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Xr. 47 44. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Sonnabend. 2S. Januar 4925

Nordische Gäste.

Die kältere Jahreszeit mit ihrem spärlich gedeckten Tisch, ihren Gefahren und Nöten, bleibt nicht ohne Einfluß auf die in ihrer Heimat überwinternden Bogel . Während sie, besonders während der Brutzeit, die streng abgegrenzten Wohnbezirke eifersüchtig über- wachen, fühlen sie jetzt das Bedürfnis, sich mit ihren Artgenossen und auch anderen Vögeln, die ähnlichen Lebensbedingungen unterliegen. zu großen Schoren, zu einer Art Senoflenfchoft, zu vereinigen. So streifen sie dann gemeinsam umher, um Nahrung und eine» ge. schützten Platz zur Nachtruhe zu suchen. Im Walde und in der Stadt. Im Walde und in den Anlagen der Stadt begegnen wir Schwärmen von allen bei uns lebenden Meisen. Die größte von ihnen, die tlohlmelse. tveibt sich friedlich umher neben der schön gefärbten Vlamueife: das.Meister Hämmerlein", die Sumpsmeise. bearbeitet gemeinsam mit der Tauueumeile die wurmstichige Stelle einer motiäwn Kiefer, und das zarte Schwanzmetschen. im Dolks- irtumfc..Vfamwnstielcheu'' genanm. untersucht eine daneben besiniv liche Höhlung. Häufig finden wir bei dem Meisenschwarm kleinere Spechte und die Kleinsten der Kleinen, den Zaunkönig und das Goldhähnchen. Letzteres ist sehr zart und fällt hausig dem Winter zum Opfer. Der Zaunkönig ist dagegen trotz seiner Kleinheit die Verkörperung der Lebenslust und Lebensfreude. Mögen die Menschen in Pelze gehüllt und mit erfrorene» Nasen und Ohren berumlausen, et lacht der Strenge des Winters und singt jmt Infi:-es Lied. Nah« am WaldesraiG auf dem Wmkchokderbusch«, welch' merkwürdige vogelschar! Alles an ihnen so ganz anders. als wir es sonst bei den Vögeln unserer Heimat gewohnt sind. Wir kommen näher, die Vögel sehen uns mit ihren großen, Hann? losen Augen treuherzig an. Ihr ganzes Wesen, ihr schön gefärbtes Gefieder, ihre Bewegungen, alles weich, sanft und gemessen, selbst das Heben und Senken der Haube zeigt keine Spur von Erregtheit Ihre Laute gleichen dem Gezirp« der Heuschrecken. Wir Hoden diese Vögel doch schon gesehen? In ganzen Bündeln sahen wir sie tot hängen, als Krammetsvögel zum verkauf ausgeboteu in den Delikateßwarenläden Berlins. Opfer der Großstadt! Hoch im Norden auf den menschenleere« Tundren Finn-und Lapp- sands ist chr« Heimat. Sie kennen den Renschen, wenn sie zu uns

kommen,«och nicht, daher ihre Vertrautheit. Sie sehe» dem Jäger, der alles fortknallt, was ihm merkwürdig de« Lauf der Büchse. Ein geheimnisvoller Gast. Im Balte kann man sich da» plötzliche Erscheine« de» Seide«. schwänze» während de» winters nicht erklären. Er kommt auch nicht in jedem Jahr. Dazu fein«chsonderliches Aeußer«, sein

