Dienstag
24. Januar 1928
Unterhaltung und Wissen
Die brave Frau Heinicke.
Bon Frida Edel.-
Frau Heinide ist eine außeordentlich brave Frau. Der ehrenwerteste Idiot findet keinen Mafel an ihr. Ja, der ehrenwerteste non allen, ihr Mann, geruht zuweilen, ihre Bravheit anzuerkennen. Und das will was heißen.
Es ist gar nicht so einfach, eine so brave Frau zu sein wie Frau Heinide. Es gehört unheimlich viel dazu: unermüdliches Schaffen von morgens bis Mitternacht, ohne Anerkennung zu finden und ohne Anspruch darauf zu erheben, stetes Bereitsein für die Launen und Wünsche der Familienmitglieder, ohne selbst Launen und Wünsche zu haben, und dabei immer den unangenehmsten Dingen ein geduldiges Lächeln zeigend: so ist Frau Heinice. Ich bewundere sie sehr..
Es ist ausgeschlossen, daß soviel Bravheit ein Naturzustand ist. Ich glaube, daß man darauf trainieren muß, daß diese Brapheit erworben werden muß durch sehr viel Verzicht, durch vollständiges Auslöschen aller eigenwilligen Wünsche und Träume und Sehnsüchte mancher lernt das nie.
Es gibt keine absolute Bravheit. Bir alle haben unsere Flegeljahre gehabt bis mir unter die Fuchtel kamen...
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Auch Frau Heinide, die brave, stille, fleine Frau Heinicke, die für alle Schikanen des Lebens das gleiche geduldige, refignierte Lächeln hat, war nicht immer die brave Frau Heinicke.
Nicht etwa, daß ste sensationelle Abenteuer hinter sich hätte. Sie ist gar nicht weiter sensationell, die Geschichte ihres dunklen Bunkies", nur so, wie alle Geschichten von rebellischen Herzen, die still geworden sind: ein bißchen lächerlich und ein bißchen traurig.
Es war in einer jener Stunden zwischen Tag und Dämmerung, eine jener seltenen stillen Stunden, in denen wir das Schlagen unferes Herzens hören, in denen unsere gestorbenen Träume die Augen aufschlagen, in denen das Sonnenschiff der Sehnsucht in die Ferne fliegt.
Das Zimmer lag schon im Dunkel, draußen flammten einige Lichter auf, der Schnee fiel so sacht, aus der Nebenwohnung drangen bereinzelte Attorde eines Chopinschen Nocturnos da sagte die Meine Frau Heinide plötzlich, so ganz aus ihrer Gedankenversunken helt heraus: Ja... genau so ein Tag war das, als ich meinem Mann davongelaufen bin."
Ich traute meinen Ohren nicht.
Rind mas machst du für große Augen? Ja freilich Du weißt ja nicht. Aber das ist schon so lange her. Wozu davon reben.. Ist ja längst Gras über die dumme Geschichte gewachsen. Bäuft alles wieder so hübsch im alten Gleis, fo viele Jahre fchon.
Ja, fo viele Jahre schon, die ich dich tenne, läuft alles bei dir fo hubsch im Gleis. War das nicht immer jo?"
„ So viele Jahre, ach..." Sie lachte, ein sonderbares Lachen. Ich hatte Frau Heinide noch nie so merkwürdig lachen hören. Ich tannte ja an ihr nur dieses fleine, geduldige Lächeln.
Ja, bent bir, bamals fchon spielte irgendwer hier im Hause diefes Chopinfche Nocturno. Ja- und da war o ein Wintertag. Und die beschneiten Gärtchen sahen so lustig aus. Damals war ich noch so dumm, mußt du wissen. Und so anspruchsvoll. Ich Gott , ich hatte geglaubt, die Ehe, das wäre so ein Hand- in- Hand- Gehen, fo eine prachtvolle Rameradschaft, weißt du. Und dann war alles ganz anders. Weißt du, die Männer brauchen ja gar feinen Lebensfameraden, das bilden wir uns bloß ein."
Aber du darfst das doch nicht so verallgemeinern.
Ach, laß... mein Mann ist nicht besser und nicht schlimmer, als taufend andere...
Aber damals war ich über manches empört, woran ich mich heute fängft gewöhnt habe. Man gewöhnt sich ja an alles Tun, und...", fragte ich, als mir ihr Schweigen zu lange banerte. An jenem Wintertag?"
...
