Dienstag
10. Januar 1928
Unterhaltung und Wissen
Der Wächter.
Bon Gösta Zörneqvist.
Aus dem Schwedischen von Age Avenstrup und Elifabeth Treitet.
Er hatte mich gefragt, ob er mich zu einem leichten Frühstück einladen dürfte, mein Freund, der Direktor Winkler. Er hatte Glüd, und wir saßen im Speisesaal des eben renovierten Restaurants Bum Fliegeradmiral".
Ein Kellner fam und meldete:
,, Der Mann, den Herr Direktor Winkler bestellt hat, wartet Draußen."
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,, Willst du mir den Gefallen tun und ihn dir auch ansehen? Ich möchte gern dein Urteil hören," sagte Direktor Winkler zu mir.
Im Bestibül stand ein riesenhafter Mann, dessen Umfang fabelhafte Körperkräfte verriet, und dessen Gesichtszüge auf einen bis zur Didföpfigkeit unbeugsamen Charakter deuteten.
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,, Wenn du mein Urteil nach flüchtigem Ansehen hören willst," fagte ich zu Direktor Winkler ,,, jo möchte ich diesem Gentleman nicht im Dunklen begegnen. Im Hellen übrigens auch nicht."
,, Er sieht gut aus," sagte der Direttor, und dann zu dem starten Mann:
Romunen Sie mit auf die Straße, Herr Komaret."
Er zeigte auf ein großes, elegantes Auto und fagte: .Herr Komaret, Sie müssen auf diesen Bagen aufpassen, bis ich wiederfonume. Es fann eine, vielleicht auch zwei Stunden dauern. Aber auch wenn es, fünf Stunden dauern sollte, müssen Sie aufpajfen, daß niemand den Wagen wegnimmt. Können Sie das?" „ Na, wenn es weiter nichts ist!" sagte Herr Komaret. ,, Seien Sie nicht so flcher, jetzt, wo die Diebe am hellichten Tage mit Bomben und Nebelgas arbeiten. Da holen sie auch ein Auto bald weg.
,, Seien Sie unbesorgt, Herr Direftor, folange ich hier stehe, tommi niemand dem Auto zu nahe."
Wir gingen wieder in den Speisesaal.
,, Wollen fehen, ob er was taugt," sagte ber Direttor. Ich habe es schon mit fieben anderen versucht. Reiner war zu brauchen." Eigentlich lächerlich, dachte ich, so leicht stiehlt boch fein Dieb ein
Auto am hellichten Tage von der Straße weg.
Bier Minuten später trat ein fetter, aber feiner Herr aus etnem Hause in der Nähe und ging auf das Auto zu. Er legte bie Hand auf die Tür und wollte in den Wagen steigen.
,, Nanu? Was denn?! Was soll das heißen?!" groffte Herrn Romarets Rellerbaß hinter ihm.
Wie? Was das heißen soll? Ich habe Ste nicht angesprochen!" jagte der Meine, aber fette Herr von unten herauf, öffnete die Tür and jetzte den einen Fuß aufs Trittbrett.
Da legte sich Herrn Romarets schwere Hand auf den Rüden bes fetten fleinen Herrn, worauf dieser eine fleine Ellipse beschrieb und auf der Bordschwelle, ein paar Meter entfernt, landete.
,, Machen Sie, daß Sie nach House tommen, verstehen Sie, und faffen Sie das Auto nicht an, verstehen Sie!"
,, Sie find mohl verrüdi! fagte der fleine Herr. Bollen Ste mich verhindern, mein eigenes Vuto zu besteigen?"
Sände meg! Kommen Sie mir nicht mit so mas! Das sagen The alle!"
Bas? Soll ich die Polizei rufen?"
Die tönnen Sie ruhig rufen, Herr! Hier bin 1 Boflzel! Berstehen Sie!"
Jetzt wurde der Meine fette Herr blaß, denn er hatte feinen Führerschein nicht bei sich. Und da fein Heimatsort zehn Meilen entfernt lag, tonnte er nicht im Handumdrehen nach Hause gehen und ihn holen. Fuchsteufelswild ging er fort, ohne daß ihn Herr Romaret noch mal zu heben brauchte.
All das jahen der Direktor und ich. Da fiehst du!" sagte der Direttor.
Tatsächlich, aber wann hast du dir eigentlich ein Auto zugelegt?" „ Ich? Ich habe doch gar kein Auto. Ich habe feine Ahnung, mem dieser Wagen gehört. Aber ich brauche einen ganz zuverlässigen Menschen als Wächter für meinen Obstgarten. Komaret ist gut, so foll man sein. Nicht viel reden. Nur aufpassen. Wenn einer so gut auf ein Auto aufpaßt, daß nicht mal der Befizer herankann, dann eignet er fich für meinen Garten."
