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Nr. 73» 45. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Gonniag. 42. Kebruor 4925

Minors tragisches Erleben. Oer Kampf zwischen Verteidiger und Staatsanwalt. Angst vor dem Meineid. Vertagung bis Dienstag früh.

Der Prozeß des Schülers Paul Krantz droht immer mehr sich zu einem Skandal ersten Ranges auszuwachsen. Sehr überflüssigerweise. Der preußische Iustizminister Dr. Schmidt erschien gestern in Begleitung des Londgerichtspräsi- denten in der Gerichtsverhandlung. Welchem Umstände war dieser hohe Besuch zu verdanken? Wollte sich etwa der Mi­nister persönlich davon überzeugen, ob die Vorwürfe, die die weißen und schwarzen Dunkelmänner gegen die ö f f e n t- l i ch e Verhandlung des Falles Kranft erheben, gerechtfertigt sind? Dann hatte er jedenfalls den Augenblick für seinen Be- such sehr unglücklich gewählt. Schade, daß er nicht etwas früher gekommen war und nicht etwas länger geblieben ist. Wäre das geschehen, so hätte er Gelegenheit gehabt, die schnarrende Reservcleutnantsstimme des Staatsanwaltschafts- assessors und dessen hämisches Lächeln zu bewundern, sich von der eigenartigen chandhabe der Strafprozeßordnung durch den Ersten Staatsanwalt zu überzeugen und die wenig erfreu- lichen Zusammenstöße zwischen Verteidigung und Vorsitzenden mitzuerleben. Er hätte dann auch die sechzehnjährige Ellinor Ratti darüber weinen gehört, daß man sie durch die Vereidi- gung in die schlimmsten Gewissenskonflikte gestürzt habe: sie fürchte sich auszusagen, erklärte sie, da sie nicht mehr wisse, was sie selbst gesehen, was andere ihr gesagt und was sie in dep Zeitungen über den Vorfall gelesen habe. Das aher, was die Sechzehnjährige trotzdem bei ihrer größten Gewissen- haftigkeit ausgesagt hat, genügte, um die Aussage ihrer Freundin Hilde zu erschüttern. Der Angeklagte selbst ist aber durch die schlaflosen Nächte und die ungenügende Nohrungs- aufnähme während des Prozesses erschöpft. Als feine Mutter ihm heute Essen aus dem Restaurant besorgen wollte, wurde ihr dieses abgelehnt mit dem Erfolg, daß er hinterher einen Schwächeanfall erlitt. Man ist human in Moabit . Einem zum Tode Verurteilten gestattet man vor der Hinrichtung eine Henkersmahlzeit mit Wein und Braten; einem Achtzehn- jährigen jedoch, dessen Kopf der Staatsanwalt laut Eröff- nungsbefchluß zu fordern beabsichtigt, verweigert man wäh- rend der Gerichtsoerhandlung ein besseres Mittagsmahl, dessen er bedarf, um feinen Kopf verteidigen zu können. Nachdem im Krantz.Prozeh über die Antrage der Verteidigung deraten worden war, verkündete der Borssgende, daß dos Gericht ein« Ausfehung der Verhandlung abgelehnt habe, da es einer Erkundigung über den Sachverständigen Dr. Plaezet nicht bedürfe. Es ist fernerhin beschlossen worden, vier Zeugen, darunter den Trainer Kranz zu laden und zu vernehmen. Die weiteren Anträge der Verteidigung werden zum Teil als wahr unterstellt, zum Teil als unerheblich abgelehnt! Andere Anträge behaupten nicht Totsachen, sondern enthalten lediglich Urteile. Der Antrag, Hilde Scheller durch eineä Sachverständigen untersuchen zu lassen, wird noch zurückgestellt. Der schlimme Morgen. Die Freundin Hildes, die wichtig« Zeugin Ellinor Ratti (deren Aussagen wir im Abendblatt bereits kurz erwähnten) er» zählte über den trogischen Morgen im Schellerschen Hause das folgende: Ich ging etwa um 12 Uhr nachts nach Hause und am anderen Morgen früh nach sieben Uhr ging ich gleich wieder zu Scheller». Paul öffnete mir und wir gaben uns einen Kuß. Dann kam auch Günther, der mir.guten Tag" sagte, aber dabei zur Seite sah. Ich fand sein Benehmen sehr komisch und fragte:Was hast du", worauf er antwortete:Ach, nichts". Daß er betrunken war, habe ich nicht gemerkt. Dann ging ich zu Hilde ins Bode- zimmer und sagte auch zu ihr:Ihr seid doch alle so konüsch", worauf mir Hilde erwiderte:Na ja, der Hans war doch die Nacht hier".(Lächelnd.) Darauf machte ich irgendeine Redensart, ich sagte wohl:Du bist verrückt", jedenfalls, ich war entsetzt. Dann klopfte Paul an die Tür:Die Beiden sind im Schlafzimmer zu- sommen", worauf ihn Hilde nochmals bat, er solle Günther nicht verraten, daß Hans in der Wohnung war. Paul gab ihr daraus das Ehrenwort. ging dann auch ins Schlafzimmer und mochte die Tür hinter sich zu. Zunächst ohne jegliche Erregung, in demselben gleichgültigen Tone, wie bisher, fährt dann die Zeugin fort: Gleich danach hörten wir drei Schüsse. Hilde stürzte als Erste heraus, schlug mit der Faust an die Schlafzimmerlär und eilte hinein. Zch kam hinler ihr her. Beim ersten Anblick sah ich jemand tot liegen und ich dachte zunächst, weshalb weih ich nicht, daß Paul sich erschossen habe. Aber dann sah ich Paul stehen und tonnte erkennen, daß der Tote Günther war. Hilde schrie aus:Günther, was hast du gemacht, bist du wahnsinnig geworden?" Paul sagte aber nicht», sondern sah mich nur an, ich blickte ihn an und sagte auch nichts. (Achselzuckend.) Nachher habe ich wohl auch ein bißchen geschrien. Dann hörte ich Hilde weiter schreien:Hans. Hans wo bist du?" Sie eilte zum Schrank und riß dos Handtuch weg. Die Zeugin verliert plötzlich die Fassung, blickt zu Boden und bricht darauf in Tränen aus; schluchzend fährt sie fort: Da war er eben tot." (Große Bewegung im ganzen Saal.) Hilde schrie in einem fort: Ellinor, der Einzige, den ich geliebt habe!"(Erneute Bewegung.) Ellinor Ratti brach wiederum in heftiges Schluchzen aus, so daß der Vorsitzende sie fragt«, ob vielleicht«in« Paus« eintreten solle, damit sie sich beruhigen könnte. Ellinor(weinend): Es war ja so furchtbor, wie die Hilde immer schrie:Hans, mein Hans." Mit

