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45. Jahrgang

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Vorwärts

Berliner   Bolesblatt

Dienstag

10. Januar 1928

10 Pfennig

Die eta pelatge Ronpareillezetts 80 Blennig. Refiamezetle 5.- Retrys mart Kleine Anzeigen" das fettye druckte Bort 25 Pfennig( zuläffig get fettgedruckte Borte), jedes weitere Worl 12 Blennig. Stellengefudhe das erite Wort 15 Brennig, tebes weitere Bort 10 Pfennig orte über 15 Buchstaben zählen für zwet Worte Arbeitsmart Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zelle 40 Pfennig. Anzeigen annahme im Hauptgeschäft Linden. Straße 3, wochentagl von 8 bis 17 Uhr

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Berlag: Berlin   SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dinhoff 292-297. Telegramm- Abr.: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Feierschichten und Leberstunden.

Die Ruhrindustriellen suchen einen Konflikt.

Bochum  , 10. Januar.  ( Eigenbericht.) Nachdem der Arbeitszeitkonflikt in der Metallindustrie, nordwest. liche Gruppe, im allgemeinen als beigelegt bezeichnet werden

tann, fcheinen neue Arbeitszeitfchwierigteiten im Ruhrbergbau bevorzustehen.

Berfchiedene Zechenverwaltungen, u. a. die zu der Ber­einigten Stahlwerte 2.-G. gehörigen im Dortmunder  Revier gelegenen Zechen Minister Stein   und Scharnhorst find an die Betriebsräte mit dem Ersuchen herangetreten, fich ein­verstanden zu erklären, daß auf Grund des§ 3 der Arbeitszeitverord nung vom 16. Juli 1927, nach der es den Unternehmern überlassen ift, erforderlichenfalls bis zu 30 Tagen im Jahr zwei Ueberstunden verfahren zu laffen, Weberarbeit angeordnet wird. 3 wel­mal in der Woche soll eine vierte Schicht( zwei Stunden mehr) verfahren werden.

Die Bergarbeiterverbände vertreten die Auffassung, daß zurzeit teinerlei Notwendigkeit für Weberarbeit im Berg­bau bestehe. Sie verweisen bei der Begründung dieses Standpunktes auf die Feierfchichten im Bergbau und auf die immerhin noch relativ hohe 3ahl der Erwerbslosen im Ruhrrevier.

Der Deutsche   Bergarbeiterverband hat die Belegschaften ange­wielen, das Leberarbeitverlangen der Zechenverwaltungen abzu­lehnen, da weder eine gefehliche noch eine vertragliche Verpflich tung zu diefer Ueberarbeitsleiffung vorliege. Es bleibt abzuwarten, ob fid), aus der Weigerung der Bergarbeiterorganisationen, Ueber­standen verfahren zu lassen, komplikationen ergeben werden.

Man hat bel dem völlig halflosen Anfinnen den Verwaltungen der den Schwerindustriellen gehörenden Zechen den Eindruck, als fuchten die Industriellen einen Konflikt geradezu bei den Haaren her­beizuziehen, nachdem ihr Anschlag in der Großeifenindustrie selbst mißlungen ift.

Freispruch im Tresckow   Prozeß.

Ein politisches Tendenzurteil.

Heute mittag follte das Urteil im Brozez Iresdow. Bac dicke verkündet werden. Noch nor der Berfündung wurde befannt, daß die gestrige Abendsigung einen ganz unerwarteten Abschluß gefunden hatte. Obgleich der Beschluß, die Deffentlichkeit auszuschließen, allein auf die Plädoyers Bezug nahm, wurden außerdem

unter Ausschluß der Deffentlichkeit die Zeugen Bornemann, Mahraun und v. Bredow vernommen.

Diese unerwartete Bernehmung hatte zur Folge, daß Rechtsanwalt Kunz Wiedereintritt in die Bemeisaufnahme beantragte und eine Reihe Beweisanträge stellte.

