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Freitag 2Ö. Januar 1925
Beilage des Vorwärts
Alarm. Erzählung vo«£*o Tolstoi. 3M« im Z-lhrk 1S58 sei'djcltScnt, ob« etil not kurzem aus dem Nachlaß Tolstois verSffeotNchtr Erzöbluvg pestürt zu der sogcnonotrn .!<rukos>sch«n Periode� d« Sriesserzählungcn des Dichters uob ent. bäü Erinnerungen uni Eindrücke aus der Zeit seines Aufenthaltes im Kaukasus . Im Jahre shhA verbrachte Ich einiflc Tage in der Festung Tlchachgiri, einem b«? malerischsten und unruhigsten Vrte des Kau- kasus. Am Tage nach meiner Antunlt saßen wir. ich und ein Bc- kannter, bei dem ich abgestiegen war. vor Anbruch des Abends auf der Raftribank vor seiner Erdhütte und warteten auf den Tee. niaupt-nann N.. den wir beide gut kannten, trat zu uns. Es war Sommer: die Hitze hatte nachgelassen; weiße Sommer- wölken verstreuten sich am Horizont, die Berge waren deutlicher zu sehen, und die Schwalben schätzen vergnügt durch die Lust. •fto« Kirschbäume und ein paar einförmige Sonnenblumen standen regungslos vor uns und warfen ihr« langen Schatten auf den Weg. Das Zwei-Ellen-Gärtchen hatte etwas so Stilles und Trauliches. Plötzlich ertönte das ferne Dröhnen eines Kanonenschusses. „Was war das?" fragte ich. ..Ich weih nicht. Ich glaub«, es kam vom Wachturm,' antwortete mein Bekannter;„ob es nicht gar Alarm bedeutet?' Irgendein Kösok galoppierte aus der Straße vorüber, ein Sol- dat lies, mit seinen großen Stiefeln stapfend, den Weg entlorig, im Nachbarhaus hörte man Lärm und Sprechen. Wir traten an den Zaun.„Was ist denn?' fragten wir einen Offiziersburschen, der in gestreiften, nur durch ein einziges Trägerdand gehaltenen Hosen, sich den Rücken kratzend, die Straße hinunterlief. „Alarm!" antwortete er, ohne holt zu machs-l,„Ich suche den gnädigen Herrn." Hauptmann N. griff hastig noch seiner Lammsellmütze und lies, sich den Rock zuknöpfend, nach Hause. Seme Kompanie hatte Wachdienst. Ein zweiter und dritter Schuß ertönte vom Turme her. „Lassen Sie uns auf den Hang hinaufgehen und Umschau hal- ten! Sicher hat«» an der Pferdctränke irgend etwas gegeben,' sagte zu mir mein Bekannter.„Laß den Samowar nicht ausgehen.' fügte er dam. zu seinem Burschen gewandt, hinzu,„wir kommen gleich wieder." Durch die Straßen eilten Leute: bald ein Kosak, bald ein be» rittener Offizier, bald ein Soldat mit dem Gewehr in der einen und dem Waffenrock in der anderen Hand. Erschreckte Juden« und Weiberfratzen zeigten sich an den Haustoren, in geöffneten Türen und Fenstern. Alle? war tn Bewegung.„Wo ist der Alarm, liebe Brüder? Wo?' wiederholt» ein« außer Atem g«- raten« Stimme.„Jenseits der Brücke Herfen sie uns die Antirellie- Vierde fort.' antwortete eine andere Stimm«,„eine so riesengroße Partie, lieb« Brüder, daß es ein Jammer ist!"—„Ach. du lieber Gott ! Wenn sie erst in die Festuno einfallen, ai-ajai-jai-jai!" sagte mit weinersicher Stimm« irgendein Weib.„Wie wär's denn, hättet ihr nicht vielleicht Lust, in Schomlls Harem eickführt zu werden?' erwidert« ihr jminfcrtd ein junger Soldat in blauen Pumphosen und schief im Racken sitzender Fellmütze. Kaum hatten wir uns dem Hang genähert, als uns auch schon die wachhabend« Kompanie einholt«, die mit umgehängtem Kautel- tonister und vorgshaltentin Gewehr bergauf lies. Der Kompame- führet, Hauptmann 9t, ritt vorneweg. „Psotr Iwanowitsch!' rief ihm mein Bekannter zu.