Nr. 26» 46. Jahrgang*1* Sonntag, �S. Januar 1�92»
J.
«SS
�«
Auch heute m>ch. im Zeitalter tortschrittlichster Aufklärung, gibt es Menscken. die sich nur mit allengröhter Mühe oder überhaupt nicht bewegen lassen, in Krankheitsfällen den Arzt zu holen. Diel lieber versuchen sie es mit„bewährten" chausmittelchen, mit Salben und Pillen, die ihnen irgendeine hilfsbereite Nachbarin zugesteckt hat. oder sie vertrauen sich einem Kurpfuscher oder Gesundbeter an, der ihnen wohl ihr Geld, nicht aber chre Krankheit abnimmt. ZMefer Scheu und Abneigung vor Arzt und Krankenhaus liegt nicht nur'die Erfahrung zugrunde, daß sich auch der geschulteste Mediziner einmal irren kann, dah in Ausnahniefällen trotz bester und rechtzeitiger ärztlicher chilfe eine Krankheit ungünstig verlausen ist. Ausschlaggebend für dies« Einstellung sind vielmehr gefühlsmäßige Hemmungen, der Hang nach dem Unerklärlichen, dem Geheimnisvollen, da? so ganz dem Wesen der Krankheit zu entsprechen scheint, denn auch sie gelangt nach der Ansicht des Laien nicht unter bestimmten Voraussetzungen,, sondern aus unerklärlich«, unbekannte Weise in den Körper des Menschen. Als Strafleiden, später als Prüfung, die van Gott geschickt sei, um die Menschen zu bessern, betrachtete die Bibel das Heer der Seuchen und Krankheiten, denen die Menschheit damals noch nahezu wehrlos ausgeliefert war. Es ist nur zu verständlich, daß in jener Zeit, als man von einer systematischen Vorbeugung und Behandlung »och keine Ahnung hatte, Hand in Hand mit diesen christlichen Deutungsversuchen der primitivste Dämonenglaube der Vorzeit sich breitmachte. Nach den Erzählungen der Evangelien stand auch lVsus noch aus diesem Standpunkt der Urzeit. Leider wirkte seine Art der Behandlung eines„Besessenen"— er trieb die in ihm ivohnenden Dämonen in eine Herde Schweine— noch Jahrhunderte bindurch als Vorbild auf Gesundbeter, auf„Besprecher" und Heil- kundige oller Art. Das ganz Mittelalter hindurch war diese Art der Heilungsoersuche y* gegeben«, die von der Kirche nicht nur geduldet. sondern durchaus gebilligt und gefördert wurde, lind wenn heute der heilkundige Schäfer und die kräuterkundige Alte auch glücklicher- weise etwas seltener als früher zu finden sind, so fchwings die Tradition der Jahrtausende, Krankheit bedeute das Werk unheim- licher Dämonen, trotz aller'Äi-stlärungsnrb«t in der Seele llnzähligsr weiter, denen das kritische Vermögen nicht gegeben ist, dagegen o'zukäinpien: aber sie wirkt leider auch im Unterbewußtsein manches Gebildet«» weiter, der volkskundlich nicht genügend geschult ist, um diel? Reste der Vergangenheit ihrem Wesen und ihrer Entstehung nach begreifen und sie dadurch in sich selbst beseitigen zu können. Die Kunst des �Zauberers". Als der Meiäch von der Medizin als Wissenschaft noch nichts wußte, als auch Kräuter und Pll'e», die er. mit den primitivsten Mitteln verfertigte, nur ein winziges Gegengewicht gegen die surcht- l-are Macht der Krankheit bildete, da blühte die geheimnisvolle Kunst des Zauberers, die Kraft der Beschwörung. In der Literatur aller Völker der Erde finden sich Zaubersprüche und Leschwärungssormeln. mit denen der Heilkundige, aber auch der Kranke selbst, wenn ihm die Formel bekannt war, den Kamps gegen diesen furchtbaren Feind der Menschheit aufzunehmen versuchte.„Steh still. Blut," heißt es