Jeht weiß ich allerdings nicht, ob ich Direttor Winkler in der Obstzeit zu besuchen mage. Ich wiege noch weniger als der fleine Dide.
Provotation. 10211
Bon Fred Frig.
Unterm Bülowbogen. Am Aufgang zur Hochbahn. Dort stehe ich und zähle Geld. Mit beiden Händen halte ich das geöffnete Bortemonnaie. Es ist voll Silbergeld. Jeder, der vorübergeht, läßt für eine Gefunde seinen Blick darauf ruhn. Und drei Burschen, die in meiner Nähe stehen, fönnen das verlodende Klimpern der Silberstücke hören. Die drei Burschen sind schlecht angezogen, Ichlecht ernährt, mißmutig Arbeitslose. Dem einen sicht der„ Arbeitsmartt" aus der Jackettasche; das ist das Blatt, das täglich so viel Stellen anpreist, von dener taum eine einen Mann ernährt.
Ich zähle das Geld. Mit zufriedenem Gesicht sehe ich auf meinen blinkenden Schat. Etmas Giftiges steigt in mir hoch: es wird mir zum Genuß, den Dreien da zu zeigen. daß ich Geld habe, Geld zählen und mit Geld flimpern kann. Das Portemonnaie halte ich in der rechten Hand, während die Finger der linken mit den Silberstücken spielen, die so verlockend flimpern. Da plötzlich springt einer der Burschen an mich heran, greift nach dem Bortemonnaie das Geld springt silbern und flingend über dem Handgemenge und rennt davon ohne das Portemonnaie. Das hatte ich fest in meinen Händen, die Fingernägel find ins Leber getrallt. Auf dem Boden liegt das Geld: silbern und lockend, glänzend im Schmug. Man hilft es mir aufsammeln. Ich erhalte alles wieder zurüd. Nicht eine Mart haben die Burschen mitnehmen fönnen. Mein Schrecken, meine Erstarrung und der auf dem Fahrdamm vorüber. braufende Berkehr, in deffen Brandung sie gestürzt sind, haben sie entlommen laffen.
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Ein großer Kreis aufgeregter Leute ist um mich herum. Warum ich den Burschen nicht nachgelaufen bin, werde ich gefragt.„ Ach, das find Arbeitslose," lage ich.
Strolde waren es!" jagt ein Herr und geht weiter. Straßenräuber" quieft eine Dame ihm zustimmend nach. Renn schon," meint eine Nutte für sich. Das ist das legte, was ich päre. Der Krets föst sich auf. Jemand hat einen Sipo geholt. Der naht. Da verschwinde auch ich. Und spude aus. Bor mir felbft
Y
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Jef meeß: dir is der fange Quatsch zuwider von wesen Huldtjung" und Jubilar. Doch dent id: eenmal alle ftebzich Jahr und denn nie wieder!
Bloss hab td ntscht Reefles uffzuwarten als det, womit dn selbst mal fratuliert:
die scheenste der von dir femalenen Rarten... jowat passtert.
So feh vor mir denn, fleene Zille- Jöhre, zu Meester Heinrich nach Charlottenburgh, nud stehuse da schon an in Frack und Röhre, drang teß dir durch!
Na, Lieschen, sage uff nur deinen Wunsch. mach eenen scheenen Knicks vor Oufel Zille, und mit dein Händchen,- steht er setuen Flansch, mach fille- fille!
Sach: Outel Zille! Wenn dir soch vahimmelt als froße Mode jeg die Hant- voll- Flöh, du bleibst bei uns, wo die Tapete fchimmelt, in dein Milljöh.
Wat is schon bet die feinen Pinfels los? Nur Hornbrillochsen und Aesthetenfuall! da flehlste dir doch unbehachlich bloß Wia find dein Sall
Wia find dir nich Modell bloß und Objekt", mia find dein Leben, fillen dein Jemüte, und sacht wer: 3ille, der hat euch entdeckt", nich in de Tüte!
nte in be
$ 18049
Er hat mit uns jelebt die janze Zeit, det povre Dasein mitjemacht von frühe. Und det er uns da schließlich fonterfeit, is flar wie Brühe.
Doch davon habt ihr Bessern teenen Dunst, die stets drei Schritt vom Leibe uns jeblieben. Det is der tiefe Sinn von seine Kunst: er fann uns lieben.
