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Albendausgabe

Rr. 14

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23ent

45. Jahrgang

70 fennig, manotli 3- Reidsmart, im voraus zahibaz Winter Streifband im Sn und Anse land 5.50 Reichsmart pro Monet *

Der Borwärts mit ber Eustries ten Sonntagsheilage Boll und Seit fowie den Beilagen Unterhalbing uub Biffen. Aus der Filmmelt, Stadtbeilage Frauenstimme Der Kinderfreund Jugend- Bor warts Blid in bie Büdermelt", Kulturarbeit umb

erjcheint wochentäglich

Techni weimal,

Sonntags und Montags einmal

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Montag 9. Januar 1928

10 Pfennig

Ute eta patatge Ronpareillegit 80 Pfennig. Reflamezetle 5- Reichs mart Kleine Anzeigen" das fettge brudte Wort 25 Bfennig( zulässig zwe rettgedruckte Borte), tedes weitere Bor 12 Bfenntg. Stellengesuche das erits Wort 15 Bfennig, jedes meitere Wort 10 Pfennig Borte über 15 Buchstaben sählen für zwei Borte Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen. annahme im Hauptgeschäft Linden Straße 3. mochentagl von 81%, bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands

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Otto Stolten

Aus Hamburg fommt die Trauerkunde, baß Genoffe Dito

Wieder eine Explosionskatastrophe

Stolten am Sonntag furz vor Bollendung feines 75. Lebens Teil einer Grunewaldvilla in die Luft gesprengt.- Unverantwortliche Experimente

jahres gestorben ist. Diese Nachricht raft eine Generation ham­burgischer und Parteigeschichte in Erinnerung.

Otto Stolten war am 4. April 1853 als Gohn eines fleinen Schloffermeisters im engen Gängeviertel der Hamburger Neustadt geboren. Eine breitlaffige Schule gewährte ihm das Beste an Schul bildung, das ihrem Blane entsprach. Eigenes Streben vervollfomm nete diefes Schulwiffen zu einer selbst in den besten Arbeiterfreifen ungewöhnlichen Höhe. Als er 1868 die Schule verließ, fam er in die Schlosserwerkstatt als Lehrling. Eine Reihe von Gesellen und Banderjahren schloß sich der mühevollen Lehrlingszeit an.

Sie

führten ihn über Bremen , Köln , Frankfurt , München , durch Desters führten ihn über Bremen , Köln , Frankfurt , München , durch Dester reich und schließlich nach Dresden . Hier wurde er Mitglied des Arbeiterbildungsvereins und der Sozialdemokratischen Partei Eife­nacher Richtung und beteiligte sich in den 70er Jahren dort lebhaft in der gewerkschaftlichen und politischen Bewegung.

Als das Schandgefeß über die deutsche Sozialbenpfratie verhängt wurde, war Stolten wieder in seiner hanseatischen Heimat. Er arbeitete als Schloffer und Maschinenbauer in verschiedenen größeren Fabriken Hamburgs und widmete seine schmale Freizeit ber Arbeiterbewegung, soweit fie durch das Sozialistengesetz noch möglich war. Gelegentlich schrieb er eine Berichte für die von Johannes Webde gegründete Bürgerzeitung". 1885 nahm Bedde den jungen Schloffer ols dauernden Berichterstatter für die Hamburger Bürgerschaft, das Parlement des Stabi­faates, an. Diele Tätigkeit verrichtete Stolten zunächst nebenamtlich. Er blieb weiter am Schraubftod und ging nur Mittwoch abends in die Bürgerschaft, um über bie Berhandlungen dieses erflusiven Ba­trigierparlaments Berichte zu schreiben.

