Sonntag
18. Dezember 1927
Unterhaltung und Wissen
Letzte Reise.
Bon Harry Reuß. Löwenstein.
Ein richtiger Unglüdstrog war das, die„ Anna Jebsen". Auf der Ausreise, Anfang Dezember, wurden wir auf der Unterelbe von einem Engländer gerammt. Mit einem Led im Steven, groß wie ein Scheunentor, und dem Vorschiff voll Wasser, famen wir abends wieder nach Hamburg zurüd Wir wünschten im stillen, daß die Werft bis Neujahr zu flicken hätte, aber am 24. Dezember, nachmittags, schickten sie uns richtig wieder los. Auf wilde Fahrt, Boston , Philadelphia und so weiter.
im dichten Schneetreiben mit alle Mann Troffen und Spieren aufs Achterded schleppten, um die Schraube wieder zu befreien. Da gabs nicht lange Besinnen. Die schwere Boje rammelte im fabbeligen Seegang derart gegen das Schiff, als würde sie jedesmal bwars durch die Bordwand gehen. Es galt, eine Troffe an ihr zu befeftigen, damit man sie mit dem Spill aus dem Waffer hieven und unschädlich machen konnte. Ein Stud Arbeit in dem Hundewetter. Die Böen peitschten Schnee und Eisnadeln in die Augen, daß einem wirklich hören und Sehen verging Die verflammten Finger konnten die vereisten Taue und stählernen Troffen laum hantieren. Gerade wollte einer der Leichtmatrosen außenbords, um auf der wildschlagenden Boje eine Trosse zu befestigen, aber der Steuermann jagte ihn zurüd, das war Arbeit für einen Bullhandsgast. Ehe noch ein anderer heran war, steigt der alte Schütt schon über die Reeling. Aber da war Hein Plambed da: Holl Stop, Ohmtje." zog er ihn zurück, dorför sünd mi noch dor!" Und nachdem der Bootsmann ihm ein Tau um den Leib gebunden hatte, fierten wir ihn herunter. Hein war ein Mordsterl, aber das tonnenschwere eiserne Ungetüm hüpfte wie ein Ball mit den anrollenden Seen stockwerthoch auf und nieder, und mehr als einmal war er in Gefahr. zwischen ihm und dem Schiff wie eine Fliege bereitgedrüdt zu merden. Uns war allen leichter, als er dann die Troffe notdürftig fest hatte und Holl an, dor will noch een mit!" ulfte einer von uns. Dat wir ihn wieder an Ded holten. Auf Smaddings Geheiß troch er gelt den Kaptein," tuschelte Franz Kolzin, nach einem vorsichtigen zerschunden und hundemüde beiseite, um sich erst wieder zu erholen. Seitenblick auf den Steuermann, der gerade neugierig das Glas Inzwischen hatten wir die Trosse um die Dampfminde genommen auf das merkwürdige Signal richtete; de Ohl hett in de Hemrich- und hierten ein. Die Stahlleine fnadte und tnisterte unter der Austroot sien Deern nich betphlt, paß op, dat gifft' ne schlechte Reis!" spannung, als mir die Boje aus dem Baffer lüfteten. Schließlich Hübsche Deern," schmunzelte der Steuermann, das Glas ab hatten wir fie in Reelinghöhe. Aber dann ging ein helles Singen. legend und leicht zurüdwintend, moten fien Liebe is dat denn?" durch die gespannte Troffe, ein scharfer Knall, und sie peitschten Hier, denn ohlen Reinhold fien", erklärte Hein Plambed. Er pfeifend durch die Klüse, während die Boje donnernd ins Wasser hatte schon früher mit Reinhold Schütt gefahren und mar mit ihm zurüdpolterte. Die Troffe- mar gebrochen! zusammen den letzten Tag an Bord gekommen.
