Unterhaltung unö ZVissen Hunger. Von Alexander Clement!. Durch das Fenster fiel ein Sonnenstrahl wie ein» Sanz«. spitz und heiß ein, und verursachte auf der Glatze, die vor dem großen Schreiblisch saß, ein unerwünschtes Brennen. .Lassen Sie die Jalousien herab, Bödeter.' Nachdem dies geschehen war, lehnte sich Amadeus ftnöpf« im bequemen weitarinigen Sessel rückwäns. Nach einer Weil» ent. standen auf seiner Stime, dich« an den über der Nasenwurzel ver» wactsenen. starken Brauen eine Anzahl Fältchen. seine Augen wurden zwei ganz schmale Strich«, sein Mund öffnete sich halb, und er niest« dreimal dröhnend. .Gesundheit, Herr Chefredakteur!� Bödeker schielt« zu dem Chef mit dem iervil-tell nehmenden Blick hinüber, der schlecht bezahlten Lureauträsten tn solchen Fällen eigen zu sein pflegt. Amadeus brummt« nur fo unverständlich als Dank: den» er war Chefredakteur der Bouleoardzeitung.Prometheus', und als solcher grenzenlos erhaben über Fritz Bödeker. der frrtich viel. sehr viel Arbeit hott« und rech« abgetragen« und an den Knien und dem Hinterteil stark fadenscheinige Hosen trug. Das ganz« geschah in einem der großen Aettungspotäst» der Weltstadt, in denen Straßen schon riesenhafte Staubwolken entlang. rollten. Sehen und Armen fast gänzlich oerhindernd. Staubmassen, die der Frühlingsswnn aufgewirbelt hatte. Nördlich vom Zeitungsoiertel lag dl» Eifenhold«. Kräne und mächtige Trossen reckten dort ihr tnotziges Haupt auswärt». Wert» züg« rollten keuchend unter Eisenlasten dahin Aus den Hoch. öfen stieg da» Feuer gegen den Himmel. Der Himmel aber war voll Rauch, wie der wallende Bart emez riesenhaften Griesgnnn,. Und von der Eisenhaide kam in rhythmisch wiederkehrenben Wellen ein gewaltiges Dröhnen, rollte über die mächtige Stadt und erstarb im Gewirr der Straßen, Häuser und Kanäle. Di« Stadt lag geduckt, ein gigantisches Tier, und über ihr waren Frühlingssturm und der Lärm der Arbeit. Aber die Menschen in ihr waren schon taub geworden durch das Iwmerwieder und hörten dos Nahen des Frühlings nicht. .Schreiben Sie, Bödeker,' sagte der Herr Chefredakteur,.da ist diese Novelle von Kurt Bommel,.Frühlingsmärchen', welch «in Titel, wir brauchen kein« Märchen, da» sind Raturs childerungen, wer kiest heute Natursäzilderungen. schreiben Sie:.Geehrte? Herr Bommel. Ihre Arbeit können wir diesmal nicht--, senden Sie uns also etwa» Neues--. schreiben Sie'was mit Milieu, Süd. s«e. mit viel Schiffon und Sturm und Kannlbaien und mindestens einem Boxkampf drin, hundertachtzig Druckzeilen. Was den ver> langten Vorschuß angeht, kann davon jetzt trine Red« sein, weil... Wir empfehlen uns Ihnen in Erwartung...' Hier bekam Fritz Bödeker einen Hustenanfall und«nußte ein wenig mit dem Schreiben aufhören. Dabei schielte er imnrerjort verstohlen auf den Papierturm, der aus Manuskripten bestand und auf Knöpkes linker Echreibtiscklseite aufgeschichtet war. lind mäh« rend er fortfuhr, nach Diktat ähnliche Briese zu klappern, fiel ihm wieder dieser sehr bleiche junge Mann ein, der gestern eine Novell « gebracht und ste. da Knöpke abwesend war. ihm überreicht hatte. »Ich blll« Sie,' hatte er mit ganz leise? Stimm« gesagt,.ich bitte Sie...» Fritz Bödeker, der, obschon er nur ein