Ttr. 614* 44. Lahrgang
-1. Beilage des Vorwärts
Donnerstag, 29. Dezember 1927
Das Musterhaus einer Volksschule.
Die neue Schule in Schlachtensee.
In bm zum 10. Berliner Derwoltungsbezirk eitliörenden Ortsteil Schlochtensee ist vor einiger Zeit eine neue Volksschule in Benutzung genommen worden, die rrohl wert ist, einer Besichtigung unterzogen zu werden. Nähert r.mn sich, vom Bahnhof Schlachtenfcc kommend, der Dinge unkundig, dem Haus, so kommt man ins Raten, was es wohl für einen Zweck hoben könne: schmale, dicht beieinander liehende Fenster in einer nur zwei Stockwerk hohen Front Darüber ein nettes Ziegeldach. An der Breitseite schieben sich aus dem Doch zwei Man- forden heraus, unter denen ein fast stilwidriges, aber doch sehr nettes Erkerchen wie eine beträchtliche Nase hervorspringt. Diese trkernaje hat den Zweck, den lieb ergang von der zwei- zur drei- stockigen Bauweise des nebenan gelegenen Traktes zu verdecken. Es ist die neue Bolksichule, die Schlochtensee sich seit niesen Vahren gewünscht und nun endlich bekommen hat. Davor las Rektorengebäude mit der von bunten Sgraiiito gerahmten l'hr. Im ganzen ein trotz der Benutzung überkommener Bau- formen doch ungewöhnlicher Bau. Eine Volksschule, die aber doch nicht mit jenen Schülermasien rechnet, wie sie im dichtbevölkerte� Berlin üblich sind. Ob man daran wohlgetan Hot. mutz sich bald zeigen, denn von den IS vorhandenen Schulklossen sind jetzt bereits ,'le bis auf zwei deseht, und der Ortsteil Schlachtensee ist noch sehr ausdehnungssähig. Trotzdem bekommt es ein absolut ohnungs- loser Zeitgenosse mit Namen Klatt und seines Zeichens Studienral i. R. fertig, der Mitwelt gedruckt mitzuteilen, daß er sich nicht.erklären sänne, wie die Klassen jemals gefüllt werden können. Es ist selbst« verständlich, daß derartige Ahnungswsigkeiten nur den alles gläubigen t'eferit des Hilgenbergs che» �Lokal-Anzeiger" vorgesetzt werden können. " Und nun das Innere des neuen Hauses. Ein ganz schlichter, gor nicht repräsentativer Eingang. Oer Maler Hase malte darüber ein blaues Himmelszelt mit dem Tiertreis. Dann teilen sich die Kor- ridore, während eine schlichte Treppe nach oben leitet. Die Korridore find von sparsamer Breite. Sie empfangen dos Licht durch die schmalen Fenster, die man von der Strohe aus sieht. Die Klassen liegen nach dem Hof, um volle Ruhe zu haben. Sie sind hell, freundlich und zweckmäßig! viele haben eigene lvaschgelegenheil. Dann ober sind drei Räume von allen übrigen besonders beachtenswert. Die Aula, der Tirrnsaal und die Schulküche. Selbstverständlich ver- züchtet die Aula aus jeden Schmuck und Ausputz. Sie ist ein ganz einfach gehaltener Raum. Braune Bänke, gelb getönte Wände, an denen durch die ringsherum laufenden Reliefbänder das Horizontole
Moment betont wird. Oben an der Decke hinter opalisierendem Glas die Beleuchtung. Alles ist dazu angetan, die Aufmerksamkeit lediglich aus die Bühne zu lenken, die hinter einem in schönen Falten fallenden Vorhang verborgen ist. Mit ihr Hot es eine eigene Be- wandtnis. Hinter dem Borhang schließen Schiebetüren die Aula vollkommen ab. Werden sie geöffnet, so kann man in einen neuen langgestreckten Raum schreiten, den Zeichensaal. Es sind aber Vorkehrungen getroffen, hier Kulissen aufzubauen, so daß man sehr schnell aus dem Zeichensaal den Raum für die BühNe gewinnen kann. Da nun ober der ganze Ortsteil keinen eigenen Versammlungsraum hat. so hat diese Schulaula auch diesen wichtigen und wertvollen Zweck zu erfüllen. Und sämtliche Einwohner Schlachtensees sirid froh darüber, doh