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Morgenausgabe

Nr. 599

A 304

44. Jahrgang

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Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Dienstag 20. Dezember 1927 Groß- Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pf.

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T

Internationale und Wilna  - Konflift

Einmütiges Ergebnis der Berliner   Konferenz.

Tofios Doppelspiel.

Wirtschaftlicher statt politischer Imperialismus.

Bon Elias Hurwicz  .

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Ueber die nordosteuropäische Konferenz der Sozialistischen Arfest überzeugt, daß der einzige Weg, auf dem die Wilna  - Frage Bazifit wieder in Fluß aber in einer geradezu rätselhaften beiterinternationale ist folgender offizieller Bericht ausgegeben logisch und vernünftig geregelt werden kann, die

zoorden:

Die Konferenz nahm zunächst ausführliche Berichte über die ( Entwicklung der Ereignisse in Litauen   durch die offiziellen Delegierten der fitauischen Sozialdemokratischen Bartet, Kairys und ( Epsteinas, entgegen. Sodann bot sie auch den Vertretern der Fitauischen Emigration, tie fich gegenwärtig in Wilna   auf­halten, Gelegenheit, ihre Auffassungen darzulegen. Im Namen der Emigranten sprach Blefch taitis, der von der Organisation in Bitauen als Mitglied des Zentralfomitees suspendiert worden ist. Er stellte fest, daß eine große Reihe von Meldungen über ihn den Tatsachen in feiner Beise entsprechen und erflärte, daß sein Stand­punkt in dem Interview des Berliner Tageblatts" vom 3. Dezem ber 1927 im wesentlichen richtig dargelegt sei. Im Berlaufe der Debatte, an der sich nahezu alle Teilnehmer der Konferenz beteilig fen, wurden eingehend die Beziehungen der Parteien der Rand­staaten zueinander erörtert. Die Konferenz war vollständig ein­stimmig in der Ueberzeugung, daß

das gegenwärtige Regime in Litauen   und in Polen  nicht nur für die innere Entwicklung dieser Länder die schwerste Schädigung bedeutet, sondern auch für die Gestaltung der aus. wärtigen Beziehungen unheilvoll sein fann. Die Konferenz er mattet von den der SAI angeschlossenen Parteien, daß sie mit allen Kräften den Befreiungstampf des litauischen Volkes für die Wiederherstellung der Demokratie unterstüßen werden. Sie lehnt jedoch alle direkten oder indirekten Versuche fremder Mächte Diesen Befreiungsfampf für ihre Zwecke auszunüßen und in ihn einzugreifen, mit aller Entschiedenheit ab.

In bezug auf den Konflikt zwischen Litauen   und Polen   geben die lifauifchen Bertreter

Kairys und Epsteinas folgende Erklärung ab:

Eine der wichtigsten Fragen, die andauernd eine Hauptquelle für die Berschärfung der nachbarlichen Beziehungen und eine Gefahr für den Frieden im Nordosten Europas   darstellt, ist die Wilna  Frage. Der Gewaltstreich des Generais Zeligowski gegen Wilna   hat eine äußerst bedrohliche politische Lage geschaffen, die formell als Kriegszustand zwischen Litauen   und Polen   betrachtet worden war. Der letzte Beschluß des Bölkerbundes hat zwar diesen Striegszustand beseitigt, aber

nicht die Wilna  - Frage gelöst.

Bir vermuten deshalb, daß die bevorstehenden direkten Unterhand­lungen zwischen Litauen   und Polen   zwecks normaler Beziehungen nicht imstande sein werden, die Konfliktsfrage gründlich zu lösen und friedliche Beziehungen zu schaffen. Wir erklären dies damit, daß 1. die inneren Verhältnisse der verschiedenen Nationalitäten

bes Wilna  - Gebietes eine frei geregelte Form der Ent= scheidung fordern,

2. gleichzeitig einige Nachbarstaaten um das Wilna  - Gebiet ftreiten.