Als dann über Hamburg und die benachbarten Gebiete der Be fagerungszuftand verhängt, Bedde aus diesem Belagerungsgebiete ausgewiesen und die Bürgerzeitung verboten wurde, sprang Stolten ein und führte mit dem Genossen Gustav Stengele zusammen die Redaktion des Hamburger Echo", das an Stelle der Bürger­zeltung" trat, mit großer Umsicht und scharfem Berftande weiter. Aus diesem sozialistengefeglichen Blatt, das der verfolgungsfüchtigen Bolizei manches Schnippchen schlug, ist unter Stoltens Führung eines der größten und angesehenften Organe der deutschen Sozial­demokratie geworden. Fast 32 Jahre hat Stolten an der Spitze der ,, Echo- Redaktion geftanden. Es hat lange gedauert, bis es den Hamburger Genoffen gelang, in das durch vielfache Drahtverhaue gesicherte Privilegienparlament einsudringen. Endlich war im Jahre 1901 aber auch hier Bresche geschlagen. Trozben der Erwerb des Bürgerrechts" noch immer an die Bedingung geknüpft war, daß der wahlberechtigte Bürger mindestens 5 Jahre hinter einander ein jährliches Einkommen von 1200 mt. verfteuert hätte, führte die intensive Agitation ber Bartel unter Leitung Stoltens doch dahin, daß größere Scharen von Arbeitermählern fich das Bahlrecht zur Bürgerschaft sicherten. Am 15. Februar 1901 murde der erfie Sozialdemokrat in die Bürgerschaft gewählt. Er hieß Otto Stolten ! Seit seiner jugendlichen Berichterstattertätigkeit hatte er das Interesse an der Bürgerschaft und an der besonderen hamburgischen Bolitik niemals aufgegeben. Daß er als erster fozialdemokratischer Bertreter ins Rathaus ein­30g, war ein Zufall, aber auch ein besonderer Glüdsfall für die Be­wegung. Drei Jahre blieb er der einzige Vertreter der Partei in dem Spießerparlament. Erft 1904 betom er Unterstügung, als weitere zwölf Sozialdemokraten gewählt wurden. Otto Stolten murde der Fraktionsvorsitzende und ist es geblieben, bis er im Jahre 1913 nach Bebels Tobe auch in den Reichstag gemählt wurde. Bis zum Jahre 1924 hat er den Wahlkreis Hamburg im Reichstag und in der Nationalversammlung vertreten.

Die Revolution brachte selbstverständlich auch für Hamburg bas reue allgemeine Wohlrecht und nunmehr schien es foft eine Selbst nerständlichkeit, daß Otto Stolten in den Senat und inner halb dieses als Bertreter der Sozialdemokratie zimm 3 weiten Bürgermeister gewählt murde. Bis nor furzem hat er dieses, gerabe in der llebergangszeit schwere Amt mit seiner großen Gach fenntnis und trog feines Alters mit jugendlicher Elastizität aus gefüllt.

Die Hamburger Genossen im befonderen, aber auch die ganze Sozialdemokratie Deutschlands fäßen die große Arbeitskraft und bie liebenswürdige Art des nunmehr Berstorbenen. Sie betrauern aufs tiefste den Berlust, den dieser stille unb both to bedeutende Mann burch seinen Led ihnen bereitet. Sein Andenten wird über die Gegenwart hinaus bis in ferne Zeiten in der sozialistischen Be: wegung einen Ehrenplatz behalten.

*

Der Barteivorstand fandte an die Hamburger Genoffen ein Beileidstelegramm, in dem es heißt:

In tiefer Trauer steht die deutsche Sozialbemotratie an der Bahre Dtio Stoltens, der als Borfämpfer der hamburgischen Arbeiterbewegung in der Organisation und der Presse, der Bürger. fchaft, als Bebels Radjobjer im Reichstage und als Bürgermeister allezeit feinen Mann stand.

Der Parteinorſtand Dito Bels.

mit Sprengstoffen.- 2 Tote, 8 Berletzte.

T

fafionsbetrieb eingerichtet, in dem neben allen möglichen Heiltees und fonftigen Apothekerwaren auch sogenanntes Alarmmaterial für die Reichsbahn, und zwar vor allem knallfapfeln und Magnesium­fadeln hergestellt wurden. Der eigentliche Laboratoriumsbetrieb war im vorderen Teil der Billa untergebracht, während in den hinteren Kellerräumen, und zwar anschließend an die Portiermoh und Stammer Versuche anstellten, und zwar anscheinend weniger nung ein Experimentierraum eingerichtet war, in dem Weingärtner mit harmlosen Apotheferwaren, als vielmehr mit gefährlichen Sprengstoffen und ähnlichen leichterplosiven Chemifalien.