„gebt es ihnen ordenllich!' Aber 9t blickte sich nicht nach uns um: mit besorgt« Miene blickt« er nach vorn, und seine Augen glänzten mehr ole gewöhnlich. Am End« der Kompanie schrit der Feldscher mit seinem ledernen Derbandzeugbeutel und wurde«in« Bahre getragen. Ich verstand den Gesichtsausdruck des Kompanieführer,. Es ist erquickend, einen Menschen zu sehen, der dem Tod« mittig ms Aug« blickt; hier aber sind Hunderte von Menschen jede Stund«, jede Äinitte bereit, ihn nicht nur furchtlos, sondern— was viel wichtiger ist■— ohne Prahlerei, ohne den Wunsch, sich zu be- täitben, ruhig aus sich zu nehmen, und gehen ihm schlicht entgegen. M« die Kompanie schon aus halber Höhe angelangt war. näherte sich ein blatternarbiger Soldat mit braungebranntem Ge- ficht, weißem Nacken und einem Ring im Ohr, ganz außer Atem. im Laufschritt dem Hang. In der einen Hand trug er das Ge- wehr, mit der anderen hielt er den Beuteltornister. Als er uns eingeholt hatte, stolperte er und fiel. In d« Meng« erklang Ge- lachtet. „Obacht, Antonytfch! Fallen ist kein gutes Borzeichen!' sagte der Spaßmacher tn blauen Hosen. Der Soldat blieb stehen; sein müdes, besorgtes Gesicht nahm plötzlich den Ausdruck heftigster Lerörgertheit und Strenge an. „Wenn du doch nicht so ein Dummkopf wärest, aber du bist so der größte Esel," sagt« a mit Berochtung,„denkbar blöd' bist du. da» ist es eben!" Und er stürzte davon, um die Kompanie ein- zuholen. Es war ein stiller und klarer Abend, Wolken krochen wie immer durch dl« Schluchten, aber der Himmel war rein; zwei schwarze Adler zogen hoch oben ihre gleitenden Kreise. Jenseits vom silbernen Bande de» Flusses Argun war deutlich ein ein» sanier, aus ZiepAn errichteter Turm zu sehen— unser einziger Besitz in Groß-Tschetschno"). In einig« Entfernung von ihm trieb ein Trupp beritten« Tschotschenzen die entführten Pferd« dos stelle Us « hinauf und wechselt« Schüsse mit den Soldaten, die sich in dem Wachturm befanden. AI » die Kompanie die Brücke im Laufschritt passiert hotte, warm die Tschetschenzen schon weit üb« einen Gewehrschuh von ihr entfernt, aber trotzdem wurde inmitten der unseren ein 9iauch- wölkckxm, ein zweites, ein drittes und plötzlich Lauffeu« längs der ganzen Kompamefront sichtbar. Der Schall dieses Geknatters von Schüssen gelangte zur allgemeinen Freud« der Zufchauermenge in einigen Sekunden bis zu uns. „Da, da! Seht, wie sie rennen! Sie rennen, st« rennen? Sie kneifen aus!"«Sang Lochen und Beifall in der Menge.„Wenn man also sie so zu sagen von den Bergen abschnitt«, so gäbe es für sie kein Entwischen!" sagte der Spaßvogel in blauen Hosen, d« durch sein Gerede die Aufmerksamkeit aller Zuschauer aus sich Unfts lSchkuß strfgtH
Wilhelm Schäfer . Zum 6V. Geburtstag des Dichters am 20. Januar. Wilhelm Schäfer , der Philosoph unter den rheinischen Dichtern. fit erst aus Umwegen zur Entdeckung seiner dichterischen Begabung gekommen. Ursprünglich von seinem Voter für die theologische Laufbahn bestimmt, besuchte er die Schule tn Düsseldorf , bis ein körperliches Leiden dem schwächlichen Knaben unmöglich machte, täglich den langen Weg von seinem Wohnort Gerresheim nach Düsseldorf zurückzulegen. Obwohl der Knabe schon frühzeitig ein ausfallendes Zeichentalent belaß, schlug ihm sein Vater rundweg seine Bitte ab, Maler werden zu dürfen. Kurzerhand beschloh der Voter, daß sein Sohn sich dem Lehrerbcruf widmen sollte, und so wurde