Jewis, manch andrer, der hat ooth wat los, doch vor uns arme Leute flänzt er ferne.
122 ggy Beilage
des Vorwärts
Beim Schufter Kolomat.
Bon Dr. Julian Marcuse.
Ich glaube nicht, daß es schale Neugierde war, die mich trieb, der Einladung von Genossen Faust zu einem Besuch im Hause Kolomat jüngst Folge zu leisten. Um Leben und Schicksal von Mutter und Kind hatte sich soviel Trug und Berklärung gesponnen, daß es der Mühe mert schien, eine persönliche Begegnung zu suchen.
Bremens bürgerliche Stadtteile atmen altväterliche Tradition ,. die Abgeschlossenheit der eng aneinander gelehnten Einfamilienhäuser, in deren strenge Zucht selbst die Wohnungsnot kaum einen Einriß getan hat, beherrscht die Straßenlinie, Vorgärten, Treppenaufgänge und blumengeschmückte Spiegelscheiben sind Insignien bodenständiger Befizfreude. Nur in der Kontrestarpe, dem Blutotratenviertel, stößt man auf mehrstöckige, den Gleichton durchbrechende Bauten. Was fie an Bodenfläche sich einzeln erzwungen, das teilen in unmittel barster Nähe noch Dutzende fleiner, armseliger Proletarierhäuser untereinander.
In solch einem Gäßlein, Kleine Meintenstraße be nannt, Hausnummer 3, wohnt der Schuster Kolomat. Sein Einfamilienhaus" zeigt unter einem dürftigen Anstrich das übliche Bild: Zweifensterfront im Erdgeschoß, einen Manjardengiebel, der Eingangstür gegenüber die Werkstätte, in der Tag und Nacht des betriebsamen Handwerkers Hände Sohlen und Abfäße neu herrichten. Der biedere Schuhmacher ist eine Alltagserscheinung, hinter der abgemußten Hornbrille bliden ein paar gutmütige Augen hervor. Erziehungsprobleme liegen ihm sicherlich weit ferner als die tunftgerechte Herstellung zerrissenen Schuhwerks. Als fleißiger Are. beiter zog er fich seine Kundschaft aus den kleinen Leuten der Umgebung heran, mit dem Aufstieg in die Sensation des Tages tamen die vornehmen Herrschaften aus der Kontrestarpe, und heute, wo alles verblaßt ist, sind es wieder die rindsledernen Arbeiterstiefel, die genäht und geflickt werden müssen. Die fremden Besucher lassen ihn mur furze Zeit die Arbeit unterbrechen, in dem sauber gehaltenen fleinen Wohnzimmer mit seinen alten Plüschmöbeln, einer über dem Sofa hängenden großen Photographie der verstorbenen Lisbeth und einer überraschenden Zahl von Lauten und Gitarren, ermarten wir Frau Kolomat.
Eine schlichte Frau von ungezwungener Bewegung, flar bliden. den und sinnenden Augen, tritt zu uns. Die ihr wegen mangelnder Obhut in der Aufzucht ihres Kindes im ersten Urteil zudiftierte acht Monate Gefängnis haben das Wesen der Frau und Mutter nicht zu verändern vermocht. Ruhig und ernst spricht sie von dem Heimgang ihres Kindes, von der aufrichtigen Liebe, mit der sie es umfchloß, von der vielleicht zu meiten Nachsicht, die sie walten ließ und die ihr manchmal die Augen trübte, von dem unwiderstchbaren Drang, das Geschehene und Erlebte in ein Tagebuch zu fleiden. So eng vermob sie sich mit dem Schicksal ihres Kindes, daß dessen Erlebnisse und Leidenswege zu eigenen Gestaltungen wurden. Auf diesem seelischen Miterleben erstand das vielverschlungene, zum öffentlichen Aegernis der Bremer Gesellschaft und damit zum Ber hängnis der Verfasserin werdende Buch„ Vom Leben getötet".
Die schüßende Hand, die ursprünglich die katholische Kirche über Mutter und Autorin hielt, ist längst gesunken, der Verlag Herder in Freiburg und die Herausgeberin des Buches, die Oberin des Ursulinertlofters Hafelünne, verweigern jede weitere Auslieferung desfelben, es ist im Buchhandel nicht mehr zu haben. Dieses Dokument mit seinem gellenden Aufschrei gegen verrottete Gesellschaftsauffassungen und einrichtungen, mit feinem tiefen Weh um die Tragit eines vielverheißenden, dahingeopferten Geschöpfes soll eingeftampft werden, well der Widerhall, den es gefunden, nicht mehr in die undurchsichtigen Zwecke paßte, die mit seiner Herausgabe verfolgt wurden. Demgegenüber muß von öffentlicher Warte aus verlangt werden, daß dieses vom Berlag und der Herausgeberin auf den Inder gesetzte Tagebuch der Verfasserin zur freien Verfügung. zurüdgegeben wird. Möge dieser Ruf aufrüttelnd wirken.
