Sonnabend 31, Dezember 1927
Unterhaltung unö Missen
Silvester im Hochgebirge. Von Ziudi Eims. Hoibwegs zzvischen der KnorrhüUe. auf dem Schneeserner, sibersiel uns die Dämmerung, über fernen blaffen Gipfeln aber flieg der Mond auf und goß fein Silberlicht in die Berge und 3"Äer, in den tiefverschneiten Hochgebirgswald und auf die«infamen Echncefpuren, die hier oben die Skiläufer hinterlassen hatten. Die Skistöck« in den chänden, Schneereifen an den Füßen, stapften wir drei Norddeutschen über die oerharschte Schneedecke, die oft meterhoch über dem festen Grund liegt, aus dem im Sommer wieder die Alpendlumen blühen. Schweißperlen standen auf unse- ren Stirnen, obwohl es bitterkalt war. So ein Tagesmarsch— wir waren schon am frühen Morgen aufgebrachen— strengt an und hält den Körper in Wärme. Aber unsere Mühe war schon reichlich belohnt worden. Ein herrlicher Tag log hinter uns. Was kann es schöneres geben, als die einsame Winterherrtichkeit des Gebirges? Stundenlang zu steigen. Nur dam und wam> eine kurze Rast, mit den Skistöcken vor den Bauch gestemmt, ein Stück Brot, einen Apfel für den Durst, und dann weiter hinauf. Wir blieben einen Augenblick stehen, um zu verschnaufen. Warfen unser« Rucksäcke ab und schauten sehnsüchtig zum Gipfel•— dem Münchener Haus. Dort faß unser Führer, ein des Skisports kundiger Bayer. Er war vorausgeeilt, um uns emstweilen einen heißen Trunk zu bereiten. Das letzte Stück Weges wollte auch kein Ende nehmen. Endlich, nach einer guten Stund«, waven wir oben, lösten mit steifen Fingern die Schneereifen von den Füßen und traten in die dickverschneite Hütte, durch deren vereiste Fenster matt das Lampen- licht schimmert«. Todmüde üeßen wir uns auf den Holzbänken nieder. Wohlig empfanden wir die Wärm« des kleinen Raumes. Der Tee, den unser Freund aus aufgetautem Schnee gebraut hatte, war ein Genuß. Der Mann gab uns den Rat, ordentlich.Bmtzeit zu machen". Und wirklich—, bald fühlten wir uns wieder frisch und munter, rückten mit an den Ofen heran, um welchen schon eine Anzahl Touristen saßen, während andere, auf den Bänken ausze- streckt, fchliefen. Lustig prasselten die Scheite im Ofen. Harz - geruch mischte sich ln den Tabakqualm. Geschichten— e niste und heitere— wurden zum Besten gegeben. Nach und nach taute auch der schweigsam« Wetterwart auf, und der höchste Beamte in Deutschland (2964 Meter über dem Meere) erzählt« von feinem Leben aus dieser lichten Höhe, von den Gefahren der Bergwelt, von den Opfern, welche die Besteigung der Zugspitze schon gefordert hatte. Die Stimmung wurde immer aufgeräumter, je mehr sich der Zeiger Mitternacht näherte, s« mehr Grog in den Kochgeschirren dampft«. Zitherfpiel erklang. Lieder hallten von den Wänden. Draußen rüttelte der Wind an den Berank evrngen der Hütte. Wir fühlten uns wohl und geborgen. Es war#12 Uhr..als«tr uo�erdob«. Die Schneereif ev a» die Füße und hinaus. Hui— war dos kalt. Wie spielte der Wind so unfmist mit den Nasenzipfeln. Das Thermometer an der Tür zeigte 16 Grad unter Null. Die Kragen hochgeschlagen, pilger- ten wir hinaus zum Gipfelkreuz. Noch stand der Mond am Himmel. Wolken schwammen in dem dunklen Blau, und Millionen Sterne funkelten in unendlichen Höhen. Wo wir hinblickten, Schnee und Fels. Tief im Tale kroch, einer feurigen Schlange gleich, ein Zug durch die Landschaft. Bon Garniifch glänzten Lichter herauf. Dort wiegten sich wohl in den vornehmen Hotels die Paare lm Tanz und schwelgten bei Wein und Sekt. Unter uns hatte sich die Tür des Mimchener Hauses geöffnet. Ein breiter Lichtstrom quoll heraus. Di« Terrasse füllte sich mit lachenden und scherzenden Touristen, lind dann—.De» Jahres letzte Stunde ertönt mit ernstxm Schlag..." klang es vtslftunmig durch die Nacht Ein allseitiges„Prost Neujahr" folgte dem Lied. Das neue Jahr hatte begonnen— und mich wir schüttelten uns glückwünschend die Hände. .Ln dieser Stunde taust der Teufel Alkohol durch Dörfer und Städte. Trunkenheitsexzesse veranlaßten im Borjahr allein in Berlin über 300 Berhasiungen", brummte mein mit Spreewasfer getaufter Freund durch seinen Wollschal. In dieser