Morgenausgabe
Nr. 11 A6
45. Jahrgang
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Sonnabend
7. Januar 1928
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Niedrige Löhne find Diebstahl!"
Sagt der Arbeitsminister der Vereinigten Staaten .
Die Zeiten sind vorbei, wo irgendein Unternehmer als tüchtig oder schlau betrachtet wurde, der die Lohnfäße zu drücken verfuchte." Staatssekretär Davis. Noch nie ist der Politik der niedrigen Löhne von offizieller Seite, und zwar von einem Minister einer hoch bürgerlichen und ausgesprochen fapitalistischen Regierung, ein solcher Schlag versetzt worden wie durch den Jahres bericht des Arbeitsministers der Vereinig ten Staaten, Davis, der schlechte Löhne einfach ,, als Diebstahl am Publikum" bezeichnet. Wir entnehmen den Ausführungen von Davis nachstehende charakteristische Stellen:
,, Lohnherabsetzungen bedeuten schlechte Geschäfts- und Wirtfchaftspolitik, gleichviel ob es sich um allgemeine Lohnherabseßungen oder Lohnkürzungen in einer gegebenen Industrie handelt. Dit wird gesagt, daß die Löhne herabgesetzt werden müssen, wenn wir den Verkauf unserer Güter auf fremden Märkten steigern wollen. Die Antwort lautet, daß wir bei folchen Cohnreduktionen unseren gewinnbringenden Innenmarkt um vieles mehr schwächen als wir die viel unsichereren Gewinne durch Verkauf auf fremden Märkten erhöhen. Die Erfahrung hat felbst dem oberflächlichsten Beobachter die Falschheit zahlreicher der schlechten Wirtschaftspraktiken der Bergangenheit offenbart.
Die Politik der niedrigen Löhne ist am jämmerlichsten zusammengebrochen.
Selbst ein Dummkopf muß dem Wahnsinn der Tötung der Kauftraft des größten Käufers, des Arbeiters, auf dem Innenmarkt einsehen, der teineswegs einen nur geringen Teil unseres nationalen Reich hums und unserer nationalen Wohlfahrt ausmacht. Keine Gegend
des Landes, wo niedrige Löhne üblich sind, ist so wohlhabend wie jene Gebiete, mo hohe Löhne gezahlt werden.
Der Unternehmer, der die Löhne herabjekt, sei es aus egoistischen Gründen, oder weil er denkt, es sei eine gute Geschäftspraxis, ist fein guter Geschäftsmann und arbeitet gegen sich selber. Es mag ihm während einer gewiffen Zeit gelingen, einen niedrigeren Lohn zu zahlen, als für den Lebensunterhalt des Arbeiters nötig ist, er lädt damit jedoch lediglich der Allgemeinheit als Ganzes die Last auf, in Form unbezahlter Rechnungen für Lebensmittel und Kleidungsstücke den Lohn zu tragen, den er selber zahlen sollte. Um es offen zu sagen, er begeht damit einen Diebstahl an der Allgemeinheit.
Dies gilt für die Industrie als Ganzes und für den einzelnen Unternehmer. Die Zeiten sind vorbei, wo irgendein Unternehmer als tüchtig oder schlau betrachtet, wurde, der die Lohnsätze zu drücken versuchte. Ein solcher Unternehmer ist nicht ein tüchtiger Geschäftsmann, fondern ein Parafit an der Allgemeinheit. Die öffentliche Meinung wird ihn zwingen müssen, einen anständigen Lohn zu zahlen oder aus dem Geschäftsleben auszuscheiden.
Wir haben nichts hinzuzufügen. Herr Davis ist der amerikanische Kollege von Herrn Brauns. Es wäre zu wünschen, daß Herr Brauns auch einmal solche volkswirtschaftlichen Selbstverständlichkeiten ausspricht wie Herr Davis. Mögen die deutschen Unternehmer sie dann widerlegen. Wir hoffen aber, daß unsere Arbeiter diese flaren und wahren Erkenntnisse in alle deutschen Schlichter stuben tragen und sie bei jeder Berhandlung jedem deutschen Unternehmer unter die Augen halten.
Der Kampf in der Schwerindustrie.
Die Abwehr der Gewerkschaften.- Brauns will flären.
Zur Klärung der neuen Spannungen in der Schwerindustrie, die durch den Widerstand des Bochumer Bereins und der Deutschen Edelstahlwerte gegen die Durchführung der Arbeitszeitbestimmungen des Schiedsspruchs entstanden find, hat das Reichsarbeitsministerium einen besonderen Vertreter in das Großzeifengebiet Nordwest entsandt. Dieser wird mit den Gewerbeaufsichtsbeamten in Berbindung treten, um vor allem den Tatbestand der Differenzen festzustellen.