in einer alten Formel, die der verwundete Krieger anwandte, indam er sich ein Stück Rasen auf die Wunde legte, um das Blut zu stille«. Noch interessanter«st ein Zauberspruch, der in einer Handschrift des 9. Jahrhunderts in Tegernsee in Bayern gefunden wurde. Er lautet: Geh aus, Wurm, mit neun Würmlein! Aus dem Mark in die Adern. Von den Adern in dos Fleisch, Von dem Fleisch in die Haut, Bon der Haut in diese Röhre. Diesem Zauberspruch liegt die Anschauung zugrunde, der Krankheit». vämon wohne in Gestalt eines kleinen Tieres im Mark des Menschen. In allen möglichen Gestalten dachte sich der Volksglaube dieses un- beilvollc Wesen, sehr häusia und sehr naheliegend in Gestalt«ines Wurmes. Glaubte man, der Krankheitsdäman befinde sich in der Röhre, so besesiigte man damit die Schneide eines Pfeiles und schoß ihn irgend wohin, in Heide l�nd Wold, wo keine Menschen wohiüen. Höchst eigenartig und bis heute noch ihrem Sinne noch unerklärt ist die sogenannte Katorsormel. Meist wurde sie so geschrieben, daß wr Name Sator sowohl von oben noch unten als auch von rechts nach links zu lesen war, also solgendermahen: f SATOR AREPO TENET OPERA ROTAS Y*-->* Wann und ans welche Weise mag diese seltsame Formel entstand«» sein? Wir wissen allerdings, daß sie schon im vierten Jahrhundert seit Beginn unserer Zeitrechnung im Orient bekannt war, daß auch Römer und Griechen sie kannten und verwendeten. Was der Name Satnr ober bedeuten mag, ist bis heilte eines der nach unaufgeklärten Geheimnisse, an denen gerade die junge Wissenschaft der Volkskunde so reich ist. Auch in Deutschland konnte das Volk die Sotor-Formel, die es mit Vorliebe gegen Feuersgesahr anwandte. Es ist bezeich- nend für die Äulttujtuse des 18. Jahrhunderts, daß Herzog Ernst August von Sachscn-Welmar noch im� Zahre 1743 befehlen konnte, daß gegen Feucrsgefahr iii den Stadien und Dörfern seines Ländchens Teller oder Scheiben aus Blech oder aus Holz zu ver- fertigen seien, die mit der Sator-Formel gezeichnet wurden. Im Falle eines Brandes sollten diese Teller in die Flammen geworscn werdeir, dann niüßte das Feuer zweifellos bald erlöschen! Wie viele arme unwissende Menschen mögen um dieses Brauches willen Hab und Gut verloren haben! Das Volk aber verwendete die Sator- Formel, die durch diesen herzoglichen Erlaß noch an Ansehen ge- wannen hatte, unentwegt in allen Fälle» von Krankheiten der Menschen und Tiere. Man ritzte sie in ein Stückchen Holz ein, oder man schrieb sie ans Papier, dos dem Kranken zugesteckt wurde. Bis in unsere heutige Zeit hinein wirkte die alte Porstellung in der drolligen Sitte nach, dos Wort Sator auf ein Stück Butterbrot zu schreiben, das von dem Betreffenden in dem selige» Gefühl verspeist wurde, er sei»un gegen Krankheiten aller Art geschützt, da jetzt die berühmte Sator-Formel in ihn« weiterwirke. Auch gegen kleine Gebrechen und Unannehmlichkeiten, ver- stauchungen, kleine Brandwunden. Schnitte in den Finger wurden
Formeln und Sprüchlein gemurmelt, die zur schnellen Heilung bei- tragen sollten. Köstlich in seiner harmlosen Naivität ist die An- schauung, man möge, wenn man den Schlucken habe, über ein stiebendes Wasicr gehen und dazu sprechen: Schluckauf und ich gingen übern Stög. Schluckauf fiel rew und ich lies wegl In diesen« Derschen spiegelt sich noch ganz die Anschauung, die Ur- fache der Gebrechen und Krankheiten sei irgendein lebendig«» Wesen, das man durch Zauber vertreiben könne. Oft versucht« man auch den Krankheitsdämon durch ein Geschenk zu veranlassen, mit den betressenden Menschen zu verzichten. Man opfert« ihm ein Abbild de» kranken Gliede» au» wa«h». Aeußerst häufig finden sich solche Opfcrgaben ja heute noch in katholischen Kirchen und an Wallfahrt»- arten. Die Kirche hat dea uralten heidnischen Brauch sehr geschickt i» ihrem Siane umgedeutet, wie sie die meisten vorchristlichen«itten und Anschauungen in den christlichen Vorstellungekreis aufnahm. sie erklärt Wachssüße und Wachshände als Dank an die Heiligen. die dem Kranken geholfen hätten. In Wirklichkeit liegt diesen Gabe«, selbst wenn sie heute von den gläubigen Katholiken im Sinne der Kirch« dargebracht werden, der uralte primitiv« Dämonenglaube zugrunde. primitive Medizin. Frühzeitig bediente sich der Mensch gewisser Pflanzen und Kräuter, um Krankheiten zu vertreiben. So glaubte man vom