untergeordneter Schneider war. im geheimen dichtete, hatte diese Sache,.Der Hunger' hieß die Arbeit, in der Pause gelesen, gelesen und gestaunt, und «r sagte sich, ein Künstler, ein großer Künstler hatte hier da» Elend geschildert, prächtig in seiner Einfachheit und Kraft. Amadeus diktterte weiter und begann dabei, in den eingelangten Arbeiten herumzuwühlen. So bekam er auch den.Hunger' tn die Hand, den Jonathan Walker, der keine Schreibmaschine b�aß, mit der Hand und frierend geschrieben hatte, in einsam durchwachten Nächten. Amadeus warf das Manuskript daraufhin gleich beiseite.(Hand- geschrieben! Wer liest handgeschriebene Arbeiten? Was dies« Leute eigentlich denken, man hat ja sein« Zeit nicht gestohlen!) Amadeus holte ein« Nagelfeil« hervor, und während er seine Nägel reinigte, sah er den Schreiber vorwurfsvoll an. .Der Hunger', dieser Mensch schreibt über den Hunger! Wer zimv Teufel will so etwas lesen, heute? Das Publikum will andere Dinge, viel Handlung. Erlebnisse abenteuernder Milliardärssöhne. mit Jachten, Autos, Flugzeugen. Pyramldenbriinde. künstlich« Menschen../' Fritz Bödeker kanitte das schon., Aber diesmal... Er wandle sich dem Chef zu. etwas verwirrt, jedoch offenbar von einem starken Gefühl dazu gezwungen. „Herr Knöpke, wollen Sie das Manuskript junger' nicht doch lesen? Es-- es ist wirklich gut! Es ist von einem Freund von mir,' log er. Das war an sich schon etwas ganz Unerhörte«. Dieser Bödeker, dieser Niemand, wagt sich als Protettor aufzuspieien. Als Pro- tektor eines anderen Niemands, einer literarischen Null, wie hieß er doch gleich-- Jonas-- Jonathan-- Amadeus griff nach diesem Manuskript, da» er bereit, weg- gelegt hatte. Weglegen— so. daß es auf die andere, recht« Seite zu liegen kam. bedeutete: ablehnen. Amadeus griff also nach diesem Papierbündel, da» bereit» a b» gelehnt war. denn dies war so sicher, wie Amen im Gebet. Er griff danach mit der schläfrigen Geste eines Raubtiere», das bereits satt geworden, ein nur aus Uebermut erschlagene» Opfer mit der Tatze noch einmal umwendet um sich so Gewißheit zu ver- schaffen, daß es tot ist. tot und bewegungslos, und um an dieser Tatsach« sein Machtempfinden zu befriedigen. Amadeus nahm das fragliche Manuskript mit zwei Fingern wie spielend auf und wog es in der flachen Hand. .Es wird schon noch zu verwenden sein,' und er kiWH-lk behäbig und sehr zweideutig. '.Uebrigens schreiben Sie. Bödeker?.... und da ich su? meinen bereits im Märzheft veröffentlichten Aufsatz„Der Leidensweg junger Literaten' von Ihrer Zeitschrist bis heute noch kein Honorar...' (Knöpke war nämlich, wie alle berühmten Männer. Mitarbeiter versckiedener Zeitschristen.) Und Fritz Bödeker. der wieder In der ihm eigenen, etwas ge- beugten Körperhaltung vor der Rewington saß. schrieb. Deoot und eifrig wie immer. (Schluß folgt.) Zwei Elbfahrten. Von Willy Möbus. Hamburg . Landungsbrücken! 1918! Oktobermortzen und dichter Nebel. Alle» deckt ein Hauch von Feuchtigkeit. Werftarbeiter strömen über die glatten Steg«, ein kleiner Fährdampfer verschiuckt sie. lieber allen lagert bleierne Müdigkeit. Unterernährt, unaus- geschlafen hocken und stehen sie aus dein kleinen Dampfer herum. Der heult plötzlich aus, er brüllt, als fei er der leibhaftige Satan. Er brüllt noch einmal, und dann zittert er in allen seinen Fugen, die Höllenfahrt, die Fahrt zur Werst hat begonnen. Er mahlt sich durch das Wasser, er teitt die Wogen, bis geheimnisvolle Umrisse das ander« Ufer erkennen lasten. Hier ist ox Hölle, die Werft. 