sie endlich eine solche Stätte hoben, die ihnen jetzt von evangelischer Seite mißgönnt wird. Die Turnhalle als Stätte körperlicher Ertüchtigung ist nicht minder wertvoll. Sie ist ausgelegt mit roten und grauen Gummiplatten, und wenn dos ein Luxus sein soll, so können die Turnlehrer als Fachleute ein Wörtchen mit- reden. Eine Längsseite ist ganz eingenommen von schwedischen Ribstols. Kein Beck zerreißt die schöne Fläche des vaales; sie find versenkbar und tauchen bei Bedarf gehorsam aus der Tiefe auf. Der dritte Clou aber, das Entzücken der Mädels der ersten Klasse, ist die Schulküche. Da bilden nun je vier Mädel eine Familie. Jede Fa-
milie hat einen Tisch mit vier Schemeln, einen Küchenschrank mit allem notwendigen Geschirr und einen Anteil an dem Riesenherd. Dazu Spülbänke und sonstiges Zubehör. In den dafür angesetzten Stunden wird mit einem Eifer und einer Hingabe Probe gekocht und gewirtschastet, daß die zukünftigen Ehemänner ganz beruhigt sein können. Mit großer Befriedigung stellt man dann hei einem weiteren Gang durch die Schule fest, daß man in guter Verteilung für körperliche und geistige Ausbildung zu sorgen bemüht ist. Der Physiksaal ist ein richtiger kleiner Hörsaal mit aussteigenden Bänken. Im Vorführungsraum find selbstverständlich Epidiaskop und Kino vorhanden. Die Bibliokhek, ganz in blau gehalten, ist noch im Auf- bau begriffen. Im Kartenzimmer können bequem dreihundert Karten, gerollt und sofort zur Hand, ausbewahrt werden. Eine große Terrasse dient dem Zeichenunterricht. Der Gesundheitspflege dient neben dem Turnen ein prächtiges und sehr bequemes Brausebad. Ein Rlilchkrinkraum gewährt für 10 Pf. einen Viertelliter Milch- Außerdem sind Räume für den Schularzt und den Schulzahnarz» da. Merkwürdigerweise soll dem letzteren nicht dos Inventar bewilligt worden sein. Während die Mädchen außer ihrer vielgeliebten Küche noch einen Platt- und Rollraum, eine Waschküche und einen Räh- räum mit 6 Nähmaschinen haben, haben die Jungen zwei Hand- sertigkeitsräumr, einen für Papierarbeiten und einen für Tischler-. arbeiten mit Hobelbänken und allen Geräten. Die Zimmer für die Lehrer und die Lehrerinnen scheinen uns aber, so freundlich sie attl sich sind, doch allzu einfach ausgestattet zu fein. Der Geistesarbeiter muß noch einigen Stunden konzentrierten Denkens die Möglichkeit haben, sich geistig und körperlich zu entspannen. Also bequeme Liege- stühle. wie sie die Amerikaner längst haben. Dafür hätten aber die Räume größer sein müssen.
Lehrküche für die Mädchea der ersten Klasse.
Im SchuUBrausebad. Diese Schule, die in Schlachtensee von dem Zehlendorfer Ma- gistratsbaurat Schwiertz in Gemeinschaft mit dem Architekten Engel- brecht und dem Kunstmaler Hase erstellt worden ist, ist ein in jeder Beziehung ehrenvoller, dem Zweck würdiger und in der Erscheinung schlicht-schöner Baut er rühmt nicht nur die Baukünstler, sondern er ist auch ein rühmenswertes Zeugnis von einem Aufbauwillen der hetztigen Generation, der durchaus und in jeder Beziehung in den eng gezogenen Grenzen das Bestmögliche zur Befriedigung moderner Schulbedürfnisse erreicht hat. Das Merkwürdige daran ist nur, daß dieser würdige schlicht« Zweckbau in evangelischen Kreisen Eni- rüstung erregt hat und daß ein Herr Dr. D i b c bi u s in kirchlichen Gemeindeblätlern schreckensblah die fassungslose Frag« auswirft: „Kann ein Volk, das eben einen Krieg verloren hat, sich solche Gc- l>äude leisten?" Auf Herrn Dibclius und seine Volksschulfeindlichkeit werden wir demnächst noch einmal zu sprechen kommen.
Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule Dresden . Am 4. bis 6. Juni J028 soll in Dresden die Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule stattfinoen. Die ehemaligen Studenten der Technischen Hochschule der Stadt Dresden werden gebeten, Anschriften und Wünsche dem� Ausschuß für die Jahrhundertfeier, Drcsden-A. 24, George-Bähr-Straße 1, Zimmer 77, zu übennitteln.
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Ist Dadjin dagewesen— oder nicht? Vielleicht war das der gewohnte Alpdruck? Alpdrucke sind doch immer so realistisch— wie das Leben. Sind sie nicht deshalb so schrecklich und erschüttern sie nicht deshalb die Seele? War Vadjin da— oder nicht da? Sie lag unbeweglich, ganz nackt und zerschlagen. Das chemd war wie ein nasser Fetzen über der Brust zusammen- gedrückt und roch nach Schweiß und nach noch etwas Ekel- staftem, das sie früher nicht gekannt hatte. Lange fühlte sie ihren Körper nicht: als ob sie nur einen Kopf hätte— und keinen Körper. Ueberall ist Leere und Unendlichkeit: ein schwarzer Abgrund. Und sie ist nicht da— nur ihr Kopf, und der Kopf schwimmt gewichthos in diesem uferlosen Wasserwirbel. Und dort, im Dunkeln und hinter dem Dunkel — ist ein erschütternder Donner und ein furchtbares Sturm- geheul. Es ist so gut und so ruhig, nichts existiert mehr und auch die Zeit— existiert nicht mehr. Sergeijs Schritte ertönten vor ihrer Tür. er blieb stehen. Warum kam Sergejs an ihre Tür? Polja hörte diese Schritte, ihr Herz zog sich zusammen, ihr Körper füllte sich plötzlich mit Blut und erzitterte in wilden Krämpfen. In den Beinen, am Bauch— ein dumpfer Schmerz. Badjin... ja, seine Tür ist nebenan, neben ihrem Kopfe. Er war da— und ist wetzgegangen. Und es war kein Grauen— es war nichts. Und tief innen im Herzen schlägt und zittert und plätschert in heißem Strome und würgt im Hals ein brennender, schreck- licher Schmerz. Die Zähne klappern und finden nicht aneinander. Und das Herz und der Hals brennt und tut weh.... ..Ach!... Ach!"--- Sie krümmte sich im Bett zusammen, kroch auf den Boden und verstummte plötzlich in tödlickem Schreck.... Wieder verdichtet sich die Dunkelheit und fällt mit schrecklicher Schwere auf sie. Jetzt kriecht sie auf sie herauf, erdrückt sie wie ein Felsen und klammert sich mit Krallen in sie hinein____ Halb bewußtlos lief sie. barfuß, im Hemd, auf den Gang Packte die Türklinke an Serg'iis Tür. ichlug um sitsi und konnte, blind vor Angst, ihre Augen nicht von der offenen Tür ihres Zimmers wenden.
Schnell
bitte!
