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Xr.4S»4S. Jahrgang Sonntag, S. Januar �S2S

In de» Zeiten, wo das Quecksilber sich bemüht, unter Null zu bleiben, ist wohl jeder bestrebt, so schnell wie möglich die ungastlichen Straßen zu verlassen. Alles eilt morgens und abends zu den Haltestellen der.Verkehrsmittel' und wird schon ungeduldig, wenn die Bahn oder der Autobus nicht bald in Erscheinung treten. Möglichst weit versucht jeder in das Wageninnere zu ge­langen. um sich vor der Kälte in Sicherheit zu bringen. Steh­plätze auf den Plattformen sind zu dieser Jahreszeit nicht be- gehrt. Nur wenige machen sich jedoch Gedanken darüber, wie schwer den Verkehrsangestellten zu dieser Zeit der Dienst fällt. Die nach- folgenden Ausschnitte aus dem Leben der Deriehrsbcdiensteten dürften bei keinem den Drang erwecken, selbst diesen Beruf zu «rgreiseu. Fangen wir beim Stnaßenbahnführer an: Oer Straßenbahner. In den strengen Dintermonoten ist er schon zu besonder» frühem Ausstehen gevöllgt. Wer einmal Gelegenheit gehabt hat, eincu Strußenbahnsührer bei seiner.Morgentoilette' zu beobachten. muß den Eindruck gewonnen baben, daß sich dieser Mann für eine Nordpolrekse rüstet. Die Ehefrau bei Ledigen die Schlummermutter muß auf eine halbe Stunde ihr warmes Bett verlassen, um beim Anziehen behilflich zu sein. Da es zur Anschaffung extra dicken wollenen Unterzeuges fast niemals reicht. mird das dünnere Unterzeug in doppelter Auslage angezogen. Di« Füße werden ganz besonders präpariert. Sie erhalten erst einmal eine Umhüllung von Seiden, oder Zeitungspapier, dann kommen die Strümpfe, und schließlich gibt es noch«in paar Fußlappen, und dann geht's hinein in die gefüttert«» und mit dicken Holzsohlen versehenen.Langschäfter', die genau wie die Fausthandschuh« nicht etwa von der Straßen- bahn geliefert werden! lieber Weste, Uirterzieh- und Strick- sacke kommt der Uniformrock, und min ist's mit der Beweglichkeit aus. Den schiocren schafswollenen Fahrpelz kam» sich der Mann nicht mehr selbst anziehen, dabei muß jen»and helfen. Muß der erste Wagen vom Hof gefahren werden, und läuft noch kein Mannschasts-- wagen, bleibt ihm weiter nichts übrig, als den oft sehr iveiten Weg zum Straßenbahnhof zu Fuß zu machen. In dieser Au»- rüstung schon eine wenig angenehmeM o rg e n a rb e i t'! Die turnusmäßig laufenden Wagen find heut« fast ausnahtnslos verglast, mos ohne Zweifel für die Fahrer von großem Borteil ist urrd von ihnen aiuh als eine bedeuteirde Verbesserung m? erkannt wird. Trotzdem wird der von der Seitenlür herkommende Wiicktzug an den Füßen und am Unterkörper noch stark verspürt. Es wäre daher von der Direktion der Straßenbahn unverantwort­lich, wenn sie den Fahrern, wie es ihre Absicht fein soll, die.Fahr- pelze entziehen will, weil in Zntnnst nur noch verglaste wagen

lausen sollen. Erkrankungen infolge der Witterung seinslüsse würden dann bestimmt viel h ä u s i g e r sein als heute. Für die Fahrer, von denen die noch tur»ius»»»äßig laufenden offenen Wogen oder die in den Zeiten des starken Verkehrs in den Betrieb kommenden E-Wagen gefahren werden, ist der Dienst währeich der strengen Kälte unbeschreiblich anstrengend. Der schneidende Wind macht die Augen tränen und die Gesichtshaut zum Bersten ange­spannt. Wenn dieser Mann nach beendetem Dienst nach Hause konuirt, sind seine Finger trotz der dicken Handschuhe so steif ge­froren, daß er allein nicht einen Knopf aufmachen kann. Die Bartträger müssen ihre oereiste männliche Zierde erst über der Kochmaschine austauen, und die Kinder fürchten sich vor diesem Kälte ausstrahlenden Weihnachtsmann. Daß der Mann vom Führer- stand nach Feierabend nicht nur geistig abgespannt ist. sondern sich auch körperlich»vie zerschlagen fühlt, kann man sich leicht erklären, wenn man sich vor Augen führt, welche Kleiderlast er etwa zehn Stunden lang am Tage mit sich herumtragen muß. Oer Schaffner. Der Straßenbahnschafsner ist»vohl nicht s« dem direkten Zuge ausgesetzt, wie der Fahrer, auch niM bei offenem Wagen, ober auf eine andere Art seine Plage. Er bekorilml für die Winterzeit nichts von der Straßenbahn geliefert. Nur solche Leute, die irgendein KoPfleiden haben und infolgedessen ihren Kopf