Wir standen flar bei Anfer und Schlepptroffe vorn auf der Bad, schauten nach dem langsam achteraus treibenden Ufer, grüßten, mintten und freuten uns über die weißen Tücher, die so eifrig von den Landungsstegen Adschüs winften. Und fluchten nicht zu knapp, daß wir gerade am Weihnachtsabend in See mußten. Da, wo die kahlen Miettafernen am Binaß trübselig ihren teerschwarzen Rüden zeigen, schwenkte jemand aus einem Fenster unablässig ein großes weißes Laten. Komisch sah es aus, dies lächerlich aufgeregte Auf und Nieder, mie ein verzweifeltes Zurüdrufen
Rief mol an, Badder Schütt sien Brut", hieß es. Reinhold Schütt, der alte Knabe, stand an der Reeling und mintte bedächtig mit seinem Taschentuch zurüd.„ Dummen Snad," wehrte er verlegen ab, dat is man mien Dochter!"„ Watt hett se denn so wichtig, hest du woll dien Breeftasch vergeeten?" in Kommando von der Brüde unterbrach unseren Klöntje.
Wir warfen den Schlepper los und holten die Trossen ein. Ms ich dann noch einmal zurückblickte, war das Haus mit dem Tuch verschwunden, die Speicher non Altona hatten sich davor geschoben.
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Mit acht Glasen hatte der Bootsmann die Freimache abtreten faffen, fie mußten ja um sechs Uhr, nach zwei Stunden Hundewache wieder raus. Baß op, mi tomt hüt noch nich rut no See, dat ward diesig", unfte Hein Plambed, während er auf seiner Seetiste sigend sich die Pfeife stopfte. Du, Hein, fragte einer, wat is eegentlich mit den ohlen Reinhold los, du kennst em doch, hest du nich all freuher mit em tohop fohrt?" Ach, dat mit sien Brut beff id man ut Spoß feggt, dat is sien Dochter. Is in Hamborg verheirodt." Jä, id meen blos, wat deiht de ohle: Sterl noch op See? Och, de Bütscher hett dat gornich neudig, hett in sten Dörp bor op'n 3ingst Hus und Hoff. Se wüllt em oof gornich mehr pegloten; ober meetst jo, son ohle Lüd meent jümmer, ohne jemi geiht dat nich. Een Reis' mutt he ümmer noch moten." Badder Schütt tam gerade vom Ruder:„ Dat is baltendid, de Ohl will glief to Under!" Wie Antwort brummte die Dampfpfeife.„ Segg mol, • Badon, wat harr Line denn so dull to minfen?" fragte ihn Hein : Plambed.
In dem Wirrwarr brüllte es plötzlich: Mann über Bord!" Reinhold Schütt, der eben noch an der Bordwand gestanden hatte, war verschwunden. Die brechende Leine hatte ihn mitgeriffen. Boje und alles war im Moment vergessen, alle rannten hinzu, um den Alten zu retten. Es war alles umsonst! Boote fonnten wir in dem Seegang nicht aussehen. Rettungsring, Taue alles zmedlos-, es war nichts mehr zu sehen.
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Es
Stunde um Stunde verging, bis wir die Boje wieder an Ded hatten, dann holten wir Zoll um Zoll ihre Verankerung ein. wurde Abend, es wurde Nacht, aber dann hatten wir die Schraube glücklich frei. Mit der Flut tamen wir leicht vom Grund ab und loteten uns ein Ende in freies Waffer, wo wir vor Anter erst mal fichtiges Wetter abwarten wollten. Der Wind hatte sich gelegt, es war ganz still geworden, dafür faßen wir wieder eingemauert in dickem Nebel.
Beilage
des Borwärts
Der Morgen fämpft sich mühselig durch diden Dunst. Lauernd schleichen die tüdischen Rebel Ringsum warnen ferne Sirenen, wimmern Glödchen, blüten erftite Nebelhörner. Doch unermüdlich fendet die Sonne flammende Pfeile in die filzige Dede, bis dieje endlich zerfließt Strahlender Mittag dämmert herauf. Die Wolken fegeln friedlich zu fernen Himmelsweiden, über spiegelnder Nordsee lacht der blaue Winterhimmel. Festlich prangt der Tag über dem
Meere.