Die Aufhebung der einfiweiligen Verfügung des Bochumer Amtsgerichts, wonach die genannten Werke zur Durchführung des Schiedsspruches verpflichtet sind, ist nach der Auffaffung der maßgebenden Stellen„ formaljuristisch einwandfrei". Zunächst sollen die im Tarifvertrag vorgesehenen Schiedsgerichte zur Bereinigung der Differenzen in Aktion treten.
Die Entfendung eines besonderen Vertreters des Reichsarbeitsministeriums in das Großeifengebiet zeigt, daß der geradezu unglaubliche Widerstand der Großzeisenindustriellen gegen die Durch führung des Schiedsspruches eine ernste Situation geschaffen hat. Wird von zuständigen Stellen nicht bald die Sabotage der Schwerindustrie gegen die Durchführung der neuen Arbeitszeitbestimmung unterbunden, dann werden die bereits angekündigten Kampfmaßnahmen der Gewerkschaften rasch wirksam werden. Der Reichsarbeitsminister, der in der Schonung der Schwerindustrie über die Grenze des Möglichen und Erträglichen gegangen ist, erntet jetzt den Dank der Stahlherren.
Die Abwehr der Gewerkschaften.
Bochum , 6. Januar. ( Eigenbericht.)
Der Konflikt in der Bochumer Eisenindustrie hat im Laufe des Freitag eine weitere Ausdehnung erfahren. Auch bei der Eisen- und Hüttenwerke A.-G. Bochum( ehemals Maschinenbau A.-G. Elsah) haben die Walzwerksarbeiter nach achtstündiger Arbeitszeit die Betriebe verlassen. Die Direktion hat mit dem Betriebsrat Verhandlungen über Beginn und Ende der Arbeitszeit eingeleitet, die jedoch bisher zu keiner Berständi
gung geführt haben.
Ju den Deutschen Edelstahlwerken Bochum haben nach Aufforderung der Metallarbeiterverbände die Arbeiter der Walz- und Hammerwerfe um 4 Uhr nachmittags die Arbeit nach 10ftündiger Schichtzeit verlassen. Das Berlaffen der Betriebe erfolgte restlos. Die Nachtschicht ist von den Gewerkschaften aufgefordert worden, gleichfalls nach zehnftündiger Schichtzeit, d. h. morgens 4 Uhr, die Arbeit zu Berlaffen. Es ifl mil größter Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen,
daß auch dieser Aufforderung Folge geleistet wird. Bon der Direktion der Deutschen Edelstahlwerke ist dem Deutschen Metall arbeiterverband angedroht worden, daß man ihn für den entstehenden Schaden haft bar machen werde. Am Freitag nachmittag fand eine Konferenz der Werksdirektoren in Bochum staff, die zu der Arbeitszeitfrage Stellung nahm. Ueber die Beschlüsse dieser Konferenz ist bisher nichts bekannt geworden.
Effen, 6. Januar.
Nach mehrmaligen Berhandlungen zwischen dem Direttorium der Firma Krupp und dem Betriebsrat wurde heute nachmittag eine Einigung erzielt. Die Firma führt ab Montag, den 9. Januar, die im Schiedsspruch vorgesehene Arbeitszeit durch, weshalb alle feitens der Gewerkschaften getroffenen Maßnahmen rückgängig gemacht werden. Die Bertreter des Chriftlichen und des Deutschen Metallarbeiterverbandes erklärten, die beim Arbeitsgericht in Essen anhängig gemachten Klagen zurückzuziehen.
下
Gegensätze im Kabinett Poincaré . Poincarés politische Krankheit.- Meinungsverschiedenheiten mit den Ministern der Linken.
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Landsberger Allee 116.
Der Hanseinsturz- feine tieferen Ursachen und seine Lehren. Bon Dr. Alfred Korach.
Ein schweres Unglück hat die Berliner Bevölkerung heimgesucht. In einer dichtbewohnten Gegend, im südöstlichen Teil des Bezirks Prenzlauer Berg , ist ein Haus eingestürzt, zu mitternächtlicher Stunde, viele Menschen unter sich begrabend. Zu den Todesopfern, die das Unglück gefordert, und den Wunden, die es geschlagen, gesellen sich noch zwei andere Geißeln: die Wohnungsnot, in die zahlreiche Familien über Nacht geraten find, und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich aus der Katastrophe für die geretteten Mitmenschen und ihre Angehörigen ergeben, die mit besten Kräften schnell zu lindern, vornehmste Pflicht der Allgemeinheit ist.
Jeder, der sich die Größe des Unglüds vergegenwärtigt hat, legt sich die Fragen vor: Wie geschah dieses Un= heil? Warum stürzte das große vierstödige Haus, das lange Jahre gestanden hatte, so urplöglich ein? Welches waren die Gründe für die Explosion, die das Gebäude wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen ließen? War die Ursache des Unglüds vermeidbar?