Schnittlauch, er erhalle die Gesundheit, besonders wenn inan ihn am Gründonnerstag esse: so sollte ferner die Raute, die sehr häutig auch zu Liebeszauber Verwendung fand, vor Ermüdung und Schwäche schützen. Eine große Verehning genoß der in-weißen Dolden blühende Holunder. Heute noch ist in einigen Gegenden Westfalens das Sprichwort bekannt, daß man„vorm Höllerkertenstruk den Haut asniämen"(vorm Holunderstrauch den Hut abnehmen) müsse. Sei» Holz wurde geschabt und al» Brech- oder Absührmiltel eingenommen. Emen seltsamen Brauch, der allerdings aus dem allen Dämonenkult heraus nur zu verständlich ist, kannte man lange.Zeit in Mecklen- bürg.. Wen» jemand von der Schwindsucht befallen war. fo ging der Betreffende oder einer seiner Angehörigen z» einem Holunderstrauch, legte etwas frisches Wachs, schönen Flachs, ein Stück Brot und etwtis Käse unter seine Zweige und sprach dazu: „Gun Dag, gräun Morik!(grüne Marie) Jk bring Di dot Nig(das Neue) Hie bring ik Di Waß, Flaß(Wachs, Flachs) Hie bring it Di Kes un Brot, Dat fuft Du upeten(anfesien) lln dorbi den Namen vergeten."(den Namen vergessen.) Augenscheinlich handelte es sich um«in Opser an den Krankheits- dämon, der zwar Krankheiten bringen, aber eben darum sie auch vertreiben tonnte. Das Aussprechen des Namens aber bedeutete sowohl das Herbeirufen als auch das Unwirkfommachen der Krank- heit. Als Rumpelstilzchens Name in dem bekannten Märchen der Königin bekannt wurde, die nicht zögerte, den Namen sofort aus- zusprechen, da war es mit seiner Macht zu End«. Andererseits bedeutete dos Aussprechen einer Krankheit oder das„Berufen" und
90s
„Ach du, Teufelsdaschka!... Sag einfach, daß du mich nicht mehr liebst— und Schluß." Sascha runzelte ihre Stirn, und ihre Augen umnebelte eine Unruhe. „Und wenn ich dir sagen werde, daß es wahr ist, Gljeb? Werde dir sagen: ich liebe dich nicht mehr." Gljeb lächelte verlegen und verbrannte die Lippen mit seiner ausgetrockneten Zunge. „.Dann werde auch ich sagen: Schluß: Da kann man nicht helfen: weder mit Gewalt noch mit Liebe. Ich werde in der Einsamkeit leiden. Aber, daß du mich nicht liebst— ist eine Lüge." „Ich weiß nicht, Gljeb, vielleicht liebe ich niemand... und vielleicht liebe ich.... Dich liebe ich, Gljeb: das ist wahr— aber vieleicht liebe ich auch andere? Ich weiß nicht, Gljeb, alles ist gerissen, alles ist verworren.... Man muß die Liebe irgendwie neu einrichten.... Nun. ich muß gehen, Gljeb." Der Speichel trocknete im Mund und das Herz zog sich vor Sehtlsucht zusammen. Hinter ihm— ein leeres Nest voller Spinnen und vor ihm— eine Straße, auf der Sascha gleich weggehen wird. „Geh, Sascha, sonst mache ich— einen Krach." Und kaum war Sascha ein paar Schritte gegangen, als Motja aus ihrer Pforte herauskam. Sie ging mit watscheln- dem Entengang, mst einem arohen Bauch und vollen Brüsten. Ihr Gesicht hatte rote Flecken, die Augen waren blau um- rändert, demütig in sich gekehrt, müde und streng. Sie winkte von weitem mit der Hand und zeigte lächelnd ihre Zähne. „Nun, nun!... Was machst du so große Schritte, du Ledige, du... Einen Mann hast du. daß es eine Freude ist— und du denkst nicht einmal daran, seine Braut zu sein. ... Ach. wie ich dick) gerne an den Haaren packen möchte.... Ein Weib hat Kinder zu gebären— und sie— sie spaziert da allein, diese Hexe... Sie läuft von ihrem Mann mit ihren Habseligkeiten fort.... Ich möchte all deine Weiber mit einem Strick an die Betten der Männer binden und ihnen