Bolle Kraft voraust Luftig und befreit flingelt der Telegraph feine Kommandos durch die Feiertagsruhe. Rauschend nimmt das Schiff seine Wanderung auf durch die Meere. Ein Streifen ferner Küste grüßt zum Abschied herüber.
Aus dem quirlenden Kielwasser hebt sich eine Möwe und steigt in blizenden Spiralen nach oben; einmal umkreist sie die Flagge, die halbmast weht, dann strebt sie der Heimatfüfte zu
Kannibalen vor 4500 Jahren in Niederösterreich . Auf dem Abhang des Grasberges bei Difarn in der Nähe von Herzogenburg in Niederösterreich sind von Direktor Baner von der Prähistorischen Sammlung des Naturhistorischen Museums eine große Zahl wert voller Funde aus der Steinzeit ans Tageslicht gefördert worden. Nach den vorgefundenen Keramiken und Waffenbestandteilen han. delt es sich um eine Sieilung aus der jüngeren Steinzeit, etwa aus dem Jahre 2500 v. Chr. 3wei umfangreiche Gruben deuten auf Wohnstellen hin. In den Gruben fand man mehrere rundliche Bertiefungen, die als Schlafstellen Berwendung fanden. Ueber den Gruben haben sich seinerzeit Blockhäuser erhoben, deren Fugen mit Hüttenlehm ausgestrichen wurden.
In den Wohngruben fanden sich polierte Beile aus Serpentin, Feuersteinmesser, Knochenmeißel, fleine Pfriemen und Pfeilspigen aus Feuerstein, die hauptsächlich für die Bogeljagd verwendet wurden.
In einer Grube fand sich neben einem Bhalbautopf und einem Gefäß bisher. unbekannter Form, dessen Innenwandung aufgeklebte apfen trägt, zahlreiche zerschlagene und zum Teile angebrannte Menschenknochen. Ihre Beschaffenheit und Größe läßt darauf schließen, daß sie von einer etwa 15jährigen Person stammen, die von den Bewohnern der Siedlung verspeist worden ist. Die Knochen wurden zerschlagen, um das Mart daraus zu saugen. Ob das Opfer dieser Menschenfresserei der Angehörige eines feindlichen Stammes oder eine aus rituellen Gründen geopferte Person aus dem Kreise der Siedler selber gewesen ist, läßt sich nicht entscheiden. Die zahlreichen neuen Formen der gefundenen Urnen und Schüffeln stellen sich als Dokumente einer bisher noch unbekannten Kultur dar, die Direktor Bayer die Offarner Kultur nennt. Sie ist den Funden in der Königshöhle bei Baden und der nordischen Kultur in Böhmen am ähnlichsten. Knochenfunde bezeugen, daß die Offarner Siedler Hunde und Ziegen hielten und auf die Bärenjagd gingen. Eczähne oder ganze Gebisse der Bären und Hunde trugen fie als Jagdtrophäen oder als Anhängsel.
Bon E. Lang.
Hingeschmiegt an die maldigen Hänge des Teutoburger Waldes , eingebettet in fanfte Bodenwellen der Ravensberger Mulde liegt die Leinenstadt Bielefeld . Weit über die Grenzen des Heimat er guten Klang.
„ Stannft di doch denken, id full jo nich wedder weg. Id fall landes ist ihr Name gedrungen, in den Ohren der Hausfrauen hat
mit Gewalt to Hus blieben."
