Morgenausgabe
Nr. 597
A 303
44. Jahrgang
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Sonntag 18. Dezember 1927
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Zuchthausstrafen für Arensdorf.
Fünf Jahre dem Sohn und anderthalb Jahre dem Vater bei sofortiger Verhaftung.
Frankfurt a. b. D., 17. Dezember.( Eigenbericht.)| die Berantwortung trägt, das zu entscheiden ist nicht Sache des
Das Urteil im Arensdorfer Totschlags. prozeh wurde heute abend 7 Uhr verkündet. Es lautet folgendermaßen:
Der Angeklagte August Schmelzer wird wegen Totschlages und Totschlagsversuches zu einer Zucht hausstrafe von fünf Jahren und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf zehn Jahre verurteilt. Der Angeklagte Paul Schmelzer wird wegen Beihilfe zum Totschlag und zum versuchten Totschlag zu einem Jahr sechs Monaten Zuchthaus und außerdem zu 50 M. Geldstrafe wegen verbotenen Waffenbestites verurteilt. Der Angeklagte Paul Schmelzer wird in Saft genommen, weil er wegen der Höhe der Strafe fluchtverdächtig erscheint.
-G
.
Das Urteil wird in den Kreisen des Stahlhelms und feiner Bundesgenossen mit pflichtschuldiger Empörung aufgenommen werden, trozdem es in seinen Ausmaßen bei weitem nicht an die Anträge des Staatsanwalts heranreicht. Denn soweit wir sehen zum ersten Male wurden hier Angehörige jener vaterländischen" Gruppen mit etwa dem Maße gemessen, das sonst gegen Angehörige des Reichsbanners von deutschen Richtern angewandt zu werden pflegte. Die„ Baterländischen", die die Farben des Baterlandes bes fudeln, beschimpfen, stehlen und vernichten, waren bisher gea wohnt, besonderes Berständnis für ihre raufiuftige Gesinnung zu finden. Sie glaubten, es fei sittlich erlaubt, Republikaner wie tolle Hunde niederzufnallen, denn sie hatten ja die Frei [ prechung ihrer Freunde vor Augen: des Landwirts Rehnig, der den Reichsbannermann Erich Schulz erschoß, des Stahlhelmführers Majiera in Breslau , der gleichfalls einen Reichsbannermann und Sozialdemokraten tötete, und sie wußten, daß bisher mindestens 46 Opfer aus den Reihen der republikanischen Schuzorganisation gefallen sind, ohne daß diese Opfer eine entsprechende Sühne gefunden hätten.
Um so mehr waren diefe siegesbewußten Herrschaften erstaunt und empött. als wegen des Vorfalls in Arensdorf nicht, wie es sonst wohl des Landes Brauch, gegen das Reichs banner ein Landfriedensbruchprozeß, sondern eine ernsthafte Untersuchung gegen die wirklich Schuldigen angestrengt wurde. Der Stahlhelmverteidiger hat ja noch im Gerichtsfaal diefe Note antlingen lassen. Nach seiner Meinung war die Abwehr der Reichsbannerleute gegen die Roheit der Wer wolf- Jungen schon Landfriedensbruch und die tödlichen Schüsse des Stahlhelm- Schmelzer eine moralisch verständliche Handlung!
Wo solche Rechtsverwirrung sozusagen Gemeingut geworden, wird man allerdings überrascht sein. daß das Gericht in Frankfurt a. d. O. wirklich eine Zuchthausstrafe aus gesprochen hat. Wir wollen nicht rechten wegen des Mißver hältnisses zwischen den Anträgen des Staatsanwalts und dem Urteil des Gerichts. Es tommt nicht auf die Zahl der Jahre an, die die einzelnen Berurteilten zu verbüßen haben. Es tommt darauf an, daß ein solches Urteil seine reini= gende Wirkung auf die Leute ausübt, die hinter den Berurteilten stehen und deren Berheizungsschuld leider nicht vor Gericht ausgemessen werden konnte. Es kommt darauf an. daß auch der Stahlhelm und die ihm verwandten Organi fationen endlich begreifen, daß der von ihnen ausgeübte 3wang Gegendrud auslösen" muß, wie ihr Führer Alvens leben sich vor Gericht, hinsichtlich der Anordnung zur amtlichen Hissung der Reichsfahne in Arensdorf, auszudrücken für schicklich hielt.