5>ier wird kriegsmäßig geschafft. Hier gib« es keine Rücksicht. Wer hier fft. steht nur an einer anderen Front. Jeden Tag kann er die Hölle am Elbestrand mit der von Dpern oder Derdun vertauschen. Wieviel Groll ist in den Männern aufgespeichert, die hier wirken und Tag für Tag über die Elbe fahren, unfrei, eingespannt in ein immer unerträglichere» Joch... Am Kai der Werst liegt eins der vielen U-Boote, die hier in rasender Hast geschaffen wurden. Es liegt dereit zur Probefahrt. Im Innern ein betäubender Duft nach frischer Farbe, nach Benzol unb Maschinenöl und nicht zuletzt nach Menschen. Das Boot ist in Fahrt. Die Dieselmotoren stampfen. Ingenieur« prüfen, fi« mesten und registrieren. Je länger die Fahrt dauert, desto unerträg- licher wird der Aufenthalt in dem engen Kasten. Werstarbeiter und Matrosen sind aus Ihren Posten. Auch sie beobachten die Geräte und Maschinen, mit denen das Schiff vollgepfropft ist: die Motoren, die Torpedorohre, die Winkelschußvorrichtung, die Minenabwursvor- richtung, die Elektromotoren. Absperrschieber, Steuervorrichtung, unzählig« Bentile. Klappen. Hebel und Schrauben Hier und dort ist etwas nicht in Ordnung: Kriegsarbeit, Mangel an guten Wert- stossen und auch Mangel an wirklich eingearbeiteten Menschen. Er- staunlich genug, daß da» Werk üverhaupt vollendet wurde. Die Menschen im Schiff packt eine entsetzliche Müdigkeit. Der leere Magen meldet seine Forderungen an. die Pestlust, die all« Räume durchdringt, tut ihr übriges. Glücklich, wer an Deck gehen kann. Der Nebel ist klarem Sonnenschein gewichen. Da» Boot ist längst auf der Rückfahrt. Dort liegt, von goldenem Glanz Überposten. Blankenese mit dem Süllberq. Die Elb« ist leer von Schissen. f)in und wieder ein Frachtdamps«, ein Minensucher oder ein kleiner Kreuzer, der zur Reparatur die Werst aufsucht. Aber selbst der Sonnenschein läßt den Krieg nicht vergessen. Ein fertiges U-Boot fährt seewärts, ein schwimmender Sarg. Wer dort an Bord ist, weiß nickst, ob er noch einmal auf der Elbe heimwärts fahren wird. Vier Jahre Krieg, und Immer noch kein Ende. Derzwcijlimg nistet an Bord. Aul der Werft«übt es Wastersuppe. ausgezeichnete« Mohl für hungriae Menschen. Auf der Werst gibt es grobe Worte, hervor- ragendes Mittet zur Erhöhung der Arbeitsfreude, und Hungerlöhne dazu... 19271 Der Hamburger Hafen hallt wider vom Lärm der un- zähllgen Schiff«, hallt wider vom Lärm der Werften und Fabriken. Hamburg ist zum Leben erwacht, die Arbeit des Friedens lzat es in seinen Bann geschlagen. Auf den Landungsbrücken herrscht wieder reges Treiben. Der.Sehrwied« r'. einer der allen Bäderdampier, hat dort festgemacht. Au» allen Gauen Deutschlands eilen Menschen herbei. Der kleine Dampfer führt sie hinüber zu einem der modernen Riesenschisf«. die noch dem Kriege erstanden, die man aus den Mitteln baut«, die das Reich, also das Volk, zur Verfügung stellte. Klein« Schlepper reihen und zerren