Was die inneren Beziehungen der verschiedenen Nationalitäten des Wilna  - Gebietes betrifft, so müssen wir fonstatieren, daß die spezifischen nationalen Unterschiede und Bestrebungen der Minoritäten immer Streifragen hervorgerufen haben und hervor. rufen werden. Diese Streifragen müssen ihre Einwirkung auf die politische Orientierung der einzelnen Nationalitäten haben. Die titanische und meißrussische Bevölkerung des Wilna  - Gebietes werden beshalb nie die gegenwärtige Gewaltlösung der Wilna  - Frage gut heißen. Die Expansionspolitik der polnischen Regierung und ihre Bolonisierungsmaßnahmen werden diese Beziehungen noch mehr verschärfen und zu einer gefahrvollen Balkanisierung der Ver­hältnisse Osteuropas   führen. Se schärfer sich die inneren Verhältnisse im Bilna- Gebiet selbst entwickeln werden, desto gefährlicher müssen auch die Beziehungen zwischen den um Wilna   streitenden Nachbar­staaten werden. Einerseits stellt die autonome weißrussische Republit der USSR.   bestimmte Forderungen, die sich auf einige Teile des Bilna- Gebietes erstrecken. Andererseits wird auch die öffentliche Meinung Litauens   ohne Parteiunterschied und ungeachtet dessen, welche Lösung in dieser Frage eine Regierung Litauens   zu atzeptieren gezmungen fein wird,

nie eine Gewaltföfung billigen.

Die Sozialdemokratische Partei Litauens  , die im Bilna- Gebiet vor dreißig Jahren gegründet wurde und bis zum Ende des Weltfrieges bort tätig mar, hat tie lleberzeugung dah die jetzige Lage im Wilna  - Gebiet nicht normal und recht mäßig geregelt ist. Unfete Motive unterscheiden sich grund fäglich von dem Standpunkt der fitauischen nationalistischen Barteien, die ihre Forderungen nur mit historischen Rechten begründen und deshalb das Wilna  - Gebiet ohne weiteres als Eigen tum Litauens   betrachten. Wir sind dagegen der Meinung, daß das Bilna- Gebiet mit Litauen   wirtschaftlich, tulturell und gesellschaft lich traditionell verbunden ist. Wir haben dennoch nie daran ge­dacht, daß man die Wilna  - Frage durch Geweltmaßnahmen regein Lönne. Bir ändern auch heute nicht unseren Standpuntt. Wir sind

freie Abstimmung der Wilnaer Bevölkerung darstellt. Nur die Bevölkerung selbst fann ihre Staatsangehörigkeit wählen und bestimmen. Dazu müssen aber freie und nicht Offupationsverhältnisse gegeben sein. Im Namen der Vertreter der

Sozialistischen Partel Polens( PPS.)

gab Riedzialfowiti folgende Erklärung ab: Die Sozialistische Parici Polens( PPS) nimmt die Er flärung der litauischen Sozialdemokratie über die Wilna  - Frage zur Kenntnis und bringt ihrerseits ihre tiefe Ueberzeugung zum Aus druck, daß am Tage des Sieges der Demokratie in Bolen und Litauen   alle fchwierigen Probleme, die heute die beiden Länder trennen, ihre friedliche Lösung auf den Grundlagen des Prinzips des internationalen Sozialismus, des Selbst bestim mungsrechtes aller Bölfer finden werten." Nach einer eingehenden Debatte, an der sich alle Konferenz­teilnehmer beteiligten, murben

die gemeinsamen Gesichtspunkte

folgendermaßen festgestellt:

Die Konferenz ftellt fest, daß das vom Bölfervundrat in Genf  erzielte Kompromis teine Lösung darstellt. Die Genfer Eini gung" hat den Kern des Konflikts, die Wilno- Frage, nicht berührt und alle einzelnen Streitpunkte offen gelassen.

Nach einer monatelangen Bause fommen die Dinge am Weise: Tschiangkaischet, dessen Siegeszug von Schanghai  nordwärts in Schantung von japanischen Truppen auf­gehalten wurde, und der darauf den Oberbefehl über die antonarmee niederlegte, ging nach Japan  , mitten in einer schweren Spaltungskrisis der Kuomintang; deren linker, kommunistischer Flügel setzte sich in Hankau  , der rechte, ge­mäßigte, in Nanfing fest; jeßt, da hankau von den Nanking  truppen wiedererobert ist, fehrt auch Tschiangtaischef, mit Einverständnis Tofios, nach China   zurüd und übernimmt von neuem die Führung. Diese Wendung der Dinge setzt dem Doppelspiel Japans   die Krone auf. Wie ist es zu erklären?