der Jüngling zunächst für fünf Jahre in eine Präparandenonstalt ge- steckt, um dann auf dem Seminar zu Mettmann seine Ausbildung zu beenden. Wie der Dichter selbst erzählt, hat er seine Lehrer durch Unbotmäßigkeit und Faulheit stets gereizt, und oft genug bestand für Ihn die Gefahr, von der Anstalt verwiesen zu werden. Endlich war die schwere Zeit der Ausbildung überstanden, und der neugebacken« Lehrer wurde zunächst in Vohwinkel , spater in Elberfeld angestellt, wo er fast sieben Jahre oerblieb. Hier fand« in einem Kollegen einen Gesinnungsverwondten, und gemeinsam mit diesem beschäftigte « sich mit der modernen Literatur, wobei er sich für den jungen Gerhart Hauptmann , besonders aber für Björnson begeistert«. Durch dessen„Bauerngeschichten' angeregt, beschloß Schäfer, sich fchrist- stellerisch zu betätigen, und bald hatte er ein kleines Bändchen Bauerngeschichten geschrieben, das er„Mannsleut" nannte. Einige dies« Geschichten wurden in einer Hamburg « Zeitschrist veröffent- licht, was dem Anfänger den Mut gab, ei» Theaterstück zu schreiben, das in Merfeld aufgeführt, aber gleich darauf verboten wurde. Durch einen Beitrag in der Berliner Zeitfchrift„Pan' wurde Richard Dehmef auf Schäfer aufmerksam und nahm sich des aufstrebenden Talents an. Im Jahre 1896 erbot sich ein Verlag, d« in den fungen Lehrer große Hoffnungen setzte, Schäfer ein beträchtliches Iahresgeholt zu zahlen: dafür erhielt dies« Vertag das Recht, alle künftigen Werke Schäfers zu drucken. Run gab der junge Dichter den verhaßten B«uf auf und ging zunächst nach der Schweiz und späterhin auf einige Monate nach Paris . Als ober der Berlag, der plötzlich an der dichterischen Zukunft seines Schützlings zweifelte, sei»« Zahlungen einstellte, siedelte Schäfer nach Berlin über, um sein Brot als sreier Schriftsteller zu verdienen. Aber auch hier hielt es ihn nicht lange.« sehnte sich nach seiner rheinischen Heimat denn er sah seine Lebensaufgabe in der Zusoinnu'iisassung der geistigen und künstlerischen Kräfte der Rheinland «. Als in Düsseldorf eine neue Kunstzeitschrist.Wie
Rheinlmide" gegründet wurde, übernahm er die Leitung, und bald daraus gründete er den„D«band der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein '. All diese Dinge nahmen ihn so stark in Anspruch, daß er ein« vieffähng« Pause in seinem künstlerischen Schassen«intreten lassen mußte. Erst im Jahre 1908 gab er ein kleines Anekdoten- bändchen heraus, und sein Buch»Wreiunddrcißig Anekdoten' brachte ihm einen weiteren Leserkreis. Im Jahre 1912 schrieb« da? „«tausscrbuch'. Aussehen erregte aber erst sein Buch üb« Pestaloz.z!, das 1915 erschien und den Titel„fiebenstog eines Menschenfreundes' trug. Der Verlauf des Krieges, den Schäfer von Ansang an als grenzenloses Unglück betrachtet hatte, wirkte so lähmend aus den Dichter, daß«r lomie Zeit nichts zu schaffen vermochte. Als er dann mit einem neuen Werk cm die Oefsentlichkeit trat, versuchte er durch seine„Dreizehn Büch« der deutsche» Seele', dem besiegten Volk Trotz und Hoffnungen zu, zusprechen. Auch in den kommenden Lebensjahren will der Dichter, wie er immer wieber betont, in feinen Werken ein Ziel zu erreichen suchen, dessen Verwirklichung ihm als schönster Abschluß verschwebt: die Erziehung des deutschen Volkes zur wahren Volksgemeinschaft, die viel Liebe und Opferbercitschuft, ab« auch Verständnis für den politischen Gegner fordert.