Hebbt se of ganz recht, wat deihst du ohle Knappen oof noch sp See rumtoswabbern. Jo, jo, snack du man, düsse eene Reis' mutt id noch moten, denn will id mi oof to Rub setten." Wieder heulte die Sirene, eine fremde antwortete.„ Sühft woll," Franz Koltzin steckte den Kopf aus der Koje, wat beff id seggt, de Ohl hett fien Deern nich betohlt, öbern Bagensand fummt wi nich rut. De perdammten Kantorhengsten harrn uns man leeber in Hamborg foten fullt. Dat warb' n scheune hüür, nu hier Biehnachten op de Elo rümswabbern."
„ Beide Bachen an Ded! Klar bi'n Anter!" brüllte auch schon der Bootsmann an der Tür. Das wurde eine nette Weihnachtsbescherung! In Schneegestöber und schneidender Kälte manövrierte man die ganze Nacht umher. Während der kurzen Augenblicke, in donen es ſichtig wurde, versuchten wir ein Stüd weiterzukommen. Mal trieb die„ Anna Jebsen einem himmelhohen New- Yorker nor den Steven, der bei Freiburg vor Anter lag, ein paarmal faßen mir auf Grund. Schließlich brach beim Loskommen die Anferfette und ging samt Anter zum Deubel. Da hatten wir wieder stundenlang harte Arbeit, den Reserveanker aufzubringen und alles wieder zu Elarieren. Immerhin hatten wir es gegen Morgen glücklich bis Curhaven geschafft und tasteten uns langsam von Boje zu Boje nach draußen. Dann gab's wieder einen Augenblid Ruhevause, wir nahmen eine Pfeife und tranfen mißmutig unseren falten Bunsch
Dom Abend.
Badder Schütt faß ganz erschöpft auf seiner Kiste.„ Na, Ohmtje, magst noch leben?" flopfte Hein ihm gutmütig auf die Schulter. „ Datt fall ober of mien letzte Reif sien, dat is gewiß!" stöhnte der Alte. Mensch, Reinhold, snack doch nich, dat hest du all vor tein Johr seggt, as wi op den Bremer Windjammer tohop würn. Hest du noch immer nich de Nees vull vun de christliche Seefohrt?" ,, Du mit dien ohlen Knoken steihst uns doch öberhaupt man ümmer de Fööt rüm," schimpfte Franz Kolzin giftig, wenn't up antummt, möt wi dien Arbeit noch mitdohn! Dor heet dat: twee Matrosen op Wach, un id mutt mi alleen affrieten und mit de Jungens allens bestroppen!"" Id warr mien Arbeit woll mofen", gab der Alte zurüd, aber es flang verzagt und kleinlaut.
Gegen die Bordwand polterte ein leichter Stoß, etwas schlierte daran entlang, das Schiff erzitterte unter der rückwärts drehenden Schraube.„ Süh so, dor hebbi wi dat, nu sitt wi wedder glücklich op'n Schlick!" Draußen Kommandoruje, durch das betäudente scrachen des niederrasselnden Ankers verschlungen. Dann waren wir auch schon an Deck.
Wir faßen feft. Die Maschine arbeitete mit aller Kraft rüdwärts. Dann tam ein scharfes Zischen, Aechzen aus dem Maschinenraum, der Telegraph flingelte nervös auf der Brücke, Rufe wechselten Die Schraube war durchs Sprachrohr. Dann bedrückende Stille. unflar.
Wir brauchten nicht lange suchen. Zu Luward, an Backbord polterte mit jeder Dünung eine große Fahrwafferbeje gegen die Bordwand. Sie war mit ihrer Verankerung in die Schraube geraten.
Düsse ole Butt is ja moll verhert", schimpfte Franz, als mir
Bielefelder Linnen.
Zeiten steigen auf vor unserem Auge, da ein starknadiges, gradschlichtes Bauernvolt auf den meiton Deelen threr Gehöfte rings um die Stadt den sausenden Webstuhl trat. Kein Hof, fein Haus, darinnen nicht die harte Musil des fliegenden Schiffchens erklang.