Die ganze Politik der Japaner China gegenüber ist von einer regen, feinen Augenblick oder nur scheinbar nachlassen­den Aktivität und zugleich von äußerster Vorsicht beherrscht. Man hätte ja mit Rücksicht auf den ungeheuren Bevölkerungs­zuwachs auf den Nipponinseln( über eine Million Menschen jährlich), das riesige Defizit an Bolksnahrung( 5,4 Millionen Hektoliter Reis jährlich), die Sperrung der Vereinigten Staaten   und Australiens   für die japanische Einwanderung in einem imperialistischen Borgehen Japans   im Fernen Osten­nichts lleberraschendes sehen können. Wie tief noch ver hältnismäßig unlängst, die Idee eines solchen Imperialismus in den Hirnen der japanischen Bolitiker saß, bewiesen die befannten 21 Forderungen an China   während des Weltkriegs. Allein gerade die Erfahrungen in der Süd- Manschurei, also einem der japanischen Herrschaft bereits über zwei Jahrzehnte ( seit dem Frieden von Portsmouth  ) vollständig unterworfenen Lande, haben die Kolonialpolitit Tofios zugestandenermaßen zu einer neuen und vorsichtigeren Taktik veranlaßt..

Dies ist ein um so gefährlicherer Zustand, als in den beiden hauptsächlich beteiligten Ländern, in Litauen   wie in Bolen, die Demokratie zurzeit nicht besteht und durch einen Zustand eines. Ueber 20 Jahre herrschen die Japaner in der Süd­offenen oder schlecht verhüllten Militärregimes ersetzt ist. Manichurei; sie befizen dort eigene Eisenbahnen und Fabriken ,, Die bloße Aufforderung zur Wiederaufnahme direkter Ber- fie haben dieses Land schon lange zu einem Auswanderungs handlungen. ohne bindende Richtlinien und festgesetzte Ziele, die Heute ist die Mandschurei  , ein Land, das doppelt so groß iſt gebiet für das Inselreich bestimmt. Und das Resultat? das einzige Ergebnis von Genf   bildet, gibt unter diesen Umständen Heute ist die Mandschurei  , ein Land, das doppelt so groß ist begründeten Anlaß zur Befürchtung, tcß die in Lettland   bevordenen die Japaner 186 000 ausmachen. 90 Proz. der Be­wie Frankreich  , von 22 Millionen Menschen bewohnt, von stehenden Verhandlungen ergebnisios verlaufen werden und völkerung bilden aber die Chinesen. Wie ist dieses Resultat daß der litauisch- polnische Streit in verschärfter Form bald zu ertiären? Es gibt dafür eine Reihe von Gründen: die Unitetigkeit der japanischen Einwanderer, die schlechte Wirt­aufs Neue entbrennen wird. schaft japanischer Ingenieure usw. Allein der Hauptgrund ist die Zähigkeit der Chinesen. Der Japaner wollte schnell und viel verdienen der Chinese, vom Kaufmann bis zum

Es ist daher die Aufgabe der SA3. und insbesondere der auf der Konferenz vertretenen, durch die geographische Lage ihrer Länder besonders interessierten Parteien die Arbeiterklasse nor einem Optimismus zu warnen, der in der Resolution des Völker­bundrates keine Stüße findet. Die bereits bekanntgewordenen Aus­legungsversuche beider Regierungen in Kowno   und in Warschau  laffen im Gegenteil befürchten, daß das Genfer   Ergebnis bestenfalls eine Atempause in dem latenten Konflikt um Wilna   darstellt. Daher verzeichnet die Konferenz mit Genugtuung ben von allen Teilnehmern, insbesondere von den Bertretern Bolens und Litauens  , mit Entschiedenheit betonten Standpunkt, daß für Sozialis ften fein internationaler Konflikt mit den Mitteln der Baffen gewalt gelöst werden darf und sie sich daher jeder Borbereitung friegerischer Aktionen mit aller Energie entgegenstellen werden. Die Konferenz bekennt sich zu dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Bölfer,

das bisher auf das Gebiet von Wilna   keine Anwendung gefunden hat und von dem allein eine befriedigende Lösung der Wilna  - Frage für alle diefes Territorium bewohnenden Nationen ( Polen, Litauen  , Weißrussen  , Juden usw.) erhofft werden tann. Die Berwirklichung dieses Grundsages in bezug auf das Bilna Gebiet erfordert die Beseitigung des gegenwärtigen Regimes in Litauen   und in Polen   und die

In

Rüdfehr zur parlamentarischen Demokratie.

an diesem Stampf wird den der SAJ. angeschlossenen Arbeiter. parteien die führende Rolle zufallen.