Di«..«rwerfliche" Straßenbeleuchtung. In der„ftirfnischm Zeitung' stand im Jahre 1819 einmal folgende Kampfrede über die Einführung der nächtlichen Straßenbeleuchtung:„Jede Straßenbeleuchtung ist verwerflich: 1. aus theologischen Gründen, als Eingriff in die Ordnung Gottes. Nach dieser ist die Nacht zur Finsternis ein- gesetzt, die nur zu gewissen Zeiten vom Mondlichi unterbrochen wird. Dagegen dürfen wir uns nicht auflehnen, den Weltplon nicht hoi- mefftcrn, die Nacht nicht in den Tag oerkehren wollen. 2. Aus medi- zintschen Gründen: das nächtliche Verweilen auf deu Straßen wird den Leuten leicht« und bequemer gemacht und legt zu Schnupfen, Husten und Heiserkeit den Grund. 3. Aus philosophischen Gründen: die Sittlichkeit wird durch die Gasbeleuchtung verschlimmert. Die künstliche Helle»«scheucht in den Gemütern das Graue» vor der Finsternis, das die Schwachen vor manch« Sünde abhält.' Elektrisch geheizte Handschuhe. Der englische Gelehrte Prof. Low lzat elektrisch geheizte Handschuhe erfunden, die für Autofahrer ganz besonders geeignet sind. Elektrische Heizelemente besonderer Art sind aus dem Rücken des Handschuhs angebracht und mittels einer Klappe oerdeckt. Die Elemente werden auf sein« Gaze mit Druckknöpsen befestigt und in Stellung gehalten. Die Art des Handschuhs sorgt für ausreichend« Belüftung. Der elektrische Strom wird von der Batt«ie des Wagens geliefert. Die Zufuhrung erfolgt üb« einen Steckkontakt hinter dem Fahrzeuglenker. Die Anschlußleitung laust üb« den Halskragen und durch den Aermel bis zu den Handschuhen.
Im Lande des weißen Adlers. Eindrücke in der einstigen deutscheu Ostmark.