befehlen: Gebäre, du Hündin,, du!... Nichts brauchst du sonst— das sollst du wisien: Schlaf mit dem Mann und gebäre... sei eine fruchtbare Mutter.... Da, schau dir meinen Bauch an: jetzt werde ich jedes Jahr ein Kind tragen, das sollst du wissen.... Ich bin ein Weib und ihr— ihr seid magere Krähen." Sascha ging ganz nahe zu ihr hin, umarmte sie mit der freien Hand und lachte. „Uff, du bist eine verflixte Bruthenne, Motja!... Wenn man dich ansieht, so packt einen der Neid: keine Frau, sondern ein Bauch." Und klopfte mit der Hand auf ihren Leib. „So, so!. Ich werde in deine verfluchte Frauen- gruppe kommen, werde mich nackt ausziehen, mich in die Mitte stellen und schreien: Kommt, Weiber, beugt euch vor mir, küßt mich mitten in den Nobel:— Ich bin die Gottes- Mutter!" Beide Frauen lachten und auch Gljeb lachte. Sascha ging zum Mauerloch über den Pfad, im Untraut, mit dem Bettzeug unterm Arm. Gljeb wartete: Sascha wird sich noch umschauen, mit der Hand winken.... Sie sah nicht zurück. Das rote Tuch flammte zweimal im offenen Mauerloch auf und erlosch hinter der Betonwand. Jeden Tag ging Sascha diesen Weg. Jeden Tag kam sie spät abends zurück. Sie war oft weg, in andere Dörfer kommandiert, und kam tage- und nächtelang nicht nach Hause. Es war noch unruhig in den Kosakensiedlungen: Räuberbanden strichen in den Bergen umher, im Schilfgesträuch, und ihre Reisen lagen immer zentnerschwer auf seiner Brust. Aber jetzt, jetzt war alles plötzlich entblößt, war langwellig und fremd: Seine Kammer und die Beete im Garten, und diese Mauer, die Sascha von ihm abgeschnitten hatte und sich wie eine Gesang- nismauer jetzt rund um ihn türmte. Wozu brauchte er jetzt das schimmlige Zimmer, wozu den Garten, den Hos? Sascha ist mit dem Bettzeug unterm Arm weggegangen, weg- gegangen— hat sich nicht umgesehen und hat mit ihn« eine seltsame, fremde Sprache gesprochen. Sascha ist weggegangen und wird vielleicht niemals wiederkehren. Sascha ist nicht da und er ist— allein. Njurka ist tot, Sascha ist nicht da. Njllrka ist nicht da: er ist ganz allein geblieben. Ein ver- flixtes Leben I Es ist wie eine Stampsmajchine: zerstampft alles— das Schicksal, die Gewohnheiten, die Liebe....
Motja sah ihn von der Seite an wie eine Henne, und in ihren Augen, die von Mütterlichkeit und einer inneren Freude voll waren, zitterten Tränen, wie kleine Fünkchen. „Ach, Gljeb!... Wie ich traurig bin, euretwegen!... Was für ein unglückseliges Los.... Sascha ist für ein Heim verloren.... Sie ist nicht mehr da, Gljeb.... Euer Töchterchen Njurotschka ist zugrunde gegangen und... du bist allein— ohne Familie— ohne warmes Nest.... Jetzt beklag dich nicht, Gljeb... wenn man Feuer holt, so muß man es auch tragen... und Njurotschka ist zwischen euch wie ein Stäubchen verbrannt.... Wie leid ihr mir tut, Gljeb, wie leid." Er wandte sich von Motja weg und begann seine Pfeife zu stopfen. „Macht nichts, Motja.... Feuer ist kein schlechter Weg. ... Wenn du es weißt, wohin deine Beine gehen und deine Augen schauen— kann man dann Angst vor großen und kleinen Verbrennungen haben? Wir sind im Kampf und bauen ein neues Leben. Alles ist gut, Motja. Weine nicht. So schön werden wir alles aufbauen, zum Teufel, daß wir selber uns wundern werden.... Es wird schon die Stunde kommen." „O Gljeb. Gljeb! Für deinen Buckel hast du in deinem Nest schlecht gearbeitet." „Ach was! Wir werden ein neue« bauen, Motja.... Was bedeutet das? Das alte 3lest war wahrscheinlich schlecht. ... Nun, und was ist mit dir... wann bekommst du dein Kind?" Sie lachte nur mit den Augen, und in ihrem Gesicht zitterte eine Freuds. „Ja, ja!... In einem Monat.... Du wirst Pate sein— merk es dir." „Das ist gut!... Das ist ein Trumof für unsere Farbe. ... Nur eine Abmachung: wenn ich einen Popen bei dir sehen werde, so setz ich ihn in den Laufkorb dort oben und werde ihn mit dein Bremsberg ins Halzmagazin hinunter- lasten... Fein werden wir die Geburt deines Kindes feiern. Motja— die Sirenen werden aufheulen.. �. Und deinen neugeborenen Menschen werden wir— zum Ehren- arbeitir ernennen." Motja lachte glücklich, und Gljeb ging nicht nach Hause, sondern zu den Werkbauten über den schweigsamen Pfad. (Fortsetzung jölgt.)