das muß man sich vorstellen. Zur Linken, wo sich die„ dunklen hundert Meter weg. Aber Herr Churchill war ein vorsichtiger Mann, der wohl wußte, welches Kleinod Frankreich feiner Obhut anvertraut hatte, und so machte er dem Tiger vor( obwohl er feine einen jo guten Ueberblick gewinnen fönnten".„ Ich war der gefährlich! Die Granaten plagten nur etwa hundert Meter von Meinung, daß wir weit genug vorgegangen seien." Es mar ja jo00 uns entfernt." Und in dieser furchtbaren Lage harrten die tapferen Krieger etwa eine Viertelstunde" aus. Loucheur und Clemenceau maren in bester Laune und so leichtfinnig wie Schuljungen an einem Feiertag." Oder, wahrscheinlich, wie die dunklen Figuren", die im Balde von Moreuil in den Granatenlöchern taumelten.
Wenn der ehemalige Frontsoldat in seinen Erinnerungen framt, bann tauchen zwischen Blut und Grauen heitere Bilder auf von hohen Besuchen in der vorderen Linie, non Generälen. Divisions adjutanten, Kunstmalern und Berichterstattern, die in ihrem aufgedonnerten Heroismus, in jener Mischung von Wichtigtuerei und Todesangst dem pathetischen Repertoire des Kriegstheaters die fleine menschliche Folie gaben. Eine kompakte Masse, die dem nackten Ent- Figuren" bewegten das war vielleicht sechs, vielleicht auch achtjetzen ungefähr mit den gleichen Gefühlen entgegenging wie dem Empfang der täglichen Kommißbrotration, fab für einen Augenblick wieder den einzelnen, das zurückgelassene Ich, das an Stellen einpflegte. Man fann das natürlich auch anders ansehen( und wir alle haben es damals anders angesehen). aber im Grunde, nicht wahr, mar hier doch das ursprüngliche Verhältnis des Menschen zu den Er eignissen wiederhergestellt. Wir, auf denen mit Granaten getrommelt wurde, wir, die nur auf höheren Befehl oder auf Kom mando mörderischer Maschinen in Aftion traten mir standen außerhalb der Naturgefeßze. Aber der kleine Mensch mit den großen Drden und Ehrenzeichen, den ein einziges, hundert Meter feitwärts burch einen Blindgänger, die wir nicht mehr spürten, nicht bloß autoplaßendes Schrapnell in den Staub warf, der auf die Erschütterung matisch, sondern mit jedem Nero qualvoll reagierte das war die eigentliche, die wirkliche Kreatur, die sich noch der Harmlosigkeit eines Borgangs bediente, um sich selbst in Szene zu sehen. Auf der Gegenseite verhielt es sich nicht anders als bei uns.
Winston Churchill hatte seinen Bedarf an Eindrücken gedect und trieb zur Eile. Er gestattete dem Tiger gerade noch, an englische Offiziere Bigarren zu verteilen, dann kommandierte er Kehrt. Unterdeffen überlegte die Weltgeschichte, wie sie dem Tiger noch Gelegenheit Derschaffen tönnte, eine Probe seines Edelmuts zu geben. Als wir die große Straße erreichten, plaßte ein Artilleriegeschoß mitten in einer Gruppe von Pferden in nicht allzugroßer Entfernung. Gin verwundetes reiterloses Pferd fam auf uns zu. Das arme Tier war mit Blut überströmt. Der 74jährige Tiger ging auf das Pferd u, ergriff mit großer Schnelligkeit die Zügel und brachte es zum Stehen. Der französische General seiner Begleitung machte ihm ernsthafte Borstellungen. Clemenceau ging widerstrebend auf seinen Schil- agen zu. Beim Einsteigen warf er mir einen Seitenblick zu und
Es ist reizvoll, von einem solchen Menschen, der es fich infolge feines hohen Ranges leisten konnte, in einer großen Zeit flein zu bleiben, nach Jahren Dokumentarisches zu lesen. In der naiv erzählenden Weise, die nur den Angelsachsen eignet, macht es sich vorzüglich. Herr Binston Churchill, in den kritischen Frühjahrstagen 1918 Munitionsminister im Kabinett Lloyd George , brachte schon in feinen fürzlich veröffentlichten Erinnerungen mit der Schil derung seines Frontbesuchs prachtvoll unfreiwillige Illuftrationen. Jeßt bringt er noch prachtvollere. Durch die Angusapreß läßt er verbreiten, wie er sich gemeinsam mit Loucheur und Clemenceau, bem gefeierten und gefürchteten ,, Tiger ". feines Auftrags entledigte, den Einsatz der franzöfifchen Reserven an der englischen Front herbei zuführen. Keine Warnungen besorgter Stabsoffiziere hielten den Tiger davon ab, seine unerschrockenheit vor jedermann zu beweisen. ,, Da ich diesen weiten Weg gemacht habe und Ihnen zwei Divifionen fchide, werde ich nicht zurückgehen, ohne den Fluß überschritten zu haben. Ein paar Granaten werden dem General gut tun, sagte er heiter zu dem Chef des Militärkabinetts." Herrn Churchill , der bie Führung ber feinen Autofolanne zur vordersten Linie über nommen hatte, war es weniger wohl zumute. Der Weg, den er eingeschlagen hatte, führte nach dem Wald von Moreuil. Ich dachte, wir würden vielleicht mit einigen von Seelys Kanadiern in Be
-
bemerkte leise: Quel moment délicieux!" Ein zerfetztes Pferd, erstes blutiges Kriegserlebnis des Staatsmanns. Welch ein Glüd, daß dies, nachdem man alle Sensationen schon genossen glaubte, noch poffierte! Grund genug, im Hauptquartier des Marschalls Pétain , wo alles ruhig und geordnet" war und ein ausgezeichnetes Essen in einwandfreier Weise serviert" murde, Loucheur und die Generäte zu neden und sprunghaft von Scherzen und Späßen zu den ernstesten Gesprächstoffen ohne eine einzige Bause" zu wechseln. Erst in Paris wurde der Tiger wieder dienstlich: ,, Pétain hat Bore forge getroffen, daß Sie überall empfangen werden, wohin Sie zu gehen wünschen. In seinem Eisenbahnzug wird immer das Effen für Sie bereitgehalten."