Stunde— und wir dachten an die Menschen, die jetzt betrunken durch die Straßen wankten, an lichterfüllte Säle mit lachenden, tollenden Menschen.?lb«r auch an jene, die in Elendsquortieren mit banger Sorge ins neu« Jahr gingen. In dieser Stunde— und wir sahen im Geiste Männer, die der Erde Schätze bargen, oder jetzt mit nackten Brüsten an den glühenden Feuern der Hochöfen auf den Abstich warteten. Fronknechie de» Kapitals. Wir dachten an die große Not, und wie so manches besser fein könnte, wenn jeder Proletaner ein klassenbewußter Kämpfer wäre. Der Berliner mußte wohl gefühlt haben, was in uns webte. Leise summte er eine Melodie. Wir sielen ein, und dann toste es durch den eisigen Wind: „Wacht auf, Verdammte dieser Erde-...." Das schönste Neujahrslied. Keines paßt so gut zum Jahres- beginn. Schweigend stiegen wir wieder hinab zur Hütte. Schauten vor der Tür noch einmal hinauf zu dem Kreuz, das nun verein- samt in den Himmel ragte, noch einmal hinunter ins Tal, in diele erstarrt« Natur, die einem neuen Frühling entgegenträumte, dann gingen wir hinein. Dnnnen sang und trank man noch. Wir wärmten uns nur auf. um dann im Schlafraum zu verschwinden, wo wir uns in die Decken wickelten und„Gut- Nacht" wünschten. Nicht lang« mehr hörten wir die Wind« um das Haus fegen, nicht viel Zeit blieb, um an die Kämpfe st- denken, die auch das neue Jahr uns Proletariern bringen würde— bald nahm uns Morpheus In die Arme.
predigt zum Lahresschluß. Von Kurt Offenburg. „Eins, zwei. drei, im Sauseschritt saust die Zeit, wir sausen mit." Der Anfang unserer Tage geht longsam. und wenn die Blüte unseres Leben» erreicht ist. erscheint das Dasein, als ob es ewig sein müßte. Dann aber rollt die Zeit bergab in immer rascherer, unaufhaltsamerer Drehung, bis zum Ende. Alle schönen Dinge scheinen«n endlich, wenn st« vor uns liegen: pste lange scheinen die ersehnten Tage der Ferien sich zu dehnen:
wie unverbrauchbar dünkt dos Monatsgehalt, wenn wir es erhoffen: wie rasch verdampfe» die Wogen des Flttterglücks, in denen Tage und Nächte zuerst unvergänglich erscheinen. Und wie hebt sich das neue Jahr ürngsam und feierlich aus der Zukunft: unendliche Zeit, um zu schaffen, zu genießen, Ziele zu erreichen und Glück zu fangen. Aber dann drehen sich die Monate, die Sehnsucht reißt sich vom Winter in den Frühling, der den Sommer verspricht, und wen» dieser sich schon erfüllt und herbstliche Früchte in deinen Schoß wirst. naht schon in erschreckendem Tempo neue Kalle des Winters. Und mit verlangenden, ungefüllten Händen stehst du wieder an der Schwelle eines neuen Jahres... und kannst nicht anders, als wieder zu hoffen, zu glauben, daß es die Ewigkeit berge, daß es dos Glück, die Erfüllung bringe. Wenn die Glocken von ollen Türmen läuten, die Gläser klingen und du mll Unruhe im Herzen dem neuen Freunde entgegentrittst — ihm, dem neuen unerkannten Jahr, das deine Illusionen noch nicht zertrümmert hat—, kannst du da anders, als gläubig hoffen, daß alles g u t werde in dieser besten aller Welten. Du dürftest zwar längst wissen: morgen schon ist sie zänkisch und reizsam, kall und lieblos gegen dich, und sie gefällt dir auch nicht wie im Glanz des Neujahrspunsche»— diese beste aller- Wellen. Aber war es nicht reizend von ihr, daß sie die freundlichen Illusionen gegönnt hat, daß sie die Schminke der Hoffnung auf ihr alles verwüstetes Antlitz gelegt hat, daß sie unberührte Frische vortäuscht, um dich eine Stunde glücklich zu machen? Ach!— sonst könnte man in jeder Minute des Daseins ein neues Jahr beginnen. Es gibt entscheidendere Einschnitte als gerade die Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar. Etwa: am 3. Ja- nuar kam zum erstenmal der Gerichtsvollzieher, am 19. Februar segnete dich der schönste Weinrausch des Jahres, am 21. April reiste nach vierrnonatiger Anwesenheit die Schwieg« rmutter ab, am 6. August kam dein sechstes Töchterchen zur Welt, am 11. Oktober tönte im Stockwerk über dir zum fünfhundertsten Male„Valencia ", am 28. November oerbot dir der Arzt bei Todesstrafe, Charleston zu lernen, und was dergleichen wichtige Ereignisse mehr sind