Unter schweren Händen erstand in seidigem Glanz Damast vol feiner Muster und Bilder, kaum hätte man ihren Erzeugern das Wert zugetraut. In der Stadt aber faßen die Kaufleute und Handelsherren, die weithin in die Lande die Leinentuche der Weber verhandelten. Die waren bodenständig und nicht gar so arm und ausgepowert wie ihre Leidensgenossen in Schlesien . Fest hielten fie an der eigenen Scholle
und die Arbeit. Bing höhnisch weiter und hatte den tötenden
erbärmliches Minimum die Attorde herabgedrüdt. Da ftzen in den Ausgaberäumen der Wäschefabriken die Frauen, ein barscher und scharfäugiger Meister teil. die verschiedenen Stude aus Bas, Sie wollen Manschetten nähen, haben Sie das schon mal gemacht? Die Angeredete tut gut, die Frage zu bejahen, andernfalls wird fie feine Arbeit bekommen. So aber gibt die Bejahung dem Meister das Recht, non jedem verfehlten Stück den Betrag abzuziehen.
Da fizt so eine fleine Frau in angespannter Arbeit vor ihrer Maschine. Diele ist ihr Eigentum, muß von eigenem Gelde an geschafft werden. Was das für einen Arbeiterhaushalt bebeutet, wird jeder ermessen fönnen, der weiß, daß eine einfache Wäschemaschine über zweihundert Mart verschlingt. Schnellnäher und Spezialmaschinen, die oft nur in Frage fonimen, find noch ungleich toftspieliger.
Auf dieser kostspieligen Maschine näht die Arbeiterfrau vom
Morgen bis zur späten Nachtſtunde. Ste näht Queder . Für ein ganzes Dußend gibt's 35 Pfennig. Wenn sie abends nach zwölfstündiger Tätigkeit ermattet ins Bett fintt, hat sie bestenfalls für fich drei Mart verdient. Und dafür haben sie ihre Kraft, den
gestellt.
Aber über das graue Meer fam aus dem nebligen England die Maschine, kam das billige, wohlfeile Tud). Und in dies Tuch gehüllt fam für die Weber auch hier das Glend. Schaute mürbeitsraum, Licht und Heizung, ja, die Maschine zur Verfügung gierigen Augen in die niedrigen Katen, fraß die Bestellungen weg Froſthauch hinterlassen. Furchtbarer Kampf der verdrängten Weber sehte ein; Frauen, Kinder und Greise sprangen in die Bresche. Beim trüben Schimmer einer Delfunzel flapperte der Webstuhl durch die Nächte hindurch. Umsonst. Lezte Versuche, durch künstlerische Bertiefung, durch ausgesuchteste Qualitätsarbeit den Markt zurückzuerobern, schlugen fehl, mußten fehlschlagen.
Das hartschädlige, grabnadige Bolt war nicht gewohnt zu flagen, fraß herb und bitter seine Not und sein Elend in sich hinein. Siechte, vegetierte dahin... Jahrzehntelang
Bis die Maskine auch hierher fam, bis sich, finfteren 3wingburgen gleich, mächtige Fabriten erhoben. Hier im Zentrum der alten Leinenweberei erstand die erste mechanische Weberei Deutsch lands. Heute noch stehen düster und grau ihre Mauern, redt sich schwarz und flobig der vierkantige, verrußte Schornstein in den Himmel. Hart und bitter lana mar die Arbeitszeit, währte von 5 Uhr früh bis spät in die Nacht Den verhungerten Webern aber gab sie Brot, Brot.. endlich wieder! Immer mehr Webereien wuchsen empor. Nächste Stufe war die Industrie der Nähmaschinen und der großen Nähereien. Sie geben auch heute noch der Stadt ihr Gepräge.