vor Kälte schützen müssen, erhalten auf eine Bescheinigung des Ver­trauensarztes hin eine Krimmermütze geliefert,»vie sie die Fahrer bekommen. Es ist Vorschrift, daß sie sich nicht unnötig im Wageninnern aufhalten und vor allem auch das Abfahrts- f i g n a l»mm Hinterperron geben müssen. Gegen das Frieren des Körpers kann sich der Schaffner durch rvarmes Unterzeug schützen,. auch gibt es für sie niedrige gefütterte C ch n a l l e n ft i e f e l mit' Holzsohlen zu kaufen, die nicht so schwer sind wie die Stiefel der Fahrer. Sie behindern daher nicht beim Gehen. Was aber gegen. die Källe nicht zu schützen ist. sind die Finger. Handschuhe be­hindern die schnelle Ausgabe der Fahrscheine und das Geldwechseln. Während der verkehrsschwache Zeiten, die aber selten und dann- auch nur sehr kurz sind, können die Schaffner ihre Hände in den Manteltaschen roännen. In den Zeiten der Hochflut des V e r- k e h r s aber, wo der Schaffner durch das Wageninnere nicht zur Vordertür gelangen kann und abwechfelnd vom Hinter- zum Vorder- perron eilt, kommt der Körper wohl in Schweiß, während die Finger beinahe vor Kälte erstarre». Mühsam nur kann der Schaffner mit den zitternden Fingern die Fahrscheine lochst». Rot und blau sind die Hände, die im Wechselgeld heniimvuhlen müssen. Nur nicht ein Geldstück den klammen Fingern entgleiten lassen oder anstatt eines Fahrscheines zwei verabfalgen. denn das geht ja a u si Kosten seines Lohnes! Dazwischen muß auch bei den ein- zelnen Fahrabschnitten der Fohrscheinbestand in den Fahr- zettel eingetragen werden, den die Kontrolle jederzeit in Orb- nung vorfinden niuß. Es ist kein Wunder, daß die EiMrögungen in die Fahrzettel auf Schönschrift keinen Anspruch erheben können. Dos- hasterlde Publikum wirft wohl böse Blicke auf die Tür, voenn sie einmal einige Sekunden aufbleibt, macht sich aber selten Ge- danken darüber, wie dem Schaffner wohl der Diensi schmecken mag. Auf dem Autobus. Und nun erst der Schaffner auf dem Autobus! Bei den- modernen Wagen mit seitlichem Einstieg und windgeschütztem Ober- deck geht es noch leidlich an. Mit offenartiger Geschwindigkeit mutz der Schaffner befonders in den verkehrsstarken Morgen- und Ab-erw stunden seinen Dienst versehen. Saum ist er aus dem verdeck an­gelangt. um zu kassieren, so ist auch schon die uächlle Haltestelle wieder da. Er muß schnell nach_imlcn eilen, um das Abfahrts sigual zu geben oder den Stürmern aus diese Sardiitenbüchie pflichtgemäß dasBesetzt' entgegeirrufen. Einen Wagen mit osseuem Verdeck zu versehen, das ist die»linste Marler! In der lustigen Höhe mit den gefühllosen Fingern noch Fahrscheine richtig zu lochen und richtig abzutrennen, ist schon die reinste Kunstfertig keit. Der Berus des Autobuxschassners ist wohl der unangenehmste von allen Berufen im Berliner Verkehrsgewerbe. Die E häuf- f e u r« erhallen eine Pelzjacke geliefert und sind dadurch gegen den von der Seite eintretendeu Wind geschützt. Ihre Füße, sowie über- baupt der ganze Unterkörper werden von der Kalle nicht in W' lerdenschast gezogen, da der Motor reichlich Wärme spendet. Oie Sperrenschaffner der Hochbahn. Zu erwähnen bleiben»roch die Sperrenschaffner bei der Hochdahn. Hier liefert die Direktion sogenannte Eisenbahner- st i e f e l, so daß man wemgstens beim Dienst warm« Füße bebält. Wenn auch die Sperrenschaffner in ihrem.Häuschen gegen Zug einigermaßen geschützt sind, so sst doch während der strengen kälte das stuitdenlange Sitzen aus einem Fleck eine Qual. Der Sperren- schaffner bei der Hochbahn kann aber wenigstens Fingerhand- schuhe tragen, da er nicht so komplizierte Lochungen auf den Fahrkarten vorzunehmen braucht, wie sein Kollege vom Autobus oder von der Straßenbahn. * 5 sia Man sieht also, daß der Beruf aller dieser Menschen m r h r Schatten- als Lichtseiten hat. Wenn sich das liebe fah- rende Publikum nur einmal einige Minuten der Mühe unterzieh«! wollte, die Sch-weoe dieser Berufe zu erkennen, würde es bestimmt öfter etwas rücksichtsvoller gegenüber diesen Leuten sein. Nach diesen Berufen würde sich sicher kein Mensch drängen, w«m nicht der Kampf um die E x i st« n z zwingen würde, Arbeit anzunehmen, wo sie sich findet. Neid erwecken, kann der Bsru-f eines Verkehrsangestellten, besonders in der Winterzeit, ganz be- st i m m t n l ch t.-