an dem ungeheuren schwimmenden Hans, bugsieren e» In sein Fahrwaster. Dann schwin- Wir feiern jetzt da» Anhenken eines Manne», der vor hundert Jahren geboren wurde und ein rechtes gediegene» Gegenbtld zu dem Zeitaller und der Gesinnung des Kollektioisnm» darstellt, weil er sich selber ganz nur als geschlostene Persönlichkeit fühlte und gab und sein Lebenswerk an die Verherrlichung großer Persönlichleiten setzte. Hermann Grlmnz. den manche aus unserer älteren Generation noch als schönen weißbärttgen Herrn und Geheimrat gekannt haben, wie er seine Vorlesungen über Michelangelo im Auditorium der Berliner Universität hielt, ein klein wenig schon aus der Zeit gerückt und ehrwürdige Ruine besserer, geistigerer Epoche: Hermann Grimm wurde am 6. Januar 1828 in Kastel als Sohn de» berühmten Germanisten Wilhelm Grimm geboren und starb als Profestor der Kunstgeschichte, der er seit 1872 gewesen war. am 16. Juni 1901 in Berlin . Dazwischen liegt nicht nur sein Leben, da» mit Arbeit und Erfolg bis zum Rande gefüllt war. sondern auch der ganze Ausstieg Deutschlands aus der Armsell'gkeit biedermeierlicher Kleinstaaterei zur Einheit und die ersten, noch längst nicht spürbaren Anfänge des Zerfalls unter den Wirkungen cäsaristischen Machtwahns. Es ist kein Wunder, wenn der Sohn dieser Zeit sich in vorzüglicher Weise als Idealisten fühlte und fühlen durfte. Sein Bater und sein Onkel sind als„Gebrüder Grimm ' durch ihre folkloristtfchen Forschungen, ihr ungeheures Wörterbuch der deutschen Sprache und ihre Märchen- sammlung nicht nur unsterblich, sondern wirklich volkstümlich ge> worden; ein Schicksal, das Gelehrtennaturen äußerst selten deschieden ist und dem Sohn Hermann trotz setner vielen und schönen Bücher nicht eben zuteil wurde. Eine solche Herkunst oerpflichtet freilich; hinzu kommt, daß Hermann Grimm als Ledensgefährttn Gisela v. Arnim heimführte, die Tochter der berühmten Goethe-Schwärmerin Lettina v. Arnim(„Goethes Briefwechsel mit einem Kinde'), und solchergestalt doppell in den Heimatboden deutscher Romantik ver- wurzelt war, durch Vater und Oheim mit Sag«. Geschichte und Kunst der deutschen Bergangenheit, durch die Schwiegermutter Bettina mit den eigentlichen Dichtern der Romantik, mit„Des Knaben Wunder- Horn" und nicht minder mll Weimarer Kultur und Goethe selber. der im drillen Lebensjahr des Knaben Hermann gestorben ist. In- besten sind in Wahrhell die Fäden seines Wirkens zur Romantik schwächer als zu dem Humanitätskreise der Weimarer, mll Goethes Stern als leuchtendem Vorbild. Vergessen wir nicht, daß Väter und Söhne fast unbedingt stets in antithetischem Verhältnis stehen, daß die Erben der romantischen Epoche sich wieder von dem Ideal engerer Vaterlandsliebe lossagten und dem der allgemeinen Hu- manität, der klassischen Weltumfastung zuwandten, wie sie Schiller, Goethe, Humboldt um 1800 gelehrt hatten. Dazu gehörte nicht minder die Berienkung in ein« ferne klassische»chönheit wie die Verherrlichung der großen, wahrhaft richtunggebenden Persönlich- kestcn. Und so sehen wir Hermann Grimm , nachdem er sich aus den wb die Turbinen, die kleinen Dampfer drücken sich seitwärts davon. Am Heck de» Schiffes weh« die neue schwarzweißrote Flagge, auf