Zumal wenn falt der Winter ins Land kommt und jung und alt rüstet zum Weihnachtsfest. Für die Kaufleute heißt es gute Konjunktur. Die Straßen der alten Stadt sind voll Menschen, etwas erregt und faufbegierig durch funkelnde Auslagen. In den feinen Villen auf halber Höhe des Berges hängen die Adventskränze unter kostbaren Kronleuchtern; die Schneiderinnen der feinen Modesalons entwerfen neue seidene Toiletten für das nahende Fest. Lurusläden voll schimmernder Stoffe, voll schneeigner Wäsche und feinstem Leinen. Sie finden hr Publikum.
Draußen am Rande der Stadt aber wohnen die Arbeiter. Enge, graue Viertel, gedrängt und geduct mie allüberall, wo Armut und Dürftigkeit hauft. Wenig Lichterglanz in den unschein baren Läden, wenig lärmender Autoverkehr. Doch bis spät in die Nacht brennen Lampen in grauen Häuserfronten. Eine weiße Gasflamme furrt und fummt leise bis spät nach Mitternacht . In ihrem dürftigen Schein sikt gebückt die Näherin vor ihrer Maschine, blickt nicht rechts und blidt nicht lints, dreht, mendet den Stoff und näht, näht!
Bis ins kleinste ist die Arbeitsteilung durchgeführt, auf ein
Was Wunder, daß der Fabrikant die Heimmäherei profitabler findet als die Arbeit in der Fabrit. In dieser wird zumeist das Busammenstellen der fertigen Teile vorgenommen. In türzester Beit entsteht da ein Oberhemd, ein Pyjama oder Spizenhemdchen aus seinen verschiedenen Teilen.
Schäbigster Auswuchs sind die Lehrlingszüchtereien. Für Bettel. pfennice werden junge Dinger, faum der Schule entwachfen, in einer Näherei angenommen. In Reihen sigent fie vor den Arbeitstischen. Eine robuste Direttrice und ein oder zwei weitere Gra
wachsene geben die Arbeit an. Billige Arbeitskräfte, mehrloses
Material. Viele Eltern find froh, für ihr Mädchen eine. Lehrstelle gefunden zu haben. Sind die Behrjahre beendet: Entlassung wegen Arbeitsmangel. Einige Boken später find alle Plätze wieder mit frischem Ausbeutungsmaterial besetzt.
Allzuhäufig refrutieren sich die Heimarbeiterinnen aus diesen Reihen. Sie find gewöhnt, in steter Hast zu arbeiten, sie find gewöhnt, mit Bettelpfennigen abgespeist zu werden.
Taufende find es, die nur in einer augenblicklichen Notlage zu dieser Verdienstmöglichkeit greifen. Ist die Strife überwunden, werfen sie schleunigst die Arbeit wieder hin, ehe Körper und Geist von der ratternden Maschine ruiniert ist. Andere aber, fönnen nicht ausweichen, bittere Not treibt sic.
Streitigkeiten entstehen mit den Hausbewohnern. Durch die dünnen Mauern der Proletarierbehaufungen schallt dumpf das Rattern der unermüdlichen Maschine. Oft steht in Mietkontrakten die Klausel, daß nur bis zu einer bestimmten Abendstunde die Nähmaschine benugt werden darf. Am schlimmsten ist die Ausbeutung der Ungelernten. Sie können nicht die Spezialarbeit machen, oft haben sie feine Maschine, tönnen nicht das Geld für eine aufbringen. Sestonausschneiden! Was das ist? An Taschentüchern und feinen Bästestücken werden mit spizzen Scheren Die Ränder ausgeschnitten. Mit fchwindelnder Hast zuckt die Schere hin und her, unermüdlich. Wehe, wenn der Schnitt in den Stoff geht, der volle Wert des Arbeitsstüdes muß erset
merben.
Bielefelder Leinen. Mag fein, daß der Name in der Welt einen guten lang hat. Für die Frauen der schoffenden Schichten hat er zweifellos einen bitteren Nachgeschmack. In den großen Kaushäusern und Wäschegeschäften aller Städte häufen fich in blendender Weise die finnenen Herrlichkeiten... Wieviel bifterer Schweiß flebt ungesehen daran.