märchenhaftes Wesen, das fast an paradiesische Zustände erinneri. Das alles hat bewirkt, daß das Volk in abergläubischer.?urcht in ihm den Bringer von Not, Krankheit, Krieg und Tod sieht: der aufgeklärte Gourmand verspeist ihn aber trotz alledem in gedaaken. loser Genußsucht! Doch hat die abergläubische Furcht eine gewisse Berscknigung. Erscheint doch der Seidenschwanz bei uns. wenn in seiner Heimat stark« Kälte, Schnee und Eis vorherrschen, wenn seine Nahrungsquellen durch die Ungunst der Witterung versiege». Und häufig folgt ihm die Kälte und sucht unsere Brüten gerade heim, wie wir es in diesem Jahre erlebt haben. Die Folgen sind Stetgerung der Not und ihre Folgen. Auf den Felden,. Auf den verwaisten Feldern mit ihren Baumallecn am Rande der Stadt treffen wir eine ganz anders geartete Gesellschaft, die auch bei strenger Kälte bis in die Innenstadt vordringt. Bei unserer Annäherung erhebt sich plötzlich, wie aus der Erde heraus, ein großer Schwärm von kleinen Vögeln, die der Städter, dem jeder bei flüchtigem Hinsehen grau erscheinende Böget ein Spatz ist, natürlich auch für Spatzen hält. Nach kurzem Flug läßt sich die Gesellschaft wieder aus der Erde nieder. Sehen wir genauer hin, so gewahren wir eine bunt zusammengewürfette Schar. Fast olle heimischea Vertreter des Geschlechts der Finken, der Gimpel, der Ammern und der Lerchen sind hier vereinigt, um gemeinsam herum- zustreichen. Da sehen wir den stolzen Buchfinken, dessenbesiere Hälfte" den Winter im warmen Süden zubringt, den schön gefärbten Stieglitz , muntere Zeisige, Grünfinken, den gelehrigen Dompsossen und die prächtigen Goldammer. Auch hier treffen wir Gäste aus dem hohen Norden cm, die die Unwirtlichkeit ihrer Heimat in unsere Breiten getrieben hat. Der Leimzeifig mit schön kamänroter Stirn und Brust will hier überwintern und sucht nach passender Nahrung z. L. nach Birkensamen. Wir können ihn cm strengen Wintertagen in den Bäumen der Anlagen Berlins beobachten, wie er gewandt und munter in den Zweigen umherkleftert. An weiteren nordischen Gästen sehen wir den große», roten Gimpel, die mit eigentüm­lichen Federhörnchen am Kopf versehene Alpenlerche, die Schnee- ammer und den Vergsinken.«wen Vetter unseres Buchfinken. m Sie all« oerlassen uns beim Nahen des Frühjahrs und ziehen nmd- und ostwärts in einsame Gegenden, in denen sie bald nach ihrer Ankunft zur Brut schreiten.> Nahrungsmangel, Schnee und Kälte hatte« sie südwärts getrieben, sich bester« Nahrungsquellen zu suchen._ Eine tapfere junge Verkäuferin. Oer Raubüberfall auf dem Bahnhof Grunewald . Eine besondere Anerkennung zollte das Schöffengericht de? jungen Derkäuferin, die durch ihre Tapferkeit verhindert hat. daß der gegen sie Anfang Dezember vorigen Jahres auf dem Bahnhof Grüne- wall» geplante Raubübersall zur Ausführung gelangen konnte. Die beiden Urheber dieses Verbrechens, der Lljährige Hausdiener KSkeritz und der ZSjährige beschäftigungslose Backmanies, hatten sich wegen versuchten Raubes zu verantworten. Beide Ange­klagte sind bereits vorbestraft, Backmanies war bei der Schupo ge- wesen, aber wegen Diebstahls entlasten worden. Käkeritz war bis kurz vor dem Ueberfall Hausdiener im Restaurant Bahnhof Gnme wall» und hatte ahne jeden Anlaß die Stelle aufgegeben, angeblich well er sich verbessern wollte. Die..Verbesserung" bestand in der von ihm ausgekundschafteten günstigen Gelegenheit, die Verkäuferin in dem auf dem Bahnhof gelegenen Verkaufskiosk des Restaurants zu berauben, wenn sie mit der Kaste nachts hinüberging. Er selbst durste sich natürlich dabei nicht zeigen und hatte sür die Aus- führung der Tat den Mitangeklagten ongervorbcn. Dieser stürzte sich auf da» Mädchen und wollte ihm die Geldtasche mit Gewalt entreißen. Die Ueberfallene hielt aber die Tasche so energisch fest, daß der Muber mtt ihr mehrere Minuten kämpfen mußte, bis auf ihre Hilferufe Leute herbeieilten. Dem Räuber gelang es zu entfliehen, aber der verlorene Hut wurde zum Ver- röter, dem man erkannte ihn als den Hut des Käkeritz So konnten die beiden Täter ermittelt werden. Hetterkeit erregte es, als