der man die winzig« Gösch so wundervoll verschwinden lasten kann. Und um die Schornstein« herum hat man die gleichen Farben gelegt, well man das dem deutschen Vaterland«, das sich um die Neu- «rschaffung der Handelsflotte so verdient gemacht hatte, schuldig war. Und wieder taucht der Süllberg auf, und die Elbufer sind er- füllt von>pielenden Kindern und fröhlichen Menschen. Der Dampfer hat helle, luftige Räume, Promenadendecks, Berkaursstraßen, Turn- säle, herrlich« Lauben. Schwimmhallen, und selbst die Maschinenräume sind ungleich angenehmer, als wie die in unserem engen U-Boot. Die Schiffskapelle spielt, der ganze Hotelbetrieb ist an- gekurbelt. Und während der Lärm des Hamburger Hafens verebbt und die Helgen der Wersten im Dunst oerschwinden, steigt vor dem geistigen Auge das kleine U-Boot aus, der Pesthauch in seinem Innern ist wieder da, die Wastersuppen, die groben Worte, die ganze Stimmung de? letzten Krregstage. Hörne rschall ruft zur Mahlzeit. Ueberall höfliche Worte, überall satte Menschen, das Einst versinkt. Man sitzt in den herrlichen Räumen, man plaudert angeregt, und vom Neberttisch her klingt es:„Meine Herren, beim nächsten Krieg...' Junge Menschen, die vom Weltverderben nichts gemerkt'hatten, unterhalten sich über Dinge, deren Kern ihnen fremd blieb. Cuxhaven ist da. Die Ärnenkapassagiere kommen an Bord. Sie werden hier einige Tage der Sorglosigkeit. Tag« der Ruhe oerleben. Sie werden gut aufgehoben sein. Das Schiff ober fährt hinaus in den Ozean, der wieder allen Völkern offensteht. Es fährt ungehindert von Minensperren und Unterseebooten, ungehindert von all den Kriegsmaschinen, die noch vor neun Jahren die Welt zur Hölle machten. Für diese großen Schiffe ist der Friede Daseinsbedingung. der Krieg ihr Untergang. Aber darüber lohnt es sich eigenttich nlchf zu reden, denn das find Binsenwahrheiten, und die werden leider von vielen nicht begriffen... Letzte Station. Von Günther Stern . All«,«a. Pari, verliert, vemutzt. verwirst, von sich gibt, darr einmal noch in der Oberwett Etation machen: vielleicht, daß einer noch kommt und sich erbarmt: den ausgezahnten Kamm, den boden- losen Topf, das zerloppte Modejournal. die Nadel, das Brillengestell. wenn auch für Tage nur, in die Brauchwelt zurückrettet. Die Dinge sind geduldig: und was im Februar an der Place aux puces fror, verregnet noch oft im Oktober und wartet: bis eines Tages plötzlich die Stunde des Gerichts kommt, der Kamm sein« Ziererei, die Brille ihre ausgehölgte Pedanterie verliert, und alles — ein Gemisch von Pappe. Blech, Gedräht— im Massengrab zu- lammenstürzt- Eine Wolke Staub, Kollektivseele der verstorbenen Ding«, verweht in den Vorstadthimmel. Sechshundertundfünfzig Jahre hotte Pari» sich der Dinge er- barmt und ihn. den Sterbehof, den weih Gott welcher Hund„Floh- markt' genannt hatte, mehr geliebt als die protzigen Friedhöfe mit Alleen und berühmten Namen. Wer die UnHeimlichkeit der Welt geliebt hatte. Maler. Dichter und die Unbrauchbaren des Lebens, waren bei diesen Heimallos gewordenen Dingen, die Besitzer und Dorleben vergesten hatten, zu Hause gewesen. Nun ist dem March« aux puces da» Todesurteil gesprochen worden: die letzte Versammlung der Dinge ist