In der Landsberger Allee decken die Trümmer| Weingärtner u. Co., Kommanditgesellschaft" einen chemischen Fabri­des eingestürzten Hauses noch den Boden und schon wieder durcheilt die Kunde von einer neuen Explo. flonskatastrophe die Weltstadt. Diesmal handelt es fich um in einem Wohnhause unverantwort: Itches Experimentieren mit Spreng und den ganzen Seitenflügel in die Luft sprengten. toffen, die blöklich zur Entzündung gelangten Zwei Menschen, der Chemiker, der das Unglück wahrscheinlich verschuldet hat und eine Haus: angestellte fanden dabei den Tod. Es wird vor allem Sache der Aufsichtsbehörde sein, festzustellen, wie ein so gefährlicher Betrieb in cinem Hause unter gebracht werden durfte, das mehreren Menschen zur Wohnung dient.

Die Sprengstoffvilla.

Unmittelbar am Rande des Grunewalds, in der Bart str. 40/42 in Dahlem , befizt der ehemalige Generalfonjul Robert Bein gärtner feit mehreren Jahren eine große 3weistödige Billa , die früher einem Professor Dr. Julius Blande gehörte. Das weit läufige Hans, ein rötlicher Backsteinbau, irunitten eines zum Teil noch mit Kiefern bestandenen Gartens, zu dem an drei Seiten große Terrassen herausgebaut find, wurde bewohnt, non Generalkonsul Beingärtner und feiner Frau Erifa, gebarene Stammer, nebst der 16jährigen Tochter Edith Weingärtner, ferner von dem Schwager des Besizers, dem Chemiler Willy Stammer, feiner Ehefrau und seinen beiden Kindern, der vierjährigen Gerda und dem zwölfjährigen Helmuth. Ferner hatte auch der frühere und dem zwölfjährigen Helmuth. Ferner hatte auch der frühere Befizer, Professor Blande, in der Billa noch sein eigenes Zimmer. Im Dachgeschoß wohnte die Köchin und zwei Hausmädchen, ferner Im Dachgeschoß wohnte die Köchin und zmei Hausmädchen, ferner in einer Kellermahnung unterhalb eines Seitenflügels der Portier in einer Kellerwohnung unterhalb eines Seitenflügels der Portier mag Deter mit seiner Ehefrau Emilie und seinen drei Töchtern Baula, Anni und Hildegard im Alter von 17 bis 21 Jahren. In dem Berbindungsteil zwischen dem Seitenflügel und der Garage war noch ein Dienerzimmer, wo der Hausdiener Walter Meindl wohnte. Die Chauffeurwohnung über der Garage war unbewohnt, da der Wagen, eine Protos- Limousine, zurzeit unbenutzt in der Garage stand. Der Seitenflügel des Hauses, der an der Ostseite nach dem Garten zu ebenfalls zweiftödig angebaut war, enthielt in der obersten Etage das Zimmer des Professors Blande, darunter bie Küche und im Souterrain die Portierwohnung und weitere Keller­räume. Im rechten Winkel dazu waren in halber Höhe das Diener­zimmer und anschließend die Garage mit der Chauffeur­mohnung angebaut. In ben Kellerräumen, und zwar fomohl unter der eigentlichen Billa felbft wie unter dem Anbau hatten nun Weingartner und Stammer unter der Firma Chemische Werte

Der Hergang des Unglücks.

Am gestrigen Sonntag morgen waren die Familien Wein gäriner und Stammer noch in ihren Schlafzimmern, mährend in der Küche die Köchin Frieda Muschert mit den beiden Hausmädchen Anna Bertanda und Margarete Schönfeld beim Früh stüd saßen. Der Portier Mar Deter, ein 62jähriger pensio­nierter Bollfefretär, bebiente wie gewöhnlich die im Keller gelegene Bentralheizungsanlage. Kurz nach 9 Uhr fam aus dem oberen Stockwerk Herr Stammer, ein Mann in den vierziger Jahren, herunter, ging zunächst in den Garten, wo er die Hühner in ihrem Stall fütterte, und begab sich dann durch den Garteinein. gang in das Souterrain, in den Experimentierraum. Da er öfters direkt vom Schlafzimmer in sein Laboratorium ging, jo erregte es auch am geftrigen Sonntag im Hause nicht das geringste Aufsehen, daß er sich, während oben no alles in Ruhe lag, wieder in den Experimentierraum begab. Wenige Minuten später, furz vor 10 Uhr, gab es plötzlich eine furze, aber furchtbare Detonation im Keller. 3m nächfien Augenblid brach mit ungeheurem Getöse der darüber befindliche zweistödige Anbau der Villa und auch die Garage in fich zufammen, während in der Villa selbst alle Schelben in Trümmer gingen. Einrichtungsgegenstände, Bilder und Ge­schirr stürzten un. Ein Steinhagel prasselte Hunderte von Metern weit über den Garten und die in der Nähe gelegenen Billengrund­stüde. Eine riesige Staub- und Rauchwolfe ftleg aus dem Trüm­merbaufen auf, den die Anbauten der Billa bildeten, und aus dem gellende Hilferufe der darunter begrabenen Menschen schollen. Im ersten Moment lag über der ganzen Umgebung unter dem Eindruck der, furchtbaren Detonation panishes Entfeßen. Dann eilte man von den benachbarten Grundstücken und aus dem im übrigen un­versehrt gebliebenen Weingärtnerschen Hause zur Hilfe herbei, wäh rend gleichzeitig die Feuerwehr alarmiert wurde. In wenigen Mi­nuten raffelten insgesamt acht Löschzüge unter Führung des Ober­branddirektors Gempp heran, während der Direktor des Rettungs­amts Sanitätsrat Dr. Frant eine Kolonne von Rettungswagen heranführte.