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Für den, der den heutigen P o Itu gebiete» s«in« politische Ausmertsamkeit zu»in«r Zeit zuwendete, als diese noch nicht ein neu«? selbständige» sestgeformle» Staatswesen darstellten, ist e« von besonb«vent Reiz, sich ab und zu die Gegenwartsdinge an Ort und Stell« anzusehen. Bei solch« Gelegenheit pflegt man dann leicht und gern Vergleiche zu ziehen zwischen dem, was war und dem, was wurde. liebe rflüssiges Beginnen wäre«s, wollte man durch umfangreiche Beweisführung versuchen, darzulegen, daß die in einem großen Teil der bürgerlichen Preffc noch immer anzutreffende anzügliche Redensart von der„polnischen Wirtschaft' nichts weiter als ein auf Naivität oder Böswilligkeit beruhender fauler Zauber fft Da» gleiche gilt von der auf ähnlichen Eigenschaften basieren- den. besonders den Lesern rechtsstehender Zeitungen ab und zu suggerierten Behauptung, der neue Polenstaat sei ja doch nur eine Frage der Zelt, eine vorübergehende Erscheinung, daher, na, usw. Ein Besuch im Lande selbst überzeugt davon, daß in wirt- s ch a f t l i ch e r Hinsicht Polen gegenüber den Dingen von vor zwei Iahren ganz erhebliche Fortschritte gemacht hat. Die M«ngen von Arbeltslosen, die man beispielsweise damals in der Stadt Posen antreffen kannte, sind heute längst nicht mehr in jenem Ausmaß vorhanden. Was um so mehr besagen will, als doch in- zwischen große Teile der damals tm französischen und belgischen Aufbaugebiet beschästigten polnischen Arbeiter wieder in die Heimat zurückgfflutet sind. Die Zusammenbrüche von Wirtschasts- Unternehmungen sind seit etwa Jahresfrist zum Stillstand gekommen und auch tm Bankwesen macht sich die Gesundung sehr merklich kund. Die Posener Filiale der Deutschen Disconto-Gesellschaft macht sehr gute Geschäfte mit den privaten polnischen Wirtschastsfattoren. Und dies trotz alle» Nationalitätenhaders, der allerdings an Ort und Stelle längst nicht in d«m Maße vorhanden ist, wie man als Un- eingeweihter auf Grund einer gewissen deutschen Zeitungsbericht- «rstattung leicht annehmen könnte. Die polnische Geldeinheit, der Zloty, steht sveilich nicht gut. Ein Zloty ist gegenwärtig etwa fünsundvierzig deutsche Pfennige. Indes ist es nicht unwahrscheinlich, daß hierin, nachdem das am«itamsch« Betriebskapital«st in die verschiedenen Wirtschostskanäle hinein- geflossen ist,«ine Besserung eintritt Der Verdienst, besonders des Lohnarbeiters, ist nach Lage der Dinge auch kein günstiger. Jedoch ist, am Worenoergleich gemessen, die Lebenshaltung zumindest in den ehemals deutschen Ostgebieten auch etwas billiger als bei uns in Deutschland . Dos Wohl und Wehe der einstigen deutschen Gebiete inter- essiert bei un« nicht in letzter Linie. Da verdient es Beachtung, daß man gerade im Posenfchen stark bemüht ist, die wirtschaftlichen Hände zu regen und noch neuen Berdienstmöglichkeiten Um- und Ausschau zu haltein Die neueingerichtete Posener Messe findet nicht nur im eigenen Lande olljährlich starke Beachtung, auch das in Frage kommende Ausland zeigte sich im letzten Jahre an dies« Messe interessiert Der Erfolg ermunterte sogar die Posener Be- Hörden, für da» Jahr 1929(anläßlich des dann zehnjährigen Be- stehens der polnischen Republik ) ein« Weltausstellung ins Auge zu fassen. Gewiß haben seinerzeit, in den Tagen der Erhebung unter Ptlsudski, die durch mehr als vier Jahr« Krieg erhitzten Bilderstürmer die angeblichen Symbole des Deutschtums, nämlich die verschiedenen Hohenzollern - und Bismarck-Dcntmäler, radikal um- gekippt Man spannt« vi« Pserd« vor die Stein- und Bronze» figurea und riß sie unter der Anteilnchm« der polnisch fühlenden Bevölkerung von ihren Sockeln. Doch fft nirgend» heute eine Lücke I W verzeichne» Uederall schöne Anlagen, gärtnerisch gepflegter l