einemmal faßte sich die Zeugin dann aber und fuhr fort: Ich fragte Paul, wie das bloß gekommen sei, woraus er die Achseln zuckte:Weiß nicht." Dann gingen wir beide ins Kinderzimmer, wo Hilde auf dem Stuhl saß und schrie. Plötzlich wurde Hilde aber ganz nihig und sagte: Was sollen wir jetzt machen, vielleicht wird Paul verdächtigt. Damals ist sie wohl auch dazugekommen, zuerst eine falsche Aussage zu machen. Plötzlich stand Paul auf: Ich mache Schluß!" Hilde sprang ebenfalls auf und rannte vor ihm ins Schlafzimmer, während ich Paul festhielt und ihn be, ruhigte:Du bist ja noch jo jung."(Verlegen lächelnd.) Ich hotte ja nicht Angst, mir war eben nur so komisch. Als dann Hilde zu- rückkam und fragte, ob man nicht helfen könne, sagte Paul, sie solle Verbandszeug holen. Gleichzeitig meinte er zu mir, ich solle ihm helfen, Günther aufzuheben, aber ich konitte nicht. Ich ließ ihn wieder fallen.(Erneut in Tränen ausbrechend.) hier sind so viele TNensche«.... ich weiß nicht..." Vors.: Geniert Sie das? Ellinor(schnell gefaßt): Nein.(Plötzlich wieder in ihren gleichgültigen Ton zurückfallend:) Also, was habe ich zuletzt gesagt? Ich habe bei meiner ersten Aussage von dem Verbandzeug nichts erwähnt, aber es war bestimmt so. Mir fällt vieles erst jetzt ein, nachdem man«s mir vorgehalten hat und nachdem ich die Zeitungen gelesen habe. Hüde fragte:Was soll ich machen, soll ich den Arzt oder die Polizei anrufen?" Paul meinte daraus:Wir drei sind dach genug." Mir ist es wenigstens so, als ab er das sagte. Hilde ist dann doch hineingegangen und hat telephoniert. Ich Hobe ihr noch den Namen von Dr. Freund gesogt. Dann war Paul in der Küche. Pias er dort machte, weiß ich nicht. Ich habe nur gesehen, daß er Gläser abgewaschen hat. Da» kam mir so sehr komisch vor. Er sah überhaupt so komisch au». Ich fragte ihn: Paul, hast du das getan? Ich glaube, ich hob« nur Paul?" gesagt. Das andere, was ich sagen wollte, muß er ver- standen haben, denn er rief ans:Denkst du das von mir?" Und ich erwiderte:Ich weih nicht, was ich denken soll." Im Zimmer hatte er gesagt, es war Günthers Revolver, und ich hatte gesogt: New. es war deiner."" Ich habe auch gesagt:Du lügst." Als ich schon aus der Treppe war. rief er mir noch etwas nach Genau weih ich nicht, was es war. Entweder sagte er:Es war doch nicht mein. Revolver " oder:Sage nicht, daß es mein Revolver war". Ich Hobe geantwortet:Gut."