An jenem Wintertag ja, da hatte sich mein Mann ganz besonders unfameradschaftlich benommen. Und als ich dann weinte, nammte er mich ein hysterisches Frauenzimmer.. ... und dann ging er fort... zu seinen Regelbrüdern Männer haben ja immer Regelbrüder oder Statfreunde oder Berufskameraden, zu denen sie gehen, wenn sie sich ärgern... Wohin gehen wir?" „ Und dann liefst du also fort...", unterbrach ich wieder ihr Schweigen.
Ja, dann lief ich fort. Ich mußte nicht, mas ich wollte, mohin ich wollie. Es mar etwas sehr Sinnloses, dieses Davonlaufen. Da lief ich mun in der Stadt herum. llnd alles mar so grau und finnlos häßlich, die Häuser und der Himmel und der Schnee, der in der Borstadt so luftig ausgesehen hatte und in dem Straßengewire der Stadt zu schmutzigem Schlamm wurde. Und dann wurde es Radyt, so eine falte, finstere, sternenlose Nacht. Da stand ich nun auf einer Brücke und starrte in das dunkle Wasser hinunter. Ich fand nicht den Mut, hinunterzuspringen. Stundenlang habe ich da gestanden. Und dann kam ein Schuhmann und brachte mich ins Obdachlosenasyl. Gräßlich war das! Stelle dir vor: ich wurde untersucht, ob ich Ungeziefer hätte, ich mußte einen rot und weiß gestreiften Rittel anziehen, und dann mußte ich mich auf eine eiserne Bettstelle mit Drahtmatratze legen. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Neben mir lag ein junges Mädchen, das die ganze Nacht ſtöhnte und wimmerte. Sie war schwanger. Dent' dir: schwanger und obdachlos! Dann war da eine siebzigjährige Frau, die die halbe Nacht über die Schlechtigkeit der Menschen schimpfte. and dann war noch eine Polin da, die kannte fast sämtliche Obdach losenajyle Deutschlands und erzählte gräßliche Geschichten. Es mar eine hierliche Nacht
"
Und am anderen Tage fam dein Mann und hofte dich zurück ins traute Heim!" * Ja. Woher weißt du das?"
das Gespräch so jah ab, wie fie es begonnen hatte, und machte eine Handbewegung, als wolle sie etwas verscheuchen, das in ihrem braven Leben feinen Platz haben durfte...
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Nicht wahr, sie ist gar nicht sensationell, die feine Geschichte der braven Frau Heinicke? Nur so, wie alle Geschichten von rebellischen Herzen, die still geworden sind: ein bißchen lächerlich und ein bißchen traurig.
Schnee in der Heide.
Bon Hans Blund Oldemaren.
Wie stehen die Erlen düster zwischen dem Himmel und meiner meißen Heide. Ihre Besen, um eine versiegte Quelle gedrängt, drohen fohlschwarz mit Strünken und Ruten wie aus unterirdischen Kräften gegen die müde Einsamkeit. Der aller Schnee ist blind und die Weite ist grau und zufrieden. Auch der Wind ist schlafen gegangen und die Wolken blieben seit langem milde stehen
gegen die reine, helle Welt lautios in die Runde. Noch nie sah ich Die Erlen rühren sich nicht, aber sie drohen ihren Widerspruch schwermütigen Einsamkeit der Heide, wie diesen Erlenbruch. Ohne ein Schwarz so auffäffig, so zerstörend, mitten in der gemeffenen, lastenden Schnee, den über Tog eine Stunde Sonne shmolz, ohne lebergeng, aufrecht, mit gefträubten Schöpfen und geballten Fäusten haben sie in ihrer Mulde Platz genommen und lauern auf eine Stunde, die dieser Heide Frieden, bricht. Bielleicht, daß sie dann zu Flammen aufbrennen werden. Sie fnistern, wenn man zu ihnen hinüberwandert.