Die Mutter Kolomat fämpft um das Andenken ihres Kindes un um ihre eigene mütterlich Ehre, deren Beflectung mit dem Delift der Kuppelei einen trüben Schatten auf sie geworfen hat. Um ihre wirtschaftliche Existenz und Position aber zu fämpfen, bazı reichen die Kräfte dieser Frau nicht aus, hier müssen wir einspringen, die in dem Buch Imag mun Dichtung und Wahrheit in ihm verknüpft fein ein Spiegelbild der Zeit und damit einen Borwurf zum Kampfe gegen Pharifäertum und Feigenblattmoral erblicken.
Neue Rundfunkmufit?
In England werden zurzeit Versuche angestellt, die die a tu sti fche Wirkung der Musikinstrumente auf das Mitro phon zum Gegenstand haben. Beteiligt find dabei die englischen Rundfunkgesellschaften und einige Musitfachverständige, darunter ein Jazzsinfonifer. Die Notwendigkeit derartiger Untersuchungen ist leicht einzusehen, wenn man die Schwierigkeiten fennt, unter denen mufitalische Darbietungen, besonders aber Orchestertonzerte, zustande. fommen. In den Jahren seit Bestehen des Rundfunks find die Ver fuche über die günstigste Schallwirtung im Aufnahmeraum noch nicht zum Abschluß gekommen; es hat sich ein bedeutender Wandel in ihrer Ausgestaltung vollzogen. Während man früher starte Polste rung an Wänden und Decke anwandte, geht man jezt zur Holz. täfelung über. Außerdem benutzt man furze Stoffbehänge an der Decke, die nach Bedarf gezogen oder zur Seite geschoben werden fönnen; so wird die akustische Wirkung in feinen Grenzen beein. flußt. Gegenstand vieler Proben ist ständig die Verteilung der Instrumente im Raum. Ihre Wirkung auf das Mikrophon läßt sich nicht vorher berechnen, sondern nur durch den Versuch finden. So muß ihre Entfernung vom Mikrophon, ebenso thre Lage in Beziehung zueinander forgfältig erprobt werden. Alle Fragen find hier noch nicht gelöst. Namentlich die Uebertragung von Konzerten großer Orchester gestaltet fich noch recht schwierig. Die Fülle der Instrumente fommt taum zur Geltung, so daß viele Feinheiten der Musik verloren gehen. Die Uebertragung von Konzerten, die im Freien stattfinden, gelingt, wo es sich eben um große Orchester handelt, gegenwärtig beffer als die aus Aufnahmeräumen. In Eng land will man jetzt diese und ähnliche Fragen genau untersuchen. Jedes Instrument wird in bezug auf seine Wiedergabe durch das Mikrophon geprüft. Wie man feststellen fonnte, wird der Klang verschiedener Instrumente mehr oder weniger ſtarf verändert über. tragen; der Klang wirft nicht mehr genau getreu der eigentlichen Färbung des Instrumentes. Man prüft, ob man der naturgetreuen Wiedergabe dadurch näherkommen fann, daß man für die start entstellten Instrumente andere einsetzt; in der Tat ist es gelungen, den Klang einer Trommel naturwahr zu erzeugen, wenn man statt der Trommel ein Cello bemußte. In dieser Richtung sollen noch weitere Untersuchungen vorgenommen werden. Bielleicht wird man dazu gelangen, das Orchester, das im Rundfunkt spielen soll, ganz anders zusammenzusetzen, als wir es fonit gewöhnt sind. Man beschäftigte fich ferner mit einigen neuartigen Mufifinstrumenten, wie dem Spielophon und dem Mariambaphon, und erwog ihre Einführung in das Rundfunforchester. Endgültige Ergebnisse hierüber liegen noch nicht vor. Ein Musikfachverständiger glaubte auf Grund der
Der blieb een schlichter Kerl, det macht ihn froß. Untersuchungen voraussagen zu können, es werde in Zukunft für den Rundfunt nach befonderen Grundfäßen tomponiert werden Den ham wa jerue!" müssen, weil die Zusammensehung der Orchester eine ganz andere jein merbe,
Erig Ratinez.