Nicht Rache, sondern Gerechtigkeit haben die Bertreter der verlegten Reichsbannerleute in Frankfurt a. d. D. ge fordert. Wir sind ganz ihrer Meinung. Es scheint uns, daß auch das Gericht von dem Bestreben geleitet war, diese Gerechtigkeit zu üben.
Die Urteilsbegründung.
Frankfurter Gerichts. Uns genügt die beklagenswerte Tat a che als folde. Es ist auch nicht notwendig, nach einer beson deren Veranlaffung, nach einer besonderen Berhegung, die zu diesen Borfällen führen sollte, zu suchen. Für eine solche hat sich schlechterdings nicht der geringste Anhalt ergeben. Aber bei einem deraifig gereizten Zustand fonnten die Flinten auch einmal von selbst losgehen, und hier sind sie lorgegangen. Das Gericht hat ohne Ansehen der Person zu richten. Ohne Ansehen der Person mußte auch über die fogenannten Mörder von Arenedorf
gerichtet werden. Auch ihnen gegenüber müssen die ewig gültigen Gefeße des Strafprozesses eingehalten werden. Ihre Schuld muß ihnen erwiesen werden, und es muß heißen: Im Zweifel für den Angeklagten." Bon diesem Standpunkt aus mußte an die Wür digung der Beweisaufnahme herangetreten werden.
Zwischen dem Reichsbanner und einem oder zwei jungen Arensdorfern kam es bei der Durchfahrt zu einem nichtebenliebenswürdigen Bortwechsel. Wer angefangen hat, läßt sich nicht
entscheiden.
Zuerst geschlagen hat der Arensdorfer Zemke, der seine Prügel dafür auf der Stelle erhalten hat.
Bielleicht war es nicht nötig, daß die jungen Reichsbannerleute nun weiter in das Dorf vorgingen, allerdings wurden sie durch den Zuruf Moffrichjungen dazu gereizt. Es war nicht nötig, daß da burch eine Schlägerei entstand, aber wenn es dann bei dem Rüdzug banach geblieben wäre, dann hätte es fich um einen Borfall gehandelt, der vielleicht bebauerlich war, aber nach dem fein Hahn gefröht hätte. Eine tragische Begebenheit wurde es dadurch, daß August Schmelzer zur 23 affe griff.
Auf jeden Fall hat er sein Gewehr gehoben und hat dann später zweimal zwei Schüffe abgegeben mit dem Erfolg der Tötung von zwei und der Berlegung einer Reihe von Reichsbannerleuten
muß.
Schwieriger ist die Frage der
Schuld oder Nichtschuld des alten Schmelzer
zu beurteilen. Auch hier galt der Grundsaß, daß das, was nicht largestellt worden ist, zugunsten des Angeklagten gewertet werden Daß eine Mittäterschaft vorliege, d. h., daß Paul Schmelzer gewollt hat: Jeßt wollen wir beide zufammen mal in die Reichsbannerleute hineinschießen, August fann die Flinte nehmen, ich stehe daneben" dafür hat die Beweisaufnahme einen Anhalt ergeben. Es sind vielmehr gewisse Anzeichen dafür vorhanden, daß eine Anstiftung in Frage kommen fonnte. Was die Aussage des fleinen Vormelcher betrifft, so fann man das Gutachten des Dr. Placzek in allen Ehren halten, aber bei einem derartig tomplizierten Borgang, wie hier, auf diese Aussage des Knaben allein einen Menschen zu verurteilen, würde dem Gericht fein ruhiges Gewissen verursacht haben. Gleichwohl die Tat des August Schmelzer wäre nicht erfolgt ohne den alten Schmelzer. Er hat sich einer schweren unterlassung schuldig gemacht, er mußte dazwischenspringen und die Tat verhüten. Es muß dahingestellt bleiben, ab in diesem Unterlassen rechtlich bereits der Begriff der Beihilfe zu erblicken ist, aber es fommt hinzu, daß Paul Schmelzer nicht nur durch diese Unterlassung, sondern auch positiv durch sein Zun objeffiv feinem Sohn Hilfe geleistet hat.