( Weiteres fiehe in der Beilage.)

Prozeß Tresckow zweite Auflage.

Bergleichsverhandlungen unter Ausschluß der Oeffentlichkeit!- Rettet Marg!

Heute morgen hat der Prozeß v. Trescom Badicke in zweiter Instanz begonnen in zweiter Instanz begonnen unter solchen Formen, daß die politische Bebeutung ganz flar hervortrat. Das Gericht bemüht fich unter Ausschluß der Deffentlichkeit einen Ber­gleich zustande zu bringen. Es ist Politit, was das Gericht augenblidlich betreibt: dem Reichsfanzler und bem Reich sinnenminister foll Beinliches erspart bleiben.

Herr Marg hat Herrn von Tresdow Bertrauens. bruch vorgeworfen. Er hat diesen Vorwurf trotz des Urteils Nun soll der ersten Instanz nicht zurückgenommen. D. Tresdow breitgeschlagen werden. Daher: Vergleichs­verhandlungen unter Ausschluß der Deffentlichkeit.

Man fann auch sagen: völlige Politisierung des Gerichts.

Das Gericht verhandelt augenblicklich hinter per schlossenen Türen über Dinge, die in der ersten Instanz in aller Deffentlichteit behandelt worden sind! Die Deffentlichkeit ist ausgefchloffen-wegen Gefährdung der Staatssicherheit!

Heute morgen begann die Berufungsverhandlung in ber Sache v. Tresdom- Babide. Die erfte Instanz hatte den Major v. Batide wegen Beleidigung zu 500 Mr. Geldstrafe verurteilt. In der Be­gründung hieß es s. a. die Beweisaufnahme hätte festgestellt, baß

die Behauptung des Angeklagten, v. Tresdom habe sich einen Ber­trauensbruch und eine Schädigung der Landesver­teibigung zuschulden tommen loffen, nicht ermeisbar sei.

Den Borfiß führie Landgerichtsrat Paulus; ihm zur Seite fizzen die Schöffen. In der ersten Instanz wurde die Entscheidung von Einzelrichter gefällt. Zahlreiche Zeugen sind erschienen. Auch mifi­tärische Sachverständige find zur Stelle. Reichsinnen­minister Reubell sollte telephonisch herbeigerufen werden. Die Breffe ist volständig vertreten.

Der Verfuch des Borsigenben, einen Bergleich herbeigu führen, wird von dem Beklagten, Major Badide von vornherein abgeschnitten: Die Bresse fei über ihn in einer unerhörten Beise hergefallen und habe ihm Butschabsichten unterschoben, die Ge­richtsverhandlung müsse ihm die Möglichkeit geben, den wirklichen Sachverhalt darzustellen; er halte feine Behauptungen v. Tresdow

gegenüber aufrecht.

Nach Verlesung des Urteils der ersten Instanz stellt Justizrat Hahn als Vertreter des Beklagten den Antrag, den Chef des Stabes vom Reichswehrtommando III, Hammer­stein und den major v. Brebom als Sachverständige darüber zu bernehmen, daß das Interesse des Grenzschutes den einzelnen gewiffe Berpflichtungen zum Schweigen auf erlegt habe, unb baß v. Tresdom diefen Berpflichtungen nicht nach­gefommen fet.

Seditsanmalt& une widerspricht für den Kläger v. Tresdow biefem Antroge; follte ihm jedoch stattgegeben werden, so beantrage