Im ersten Antrag beantragt Dr. Kuntz die Bernehmung von Staatssekretär Weißmann und Ministerialdirektor Abegg darüber, daß im Jahre 1925/26 im preußischen Innenministerium wiederholt Meldungen eingegangen find, daß im Kreise Königsberg  ( Reumark) Butschabfichten bestanden haben, daß ferner im Inland und Ausland längst bekannt sei, daß damals solche Formationen be­standen haben.

Ferner soll ein Komtur des Jungdeutschen Ordens   darüber ge­hört werden, daß dieser Komtur alles, mas n. Iresdom dem Generalleutnant D. Salzenberg mitgeteilt hat, bereits längst von dem Vorgesetzten des Majors Badide, dem General   a. D. Teschner, erfahren habe.

Der dritte Antrag nimmt Bezug auf die gestern vom Sa hver ständigen v. Hammerstein aufgestellte Behauptung, daß zwi­schen den politischen Vereinigungen und dem Reichswehrminifterium überhaupt keine Verbindungen bestanden hätten. Der Führer des Werwolfs Kloppe, des Stahlhelms Geldte und des Reichsbanners Hörfing sollen darüber gehört werden, daß

1000

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Landesverrat.

Der Fall Zeltin", die Landesverteidigung" und die drohende Kriegsgefahr"..

Bon Polizeioberst a. D. Schühinger.

Die Berhaftung des ehemaligen Rittmeisters 3eltin auf Veranlassung des Oberreichsanwalts in Ham­ burg   hat erfreulicherweise die Diskussion über die geradezu ungeheuerliche Spruchpraris des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Landesverrats und dem drohenden, gemeingefährlichen Ausbau" des Landesverrats­paragraphen im neuen Strafgesetzbuch in Fluß gebracht.

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Diesen Fall Zeltin" fenne ich zufällig aus meiner amt­lichen Tätigkeit recht gut, da sich Rittmeister Zeltin im Som­mer 1923 um den Eintritt in die sächsische Landespolizei bewarb.

3eltin ist der Typ des durch den militärischen Zu­sammenbruch aus der Bahn geworfenen Offiziers, dem die Rückkehr in einen bürgerlichen Beruf wie Behntausenden von anderen Berufsfoldaten nicht so leicht mehr gelang. Ein etmas abenteuerlicher Mensch, der in den baltischen Nach­friegsmirren eine militärische Existenz zu erringen hoffte und dann als lettischer Truppenfommandeur durch allerlei Um­stände, an denen er sicherlich ganz unschuldig war, in Gefechts­handlung mit den baltischen Weißgardisten geriet.

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Seitdem ist Zeltin alias Goldfeld" wie ihn der Fridericus" nennt, eine in ,, nationalen" Kreisen bestgehaßte Persönlichkeit! Jeder Auffazz, jedes Interview des weit­gereiften, betriebsamen Soldaten wurde in der Rechtspresse mit einem Trommelfeuer von Berleumdungen und Schimpfe reien quitfiert, so daß sich jeder politisch Geschulte fagen mußte: Hallo- hier soll ein politisch mißliebiger Offizier, der offensichtlich aus der Reihe der Weißgardisten und Konter­berühmten Mustern ,, umgelegt" werden.

dieser Bernehmung wegen Gefährdung der Staatssicherheit die revolutionäre getanzt ist, systematisch infamiert und nach Deffentlichkeit auszuschließen.

Die Berichterstatter verlassen den Saal.

Nach dem Abschluß dieser Bernehmungen wurde die Deffentlich feit wieder hergestellt. Rechtsanwalt Dr. Kunh trägt nunmehr feine Bemetsanträge mündlich vor.

Freispruch!

Um 3 1hr verkündet das Gericht das Urteil. Das Urteil der ersten Justanz wird aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Privatkläger. auferlegt.

Reichsbannerkamerad ermordet.