Für das Strafmaß war zu entscheiden, ob den Angeklagten mildernde Umstände zuzubilligen waren. Bei Auguft Schmelzer liegt ein mildernder Umstand zweifellos vor. Er ist nicht voll normal, er ist Psychopath mit einem mittleren Schwachsinn, und die Schläge, die er erlitten hat, haben ihn in eine größere But perfekt, als dies bei einem vollwertigen Men fen der Ball gewesen wäre. Darin liegt ein mildernder Umstand, der aber durch eine Reihe von erschwerenden Umständen aufgehoben wird. Die Tat August Sajmelzers, der mit einer Schrotslinie in einen Haufen Menschen wie in Spazen hineingeschoffen hat, ist so schwer, daß sie eventuelle Milderungsgründe aufwiegt. Das Gericht hat August Schmelzer
mildernde Umstände versagt.
Bei der Straf. Er mußte mit 3uchthaus bestraft merden. zumeffung mußte aber dieser sein Zustand voll berücksichtigt werden, beshalb wurde auf die bei Berjagung mildernder Umstände ge ringste zulässige Strafe von 5 Jahren Zuchthaus erfannt.
Ist diese Handlung Körperverlegung mit tödlichem Ausgang oder ist sie Totschlag? Totschlag ist sie dann, wenn August Schmelzer entweder den Tod mindestens des einen oder des anderen der Reichsbannerleute gewollt hat oder wenn er sich Auch bei dem Vater Schmelzer hat das Gericht mildernde Um wenigstens die Folgen des Schusses als möglich vorstände nicht finden fönnen. Das Gesez sieht für Beihilfe eine gestellt und troßdem geschossen hat. Daß er es aber abgesehen niedrigere Strafe vor. Aber mildernde Umstände waren für ihn, hat auf den Tod eines der Reichsbannerleute, ist nicht erwiesen ohne deffen pflichtwidriges Unterlassen die Bluttat nicht geschehen morden, ist auch unwahrscheinlich, aber daß er sich vorstellte, märe, nicht gegeben, und so war auch ermit Zuchthaus zu das, was ich tue, das fann sehr wahrscheinlich doch den Tod des bestrafen. Die Mindeststrafe für Beihilfe beträgt ein Viertel der für die Tat selbst angedrohten Strafe, alfo 14 Jahre Zuchthaus. einen oder anderen Getroffenen zur Folge haben, ist dem SchwurZu berücksichtigen war, daß Paul Schmelzer gericht unzweifelhaft. Zu seinen Gunsten muß auch angenommen werden, daß er nicht gewußt hat, daß in den Patronen Sauposten waren. Gleichwoht:
wer die Flinte an die Bade reißt und in einen Haufen Menschen hineinschießt, der ist sich, wenn er auch sonst schon ein Gewehr in der Hand gehabt hat, darüber klar: Da tann ein Unglüc paffieren, da fann einer davon draufgehen.