im Leben eines normalen Steuerzahlers. Es wäre deshalb originell und selbständig, dein individuelles Lebensjahr von solchen Marksteinen an abzumessen. Das Kalender- fahr bliebe eine geschäftliche und staatlich« Angelegenheit, die dich in deinem Privatleben nichts anginge. Und es gibt wirklich keine zwin- gende Ursach«, warum du gerade in der Nacht des ersten Januar gerührt erhoben, berauscht und mll allen guten Dorsätzen gerüstet fem sollst Als Schuljunge, als wir die Well reformieren wollten, die all- gemeine Moral verachteten und unter der Schulbank.L>ie konventionellen Lügen" des verblichenen Max Nordau ihren naiven Aufruhr- geist ausströmten: damals, als wir uns unter gräulichen Schwin- deleien von der feierlichen Familientafel wegstahlen und in Tingel- tangels unbeschreiblichen Range» unseren sechzehnjährigen Skepti« zismus austobten: standen wir in der Nacht nicht im Schatten de»
Beilage des Vorwärts
Domes und lauschten beklommen, hingerissen und emporgehoben den übermächtigen Klängen des Neujahrsläutens? Und fühlten uns einbezogen in die Gemeinschaft: vernichtet, klein und häßlich in unserem lungcnhostcn Dünkel. Und dies Gefühl zwischen Glück und Trauer, diese Unruhe, die tm Geläute der Neujahrsglocken«in unge heures Der sprechen empfinden ließ: sie kam immer wiedcr, wenn in dieser Nacht die Glocken dröhnten, die Raketen stiegen und die Frösche der Lausbuben auf dem Straßenpslaster knolllsn. Wo immer du bist: auf See, im Schützengraben, im Tanzjaal des großen Hotels oder im Kreis gleichgestimmter Freunde— über' all ergriff dich Ahnung, glaubtest du Gewißheit zu fühle», daß in dieser Mittemachtsstunde ein neues, reicheres, frischeres Leben sich ankündige. Hellige Gemeinschaft der Menschen. Nur weil all« Mitmenschen an diesem Tag, in dieser Stunde, in diesen Minuten des zwölften Glockenschlages voll Hoffnung, Sehnsucht und Cr wartung sind— deshalb ist Neujahr auch dein Iahresanbruch. Det egoistischste Individualist der sich zur einsamen Johresanfangsseicr in seine Höhle zurückzieht und allein. Liebe und Freundschast ver- achtend, seine Träume spinnt: er leiht dennoch das Gefühl„Neujahr" vom Ganzen, von der sozialen Gemeinschaft, die alle beschenkt und deren Gaben stch keiner entzieht.
Thermit als Eisbrecher. Mit der zunehmenden Ausnutzung der Wasserkräfte wächst mich der Wunsch, den Werken zu jeder Jahreszeit den Wasjerzuflnh zu sichern, und so f;itt die Bekämpfung des Eises in ein neues Stadium. Ein Offenhalten der Zuflüsse durch Sprengungen mit Dynamit und anderen Exolosiv- stoffen ist in der Nähe menschlicher Wohnungen und von Kunst- bauten zu gesäbrlich Der amerikanische Professor Howard T. Barnes hat daher ein Mistel gefunden, da« sich als geradezu idealer Eis- brechcr erweist Es ist dies das Thermit,«in Gemisch ncm Aluminium und Eisenoxyd. Heber seine Ersahrungen mit diesem Mistel bei Eisbergen und Packeis wird in der„Umschau" berichtet. Wird in dem Gemisch Aluminium-Eisenoxyd durch eine Zlmdkirsche die Reaktion einaeleitet, so steigt die Temperatur in wenigen Sekunden auf 2300 bis 3500 Grad. Außerdem aber zersetzt auch dos Thernnt, wenn es mit dem Eis in Berührung kommt, durch das schmelzende Ersen das Ei» in Wasierstoff und Sauerstoff. Der Sauerstofi oereimgt sich mit dem Eisen zu Elsenoxyd, und der Wasserstoff verbrennt mit dem Lustsauerstoff zu Wasser Bei dieser raschen Gasentwicklung kommt es zu leichien Explosionen, die mit fast keinem Geräusch verbunden sind und das Zertrümmern der Eismasien unterstützen. Jede Schädigung von Kunstbauten oder Häusern ist vollkonnnen ausgeschlossen- DcrM ist das Thermit gefahrlos zu transportleren und zu handhaben. Seine Hauptwirt.- famkeit besteht nicht im Sprengen, sondern im Erwärmen der Ei:- masien. Prof. Barnes konnte auf diese Weife das gefährliche Packeis des St.-Lorenz-Stromes beseitigen, med Hai auch bei einer großen Packeisgesahr. die einige Städte in Alleobany bedrohte, mll noch nicht fünf Tonnen Thermit den Wasiern freien Weg ge schaffen, während Dynamit wirkungslos blieb. Besonder» wichtig aber ist dieser neue„Eisbrecher" zur Zerstönmg von Eisbergen.