Von einem angetrunkenen Landwirt.

Osnabrüd, 10. Januar.

In dem Dorfe Wulften   geriet das Mitglied des Reichs banners, Infang, in politische Meinungsverschiedenheiten mit dem Landwirt Beute. Die beiden befanden sich gemeinsam auf dem Heimwege und diskutierten sehr lebhaft über politische Fragen, wobei der angetrunkene Beute in immer größere Erregung geriet. Als die beiden vor der Wohnung des Landwirts Beute angekommen waren, lief Beute in das Haus, nahm eine Jagdflinte von der Wand und schoß hinter Unlang her. Eine Schrotladung traf Unlang so unglücklich, daß er tot zusammenbrach. Der Landwirt Beute wurde verhaftet.

Als die Herausforderung des Hamburger Großlaufmanns Carlos Schmidt zum Beleidigungsprozeß vor einem Hant burger Gericht schmählich mißlingt, bringt man schwereres Geschüß in Stellung und attackiert den verhaßten Offizier über Reichswehrministerium und den Oberreichsanwalt hin weg. Zeltin babe heißt es im Dienste der lettischen Regierung während des offenen Kriegszustandes gegen Deutschland   gefämpft und dadurch den Tatbestand des voll­endeten Landesverrats erfüllt!

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Selbst wenn es wahr sein sollte, daß die lettische Regie­rung, als ihr unter der Kriegsbeute der geschlagenen Avaloff­Bermondt- Armee zahlreiches deutsches Kriegsmaterial in die Hände fiel, in der ersten Empörung darüber eine Verordnung erließ, daß sie sich nunmehr als im Kriegszustand mit Deutsch­ land   betrachte, so weiß doch jedes politische Kind, daß dieser fogenannte Kriegszustand" niemals effettiv geworden ist und daß die Reichsregierung nachträglich jegliche Gemeinschaft mit dem Baltikumabenteurern abgelehnt hat.

Troßdem dieses Untersuchungsverfahren und dieser Haftbefehl!

Nur wer die Zusammenhänge beim Entstehungsprozeß eines derartigen ,, Landesverratsverfahren" tennt, weiß, wie eine derartige Tollheit möglich ist!

zwischen den vaterländischen Verbänden und Bereinigungen und Vertragsverlängerung Rom  - Belgrad  . mittlungsverfahrens ein

dem Reichswehrministerium ständige Fühlung unterhalten worden sei.

General Seedt und Major Kummer p. Sped follen als Zeugen dafür geladen werden, daß Generalleutnant v. Salzenberg entgegen der Behauptung des Sachverständigen des Reichswehr  ministeriums v. Hammerstein tatsächlich der Bertrauensmann des Jungdeutschen Ordens   im Reichswehrministerium gewesen sei.

In seinem letzten Antrag fordert Rechtsanwalt Kung, daß die Bernehmung der Zeugen Bornemann, Mahraun   und bes Obersten   v. Bredow, die gestern in nichtöffentlich er Sigung statt gefunden hat, heute in öffentlicher Sigung wiederholt werde.

Um% 1 Uhr wurde die heutige Sigung eröffnet. Die Ber­treter des Beklagten   Majors Badide fehlen. Rechtsanwalt un wiederholt mündlich seinen Antrag, die Zeugen v. Bredow Bornemann und Mahraun   in öffentlicher Sigung zu ver nehmen. Die Strafprozeßordnung schreibe ganz bestimmte Bedin­gungen vor, unter denen der Ausschluß der Deffentlichkeit vor­genommen werden kann. In diesem Falle habe sich der entsprechende Beschluß des Gerichts allein auf die Blädoyers bezogen. Rechtsanwalt Kunz erklärt sich mit einer Bertagung einver­standen, da die Vertreter des Beklagten nicht zur Stelle sind.