Menschen, Göttern gleich... 41 Roman von Herbert George well«. Ja, er fand die Straße vor sich viel z u leer. Sie er­streckte sich schnurgerade vor seinen Augen auf etwa dreißig Meilen. Äuf der linken Seite waren eure niedrige, gut ge- pflegte Hecke, vereinzelte Bäume, flache Felder, dahinter lagen einige klein Hauschen, weiter entfernt Pappeln und ganz hinten sah man Windsor -Castle. Aus der rechten Seite waren gleichfalls Felder und ein kleines Wirtshaus vor einem Hintergrund von niedrigen bewaldeten Hügeln. Eine auffallende Erscheinung in dieser ruhigen Landschaft war die Ankündigungstafel eines Strandhotels in Maidenhead . Barnstaple sah vor sich das Flimmern der heißen Luft und zwei oder drei Staubwirbel, die auf der Straße entlang tanzten. Wer keine Spur von dem großen Tourenwagen und keine Spur von dxr Limousine. Mr. Barnstaple brauchte gut zwei Sekunden, ehe er sich dieser erstaunlichen Tatsache voll bewußt wurde. Weder zur Rechten, noch zur Linken gab es irgendeine Seitenstraße, in welche die Wagen hätten verschwinden können. Und wenn sie schon um die nächste Biegung sein sollten, dann hätten sie mit einer Ge- schwindigkeit von zwei- oder dreihundert Meilen in der Stunde fahren müssen. Mr. Barnstavle hatte die ausgezeichnete Gewohnheit, die Geschwindigtelt sofort zu verringern, wenn er sich über etwas nicht klar war. Auch jetzt stoppte er ab. So kam er auf ein« Geschwindigkeit von ungefähr fünfzehn Meilen und starrte mfl offenem Munde in die leere Landjchajt, um irgendeinen Anhaltspunkt für das rätselhaste Verschwinden der Wagen zu finden. Erstaunlicherweise hatte er durchaus nicht das Gefühl, daß er selbst irgendwie gefährdet sein könnte. Dann schien sein Wagen an irgendetwas anzustoßen und begann zu schleudern. Cr schleuderte so heftig herum, daß Barnstaple für einen Augenblick den Kopf verlor. Er konnte sich nicht mehr entsinnen, was man zu tun hat, wenn ein Wagen schleudert. Er erinnerte sich dunkel, daß man in die Richtung zu steuern hätte, nach der sich der Wagen dreht, aber in seiner momentanen Aufregung konnte er mcht feststellen, in welche Richtung der Wagen schleuderte. Später erinnerte er sich, daß er in diesem Augenblick einen Ton gehört hatte. Es war genau derselbe Ton, der entsteht, wenn eine Spannung ihren Höhepunkt erreicht hat, scharf wie da» Springen einer Lautenfaite, ein Ton, den man

zu Anfang oder zu Ende der Bewußtlosigkeit in der Narkose hört. Es war ihm, als ob er gegen die Hecke an der rechten Seite geschleudert worden wäre, aber nun fand er die Straße wieder vor sich. Er berührt« den Gashebel, stoppte aber dann wieder ab und blieb stehen. Boll tiefster Berwunde- rung blieb er stehen. Diese Straße war vollkommen verschieden von der- jenigen, auf der er sich noch vor einer halben Minute be- funden hatte. Di« Hecken waren verwandelt, die Bäume waren verändert. Windsor Castle war verschwunden, und eine kleine Entschädigung die große Limousine war wieder in Sicht. Sie stand am Rand der Straße, ungefähr zweihundert Yards entfernt. Die wvnderbare Straße. 1. Ein« Zeillang war Mr. Barnftaples Aufmerksamkeit sehr ungleich geteilt zwischen der Limousine, deren Jnsasien eben ausstiegen, und der Landschaft, die ihn umgab. Letztere war wirtlich so fremdartig und schön, daß die kleine Gruppe vor ihm nur insofern einige Bedeutung in seinem Bewußt- sein erlangte, als es sich um Leute handelte, die feine De- wunderung und fein Erstaunen teilen mußten, und die ihm deshalb wahrscheinlich helfen konnten, seine wachsende und ihn ganz überwältigende Verwirrung zu klären und zu ve- ruhigen.» Die Straß« war nicht wie eine gewöhnliche englische Landstraße, ein Mischmasch aus Schotter und Kot, beschmiert mit Teer und mit Kies, Staub und tierischen Exkrementen bedeckt, sondern war offenbar aus Glas gebaut mit klaren Platten, wie stilles Wasser, und mit milchweißen oder opali- sierenden Tafeln, die von sanft gefärbten Streifen durch- zogen, oder in denen Wolken von glitzernden goldenen Flocken eingelassen waren. Sie war vielle,cht zwölf oder fünfzehn Yards breit. Auf jeder Seite erstreckte sich ein grüner Rasen- streifen aus einem Gras, wie es Barnstaple feiner niemals vorher gesehen hatte und in der Pflege von Rasenflächen hatte er reiche Erfahrung, darüber hinaus war ein breiter Saum von Blumen. An der Stelle, wo Mr. Barnstaple «äffend in seinem Wagen saß, und von da etwa dreißig jards nach beiden Richtungen hin, bestand dieser Saum aus einer dichten Menge vergißmeinnichtblauer Blüten unbe- tannter Art. Weiterhin wurde die Farbe durch eine zu- nehmende Zahl großer, reinweißer Aehren unterbrochen, die schließlich das Blau vollständig aus dem Beet verdrängten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Weges waren die gleichen Aehren, vermischt mit Gruppen von ebenso fremd»