Wie beruhigend für Winston Churchill , das zu wiffen! Es war eine schmere, verantwortungsvolle Zeit.
Tiere als Kannibalen.
auf. Terrarienbefizer machen auch nicht selten die unangenehme Entdeckung, daß etwa einer ihrer einen Salamanber bera Kannibalismus eines größeren Artgenossen zum Opfer gefallen ist. Bierfischliebhaber wissen oft von ähnlichem Mißgeschick zu berichten, das ihre Schüßlinge betroffen hat!
In der freien Natur ist der Kannibalismus unter normalen Lebensbedingungen nicht minder häufig. Man fann ganz allgemein sagen, daß die räuberischen Tiere, vom fleinsten Infeft bis zum größten Raubsäugetier, über ihresgleichen herfallen, wenn sie per Hunger treibt und der Artgenosse schwächer ist. Die schlimmsten Räuber unter den niederen Tieren find z. B. die Bassertäfer und ihre Larven. Sie freffen sich ohne weiteres gegenseitig auf, fo daß es ganz unmöglich ist, etwa mehrere Gelbrandlarmen gleichzeitig in einem Aquarium zu halten. Binnen furzem sind alle bis auf eine dem gegenseitigen Sichauffreffen zum Opfer gefallen. Ja, im Freien sind für die junge Gelbrandlarve die eigenen Geschwister die erste Nahrung überhaupt! Dieser Kannibalismus in der trasfesten Form ist bei ihnen durchaus normal. Etwas Aehnliches findet sich nur noch bei anderen Wasserfäfern, bei den Larven der Puppenräuber( Käfer) und, wie fchon geschildert wurde, bei gewiffen Schmetterlingsraupen. Bibellen larven fallen ebenfalls nicht selten über ihresgleichen her, und die erwachsenen Libellen scheuen sich keineswegs, fleinere Libellen zu jagen, sind diese erft frisch geschlüpft und daher im Fliegen noch ungefchickt, fo werden fie gar leicht eine Beute dieser Kannibalen. Bei vielen Spinnen ist es üblich, daß das stärkere Weibchen nach der Hochzeit das fleinere Männchen zu überwältigen sucht; oft genug gelingt diefes Borhaben, und ein fannibalisches Mahl beschließt dann das Hochzeitsfest. Ueberhaupt kann man nicht selten beos achten, daß sich die beiden Geschlechter außerhalb der Paarungszeit feindlich sind. So beißt der männliche Sa mst er das Weibchen fofort tot, wenn es ihm auf seinen Streifzügen begegnet. Selbst bei dén kleinsten Tieren ist Kannibalismus beobachtet worden, bei Rädertierchen und den winzigen einzelligen Trompetertierchen, die ihre nächsten Berwandten in ihren Schlund hineinftrubeln und verbauen.