Wieviel friedlicher ist der weiße Kiefernrand! Sonne und Mittagswind hatten ihn noch nicht berührt. Mit weißen, Bärten und struppigen Greisenschöpfen reiht sich ein Baum an den anderen, wer weiß ihre Zahl? Denn diese Einsamen, an deren Füße schon die faure Erde reicht, die Riesen, die einst einem ruhmlojen Sterben vor den treinen muchernden Büschen verfallen, scheinen so alt, mie die Heide selbst. Ungeheuer, mie Eichen zerspellt, halb vorgebeugt von der meißen Laft, neigen sie sich gegen die Weite, als lauschten fie seit undentlihen Tagen auf einen König, der über die Heide täme, oder auf ein Wort, das aus dieser dürren Erde einen Garten zaubert. Ihnen gehören drüben in der Schwellung des Badens die Wacholder, dunkle Freunde, die nicht von ihrer Burzel weichen und doch ewig die Haltung rublofen Banderns haben, ihnen gehört die Beite dieses Winters. Ich sah viel Pinien und 3ypressen fer seits der Alpen . Seltsamer, urgewaltiger stehen diese Kiefern in der nordischen Landschaft mit ihren Kronen, mie treibende Wolfen, mit ihren roten Hochstämmen, die auch an grauen Tagen vom Sonnenlicht etwas bewahrt zu haben scheinen. Eindringlicher, traumhafter sprechen die Wacholder zu mir, die zu meiner Seele gehören und unseres Lebens rätselpollen Abflang tragen.
ww gta Beilage wan
des Vorwärts
Was hat er doh für Not, was bullert der arme Waterferi den ganzen erfrorenen Bah, entlang! Mein Schlitten antwortet Lustig flingend, der Schnee staubt zu ihm hinüber. Er fährt mitten durch die weite Weiße, die vom schwarzen Hohlsaum unter den Wolfen bis zum Kiefernrand Srüben nach Norden reicht. Eine Reihe turz
föpfiger Bullweiden weist den Weg. Sie werden alljährlich ge= machsen fast über den Schädel hinaus. Dazu wenig Kurzweil, felbft schoren und haben echte arme Strubbelköpfe. Ohren und Kropf im Sommer, denn es ist selten, daß ein Mensch diesen Weg ins Moor ohne Ende fährt. Aber jetzt haben sie ihren vertracten Spaß; unterm Eis fullert und bullert und hämmert einer vor Atemnot. Der alte Waterferl, der im Sommer nicht genug über ihre Fragen lachen fann, obshon ihm selbst das Moos auf dem Rücken wächst, neidet in diesen Wohen den Bullwicheln die stille, frostfalte Luft wie das Leben. Und weil er bei ihnen tein Mitleid erfährt, schreit er neben meinem Schlitten her, hofft wohl, ich merde ihm eine Lür in die Eisdecke schlagen. Aber immer, wenn ich halte, ist er just totenſtill oder knackt weiter ab und ruft mich dorthin. Er hat Furcht, fich mir zu zeigen, ich weiß es. Aber schließlich kann ich niht hinter ihm drein laufen. Er hat auch noch jeder Winter büsche der Pferde hinaus, fuche dahin, wo Heide und Wolken sich Luftlöcher hauen. Ich schaue lieber über die wippenden Schellen überstanden, i fönnte weit rennen, müßte ich allen Waterferlen oder ein Rosengarten aufsteigen, der für mich bereitsteht. Ich suchte berühren. Einmal, fagte man mir als Kind, würde dort ein Schloß ihnen seitdem Jahr um Jahr entgegen, aber noch fand ich ni his. Wer weiß auch, ob sie nicht längst Fremden gehören, die mir zu
vortamen, was suche ich noch? Ich bin ja doch dieser Weite verfallen, diesen weißen Ebenen, die mein sind und meines Wesens Teil. Ach, ich möchte oft die Arme ausbreiten, mich flach vornüber werfen und mich non ihnen einsaugen lassen, um eins zu werden mit ihrer schmermütigen Innigkeit, mit der sie mich rufen und an fich loden. Aber immer, wenn ich schon die Zügel falte, schweift mein Blid mieder voraus, dahin, wo Himmel und Erde einen schmalen Strich bilden, der einst zum Garten aufspringen soll.
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Darwins Wohnfig als Nationaleigentum. Der Präsident der British Association, der Anatom Sir Arthur Keith , hatte türzlich zur Sammlung eines Fonds aufgefordert, damit man Darwins Haus zu Domne in Rent als Nationaleigentum erwerben tönne. Das Haus ist noch im Befiz des hochbetagten Sohnes des großen Naturforschers, des Pflanzenphyfiologen Brof. Francis Darmin, und dient gegen wärtig einer Mädchenschule. Unmittelbar nachdem die Aufforderung befannt gemorden war, lief das telegraphische Angebot des als Sammler bekannten Arztes G. Browne ein, die nötige Summe für den Ankauf und für eine zur Erhaltung erforderliche Stiftung zur Berfügung zu stellen. Der Spender machte zur einzigen Bedingung, daß ihm die Kosten allein zur Bast fallen follten. Er äußerte ferner den Munsch, daß das Haus, die Studier- und Arbeitsräume und bie Wohnzimmer sowie der Garten möglichst wieder in den Zustand mie zu Darwins Lebzeiten verfekt und fostenlos zugänglich gemacht mürden; zum Kuftos möge man einen bedürftigen und verdientent Arzt bestimmen.