�Zeruent. »on Ffodvr©UxMom.

Hub als er die Tür öffnete, blendeten ihn die roten Flecken der Fahnen und Streifen: Die Wände flamniten und die Zlufschriften flogen wie weiße Vögel. Und überall auf den Fenstern, in den Ecken, waren wie Feuertropfen Bergblumen verteilt. Und die Kinder es waren ihrer viele, so viele wie Blumen waren alle in Trikots und die Arme und Deine waren nackt bei den Burschen und den Mädchen. Und die Mädchen konnte man nur an den roten Tüchern und den schwellenden Brüsten erkennen. Rechen. Figuren, rhythmische Bewegungen.... Eins-zwei-drei-vier.' »Sie flochten sich durcheinander, in Schlingen, Bündeln, komplizierten Ketten. Eins-zmei-drei-vier. Sergeil sah von der Tür aus diese Musik der Dewegun- en und irgendwo, nah in der Gegend des Herzens, klopfte ein Blut in Wellen. Eins-zwei-drei-vier."' Sie verwirrten sich, zerdrückten einander und brachen in Lachen aus., ... Sergej blieb an der Tür stehen, lehnte sich an den Pfosten weiter konnte er nicht gehen: der Tisch hinter den tJiülen Köpfen und Schultern und die drei Köpfe scheinen unerreichbar weit, und diese Menschenmasie in den Spiegeln und die sich vielfach widerspiegelnden Kronleuchter waren unerträglich grell und unheimlich. Polja stand vor dem TZsch, wie ein kleines Mädchen, ohne das gewohnte Kopftuch, mit goldenen Locken, und ihre Stimme überschlug sich, zitterte, schrie vor Schmerz. .. und das kann ich nicht überleben, weil ich es nicht verftchen kann, keine Rechtfertigung finde.... Wir haben zerstört, gelitten.... Ein Meer von Blut und Hunger.... Und plötzlich auf einmal... ist es auferstanden, hat zu schreien begonnen.... lind ich weih nicht, was eigentlich Zllpdruck ist: die Jahre des Kampfes. Leidens. Blutes, der Opfer oder diese Bacchanalien der fetten Auslagen und trunkenen Caf6s?... Wozu waren die Berge von Leichen notwendig? Doch nicht dazu, um die Arbeiterhatten, das Elend, das Aussterben noch schrecklicher zu gestalten?... Doch nicht dazu, damit Berbrecher und Gennirm wieder all« da» flttatt genieße» fregen, plündern und