Zunächst hieß es, daß es Ammoniakdämpfe waren, die bei der Explosion die entscheidende Rolle spielten, jetzt scheint sich herauszustellen, daß die zu gewerblichen Lagerräumen führende Gasleitung die Ursache gewesen ist. Bielleicht haben andere chemische Stoffe das Unglück veranlaßt. Kaum aber ein blindes Walten der Natur". Erdbeben pflegen sich in Berlin nicht zu ereignen.
Die Sachverständigen werden an die Arbeit gehen und die Ursache des Unheils zu ergründen versuchen. tiefere Ursache für dieses schredliche Gescheh nis, das so viele hoffnungsvolle Menschenleben dahingerafft hat, ist eine andere. Sie liegt in der weitgehenden allgemeinen Unterbewertung der Menschenökono mie; sie lautet, furz gesagt: mangelhafter Menschenschuh.
Wir haben allerlei gewerbepolizeiliche Vorschriften. Die Errichtung industrieller Unternehmungen in Wohngegenden ist in bestimmten Fällen genehmigungspflichtig. An genügend zahlreichen gefeßlichen und verwaltungstechnischen Bestimmungen dieser Art mangelt es nicht. Woran es aber fehlt im öffentlichen Leben, ist die grundsätzliche Anerkennung und die eiserne Durchführung des Primats der Menschenöfonomie vor der Warenötonomie.
Hunderttausende berufstätiger Menschen sterben viele Jahre, oft Jahrzehnte früher, als es ihrer natürlichen Lebenserwartung ( voraussichtlichen Lebensdauer) entsprochen hätte, weil gesundheitliche Berufsschädigungen ihr frühes Ende herbeiführen: Gifte, gewerblicher Staub und andere Helfer des Gevatters Tod. Die gewerblichen Unglüdsfälle und die nicht minder schlimmen Gewerbefrankheiten find zwei große Kapitel der Tragit im Leben des berufstätigen Bolkes.
Neben den Nachteilen, die der Beruf für Leben und Gesundheit so häufig mit sich bringt, spielen Mängel der Ernährung und in der heutigen 3eit vor allem ohnungsschäden eine überaus verderbliche Rolle. Gewiß ist auch jetzt die Zahl der Leiden, die sich infolge unzureichender oder verkehrter Ernährung bei zahlreichen Menschen einstellen, recht beträchtlich Aber immerhin längst nicht mehr so arg. wie sie die schlimmste Erscheinung auf diesem Gebiete - der Mangel an Nahrungsmitteln zu zeitigen vermag. Man denke nur an die Kriegszeit und erinnere sich, daß die große Mehrzahl aller der Menschen, die sich hinten herum" feine Zusagnahrungsmittel besorgen fonnten, entweder an Hungerödem oder an Tuberkulose gestorben ist, wofür das Absterben der meisten Insassen der Gefängnisse und Irrenhäuser während der Kriegszeit einen ebenso furchtbaren wie schlagenden Beweis geliefert hat. Das Nahrungselend hat demgegenüber für die Frage der Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung jezt nicht mehr eine derart überragende Bedeutung, wie dies in der ,, glorreichen" Kriegs- und Hungerszeit der Fall war.
Paris , 6. Januar. ( Eigenbericht.) Die leichte Neujahrserkrankung Boin carés soll nach einer in hiesigen politischen Kreisen Dagegen erweisen sich die Wohnungsfalamitäten in ihrer verbreiteten Version einen politischen Hinter. Die Konferenz des Minister- Rückwirkung auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung als grund gehabt haben. immer gefährlicher und bedentlicher. Vor allem ist es der präsidenten mit jenen Mitgliedern der Regierung, die Wohnungsmangel, deffen volle Bedeutung sich dem 2ints parteien angehören( Briand , Serriot, Painlevé Auge derer darbietet, die die Stätten des Elends kennen, die und Sarrant ), über die wir seinerzeit berichtet haben, sich nicht scheuen, ihre Augen zu öffnen, wenn das Wohnungssoll zu tiefgehenden Meinungsverschieden elend in seinen Schreckgestalten ihnen entgegenstarrt. Die heiten über das Finanzprogramm der Regierung und Enge des Wohnraums welcher Drud, welche Küm auch schließlich wegen der Vorbereitung der Kammer mernis. welche Klage und Anklage liegt in diesen Worten, wahlen geführt haben. Diese Differenzen sind auch bis- deren Bedeutung derjenige, der Proletarierwohnungen vielher nicht beseitigt worden, und darauf ist es zurück- leicht nur gelegentlich fennen lernt, sich gar nicht zu vergegenUeber hunderttausend Menwärtigen vermag. auführen, daß noch kein Beschluß über die Richtlinienfchen gibt es in Berlin , die tein eigenes Bett befizen, der großen Kammerrede, die Poincaré in der über hunderttausend Menschen.... Spricht diefe eine Zahl Finanzdebatte der Kammer halten soll, gefaßt werden nicht Bände? Bozu noch weitere Statistiken? Warum nod Founte. mehr Begründungen für die Durchsehung der heutigen