Vors.: Also mit Hilde haben Sie auch darüber gesprochen? Zeugin: Ganz wenig. Sie war nur einmal bei uns, ober auf dem Polizeipräsidium kamen wir ja immer zusammen. Vors.: Haben Sie da besonders besprochen, was auszusagen sei? Zeugin: Das nicht» ober der eine wußte das, der andere das. Es sind uns ja auch unsere Aussagen vorgelesen worden, und da habe ich dann gesagt: Das stimmt doch alles, was wir beide sagen. Vors.: Haben diese Gespräche mit Hilde irgendwelche Ein- Wirkungen auf Ihre Erinnerung gehobt? Zeugin: Mancher Sachen erinnerte ich mich erst, nachdem ich die Zeitung gelesen hatte. Einmal sagte Hilde aus, daß es so gewesen sei, und dann hotte sie meistens recht. Vors.: Danach können Sie jetzt nicht sagen, ob da» alles ihre eigenen Erinnerungen sind? Zeugin: Nein. Vors.: Sie hoben auch gesagt, daß Günkher Ihnen komisch vorkam? Zeugin: Ja, äußerst komisch, aber ich kann nicht sagen, wie das war. Er sah direkt an mir vorbei, als ich ankam. Vors.: Ist Ihnen sonst irgend etwas an ihm aufgefallen, etwa Trunkenheit? Zeugin: Nein, bei Günther Hab« ich nichts gemerkt. Paul sah ich an, daß er wohl getrunken habe, aber an dem Benehmen beider habe ich nichts gemerkt Vors.: Wo blieben Günther und Paul, nachdem sie Ihnenguten Tag" gesagt hatten? Zeugin(nach längerem Besinnen): Ich weiß, daß Günther ins Schlafzimmer ging, aber es muh da noch etwas vorausgegangsn sein. Ach richtig: Paul und Hilde standen neben mir, und sie sagte zu Paul, er soll ihr dos Ehrenwort geben. Wo Günther in der Zeit war. weih ich nicht. Als wir ober im Badezimmer waren, kam Paul und lagt«, Günther sei im Schlafzimmer. Da hat Hilde gesagt:Geh rein" oder:Laß die beiden nicht allein". Paul ist irgend wohin gegangen. Der Angeklagte Krantz bat nunmehr wegen Erschöpfung um die Mittagspause, die Laudgcrichtsdirektor Dr. Dust dann kurz vor 2 Uhr eintreten ließ. Vorher machte R.-A. Dr. Frey darauf aufmcrksani. daß entgegen den strengen Weisungen des Vor- sitzenden das Ehepaar Scheller dauernd mit der Zeugin Ellinor auf dem Korridor gesprochen habe, und er bat den Vorsitzenden, Vorsorge zu treffen, daß ein derartiger Verkehr während der Pause nicht wieder sortgesetzt werde. Zeugin Ellinor: Frau Scheller hat zu mir gesagt, ich-dürste mit Fritz K. und anderen Zeugen nicht sprechen,