Pflanzennahrung der Urbevölkerung
Bon Dr. W. Wächter.
Bevor die
Als die Menschen den Aderbau noch nicht erfunden hatten, als sie sich von der Jagd, vom Fischfang ernährten oder nomadisierende Hirten waren, mußten fie natürlich irgendwelche pflanzliche Rahrung genießen, da der Mensch von Fleisch allein nicht zu leben vermag. Wenn sie also noch nicht verstanden, Pflanzen zu fultivieren, so blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu nehmen, was ihnen die Natur an wilden Pflanzen bot; fie sammelten also Kräuter, Wurzeln, Zwiebeln, Knollen und Früchte, ganz wie die Tiere.. Menschen gelernt hatten, Feuer zu machen, wurden die Pflanzen mie das Fleisch selbstverständlich roh gegeffen, was unseren Vorfahren übrigens ganz gut bekommen sein muß. Bekanntlich wird ja auch heute noch der Rohkost das Wort geredet, und mir alle effen ja immer noch rohe Früchte und Salate, mie mir Tatarbeefsteaf und rohe gesalzene Heringe mit mehr oder weniger Genuß verzehren.
Aus Professor Maurizios neuem Buche( Die Geschichte unserer Pflanzennahrung von den Urzeiten bis zur Gegenwart, Verlag von Paul Paren, Berlin ) fönnen mir zu unserem großen Erstaunen lernen, welche Fülle von verschiedenen Pflanzen den Sammlervölkern" zu Gebote standen. Etwa 500 Pflanzenarten hat Maurizio ausfindig gemacht, die auf der nördlichen Halbfugel, ohne Berücksichtigung der Tropen, gesammelt wurden. Würden wir die Pflanzen der südlichen Halbfugel und die der Tropen auch tennen, so würde die Zahl der Nahrungspflanzen sicher auf das Doppelte anschwellen. Mit Erfindung des Ackerbaues wird die Zahl der Nutpflanzen immer geringer, und heutzutage, mo mir eigentlich nur noch angebaute Pflanzen effen, lassen sich diese fast an den Fingern abzählen.
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„ Das ist ja nicht schmer zu erraten. Der menschenfreundliche haben nur zum Teil auf die Nahrungspflanzen der Bilden acht Schußmann wird ihn benachrichtigt haben." ,, Ja, das hat er.
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„ Und du warst sehr froh, daß du nicht mehr obdachlos warst, wie das schwangere Mädchen oder die siebzigjährige Frau oder die Bolin, die sämtliche Obdachlosenasyle Deutschlands fannte."
Ja, ich war sehr froh. Und hab' mich sehr geschämt!" " Geschämt? Weshalb? Weil du davongelaufen oder weil du wiedergekommen bist?"
Auf diese Frage hat mir Frau Heinide feine Antwort gegeben. Und dein Mann hat dir großmütig verziehen?" „ Das hat er."
„ Ja, und dann bist du die brave Frau Heinicke geworden. Und bist nie mehr davongelaufen. Und haft dich an alles gewöhnt
Wir wollen Licht anzünden," brach da die kleine Frau Heinide
Es war natürlich nicht leicht, festzustellen, welche Pflanzen unsere Borfahren vor Tausenden von Jahren gegessen haben, aber mir geminnen doch ein ziemlich zuverlässiges Bild von der pflanzlichen Irnahrung, wenn mir ausfindig machen, welche Pflanzen jetzt noch von den primitiven Völkern gesammelt werden, was sich an Pflanzenresten in den Gräbern vorgeschichtlicher Völker, der Pfahlbauern usw., findet und welche Pflanzen in geschichtlicher Zeit von den Menschen bei Hungersnöten gesammelt werden.. Unsere Forschungsreifenden gegeben, und selbst bie Botanifer unter den Reisenden haben sich meistens darauf beschränkt, die wildwachsenden Pflanzen zu fammeln und zu bestimmen. Forscher, wie der berühmte Afritareifende Schweinfurth, der großes Gewicht auf die Erforschung der Nahrungsmittelbeschaffung der Eingeborenen legte, find felten. Auch die Prähistoriker, die Erforscher vorgeschichtlicher Bölfer, haben lange Zeit die Bedeutung pflanzlicher Refte in den Gräbern verkannt, und der Inhalt mancher Urne ist als unwesentlich verschüttet worden. Die Bedeutung der Pflanzen, die in Hungerszeiten gesammelt werden, für die Fragestellung Maurizios wird jeder begreifen, der sich an die„ Wildgemüse" Zeit des letzten Krieges erinnert. Daß diese Wildgemüse einstmals zu den Sammlerpflanzen unserer Borfahren gehört haben, ist mit Sicherheit anzunehmen. Es ist ein foziologisches Gefeß, daß in Zeiten rüdläufiger Kultur die Menschen immer wieder
auf die Sitten und Gewohnheiten bereits durchlaufender Entwidlungsphasen zurückgreifen. Benn plötzlich alle Maschinen verschwänden, so würden wir genau wieder die Werkzeuge unserer Boreltern bemizen; menn es plötzlich kein Eisen oder Kupfer mehr gäbe, würden wir wieder unsere Waffen und Werkzeuge aus Stein herstellen. So geht es also auch mit den Nahrungsmitteln.