Oer Maler des Naturalismus. Zum SV. Todestag von Gustave Courbei.
„Wenn ich tot bin, soll man von mir sagen:„Er hat keiner j Schule, keiner Kirche, keiner Richtung, keiner Akademie, besonders aber keinem System angehört, nur dem der Freiheit." Diese Wort« stehen in einem an den fronzöstschen Minister der Schönen Künste gerichteten Brief, mll denen Courbet einen ihm zugedachten Orden ablehnte und dabei dem Staate grundsätzlich das Recht bestritt, in Kunstdtngen, die sich seiner Kompetenz entziehen, mitzusprechen. Sie kennzeichnen mll oller Schärfe Wesen und Art der Kamst, die der große Revolutionär der französischen Malerei, der gleichzellig als der größte der modernen Wtrklichkellsmaler gelten muß, ausgeblldet hat. Die positivst« Philosophie, die materialistische Forschung, die Methode der Naturwissenschaften, kurz, der Geist des neunzelinten Jahrhunderts hat in Courbets Bildern seinen stärksten Niederschlag und prägnantesten künstlerischen Ausdruck gefunden. Mit der Ab- neigung gegen Klassizismus und Romantik und dem unversöhnlichen Haß gegen die Konoenienz und Aufmachungsschablone der glatte» Salomnalerei im alten Kaiserreich verband er das Ungestüm und die Rücksichtslosiglell des stürmischen Bahnbrechers, der mit dem Ueberlebten und Hergebrachten schonungslos aufräumt und auf neuen Wegen neuen Idealen entgegeneilt. So hat Courbet die Natur für die Kunst erobert, und er durfte sich mll berechtigtem Stolz den „ersten Realisten" nenne», der nichts als die Wahicheit anerkannt� und dieser selbst auf Kosten der Schönheit zu ihrem unbeschränkteii Recht zu»erhelfen trachtete. Die unerbittliche Wahrheitsliebe zeigt sich auch in seiner Moltechnik, die bewußt und mit Absicht die Farben hart nebeneinander setzt, wie das unbestechliche Auge des Beobachters die Natur sah. Freilich vermochte auch Courbet Natnr und Wirklichkeit nur mit dem ihm angeborenen Temperament zu sehen und wiederzugeben. und dieses zügellose Temperament verleitete den malenden Rca- listen gelegentlich wohl auch zu brutaler Betonung einer natura- listisch-sozialen Programmatik. Aber diese Programmatik ist bei Courbet eine Id«, die mit gewalliger Kraft und fortreißendem Impuls durchgeführt, den Swff veredell und über das Niveau der nüchternen Tendenz erhebt. So war es dem widerspruchvollsten aller Maler vergönnt, eine Kunst von voller Geschlossenheit zu hinter- lassen, in der sich der Geist des neunzehnten Jahrhunderts unverkenn- bar spiegelt. Ganz unbewußt hat dabei der aus ein Programm ein- geschwo'-ene Naturalist, der nur ein ungeschminktes Bild des wirk- lichen Lebens dem Beschauer vor das Aug« stellen wollte, dieses triviale Alltagsleben durch den bezwingenden Zauber seines Färb- tons der Realität entrückt und ins Seelische umgedeutet. Dieses Ineinanderfließen von Traumstimmung und Erdhoftigkell gibt Cour- bets Bildern«inen Zug qermamscher Cmpfindnngstiefe und läßt es begreiflich erscheinen, daß er auf die Entwicklung der modernen deuffchen Malerei im ollgemeinen und auf Leibi im besonderen so starken Einfluß gewinnen konnte, während seine Landsleute ihm und seiner Kunst lang« verständnislos und ablehnend gegenüberstanden. Wie sein großer Fach- und Zeitgenosse Millet ist auch Courbet aus einem Bauernhause hervorgegangen. Am 10 Juni 1819 in Ornons bei Besan�on geboren, eignete er sich die Anfangsgrunde des Malerhandwcrks bei einem in die Provinz verschlagenen Schüler David« an und ging mll 20 Iahren noch Paris , mit dem stolzen Selbstbewußtsein des Kraftgenies, das keine Götter neben sich an-