aufgelöst: man ha, keine Zeit mehr für den Tod. Nein. Man hat zuviel. Der Platz ist vom Sriegsmimsterrmn bereits aufgekauft: morgen oder übermorgen besinnt der Bau der Artilleriekaserne:.Der Tod ist tot; es leb« der Tod!' Banden der Jurisprudenz gelöst und einige Jahrzehnte nicht eben starker poetischer Produktion überwunden hatte, sich den Größten der klassischen Kunstzeiten zuwenden und in umfänglichen, meist zwei- bi» dreibändigen Werten Michelangelo (1860/63), R a f f o e l (1872), Goethe(1877) und überraschenderweise und wahrhaft originell: Homer (1390/9S, In zwei Länden) biographisch-krstisch behandeln in dem Sinn jener Epoche der �yeldenverehrung', die nach dem vorbilde Carlyle» Weltgeschichte(und Kulturgeschichte selbstverständlich) vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Wirt- samkeit überragender Persönlichkeiten betrachtete. Nietzsche (von dem H. Grimm wohl kaum sehr viel halten konnte), als Extrem des Herrenverehrer», als Schöpfer des„Uebermenschen' und der „Blonden Bestie', und Bismarck , der realistische Tatenmensch selber, waren die höchsten und, im Sinne der Zeit, darum auch typischsten Exemplare der Gattung. Um die Gegenwart hat sich Grimm frei- lich nicht besonders viel gekümmert: sein Sinn war durchaus auf die Vergangenheit gewandt und darin hat er es wieder mit der Ge- sinnung seiner romantischen Vorfahren gehalten. Wie wenig Fühlung er mit der Gegenwart hatte und wie fremd seine Aussastung auch einer lebendigen Zukunft gegenüberstand, beweist die artige Anekdote, die, ob ste auf Wahrheit beruhe oder nicht, in jedem Fall ungemein bezeichnend bltibt für die lebensfremde Kimsterfnstung seiner Zeit: daß er von den Originalen Michelangelos leicht an- gegraut sich abgewendet und sich lieber an die Gipsabgüsse gehalten habe. Ja, der Mensch als fleischgewordene und hondeli�>e Idee seines Zeitgeiste» war ihm alles, das Wert, da» un» heute im Grunde einzig Resultat bedeutet und aufzuwühlen oermag, war ihm und seines- gleichen Nebensache. Sie dachten historisch und Bergangenheit war ihnen real und von handgreiflichem Wert als Uebcrlieferung des Gewesenen. Und so ist e» dezeichnend, daß das Wertvollste und unbedingt über die Zeit Hinauswirtende Werk jener Epoche, das dreibändige schwere Geschichtsbuch Karl Iusti» über W i n ck e l- mann ist: nicht über einen Tatmenschen oder einen Künstler, son- der» über eine durchaus passiv-reproduzierende Gelehrtennatur. Das Leben schien endgüllig in Büchern eingefangen zu sein und gehörte der Bergangenheit an. Der großartige geistige Elan dieser Zell , die Quiniestenz ungeheure? Bemühungen im 19. Jahrhundert, scheint für uns verloren. Wir oermögen sie kritisch zu schätzen, ihr Errungenes nötigt uns Achtung, vielleicht auch Liebe ab; der stumme Heroismus ihrer Ent- sagung, die unerreichte Höhe ihrer Geisteshattung sind uns nicht mehr zugänglich und folglich, leider darf man wohl sagen, keine lebendigen Werte mehr. Das hindert freilich nicht, zu glauben, daß eine künftige Generation jenen, über unseren Materialismus hin- weg. wohl die Hände reichen wird, Dr. P a u l F. S ch m i d t. Hermann Grimm . Zu seinem Hunderisten Geburisiag.
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