Der Rannibalismus, d. h. das Leberwältigen und Berzehren| fallen dann schleunigst über das schreiende Tier her und freffen es von Artgenossen, ist im Tierreich durchaus teine Seltenheit. In vielen Fällen zeigt er fogar diefelbe abstoßende Ferm, die den Kannibalis mus beim Menschen zur abscheulichsten Erscheinung macht, die man mus beim Menschen zur abscheulichsten Erscheinung macht, die man sich vorstellen fann. Am überraschendsten ist natürlich die Parallele zwischen menschlichem und tierischem Kannibalismus bei den staaten bildenden Insekten; das soziale Zusammenleben oft zahlloser Indi vibuen stellt die Gesamtheit nicht selten vor Probleme, die mit Hilfe des Kannibalismus am einfachsten" zu lösen sind. So werden bei den Ameisen nicht selten frante Tiere von den eigenen Artgenossen aufgefreffen. Dasselbe Verfahren ist bei den Termiten üblich, die außerdem bei zu starter Bermehrung die überzähligen Tiere nicht erft zu gefährlichen Nahrungstonkurrenten heranwachsen lassen, sondern fte rechtzeitig töten und verzehren. Geradezu als unvermeidliche Staatsnotwendigteit" spielt der Kannibalismus bei der Gründung neuer Ameijentolonien eine äußerst wichtige Rolle. Man hatte sich schon immer darüber gewundert, daß die Ameisenkönigin, die nach dem Hochzeitsflug einen neuen Staat errichtet, monatelang nicht aus ihrem neuangelegten Erdneft herauskommt; sie hat teinerlei Berbindung mit der Außenwelt und verhungert trotzdem nicht. Und die Larven, die fte großzicht, erhalten auch keine Nahrung von außen her und müssen dennoch gefüttert werden. Man vermutete daher, daß bet diesen Staatsgründungen der Kannibalismus von größter Bedeutung ist. Durch die umfangreichen Forschungen und Experimente von Brof. Ed. Meyer ist erft fürzlich diese Vermutung vollauf bestätigt worden. Sowohl die Ameisenkönigin als als auch die Larven leben von den Eiern, die die Königin legt, und auch von jüngeren Larven, die gewissermaßen dem Staatswohl, der neu ent ftebenden Kolonie, geopfert werden. Ohne diesen Kannibalismus tönnten die neuen Ameisenstaaten also gar nicht entstehen. Recht überraschend ist das Borhandensein fannibalischer Triebe bei sonst frieblichen Tieren, 3. B. bei Schmetterlingsraupen. Mancher Sammler hat mit diesen Mordraupen" schlimme Bekannt fchaft gemacht. Eo erlebte es Boelschow, daß sich 64 frisch eingesammelte Bläulingsraupen teilweise gegenseitig auffraßen, tellweise so schwer verletzten, daß tein einziges Tier am Leben blieb! Der schlimmste Kannibale unter den einheimischen Raupen ist die limeneule, die nicht nur unter ihresgleichen mütet, sondern auch anderen Raupen nachstellt und sogar auf die gewöhnliche Blätter nahrung völlig verzichtet hat. Die Frühbirneulenraupen überfallen mit Borliebe die eigenen Geschwister, die sich gerade verpuppen wollen und dadurch wehrlos find. Auch die Raupen der Stahlmotten stellen anderen Raupen nach und werden gelegentlich durch Bertilgung von Nonnenraupen recht müßlich. Auffallend häufig finden fich derartige Mordraupen in Patagonien, dessen trodene Sommer die Tiere zum Kannibalismus zwingen, wenn sie nicht umkommen
wollen.
Kannibalische Gelüste treten nicht selten unter abnormen Be dingungen auf. So vertragen fich gefangengehaltene Eulen gut. solange fie alle fräftig und gefund find. Beginnt jedoch ein Lier zu fräntein, so ist es bald verloren: die eigenen Artgenossen töten und verzehren es. und verzehren es. Daß sich mehrere in einer Falle gefangene Nagetiere( Mäuse, Ratten) gegenseitig auffreifen, ist allgemein bekannt. Hält man mehrere Ratten in einem gemeinsamen Käfig gefangen, fo genügt es oft fchon zum Erweden fannibalischer Gelüfte, ein Lier in den Schwanz zut kneifen, so daß es schreit. Die Genossen
Bei recht vielen Tieren ist besonders die Nachfommenschaft durch kannibalische Gelüfte eines oder beider Eltern gefährdet. Diese biologisch durchaus unverständliche Erscheinung ist besonders bei Hausschweinen und Kaninchen verbreitet. In Zeiten der Not fressen selbst die Bildschweine ihre eigenen Jungen auf. Bei Fischen ist es recht häufig festgestellt worden, daß die junge Machfommenfchaft von den eigenen Eltern verschlungen wird; dem Aquarienbefizer macht diese üble Gewohnheit natürlich oft genug Kummer, da er sich nach einem solchen Unglücksfall um feine viele Mühe um eine gute Nachzucht betrogen sieht. Besonders müssen bie Männchen von den Jungen ferngehalten werden. Den jungen Krofobilen und Raubsäugetieren, aber auch vielen friedfertigen Tieren wird besonders der Bater gefährlich, in dem der Anblick seiner Sprößlinge häufig nur fannibalische Triebe zu ermeden scheint. Die Mutter fucht daher in vielen Fällen mit Lift die Jungen vor ihm zu verbergen. Seloft dort, wo die Eltern erst Brutpflege treiben, die Gier clio befonders schüßen, zeigt sich mancherlei Stannibalisms, jo bei manchen Fischen, besonders auffallend aber bei der weiblichen Maulwurfsgrille, die erst eine Höhle für ihre Eier gräbt, diese und dann auch die geschlüpften Jungen lange bemacht, fchließlich aber boch einen Teil ihrer Kinder allmählich verspeist!