erkennt. Daß dieser starrköpfige Feind aller Schulen und Rich- tungen, der sich so selbstbewußt als„Schüler der Natur" bezeichn-tte, der Akademie im weiten Bogen aus dem Wege ging, versteht sich von selbst. Sein einziger Lehrer war der Loiwre, wo er die allen Meister studierte und vor allem den allen Spaniern das Geheimnis absah, die dunklen, satten Farbtöne des Schwarz. Grau, Braun und Blau zu einem mystischen Kolorit zu verschmelzen. In der Wahl und Darstellung des Stoffes verließ er sich im übrigen ganz auf den beharrlichen und leidenschaftlichen Instinkt des geborenen Malers. Aus diesem Instinkt heraus schuf er seine Bilder, die mit ihrer naturalistischen Ausfassung und der stark betonten sozialen Note die zünftigen Akademiker entsetzten und de, Kunstkritik willkommenen Anlaß gaben, ihn als den Maler des Häßlichen zu brand- marken. Daß die Jury diesen! Ketzer die heiligen Hallen des Salons sperrt«, kümmerte ihn indessen so wenig wie der öffentliche Skandal, den jedes seiner neuen Bilder«illfesseUe. Der fanatische Jünger Proudhons, der in seiner radikalen Agitation immer heftiger und ausfallender wurde, ließ es sich vielmehr oiigelegen fein, den Skandal durch feine aufrührerischen politischen Manifeste noch zu schüren. Wenn ihm die kritisch« Meute in Paris allzu heftig zusetzte, ging er nach Deutschland , wo er gern und oft weilte, um sich im deutschen Wald als eifriger Nimrod zu betätigen und bei edlem Rheinwein und lustiger Gesellschaft die Pariser Berdrießlichkeiten zu vergessen. Der Jäger Courbet verleugnet sich auch nicht in seinen wunder- vollen watdgrünen und schueearaueii Landschasten mit Tierstaffage: die bezwingend frische Natürlichkeit, der aller Sentimentalität entkleidete Stimmungszauber entwaffneten selbst die Pariser Kritik. Während der Weltausstellung im Jahre 1869 vereinte Courbet als Protest gegen den offiziellen Boykott seines Lebenswerkes vierzig seiner Bilder zu einer Ausstellung, die elend genug in seiner Baracke untergebracht war, und der er den stolzen Titel„Ix Realisrne Gustave Courbet * gab. Man sah da«in« Anzahl Bilder, die heute klassisch geworden sind, wie die berühmten„Steinklopfer" (Dresdener Galerie) und dos nicht minder berühmte„Begräbnis in Orleans "(Louvre). Die künstlerischen und materiellen Erfolge, die In den letzten Jahren seines Lebens sich longsam einstellten, hatten die stürmische Angriffslust des revolutionären Heißsporns nicht zu dämpfen vermocht. Sein« politischen Ueberzeugung getreu, sah er sich dann während der Pariser Kommune zu einer Rolle ver- urteilt, die Ihm den Vorwurf des Kunstvandalen eintrug. Als Präsident der Kunstkommission der Kommune war ihm die Aufgabe zugefallen, das am 12. April 1871 erlassene Dekret, dos die Nieder- legung der Dendöme-Säule anordnete, durchzuführen. Nachdem dcr Kommune-Aufftand niedergeschlagen war, wurde Courbet verhaftet und zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, obwohl er die Säule an anderer Stelle zu erhalten versucht hatte. Noch Derbüßung der Gefängnisstrafe wurde er dann noch zum Ersatz der Kosten für die Wiederausrichtung der Säule in Höhe von 329 091 Fronten ver- urteilt, die er in jährlichen Raten abzahlen sollt«, ein Urteil, das die Dermchtunq seiner materiellen Existenz bedeutet«. Aller Mittel entblößt, floh Courbet in die Schweiz , wo er am 31. Dezember 1877 in La Trnir de Peilß am Genfer See heimatlos und gebrochen starb, Dr. Walther Hötting.