An wie interessanten Dingen man vorübergehen kann, menn man die Kenntnisse der menschlichen Ernährung nicht genug würdigt, lehren die Fälle, in denen die Forscher sich einmal mit diesen Dingen etwas eingehender beschäftigt haben. Zu den anregendsten Kapiteln des Maurizioschen Buches gehört dasjenige, in dem die Rede ist von der gemeinschaftlichen Nahrung der Menschen und der Tiere. Wie die Menschen sich Wintervorräte beschaffen, jo gibt es außer dem Hamster eine ganze Reihe von Tieren, die in guten Zeiten an die schlechten denken. So sammelt z. B. eine Wasserratte Wurzeln, die sie forgfältig reinigt und sortiert. In Sibirien gibt es eine Mühlmaus, die ebenfalls große Mengen von Wurzeln fammelt, fie forg fältig reinigt und in zollange Stücke zernagt. In der Mongolei lebt eine Hafenart, die sich Heuvorräte anlegt. Die Menschen spüren ihnen nach und treiben ihre Schafe in jene Gegenden, wo der Hafe lebt, wenn das Futter fnapp wird. Die Schafe rauben dann das Heu, das die Hafen mit Mühe zusammengebracht haben. In Nordasien bestehlen die Itälmen die Borratskammern der Mäuse, die die Zwiebeln des Türkenbundes, einer auch bei uns vorkommenden Lilie, aufspeichern. Diese Zwiebeln gelten bei den Itälmen für einen Leckerbissen, sind aber etwas mühsam zu sammeln, und so lassen sie die Mäuse für sich arbeiten. Als Ersatz legen die Menschen in die Mäuselöcher Zirbelnüsse, und außerdem lassen sie den Mäufen etupa ein Drittel der Zwiebeln zurück. Achnliches wird von einem Indianerstamm in Amerika berichtet; auch sie entnehmen. den Vorratskammern der Mäuse schwer zu sammelnde Pflanzenteile, eine Erdbohne. Dafür legen sie den Mäusen Mais in das Nest, und auch sie lassen einen Teil der Erdbohnen zurück. Der Entdecker dieser sonderbaren Interessengemeinschaft" spricht von einer Symbiose zwischen Mensch und Maus. Da mir aber in der Biologie unter Symbiose ein Gemeinschaftsleben verstehen, in dem jeder Partner dem anderen nüglich ist oder zum mindesten feiner den anderen schädigt, so ist die Bezeichnung Symbiose mohl nicht ganz zutreffend, denn ohne Frage ist die Maus im Nachteil. Im Grunde genommen ist es ein ganz raffinierter Egoismus, wenn die Itälmen und Indianer den Tieren so viel der foftbaren Zwiebeln und Bohnen lassen, daß sie nicht die Lust zum Weiterfammeln verlieren.
Es ist merkwürdig, mit mie ficherem Instinkt die Tiere die ihnen bekömmlichen Pflanzen sammeln und das Schädliche vermeiden. Und so müssen wir wohl annehmen, daß auch die Naturpolter noch mit einem ähnlichen Instinkt für das ihnen Zuträgliche ausgestattet sind, der uns ganz verlorengegangen ist. Wer von uns heute, ohne Kenntnis der Pflanzen zu befizen, darauf angewiefen märe, sich feine Nahrung zu sammeln, würde ganz bestimmt nicht immer das Richtige treffen, sondern manche giftige Beeren und Wurzeln erft tennen lernen, nachdem sie ihm Beschwerden gemacht haben.