Für die bevorstehenden direkten polnisch- lilauischen Berhand. Für die bevorstehenden direkten polnisch- litauischen Berhand­Lungen stellt die Konferenz folgende

Minimalforderungen

auf: Aufhebung der Grenzsperre, Herstellung normaler ökonomischer und politischer Beziehungen zwischen Polen   und Litauen  , in erster Cinie Wiederaufnahme des Post-, Perfonen-, Güter- und Transit­verkehrs an der polnisch- litauischen Grenze und Schaffung eines Provisoriums für die rechtliche, politische und wirtschaftliche Eristenz der Bevölkerung in der gegenwärtigen fogenannten neutralen Zone.

Die Konferenz betont, daß der litauisch- polnische Konflikt nur ein Zeilproblem in dem Gesamtkomplex jener osteuropäischen Fregen darstellt, die nur durch die Wiederherstellung der Demofratie im Often Europas   unter Führung der soziali stischen Parteien ihre friedliche Lösung finden fönnen und müffen."

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Arbeiter, begnügte sich mit geringem Verdienst; der Japaner wollte gut leben der Chinese war und ist in seinen Lebens­ansprüchen höchst bescheiden. Hier in der Mandschurei   er­fuhren die japanischen Kolonisatoren am eigenen Leibe, was alle Kenner von China   wissen: daß die Zeit selbst für die Chinesen arbeitet, daß ihre Massenzahl, ihr Fleiß, ihre Geduld legten Endes den Sieg über alle Landeseroberer davontragen wird.

Diefe negativen Erfahrungen haben in letzter Zeit einen Umschmung der japanischen Kolonialpolitik, und zwar deren Umstellung vor allem auf die industrielle Expansion zur Folge gehabt. Diese Umgestaltung erwies fich als erfolg­reich. Heute stellt die Süd- Manschurei den wohlhabendsten Landesteil Chinas   dar. Und alles, was man dort kauft, ist japanischen Ursprungs. Der Grund dieser Erfolge liegt auf der Hand: während die japanische Industrie im übrigen China   unter ständiger politischer Bedrohung arbeiten mußte, ist hier die Lage durch den japanischen Einfluß gesichert; während die Industrie der Nipponinseln ihre Rohstoffe viel­fach erst von auswärts einführen muß, sind diese( ins besondere Kohle und Holz) an Ort und Stelle vorhanden; während der japanische Arbeiter selbst als Einwanderer auf chinesischem Boden ungefähr einen doppelt so großen Lohn mie der Chinese beansprucht, arbeitet dieser für niedrige Be zahlung. Die Schranken, die eine imperialistische Politik alten Stiles in der unaufhaltsamen Ausbreitung der chinesischen Massen findet, und der Erfolg einer industriellen Durchdringung des Landes, die ja in diesen Massen will­fommene Warenabnehmer befigt, erklärt die Taktik der Japaner im eigentlichen China   felbst. Sie geht hier nicht mehr auf gewaltsame Eroberungen aus( fenn­zeichnend ist in dieser Beziehung die Zurückziehung der japanischen Truppen aus Schantung im August d. 3., sobald bie Gefahr für diesen Vorposten ber Mandschurei   beseitigt worden war), sondern auf wirtschaftliche Durch bringung. Ein japanischer Politifer hat es neuerdings sehr drastisch ausgedrückt: Es hat doch keinen Sinn, die eigenen Geschäftskunden zu erschießen." Man darf nicht vergessen, daß das in China   heute investierte japanische Kapital sehr beträchtlich ist und das britische bereits weit überflügelt: es beträgt z. B. in der Textilindustrie 270 Millionen chinesische Dollar( gegen 12 Mil­lipnen britischen Kapitals), im Bantwesen 600 Millionen Den ( gegen 110 Millionen Den der Engländer), im Eisenbahn­