Blumenschmuck, sauber« Plätze und saubere Straße» Nirgends«in Nachteil gegenüber früher. Durch dieses und jenes Dorf ging ich, am längsten blieb ich tn Posen, der Hauptstadt dor Woiwodschaft. Und mit Freuden erkannte ich. daß zwar durchweg a l l e s PL l o n i- fiert ist. daß jedoch die von preußischer Seite in Jahrzehnte» ins Land gebrachte Kultur von den neuen Herren durchaus hochgeschätzt und gepflegt wird. Zwei beachtenswerte Faktoren kultureller Art in d« Stadt Posen (heut« Poznan ), sind die Universität und die vor sechsund- zwanzig Jahren unter großem Kostenouswand geschaffene st a o t- tichc Büch ereu In der Universität herrscht reges Leben. Viertausend Studenten sitzen hi« in den Hörsälen. Sie stammen zu- meist aus den kleinen Orten d« Woiwodschaft und aus Posen selbst. Vom Gymnasium her bringen diese jungen Leute die deutsche Sprache mit; eine Sache, von der in den Volksschulen frei- lich leid« nur noch wenig übrig geblieben ist. Durch die weiten Räume der Bücherei führte mich eine der polnischen Bibliothek- beamtinne» Mit Stolz zeigte sie, wie gewissenhaft und hochschätzend all«» verwaltet würde. Kein deutsches Buch ist verschwunden, nur viele polnische Bücher sind hinzugekommen. Im Zeiffchriftensaol liegen neben polnischen und ausländischen auch etwa zwei Dutzend deutsche Zeitschriften wissenschaftlichen Charak- ter» aus, in der Hauptsache gedacht für das Studium der jungen Leute von der Unwersität. Di« deutsche Presse und die pomphafte„Kaiserpsalz?" Von der«steren ist wenig übrig geblieben. Ein Blatt existiert noch, just da», das mit d« Masse früher am wenigstens verbünde:» war. Sein Leserkreis ist sehr eng. Die liberalen, vor dem Kriege 40 000 Bezieher zählenden„Posener vleuestc Nachrichten" haben vor Jahres- frist ihre Tor« endgültig schließen müssen. Die deutschen Lescrschichte» sind aus bekannten Ursachen sehr zusammengeschmolzen und das Feld beherrscht heute dt« polnische Presse. Durch die Kaiser- pfalz ging ich auf Filzpantoffeln, der teuren Parketffußböden wegen. Im Hochparte«« steht hier noch die alte wilhelminische Ein- richtung. Unberührt, Möbel, Bild«, Dekorationen. Aus den oberen Räumen wurde ein kirchliches Museum. Altarbilder und sonstige Heiligenfiguren, soweit das Auge schweift. Nepomuks in allen Formen und aus den verschiedensten Jahrhunderte» Einen Zloty kostet die Wanderung durch die Säle. Dies« Brief wäre unvollständig, wenn in ihm nicht noch eines inneren Zustoirdes Erwähnung getan würde, der keineswegs die Gegensätze Deutschtum und Polentum zur Grundlage hat,-der aber doch besonders in der Woiwodschaft Posen die Gemüter stark be- ivegt Das ist die Abneigung gegen die„Kongresse r". Seit Iahren findet nicht nur aus den Gebiete» um Warschau her, also aus dem einstigen K o n g r e ß p o l e n. eine starke Warenüber. schwemmung der wesllichen Distrikte(von Warschau aus ge- sehen: roestllch) statt, auch die Zuwanderung von dort in die van den Deutschen entblößten Gebiete ist sehr stark. Und das hat turn In den Bezirken des einstigen Posen und Westpreußcn unter den ansässigen Polen mehr und mehr Bitterkeit wachgerufen. Man sieht tu diesen lZait&sleuten sehr überflüssige Konkurenten in dem eigenen Gebiet Man meint, sicher auch nicht ohne Grund, daß ine neuen Ankömmlinge Berdienstmöglichkeiten und Futt«plätze weg- nähmen, zumindest einengten, und ist darob verschnupft Da die Zuworzderer aus Kongreßpolen zudem noch ein wenig übermütig und h«ausfardernd austraten und weit« auch die Handelsreisenden au» Lodz und Warschau eben von der dortigen Konkurrenz kamen. so erfand man mit der Zeit da» anzügliche Wort von den„Kon- grtssern". Etn Begriff, der weite Polenkreis« im ehemals deutschen Osten heute mehr bewegt, als d« polnisch-deutsche Segensatz. Joses Stich«.