hetzen? Das kann ich nicht anerkennen und ich kann nicht so leben.... Wir haben gekämpft, gelitten, sind gestorben, um uns schmählich kreuzigen zu lasten.... Wozu?' Und finden Sie nicht, Genossin, daß diese Ihre Lyrik jener linken Kinderei ähnlich sieht, von der Genoste Lenin erst vor kurzem gesprochen hat?' Die Stimme des erstarrten Menschen ist ruhig, streng, ohne Betonung, und die Aufschreie Mjechowas hören sich daneben wie ein Schluchzen an. Und die Masse der ge- krümmten Schultern und staubigen Nacken stöhnte, ächzte, kroch nach vorne und war unruhig. «Sie find Leiterin der Frauengruppe, der Frauen- organisation und sprechen vor den Arbeitern und vor ihren Frauen so unbedachte, widerspruchsvolle Sachen, das taugt nichts, Genossin.' Bon der Ferne sah man, wie Poljas Lippen zitterten und die Augen tief in die Höhlen unter den Brauen stürzten und von Tränen strahlten. Und als sie durch die Reihen mit trunkenen Schritten, ohne Ziel und Notwendigkeit ging, sahen die Menschen sie düster und unfreundlich an und wandten lange ihre Blicke nicht von ihr. Einige drängten sich vor zu ihr und flüsterten keuchend:.. ja, so ist es. Genossin... ganz so.... Warum?... Der arbeitende Mensch... und so»md anders... der arbeitende Mensch der bekommt einen Dreck.... Prügeln müßte man dies Gesindel nach allen Noten.' Wer hat etwas über die Genossin Mjechowa zu sagen?' Und alle stöhnten auf einmal, lärmten durcheinander, winkten mit den Händen zum Tisch hin, zueinander. Was zum Teufel!... Warum!... Das ist richtig!' Genosten von der Kommission, also muß man solche Genosten mit Fußtritten... Wenn es seil» muß, so muß es eben sein.... Das ist die neue Politik.... Nur müßte den Arbeitern dasselbe zukommen.... Das sollte man unbedingt hineinschreiben." Ruhe! Ist hier ein Stall, Genosten?' Genvsten! Das ist wahr... die kleine Frau hat über all die Ungerechtigkeit gut gesprochen.' Und ich möchte betonen. Genosten von der Kommission. daß die Lockige da ein Siebenmonatskind ist... daß wir alle noch nicht dem Kommunismus gewachsen sind... und solche Weiblein sollte man vor allem hinausjagen... und solche Fräuleincheu auch.' Und als diese Welle von Schreien sich gelegt hatte und die Rücken und Nacken sich beruhigten, bemerkte Sergeis, daß Glseb vor dem Tisch stand und da» hagere Kommission»- Mitglied mit dem trübe» Blicke eine» betäubte» Tieres ansah.

Er bückte sich zu ihm, wollte etwas sagen, bewegte die Lippen. aber dieser hob seinen Kopf nicht und war unbeweglich Tvie ein Toter. Dascha stand vor dem Tisch und verfolgte angestrengt, aufmerksam Mjechowa mit erschrockenen, leidenden Augen. Sergeis folgte Polja in den Gang, sie ging mit raschen, unsicheren Schritten, ging zur Tür, zum Ausgang, und ihr nach rückwärts geworfener Kopf wackelte wie losgeschraubt auf ihren Schultern wie bei einer Blinden . Er rief sie schüchtern, und seine Stimme tönte dumpf in der nächtlichen Leere des Ganges . Sie sah sich nicht um und fiel im raschen Anlauf mit dem ganzen Körper auf die schwere Türe. Er stellte sich wieder an die Saaltüre und hörte zum ersten Male den erstarrten Menschen laut, mit junger Stimme aufschreien. Ja, das oerstehe ich!... Das ist ein Parteimitglied! ... Das ist ein wirklicher Arbeiter und Parteimann!... Unsere Partei kann stolz auf solche Genossen sein. Gehen Sie, Genossin Tschumalowa... ich wünsche Ihnen alles Gute." Und Sergen sah, wie der hagere Mann sich vom Stuhl erhob und Daschas Hand schüttelte. 3. Ein Nichts im All. Sergeis saß in seinem kleinen Zimmerchen im Sowjet- hause bis zur Morgendämmerung vor seinem Lämpchen und las Lenins Materialismus und Empiriokritizismus ". Sorgfältig unterstrich er ganze Absotze mit dem zernagten Bleistift und machte unleserliche, schief und quer geschriebene Bemerkungen an den Rändern. Er stand auf und ging im Zimmer auf und ab, quer vom Tisch in die Ecke, zum Waschtisch, über einen verstaubten, zerrissenen Läufer, und strich in tiefer Nachdenklichkeit mit seiner Hand über seine glänzende Glatze. Er dachte nach und konnte seinen Ge- danken keine Form geben. Tief innen, in der Herzgegend, ballte sich ein qualvoller Schmerz zusammen, qualvoll bis zum lauten Stöhnen. Und deutlich und laut sagte er immer wieder in diesem tiefen Schweigen ein und dasselbe zu sich: Das Prinzip der Energetik widerspricht gar nicht dein dialektischen Materialismus, weil die Materie und die Energie verschiedene Formen desselben Prozestes des kosmischen Systems sind. Alles liegt in der Methode und nicht in den Worten.... Die Dialektik ist energetisch.... Die Form der wechselseitigen Beziehungen der Elemente der Weltmaterie sind gesetzmäßig und unendlich._... In der Formel:Materie und Energie" ist nur das Wörtchenund" bestreitbar. Es ist statisch und verlangt nach einer dialektischen Stellungnahme... Uebrlgens muß man darüber nach- denken.... Muß analysieren.' (Fortsetzung folgt.)