Der Borsigende hält jedoch eine Bertagung für überflüffig. Er zieht sich auch nicht zu einer Beschlußfaffung mit den Schöffen zurüd, sondern verkündet sofort, nachdem er sich nach links und nach rechts zu feinen Schöffen gemandt hat, den Beschluß des Gerichts, die ge­nannten brei Zeugen noch einmal zu vernehmen, doch während

Zeitgewinn für neue Berhandlungen.

Wien  , 10. Januar  .( Eigenbericht.) Die Frist zur Kündigung des Freundschaftsvertrages zwischen Südslawien   und Italien   ist um sechs Monate verlängert worden. Der Vertrag, der am 27. Januar ablaufen sollte, hat seine Rechtsfraft bis zum 27. Juli behalten. In diplomatischen Kreisen wird angenommen, dah in der Zwischenzeit neue Verhandlungen zum Zwede einer endgültigen Verständigung zwischen hen

beiden Staaten vorbereitet werden.

Mussolinis Waffen für Unruheftifter. Französische   Mitteilung über Transporte nach Bayern  .

Paris  , 10. Januar  .( Eigenbericht.) Bie die Bolontée" mitteilt, haben italienische Waffenfabriken unter stillschweigender Duldung Mussolinis schon in den ganzen legten Jahren Waffen an alle Unruhestifter in Mitteleuropa   ge Ilefert. Im Dezember 1925 fei auch einmal ein Transport von elf Waggons fleinfalibriger Geschütze und Maschinengewehre in Rosen­Baggons fleinfalibriger Geschütze und Maschinengewehre in Rosen heim in Bayern   entdeckt worden. Die Lieferungen, die als Fleischtonserven deflariert waren, feien für die rechtsradi­falen banerischen Geheimverbände bestimmt gewefen. Sie feien ohne Aufhebens wieder über die Grenze zurüd geschafft morben.

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Die Anzeige" megen Landesverrats" erfolgt bekannt­lich immer von irgendeiner aus irgendeiner, vater­ländischen" Clique vorgeschobenen Person. Der in Frage kommende Genat des Reichsgerichts benötigt nun zunächst meistens vor Einleitung des Er­ein Gutachten", das ihm die Rechtsabteilung" des Reichswehrministeriums liefert hier aber liegt der Schlüssel zum politischen Miß­brauch des Landesverratsparagraphen! Unter der Masfe der militärischen Sachfenntnis wird DON diefer Stelle aus jedes irgendwie juristisch vertretbare angebliche Landesverratsdelift zum Hoch und Staatsver brechen aufgebläht Herr Dr. Geßler ging ja sogar someit, den Senatspräsidenten am preußischen Kammergericht, Dr. Freymuth, wegen öffentlicher Brandmartung der schwarzen Reichswehr   beim Kammergerichtspräsidenten und mich selbst wegen eines Auffages, der die Umbildung der Heeresleitung" im Rahmen des Reichswehrministeriums forderte, bei der fächsischen Staatsregierung des Landes­Derrats" zu beschuldigen und ziemlich unverblümt die Dienst­entlaffung zu fordern!

Diefe Landesverratspragis des Reichs­wehrministeriums hat sich in den letzten Jahren zu einer das politische Leben derart vergiftenden Einrichtung ausgewachsenen. daß es sich immerhin lohnt, mit der militär­technischen Seite dieser Justizmisere quseinander­zulegen. Im Jahre 1913 gab es 18 wegen ,, Landesverrats" rechtsfräftig verurteilte Bersonen, im Jahre 1926 dagegen 5231 hier fcheint also auf dem Gebiet der deutschen Rechtsnot" eine Spezialpflanze gezüchtet zu werden, die eine gründliche technische Durchleuchtung verdient!

Was gab es ihm Jahre 1913 zu ,, perraten"? mancherlei: Aufmarschpläne, Mobilmadjungsorders, Grenz­schußmaßnahmen, Festungspläne, Großfaliber, Flugzeug­