Gchönleinstraße Kottbusser Tor.

Untergrundbahnhof Kottbusser Tor.

Am heutigen Sonntag wird auf der T« i st r« ck e der Schncllbahnlinie Gesundbrunnen Neukölln, die vom Bahnhof Boddinstraße bis zum Gesundbrunnen führen soll, die Strecke vom Bahnhos Schönleinstraße bis zum Kottbusser Tor eröffnet. In einer Vorbesichtigung, an der Vertreter der Behörden teilnahmen, wurde am Sonnabend der neue Bahnhof Kottbusser Ton gezeigt. Die Eröffnung dieser Teilstrecke bringt für den dicht bevölkerten Südosten eine neue Schnellbahnverbindung mit dein Osten und Westen. Die neue Bahnlinie vom Gesundbrunnen über Alcxanderplatz nach Neukölln sollte bereits vor 20 Jahren gebaut merden. Zunächst sollte dieses Projekt als Schwebebahn ausgeführt werden, später wurde der Plan geändert und im Jahre IllIZ begann die Allgemeine Elektrizität::-Gesellschaft mit den Bauarbeiten für«ine Untergrundbahn. Infolge des Kriege« wurden die Arbeiten einge- stellt, und erst in den letzten Iahren konnte das Projekt von der Stadt Berlin übernommen und bereits zum Teil ausgeführt werden. Im Laufe der Arbeiten wurde die Linienführung dieser Strecke ge- ändert, und zwar wurde der Moritzplatz in dieses Schncllbahnnetz mit eingezogen und auch das verkehrsreiche Gebiet an der Iannowitz- brück«. Für die ab heute eröffnet« Streck« bestanden besondere Schwierigkeiten bei den Bauarbeiten in der Unterttmnelung des Landwehrkanals. Der Bahnhos Kottbuser Tor wird

einer der großen Umsteigebahnhöfe des Berliner Schnellbohnnetzes werden. Der Hochbahnhos Kottbusser Tor wird so weit vorgelegt, daß eine Rolltreppe die Untergrundbahn- und Hochbahnhöfe ver- binden wird. Infolge dieser Neuanlage des 5)ochbah»hases wird auch der ganze Platz am Kottbuser Tor umgestaltet Der Bahnhof ist besonders umfangreich angelegt, um den größten Verkehr be- wältigen zu können. Er muhte unter einer Reihe von Mietshäusern gelegt werden, wodurch notwendig wurde, daß eine große Anzahl Stützen auf dein Bahnsteig errichtet wurde», um die Mietshäuser z» trogen. Bei der Vorbesichtigung begrüßte Stadtrat Ge- nasse Reuter die versammelten Vertreter der Behörden und Presse und schilderte kurz den Ausbau des Berliner Schnellbahnnetzes. Ober- baurat Z a n g« m e i st e r berichtet« über die technischen Einzel- fragen dieses neuen Projektes. Die Untertunnelung des Landwehr- kanals konnte so beschleunigt iverdcn, daß die Schiffahrt nur vier Monat« unterbunden werden mußte. Das Umsteigen von dem Unter» grnndbahnhof Kottbusser Tor auf die Oft-West-Hochbohnverbindung ist zurzeit noch kompliziert. Der Fahrgast muh über die Straße und seinen Schein zur Fortsetzung seiner Fahrt ab- stempeln lassen. Nach dem Umbau des Hochbahnhofes liegen beide Bahnsteige, ähnlich wie am Hermannplatz, übereinander und sind mit Rolltreppen verbünde»