Dazu bedarf es feiner langen lleberlegung, die August Schmelzer nicht angestellt hat. Das ist ihm ohne weiteres flar gewefen. Er hatte den bedingten Borsaß und ist deshalb des Lotlages schuldig.
ift.
ein erledigter Mann
Die Kosten des Strafprozesses und der schwebenden Zivil prozesse wird seine Wirtschaft, die ohnehin ihres Herrn für längere Zeit beraubt fein wird, nicht tragen fönnen. Das allein ist eine schwere Strafe für ihn. Mit Rücksicht auf seine wirtschaftliche Bernichtung hat es das Gericht bei einer Strafe bewenden laffen, die fich dicht an der geringsten zulässigen Strafe hielt. Der Fluchtverdacht, den das Gericht gestern nicht angenommen hat, ist heute angesichts der hohen Strafe gegeben. Dese halb hat das Gericht die Berhaftung angeordnet.
Reichsrat gegen Bürgerblock- Etat.
Erste Rate für ein neues Panzerschiff abgelehnt.- Streichung im Heeresetat. Erhöhung von Beträgen für soziale Zwecke.
Der Reichsrat hat am Sonnabend den Reichs| Aenderungen vorgenommen. Die Gesamtsumme der haushalt für 1928 verabschiedet.
Dabei hat er auf Antrag Preußens mit 36 gegen 32 Stimmen beschlossen, die erste Nate für den Neubau eines Panzerschiffes im Betrage vou 9,3 Millionen Mark, ferner eine Reihe von ForIn der ausführlichen Urteils begründung gab der Borderungen für das Landheer im Betrage von fizende mit ernster Stimme eine längere politische Einleitung. Er 6,3 millionen Mark zu streichen. führte aus:
Das Drama, dessen letzten Att wir hier in dieser Woche erlebt haben, spielt sich auf dem schaurigen Hintergrund einerinneren Deutschen politifchen 3erriffenheit ab. Es ist be Hagensmert, wenn wir hier von beiden Seiten
bie
Zeugen fehen, in ihrer Art verschieben, aber in ihrer Art auch prächtige Menschen,
sich richt lediglich als andersdenkende Bolksgenossen betrachten, sondern darüber hinaus als schlechte und verächtliche Menschen. Es besteht zwischen den verschiedenen Lagern ein Zu ftand, der objeftin als der der Berhebung bezeichnet werden muß. Ob die eine oder andere Seite dafür in überwiegendem Maße
Ebenfalls auf Antrag Preußens wurde ferner mit 39 gegen 28 Stimmen beschlossen, die vom Sinanzministerium geforderten Kosten für den Neubau von Finanzamtern im Betrage von 1,4 Millionen Mark zu streichen.
Nach diesen Beschlüssen erklärte der Reichsfinanz minister Köhler, daß die Reichsregierung an ihrer Vor lage festhalte und dem Reichstag eine Doppelvor. Tage zugehen laffen werde.
Der Reichsrat hat am Entwurf des Reichshaus halts für 1928, den die Reichsregierung vorgelegt hat,
I
Streichungen, die er beschlossen hat, fällt gegenüber der Endsumme des États nicht ins Gewicht, sie ist niedriger als die Summer der Erhöhungen, die er beschlossen hat. Dafür sind diese Aenderungen politisch bedeutsam.
Die Erhöhungen: der Reichsrat hat die Summen zur Bekämpfung des Alkoholismus , zur Hilfe ür Kinder Kriegsbeschädigter und Sozialversicherter, sowie zur Hilfe für Grenzgebiete mieber ein gefeßt.
Die Streichungen: zum ersten Male ist den Anfor derungen im Wehretat, die ohne alle Rücksicht auf Deutsch lands schwere finanzielle Lage gestellt werden, energischer Widerstand mit Erfolg entgegengesetzt worden. Die erste Rate für ein neues Panzerschiff, das 80 Millionen Mart toften foll, ift gestrichen worden. Die Marineleitung beabsichtigt, in den nächsten Jahren vier Panzerschiffe und fünf Kreuzer bauen zu laffen. Allein der Bau der Banzer Schiffe würde mehr als 300 millionen Mark era fordern.