„Sergejs! Sergeij!.. Sergejs!" Sie kratzte an der Tür, kroch an ihr hinauf und fühlte wie im Traum, daß die Tür nicht aufzubringen war. Und als sie sich öffnete, umfaßte Polja Sergeijs Hals und erstickte im Schluchzen und Weinen, klein, hilflos, mit den zarten Rippen eines Kindes. Auch Sergeijs Hände und Füße zitterten und sein Herz schlug vor Erregung. Er führte sie zum Bett und deckte sie zu. Goß ein Glas Wasser ein und ihre Zähne klapperten am Glas und das Wasser floß ihr am Kinn hinunter. „Das ist schrecklich, Sergeij... das ist ekelhaft.... Ich weiß nicht, was geschehen ist— aber es ist etwas ge- schehen, was nicht gutzumachen ist, Sergeij." Er setzte sich auf einen Stuhl neben sie und richtete ihr schüchtern und zart ihre Kissen, ihre Decke, streichelte ihre Hände, ihr Haar, ihre Wangen. „Nun, nicht doch.... Beruhige dich, Polja.«.. Ich weiß... wenn du geschrien hättest— so hätte ich die Tür eingeschlagen und hätte ihn erwürgt." „Du weißt nicht, Serjoscha... du weißt nicht... man kann mit ihm nicht kämpfen... man kann sich vor ihm nicht retten." „Wollen wir nicht sprechen, Polja. Trink noch ein bißchen Wasier. Ich werde hei dir hier sitzenbleiben und du schlaf nur ruhig. Du mußt unbedingt schlafen. Das ist der Nord- oft.... Lange schon hat kein Nordost geblasen.... Mvrgen wird es frisch und kühl sein." „Sergeij... Serjoscha... du bist mir so nah und lieb. ... Ich wußte, daß das so kommen wird, Serjoscha.... Und ich konnte nicht.... Ich weiß nicht, was noch sein wird. Serjoscha." Er saß neben ihr und zitterte mit inneren, unaufhalt- samen Stößen. Und zum ersten Male erzitterte er in dem Augenblick, als er Badjins Stimme hörte. Und er fühlte den Boden unter sich wanken, und alle Sachen oerließen seit diesem Augenblick und mit dem ersten Dröhnen des Nordosts ihren Platz und flatterten wie Vögel im Zimmer herum. „Ich wußte, Serjoscha, daß das nicht so einfach ausgehen wird.... Hast du diese Gesichter tzejehen, diese Stimmen gehört?... Brüder, helft. Huungerl... Und die Würfel, und die Geigen, und das Kaffeehaus... und die Auslagen, und die in Händlertum verwandelte Revolution.... Und dieses.. das ist alles dasselbe, Serjoscha." „Ja, das ist dasselbe, Polja.... Man muß diese schreck-
liche Zeit überwinden.... Wir müssen sie durchleben.. � wir müssen es, koste es, was es wolle." Sie schlief ein, seine Hand in ihrer, und er laß neben ihr, rührte sich nicht und sah sie aufmerksam, mit trauriger Liebe, bis zum Sonnenaufgang an. 4. Sabotage. Im Werk ging nach Gljebs Abreise eine fieberhafte Renovierungstätigkeit vor sich. Die zerschlagenen Scheiben der Fenster und die Dächer der Bauten waren noch nicht erneuert und in den Betonwänden klafften noch Löcher zwischen den herausgerissenen rostigen Eisengittern, aber im dämmrigen Innern, unter den Sternen der elektrischen Lampen, stöhnte und trommelte schon das Echo von Hämmern und Bohrern, vom Knirschen, Klingen und Schmatzen des Metalls. Es arbeiteten alle Arbeitskräfte, die im Unikreis auf- zutreiben waren— zweihundert Menschen. Die Instand- setzung des rotierenden Ofens verlangte besondere Aufmerk- samkeit. Man mußte die Stahlverkleidung umnieten und die innere feuerfeste Schicht erneuern. Man mußte neue kleine Metallteile für die Stampfmaschinen, für die Mühle, für die Hebel, für die komplizierten Verbindungsmaschinen gießen. Die Reservoirs für den flüssigen Teig waren sehr beschädigt. dort mußten neue rotierende Rührhölzer hineingegeben und ganze Systeme von Röhren, phantastische, zylindrische Siebe und andere Bestandteile, graziös in Linie und Zeichnung, aus Holz und Metall, umgetauscht und geändert werden. Am wenigsten gab es im elektro-mechanischen Werk in der Moschinenabteilung zu tun. Dort war Brynsa. Dort lebte Brynsa, dort lebten auch die Maschinen. Menschen, blau vor Staub, arbeiteten emsig, krochen neben den Oefen herum, sprangen über verflochtene Rohr- netze, über das Spitzengeriesel der Querbalken, über Treppen, Geländer, wie Spinnen, nagten wie Ratten den hartgewor- denen Schmutz in den Höhlen und Löchern ab, bohrten, schnitten, sägten Eisen und Kupfer, verwickelten sich in Drähten, schimpften, fluchten, lachten, spuckten Schmutz und erstickten vor Staub, vor Hitze, vor der plötzlichen, stürmischen Erschütterung iiurch die Arbeit. Auf dem zweiten Verbindungswege ging die Arbeit ruhiger und stiller vor sich. Die Schienen wurden an ver- schiedenen Stellen ausgewechselt, die Viadukte wurden ge- richtet und die Wege von Steinen und Schutt gereinigt. (Fortsetzung folgt.)
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