artigen Pflanzen, die Samenkapseln trugen und deren Farben abschnittweise zwischen Blau, Änilinrot, Purpurrot bis zu einem intensiven Karmesinrot wechselten. Jenseits dieses farbenprächtigen, duftigen Blumensaumes breiteten sich flache Wiesen aus, auf denen auserlesenes Vieh weidete. Durch Barnftaples plötzliches Erscheinen wahrscheinlich aufgeschreckt, betrachteten ihn drei ganz in der Nähe wiederkäuende Tiere mit gutmütig nachdenklichen Augen. Sie hatten lange Hör- ner und Wammen, ähnlich dem Vieh in Südeuropa und Indien . Bon diesen gutartigen Wesen wandten sich Barn- staples Augen einer langen Reihe flammenförmig gestalteter Bäume zu, einer Säulenhalle aus Weiß und Gold und einem Hintergrund von schneebedeckten Bergen. Einige große, weiße Wolken segelten über einen Himmel von reinstem Blau. Die Luft empfand Mr. Stornstaple erstaunlich klar und Und. Mit Ausnahme der Kühe und der kleinen Gruppe von Menschen, die bei der Limousine standen, konnte Mr. Barn- staple kein Lebewesen entdecken. Die Automobilisten standen still da und blickten erstaunt um sich. Der Schall keifender Stimmen drang zu ibm . Ein scharfes Knistern hinter seinem Rücken veranlaßte Barnstaple , sich umzudrehen. An der Straße, in der Rich­tung, aus der er offenbar gekommen war, lagen die Trümmer eines scheinbar erst ganz kurzlich zerstörten Steinhauses. Da- neben waren zwei große Apfelbäume wie durch eine Ex- plosion frisch geknickt und gespalten: aus der Mitte der Trüm- mer, denen eine Rauchsäule entstieg, kam auch dieses Knistern wie von feuerfangenden Gegenständen. Die geknickten Stämme der zerschmetterten Apfelbäume führten Mr. Barn- staple darauf, daß einige Blumen nahe am Straßenrand ebenfalls nach einer Seite umgeknickt waren, fo, als ob vor kurzem ein heftiger Windstoß über sie hinweggefegt halle. Jedoch hatte er weder eine Explosion gehört, noch den gering- sten Wind verspürt. Eine Zeitlang starrte er dort hin, dann wandte er sich wieder zur Limousine, als ob er von dort eine Erklärung er- wartete. Drei Leute kamen nun die Straße entlang auf ihn zu, geführt von einem hohen, schlanken, grauhaarigen Herrn mit einem Filzhut und einem langen Staubmantel. Er hatte ein schmales Gesicht mit einer kleinen Stülpnase, die den Federn seines goldenen Kneifers kaum genügend Platz bot. Mr. Barnstaple setzte seine Maschine wieder in Gang und fuhr ihnen langsam entgegen. Sobald er sich in Hörweite zu befinden glaubte, blieb er stehen und beugte den Kopf fragend aus derGelben Gefahr' heraus. In demselben Augenblick stellte der lange grau- haarige Herr die gleiche Frage:Mein Herr, können Sie mir sagen, wo wir eigenttich sind?'(Fortsetzung folgt.)